StudiengebührenDokumentation zu Studienkonten
Studienkonten im Hochschulbereich – ein Modell zur bundesweiten Sicherung von Studiengebührenfreiheit
Veröffentlicht am 18. Januar 2000 von Jürgen Zöllner
1. Ausgangslage:
Bildung und Ausbildung werden in Zukunft für die Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt von noch größerer Bedeutung sein als heute. Obwohl diese Erkenntnis in den vergangenen Jahren gereift ist und Allgemeingültigkeit erlangt hat, wird gerade in letzter Zeit immer wieder gefordert, eine Kostenbeteiligung der Studierenden in Form von Studiengebühren vorzusehen. Alle Versuche, nicht zuletzt im Sinne der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, eine länderübergreifende Regelung oder Vereinbarung über die Studiengebührenfreiheit für das grundständige Studium (gemeint ist hier das Studium bis zu einem berufsqualifizierenden Abschluss; in konsekutiven Studiengängen bis zum zweiten Abschluss) zu erreichen, sind bisher gescheitert. Nach dem fehlgeschlagenen Vorhaben einer gesetzlichen Regelung im Hochschulrahmengesetz konnte bisher weder eine staatsvertragliche Vereinbarung zwischen den Ländern noch wenigstens ein zeitlich befristetes Moratorium erreicht werden. Insbesondere die Länder, die bereits Studiengebühren eingeführt haben oder Entsprechendes beabsichtigten, haben einen bundesweiten Konsens verhindert. In einer solch zentralen Frage kann es auf Dauer nicht hingenommen werden, dass die Studierenden auf völlig unterschiedliche und zudem unsichere Situationen treffen, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nicht mehr gewährleistet ist und unvertretbare Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Ländern auftreten. Ziel muss es weiterhin sein, die bundesweite Studiengebührenfreiheit für das grundständige Studium zu sichern und durch vergleichbare Regelungen in den Ländern die Mobilität der Studierenden zu erhalten.
2. Argumente gegen Studiengebühren:
Bildung und Ausbildung sind keine Privatangelegenheit. Die Gesellschaft muss ein nachhaltiges Interesse an einer ausreichenden Zahl gut ausgebildeter Menschen haben. Nach allen Prognosen wird diese Zahl eher steigen.
Ein Studium verursacht auch heute schon erhebliche Kosten. Junge Menschen aus einkommensschwächeren Elternhäusern treffen auf nach wie vor erhebliche größere Bildungsbarrieren. Eine Erhöhung der Kosten durch Studiengebühren würde sich zusätzlich negativ auf ihre Studienneigung auswirken. Ihre Chancen, entsprechende Kosten z.B. über den Kapitalmarkt zu finanzieren, sind erheblich schlechter als die von Kindern aus reicheren Familien. Ein umfassendes Stipendiensystem - wie übrigens in allen anderen Staaten mit Studiengebühren - ist nicht in Sicht. Erhebliche finanzielle Vorbelastungen nach Abschluss des Studiums durch die Einführung von Studiengebühren haben wissenschaftsfeindliche Wirkungen. Es steht zu befürchten, dass viele sehr gute Studienabsolventen dem Wissenschaftssystem sofort den Rücken kehren, um besser bezahlte Stellen außerhalb der Hochschulen anzunehmen. Studiengebühren sind ungeeignet, um die finanzielle Situation der Hochschulen dauerhaft zu verbessern. Einerseits handelt es sich bei den im Augenblick realistisch zu erzielenden zusätzlichen Einnahmen um Größenordnungen von 5 %. Andererseits muss damit gerechnet werden, dass diese zusätzliche Einnahmen faktisch sehr schnell zur Entlastung der öffentlichen Haushalte herangezogen würden.
Studiengebühren für alle Studierenden, insbesondere aber solche für Langzeitstudierende, erreichen nicht die gewünschten Steuerungseffekte. Sie richten sich einseitig im Sinne von Sanktionen an die Studierenden, ohne die gewünschte Angebotsoptimierung auf Seiten der Hochschulen zu erreichen. Gesellschaftlich gewünschte oder individuell notwendige Lebensentwürfe junger Menschen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Kombination von Studium und Beruf werden eingeschränkt.
