NachhaltigkeitAnders wohnen als StudentIn
Nachhaltiges Bauen umfasst neben dem energieeffizienten Bauen auch möglichst schadstoffarme Baumaterialien, die später wenig Abfall produzieren und möglichst recylingfähig sind. Schade, dass man nicht wirklich ein Haus aus Moos bauen kann …
Studis Online: Was genau umfasst „nachhaltiges Bauen“, warum ist es sinnvoll?
Holger Wolpensinger: Beim nachhaltigen Bauen werden verschiedene Aspekte berücksichtigt.
Ein Aspekt ist die Ökologie. Für die Stromerzeugung und Wärmegewinnung werden erneuerbare Energien wie Solarenergie oder Biomasse (z.B. Holzpelletanlagen) verwendet. Mithilfe hochwärmegedämmter Gebäudehüllen oder Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bei Passivhäusern wird zudem Energie gespart.
Eine weitere wichtige Rolle bei der Ökologie spielt die Auswahl der Stoffe: Es wird Wert gelegt auf Kriterien wie Schadstoffreiheit, Nutzung nachwachsender Rohstoffe oder Verwendung von Recyclingmaterialien. Die Baustoffe sollten wenig Abfälle produzieren und reyclingfähig sein.
Ein anderer Aspekt, der beim beim nachhaltigen Bauen zum Tragen kommt, ist die Ökonomie. Aufgrund der ökologischeren Bauweise sind die Betriebskosten deutlich niedriger. Dies spricht sich gerade unter den Betreibern von Studierendenwohnheimen – vor allem also Studentenwerken – langsam aber sicher herum. Außerdem zahlt sich die normalerweise höhere Wohnqualität bei nachhaltigen Gebäudekonzepten durch eine geringere Fluktuation aus, was für die Vermieter sehr interessant ist.
Neben Ökologie und Ökonomie wird beim nachhaltigen Bauen auch auf soziale Aspekte geachtet. Im Studierendenwohnheim spielen diese eine besonders große Rolle: Vermieden werden sollten Zwangskontakte, gut ist kommunikationsoffenes Wohnen mit einem möglichst hohen Maß an Privatsphäre. Durch die Bauweise können Begegnungen entsprechend ermöglicht oder behindert werden. In der Architektursoziologie nennt man dies „behaviour settings“. Leider sind sich die meisten Planer solcher Settings nicht bewusst.
Viele denken, nachhaltiges Bauen ist teuer. Ist da etwas dran?
Holger Wolpensinger hat schon als Student das Thema ökologisches Bauen zu seinem Steckenpferd gemacht. Schon seit Jahren betreut er Webseiten, die u.a. Ökosiedlungen in Deutschland verzeichnen. Darunter sind auch einige innovative Studierendenwohnheime.
Man kann nicht pauschal sagen, das ökologische Maßnahmen teurer sind. In Zeiten von steigenden Energie- und Rohstoffpreisen, wie z.B. Öl und Eisen, bieten ökologische Konzepte zunehmend deutliche ökonomische Vorteile.
Aber auch die Baukosten selbst müssen keineswegs höher sein. Zum Thema kostengünstig realisierte Bauten gibt es inzwischen eine Reihe guter Beispiele.
In einigen Jahren wird Verbrauchern und Gebäudeplanern – aufgrund gesetzlich geforderter Ökobilanzen – die Entscheidung für ökologische Baustoffe leichter fallen. Heute kann man sich an dem Öko-Label „natureplus“ im Baustoffhandel orientieren. Dank spezieller Markteinführungsprogramme in den letzten Jahren sind die Preise deutlich gefallen. Zum Beispiel ist Dämmung aus Hanf oder Zelluloseflocken in bestimmten Anwendungsbereichen bereits konkurrenzfähig günstig.
In welchen Städten gibt es bisher schon Studierendenwohnheime, die als vorbildlich im Sinne von ökologischem Bauen angesehen werden können?
Zwei frühe Projekte wurden in Stuttgart realisiert: das Selbstbaustudierenden-Wohnheim „Bauhäusle“ für 22 Studierende, 1980 in Vaihingen bezogen, und 1985 das zweite in Hohenheim mit 158 Zimmern verteilt auf fünf Erdhügelhäuser.
