49-Euro-Tarif macht Hoffnung und SorgenSemesterticket in Gefahr?
Das sogenannte Deutschlandticket 🇩🇪🎟️ naht. Nach der jüngsten Einigung zwischen Bund und Ländern soll der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ab 1. Mai flächendeckend zum Einheitspreis von zunächst 49 Euro nutzbar sein. Am Donnerstag debattierte der Bundestag den entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in erster Lesung. Trotz einer Reihe strittiger Fragen wird das Parlament die Vorlage aller Voraussicht nach beschließen und ebenso der Bundesrat grünes Licht geben.
Zu den noch ungeklärten Fragen gehört auch die, wie viel Geld künftig Studierende für Busse und Bahnen werden zahlen müssen. Denn die profitierten ja bisher schon von einem mehr oder weniger günstigen Abomodell: dem Semesterticket. Allerdings wird der 49-Euro-Tarif die Preisstrukturen im Nahverkehrssektor mächtig durchrütteln und das kann so weit gehen, dass Hochschüler demnächst nicht nur schlechter dastehen als Otto Normalverbraucher, sondern mithin sogar höhere Kosten als bisher tragen müssen.
Semesterticket-Drama droht
Zu denen, die sich deshalb Sorgen machen, zählt das Deutsche Studierendenwerk (DSW). Es dürfe nicht sein, dass das neue Angebot „entgegen dessen Intention die Mobilität der Studierenden verschlechtert und sie finanziell belastet“, warnte jüngst Verbandsgeneralsekretär Matthias Anbuhl. „Das ist das Letzte, was sie angesichts rasend steigender Energie- und Lebensmittelpreise brauchen.“ Auch das Landes-Asten-Treffen (LAT) Nordrhein-Westfalen (NRW) forderte die Politik in Bund und Land zuletzt zu raschem Handeln auf. Andernfalls drohe ein „Ticket-Drama an den Hochschulen“.
Aber warum? Das Semesterticket funktioniert nach dem Solidarmodell. Alle müssen es lösen, selbst jene, die es vielleicht nur wenig oder gar nicht nutzen. Das treibt den Preis nach unten, den entweder die lokale Studierendenvertretung oder das zuständige Studierendenwerk mit dem regionalen Verkehrsverbund aushandelt.
Der geringe Preis ist es auch, der die Vereinbarung juristisch weitgehend unangreifbar macht. Denn natürlich passt es nicht jedem Betroffenen, etwa Studierenden mit eigenem Auto, für etwas zu Geld hinzulegen, das man gar nicht braucht. Frühere Urteile des Bundesverwaltungs- und des Bundesverfassungsgerichts gehen auf diese Problematik ein und stecken den Rahmen der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich mit den Kosten ab. Weil das Ticket verpflichtend ist, müssten diese „verhältnismäßig gering“ und damit noch „zumutbar“ sein.
Gerichte könnten umdenken
Da Bus- und Bahnfahren bisher ziemlich teuer und das Semesterticket vergleichsweise billig zu haben war, konnte sich Arrangement lange Zeit behaupten. Nun aber wird der ÖPNV mit dem 49-Euro-Ticket plötzlich für alle erschwinglicher und der preisliche Abstand zum Semesterticket deutlich kleiner. Das könnte zu Klagen vor den Gerichten ermuntern, die auf Unzumutbarkeit des Zahlungszwangs zielen und derlei Vorstöße erscheinen durchaus erfolgversprechend.
Was ist zum Beispiel mit jenem Studierenden, der sich das Deutschlandticket wegen dessen bundesweiter Gültigkeit zulegen möchte und damit selbst über Bundesländer- beziehungsweise Verkehrsverbundsgrenzen hinweg zu seiner Uni gelangen kann? Soll man ihn weiter zu einem „Zwangsticket“ verdonnern, das nur halb so viel kann? Denn je nach Hochschulstandort sind die Bedingungen andere. Mancherorts endet die Reichweite des Semesterticket an der Stadtgrenze, andernorts – wie in NRW oder Schleswig-Holstein – gilt es für das gesamte Bundesland.
Entsprechend variieren die Preise. In Augsburg werden nur knapp über 65 Euro fällig, in Würzburg etwas mehr als 80 Euro, in Mainz dagegen über 225 Euro. Auf ein Semester verteilt entspricht das knapp 38 Euro monatlich, also gerade einmal elf Euro weniger als das Deutschlandticket kosten wird. Was auch bedeutet: In Mainz könnten Richter eher versucht sein, das Semesterticket zu kippen als in Würzburg und Augsburg.
29 Euro pro Monat, 129 Euro pro Semester?
Dem drohenden Regelwirrwarr ließe sich letztlich nur durch eine bundesweit einheitliche Bestimmung begegnen. Und eben darauf pochen Studierendenverbände und das Deutsche Studierendenwerk, das einen „Preisdeckel“ in nicht genannter Größenordnung empfiehlt. Für den freien „zusammenschluss von studentinnen*schaften“ muss der künftige Preis deutlich unterhalb von 49 Euro liegen. Konkret plädieren der studentische Dachverband für ein „bundesweites Bildungsticket“ in Höhe von 29 Euro pro Monat und das LAT NRW für eine Fahrkarte zu 129 Euro pro Semester (21,5 Euro monatlich).