3. Ziele des Modells "Studienkonto":
Die dauerhafte bundesweite Sicherung eines gebührenfreien staatlich finanzierten Erststudiums durch länderübergreifende Vereinbarung,
die Vermeidung neuer sozialer Hürden vor, während und nach dem Studium,
die Gewährleistung, dass ohne großen bürokratischen Aufwand und nur schwer zu realisierende Einzelkontrolle die unterschiedlichen Lebensentwürfe von jungen Menschen berücksichtigt werden.
die Etablierung eines entsprechenden Kostenbewusstseins sowohl bei den Studierenden als auch bei den Hochschulen,
positive Anreizstrukturen für die Studierenden, ihr Studium zügig zu absolvieren und gleichzeitige Stärkung ihres "Kundenbewusstseins",
positive Anreizstrukturen für die Hochschulen, die Studierbarkeit ihres Angebotes zu gewährleisten und neue modularisierte Studienangebote zu entwickeln.
Stärkung der Attraktivität des Studienstandortes Deutschland für ausländische Studierende.
Anreizstrukturen für "lebenslanges Lernen" sowohl auf Seiten der potenzielle Nachfrager (Studierende) wie auch auf der Angebotsseite (Hochschulen),
Trennung zwischen Studienangeboten, die der Staat für den Einzelnen und im Sinne der Gesellschaft voll subventioniert (grundständiges Studium) und Zusatzangeboten, insbesondere Weiterbildung, die mit den anfallenden Kosten belastet werden müssen.
4. Das Modell "Studienkonto":
A: Prinzip
Alle Studienanfänger erhalten Studienkonten in Form von Semesterwochenstunden (SWS). Hier könnte eine Größenordnung von 200 Semesterwochenstunden vorgesehen werden, mindestens jedoch ein Zuschlag von 10 % auf die geltenden Regelungen. Angebote der Hochschulen im Studium Generale sind anrechnungsfrei.
Abschluss in der Regelstudienzeit -> Rest der SWS als Bonus für weitere Studienangebote, insbesondere Weiterbildung.
Abschluss nach Beendigung der Regelstudienzeit ohne Mehrverbrauch -> Rest der SWS verfällt.
Verbrauch des Studienkontos vor Abschluss -> Anspruch auf weiteres gebührenfreies Studium entfällt. Bundesweite Vereinbarung, dass erst in diesem Fall Gebühren erhoben werden können.
Finanzierung der Hochschulen wie bisher (möglichst leistungs- und belastungsorientiert). Einnahmen aus nicht verbrauchten SWS - Äquivalenten unter besonderen Bedingungen z.B. für Weiterbildungsangebote als Zusatzfinanzierung an die Hochschulen bzw. Fachbereiche.
B. Zusatzbedingungen:
Mindeststundenzahl pro Semester 8-10 Semesterwochenstunden. Verbrauch vor dem 60. Lebensjahr.
Ausländische Studierende werden grundsätzlich wie deutsche Studierende behandelt. Promotionen bleiben von diesen Regelungen unberührt.
C. Beispiele:
1. VWL, BWL: ca. 144 SWS, Regelstudienzeit 8 Semester
160 SWS verbraucht und nach 8 Semestern Abschluss - 40 SWS -> "Restguthaben" Zweitstudium oder Weiterbildung
150 SWS verbraucht und nach 10 Semestern Abschluss - kein "Restguthaben"
200 SWS verbraucht, nach 12 Semestern kein Abschluss abhängig von länderspezifischen Regelungen
2. Architektur: 207 SWS. 10 Semester Regelstudienzeit: Studierende erhalten zusätzlich 21 Semesterwochenstunden als Kontingent.
D. Auswirkungen:
Auf die Studierenden:
Sicherung der Studiengebührenfreiheit für das grundständige Studium.
Anreiz für zügigeres Studium, um Restguthaben beispielsweise für Weiterbildung zu sichern.
Keine Diskriminierung verschiedener Lebensentwürfe und sozialer Belastungen (Kindererziehung, Berufstätigkeit, Zusatzverdienstnotwendigkeit).
Stärkung der Studierenden als Nachfragende von Bildungsangeboten.
Auf die Hochschulen:
Anreize, Studiengang zu optimieren
Stärkere Nachfrage nach neuen Studiengängen (z.B. Bachelor und Master)
Anreize für den Ausbau von Weiterbildungsangeboten
E. Weiterentwicklungsoptionen:
Ausdehnung des Systems auf alle staatlich subventionierten Bildungsangebote im tertiären Bereich
Aufbau eines Hochschulfinanzierungsausgleiches zwischen den Ländern.