Dann gibt es in Kaiserslautern das ESA mit 20 Zimmern, das nach dem Konzept des „Haus in Haus“-Prinzips realisiert wurde. ESA klingt fast wie NASA und das Aussehen erinnert auch ein wenig an ein Ufo, das am Rand des Kaiserslauterner Campuses im Wald gelandet ist.
Erdverbundener ist das Projekt in Kassel (Vaakerstraße): ein Selbstbau-Studierendenwohnheim in Lehmbauweise für zwei 4er-WGs mit Grasdächern und Fassadenbegrünung sowie transparenter Wärmedämmung und Regenwassersammlung.
In Konstanz wurde 1992 ein Wohnheim in Holzbauweise des Architekten Schaudt für 102 Studierende eingeweiht, dessen einzelne Gebäude um autofreie Wohnhöfe gruppiert und sehr „stylisch“ gestaltet sind.
Die kleineren Selbstbauprojekte zeichnen sich durch liebevolle Details aus, die Geschichten vom Bauen und Wohnen erzählen, woran zu sehen ist wie viel Herzblut in die Projekte geflossen ist.
Erzähl uns ein wenig mehr über einige dieser Wohnheime. Was zeichnet sie besonders aus, waren vielleicht auch Studierende schon in der Entwurfsphase beteiligt, wie lebt es sich heute dort?
In den kleineren Projekten, ESA, Bauhäusle und Vaakerstraße, spielte die Beteiligung der Studierenden in der Planung und im Bau eine große Rolle. Gerade für Studierende der Architektur oder des Bauingenieurswesen kann dies sehr reizvoll und lehrreich sein. Die Studierenden konnten beim Bauen ihr Praktikum absolvieren, teilweise die Planung als Studienleistung angerechnet bekommen und dann später in das selbstentworfene Wohnheim einziehen. Obwohl es viel Arbeit gewesen sein muss, scheint es für die beteiligten Studierenden ein großer Spaß gewesen zu sein.
Als Studierende wollten wir auch in Karlsruhe ein solches Projekt starten. Die Planungen waren sehr weit gediehen, jedoch spielte das Studentenwerk nicht mit. Die Betreibungskosten unseres Projekts für 22 Studierende wären ökonomisch anscheinend nicht tragbar gewesen. Für Studentenwerke sind erst Größenordnungen ab 50, besser 100 Wohnheimplätzen interessant. Je größer je besser. Für ein studentisches Projekt sind diese Zahlen normalerweise nicht zu stemmen. Und auf ein Studierendenwohnheim in Selbstverwaltung, was die Verwaltungskosten gesenkt hätte, wollten sie sich leider nicht einlassen.
Auf dem Bauplatz werden nun Eigentumswohnungen in nachhaltiger Bauweise anstelle des von uns geplanten Studierenden-Wohnheims realisiert. Dennoch hat es uns Studierenden im Studium und an Erfahrung viel gebracht. Unsere Bemühungen waren also nicht umsonst. Viele der alten Mitstreiter sind längst im Berufsleben und setzten nun die damals entwickelten Vorstelungen vom nachhaltigen Bauen um.
Es gab und gibt immer wieder studentische Aktive, die versuchen, ihr jeweiliges Studentenwerk oder ihre Hochschule zu überzeugen, bei neuen Bauwerken auf ökologische Standards zu achten. Welche Hindernisse gibt es?
Die Ablehnung einer ökologisch-nachhaltigen Bauweise liegt meines Erachtens vor allem an der Unwissenheit, teilweise an den Vorurteilen der Studentenwerke bzw. der Planenden und der Handwerker. Oft wird gegenüber Bauherren das Pauschalurteil „zu teuer“ angebracht. Sie denken aber „kann ich nicht“ oder „habe ich noch nie gemacht“ und kalkulieren mit einem sogenannten „Angstzuschlag“, wenn der Bauherr auf eine nachhaltige Zielsetzung besteht.