Laut LAT-Koordinator Ken Berkpinar schlägt man so zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens könne das Semesterticket bestehen bleiben und zweitens hätten die Bahn- und Busbetreiber garantierte Einnahmen durch 700.000 NRW-Studierende, unabhängig vom tatsächlichen Fahrverhalten. „Das wäre für Studierende und Verkehrsbetriebe eine positive Situation. Jetzt ist das Land gefragt, seinen Teil dazu beizutragen.“
Immerhin wurde der Appell in Bayern erhört. Schon Mitte Januar hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Einführung eines Tickets für Studierende und Azubis angekündigt – und dies genau zum Preis von 29 Euro. Derzeit sollen Gespräche dazu laufen, wie sich das neue Angebot mit den bestehenden Semestertickets kombinieren lässt.
Berlin vorbildlich
Im Land Berlin ist man schon weiter. Dort wurde kurz nach Auslaufen des Neun-Euro-Tickets ein 29-Euro-Tarif für alle Fahrgäste für die Tarifzonen A und B aufgelegt, der die Zeit bis zum Start des Deutschlandtickets überbrückt. Gleichwohl sorgte das Modell für Ärger, weil Studierende in der Hauptstadt per Semesterticket umgerechnet 32 Euro – für die Zonen A,B und C – zahlen. Zwischenzeitlich sah es sogar danach aus, als stünde das Semesterticket vor dem Aus. Nun will der Senat wohl einmalig weitere Zuschüsse bewilligen, mit welchen das Studiticket zum kommenden Sommersemester auf umgerechnet 20 Euro monatlich abgesenkt wird. Das wurde im Januar nochmals bekräftigt.
Voran geht auch das Ländle. Baden-Württemberg will zum 1. März das „JugendticketBW“ an den Start bringen. Nutzen können es Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre sowie Schüler, Studierende, Auszubildende und Freiwilligendienstleistende bis 27 Jahre. Kostenpunkt: 365 Euro im Jahr. Das entspricht knapp über 30 Euro monatlich. Studierenden, die das Angebot nutzen wollen, soll der Solidarbeitrag abgezogen werden, den sie bereits für ihr Semesterticket entrichtet haben.
Bundesweiter Solidarbeitrag?
Die sich abzeichnenden Insellösungen mögen für die Studierenden vor Ort vorteilhaft sein. Die Schaffung eines bundeseinheitlichen Standards wird aber eher unwahrscheinlicher, je mehr sich die Modelle etablieren. Was also unternimmt die Politik, um dem zu begegnen? Der SPIEGEL hat dazu Informationen aus dem NRW-Verkehrsministerium eingeholt. Demnach sei es langfristig das Ziel, dass alle Studierenden den ÖPNV deutschlandweit nutzen könnten, „ohne doppelt bezahlen zu müssen“.
Ressortleiter Oliver Krischer (Grüne) führt derzeit die Verkehrsministerkonferenz an. Er erklärte: „Wir reden jetzt mit den Verkehrsunternehmen und den Verkehrsverbünden, ob und wie wir das Deutschlandticket integrieren können.“ Möglichst schnell solle es demnach eine bundesweite Regelung für einen Solidarbeitrag für Studierende geben. Allerdings werde das absehbar nicht vor Einführung 49-Euro-Tickets passieren. Die Verhandlungen mit den örtlichen Studierendenvertretern dauerten länger.
Bis es so weit ist, soll es laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ein Aufstockermodell geben: Studierende zahlen weiterhin das Semesterticket, sollen jedoch die Möglichkeit zu einem Upgrade auf das 49-Euro-Ticket erhalten – gegen Zahlung des Differenzbetrags. Die Details der Ausgestaltung – an wen das Geld gehen soll, ob pro Semester oder Monat fällig – müssten noch geklärt werden, heißt es vom VDV. Mehrere Verkehrsverbünde bestätigten dem SPIEGEL, das Modell übernehmen zu wollen und an einer Umsetzung zu arbeiten.
Wissing, bitte melden!
Und welche Rolle spielt die Berliner Ampelregierung? Das Bundesbildungsministerium (BMBF) verwies auf Anfrage durch Studis Online wiederholt auf die fehlende Zuständigkeit. Verantwortlich in der Angelegenheit sei das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Müsste BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nicht ein Wörtchen mitreden bei einer für Studierende so wichtigen Frage? Und was unternimmt das BMDV? Eine Bitte um Auskunft ließ das Ministerium bis zur gesetzten Frist unbeantwortet.
Den Juso-Hochschulgruppen schwant bei all dem nichts Gutes. In Reaktion auf den bayerischen Vorstoß empfahl der Verband unlängst eine Nachahmung für ganz Deutschland. Ein 29-Euro-Ticket wäre „in vielen Fällen günstiger als bestehende Semestertickets und stellt eine echte Entlastung für Studierende dar“, äußerte sich Vorstandsmitglied Moritz Stockmar per Medienmitteilung. Zugleich werde die Gefahr massiv steigender Mobilitätskosten gemindert, die das Deutschlandticket beim Wegfall der Semestertickets mit sich bringe. „Ein Flickenteppich an Länderregelungen muss auf jeden Fall verhindert werden.“ (rw)