5. Weiteres Vorgehen:
Ziel ist eine bundesweite Vereinbarung zwischen den Ländern, die die Gebührenfreiheit des grundständigen Studiums dauerhaft sichert. Mit dem Modell "Studienkonto" wird ein Vorschlag vorgelegt, wie dieses Ziel erreicht werden könnte. Insbesondere im Hinblick auf die Studierenden ist es dringend notwendig, ein "Auseinanderklaffen" der Studienbedingungen in Deutschland zu verhindern und möglichst bald eine gesicherte Perspektive festzulegen. Für die Hochschulpolitik ist es dringend an der Zeit, das Thema abschließend einer Lösung zuzuführen und sich dann auf wesentliche inhaltliche Fragen der Hochschulreform zu konzentrieren.
Studentische Kritik
Und weil sich das aus offizieller Sicht immer erst so schön liest, hier gleich ein wenig studentische Kritik am Zöllner-Modell (sinngemäß aus einer Mailingliste):
Die Kontrolle dürfte sehr komplex sein: Soll es vor jeder Lehrveranstaltung Zugangskontrollen geben, damit auch nur die zuhören, die dafür ihr Studienkonto entsprechend belastet haben? Der bürokratische Aufwand einer Kontrolle dürfte einiges an Geld kosten, es bleibt offen, ob das nicht mehr ist, als was dadurch erreicht wird.
Das die Restsemesterwochenstunden verfallen, falls man länger als die Regelstudienzeit braucht (4.A.b), ist eben doch eine Diskriminierung verschiedener Lebensentwürfe und sozialer Belastungen (entgegen der Behauptung in 4.D.). Wer also wegen Kindererziehung länger braucht, muss später für Weiterbildung zahlen.
Auch wer zunächst das falsche Studium aufnimmt, hat später Probleme, gebührenfrei davonzukommen. Es könnte also der Effekt auftreten, an einem einmal angefangenen Studium festzuhalten, obwohl als nicht so geeignet erkannt wird.
Eigentlich alle Modelle zu Studiengebühren und die ganze Debatte darum lenken von den realen Problemen an den Hochschulen ab. Diese sind zwar auch finanzieller Natur, aber selbst die finanziellen Probleme liessen sich nicht durch Gebühren lösen, da ihr Anteil wäre an der Hochschulfinanzierung im niedrigen einstelligen Prozentbereich bliebe. Viele Probleme sind jedoch anderer Natur: Berufsbeamtentum, niedriges Ansehen der Lehrleistungen von Profs im Vergleich zu deren Forschung, geringe Mitspracherechte der Studierenden und des Mittelsbaus usw.
Es stellt sich die Frage, wie sich die Zahl gebührenfreier Semesterwochenstunden berechnet. Wird sie im Ergebnis an der Regelstudienzeit ausgerichtet, an dieser plus Zuschlag oder woran sonst? Und wer garantiert, dass im Zuge der ach so modernen Bestrebungen bzgl. eines "effizienten" Studiums das Studienkontenmodell nicht irgendwann als Hebel zur Verkürzung und Ökonomisierung des Studiums verwendet wird, wenn das Modell denn erst mal eingeführt ist? Gegen solche "Detailaenderungen" lässt sich ja dann auch schwerer mobilisieren, zumal dieser Prozess wohl eher schleichend wäre.
Das Modell schadet dem Gedanken eines "breiteren" Studiums. Bisher ist es ja so, dass mensch sich auch einfach mal andere Veranstaltungen anhören kann, ohne ueberhaupt auch nur irgendwie das betreffende Fach zu studieren. Und selbst innerhalb eines Studiengangs besucht mensch ja u.U. manche Veranstaltungen zu Auffrischungszwecken erneut. Dies alles würde durch das Studienkontenmodell erheblich erschwert, da mensch sich dann ja wohl doch sehr genau überlegen müsste / würde, wofür er/sie das eigene Studienkonto in Anspruch nimmt. Zudem: Muss mensch sich dann vor dem Semester abbuchungspflichtig für Veranstaltungen entscheiden, ohne zu wissen, ob die Veranstaltung ueberhaupt was taugt???
Mit dem Modell wird die grundlegende Ablehnung von Studiengebühren weiter aufgeweicht (in BaWü geschieht das mit Langzeitstudiengebühren bereits). Wenn diese Hemmschwelle erstmal ausreichend gesenkt wurde, ist es danach nicht mehr so schwierig bei entsprechendem politischem Willen Studiengebühren auf breiter Linie einzuführen. Das Studienkontenmodell koennte also der Anfang von allgemeinen Studiengebühren (d.h. für alle von Anfang an) sein.