Hier gilt es deshalb, die richtigen Partner zu finden. Planer und Handwerker, die Erfahrung mit ökologischen Baustoffen und Technologien haben und die Gebäude kostengünstig realisieren können.
Beim nachhaltigen Bauen geht es nicht nur um Neubauten. Es macht ja auch wenig Sinn, Altbauten abzureißen, wenn ihre Substanz noch gut ist. Gibt es auch in diesem Bereich Beispiele für vorbildlich „aufgerüstete“ Studierendenwohnheime?
In den letzten Jahren rückten vermehrt Altbauinstandsetzungen in den Mittelpunkt des Interesses, weil sie schnell kostengünstigen Wohnraum schaffen konnten. Beispielsweise in Konstanz (Cherisy) und Freiburg (S.U.S.I.) wurden Kasernen zu Wohnhäusern mit ökologischen Materialien umgebaut und energetisch saniert. Die Mietpreise sind i.d.R. unschlagbar günstig, die Wartelisten dementsprechend lang.
Zwei neuere Umbauprojekte haben zudem, zumindest unter Architekten, für Furore gesorgt: In Wuppertal die „Neue Burse“, die von der 70er-Jahre-Energieschleuder zum modernen Passivwohngebäude umgebaut wurde und 2005 den Holzbaupreis verliehen bekommen hat. Das zweite Projekt ist das Studierenden-Wohnheim des International Department in Karlsruhe. Ein architektonisch gelungenes Projekt mit hohen sozialräumlichen Qualitäten.
Wenn man als Student in einem der vorgestellten Wohnheime wohnen will, wie kommt man an einen Platz?
Die meisten der genanten Wohnheime sind selbstverwaltet und es gibt einen Ansprechpartner im Wohnheim (und auf deren Webseite). Ansonsten wendet man sich an die Betreiber wie z.B. das örtliche Studentenwerk (www.studentenwerke.de).
Mancher (künftiger) Studierender mag nun Lust bekommen haben, mehr zum Thema „Nachhaltiges Bauen“ zu erfahren. Kannst Du ein paar Literaturtipps geben? Und was kannst Du empfehlen, wenn man sich als Architektur- oder Bauing-Studi auf ökologisches Bauen spezialisieren will?
Einen Einstieg ins Thema mit vielen Beispielen bietet sowohl das Buch (mit CD-ROM) "Nachhaltiges Bauen in der Praxis" von Bernhard Kolb (2004), als auch „Nachhaltigkeit in Architektur und Städtebau“ von Dominique Gauzin-Müller (2002).
Eine ganze Reihe weiterer interessanter Literaturhinweise nach Rubriken geordnet gibt es unter oekosiedlungen.de/literatur/.
Wer sein Studium in Richtung Nachhaltigkeit vertiefen möchte, kann leicht heraus finden, welche Lehrstühle oder Institute sich mit dem Thema beschäftigen. Eine Liste solcher Lehrstühle bundesweit bietet die Webseite: oekosiedlungen.de/hochschulen
Das Interview führte Oliver Iost im November 2006. Im Februar 2011 wurde das Foto von Holger Wolpensinger aktualisiert. Am 23. Juli 2018 wurde das Mooshaus-Bild ergänzt, Text und Links wo nötig leicht angepasst und alle Links geprüft.
Weiterführende Links
- Bauhäusle Stuttgart Vaihingen
https://siedlungen.eu/db/studentenwohnheim-bauhaeusle - Stuttgart Hohenheim
https://siedlungen.eu/db/studierendenwohnheim-als-erdhuegelhaeuser - ESA (Energiesparendes Studentenwohnheim Architektur)
https://siedlungen.eu/db/esa-studierendenwohnheim-kaiserslautern - Studierenden-Wohnheim Kassel
https://siedlungen.eu/db/studierendenwohnheim-vaakerstrasse-kassel - Jungerhalde Konstanz
https://siedlungen.eu/db/studierendenwohnheim-in-holzbauweise - Chérisy-Kaserne Konstanz
http://www.cherisy.de - S.U.S.I. Freiburg
https://siedlungen.eu/db/s-u-s-i - Lebenslauf von Holger Wolpensinger
http://baufachberatung.net/wolpensinger/