6. November 2001 Eckpunktepapier zum Studienkonten-Modell 1. Ausgangslage Die Brutto-Studierquote dient als Indikator für den Gesamtumfang der Studienaufnahme bzw. der Studierneigung eines Jahrgangs von Schulabsolventen mit Hochschulreife. Sie ist zwischen den Jahrgängen 1990 und 1999 um insgesamt 11 Prozentpunkte (von 76 Prozent auf 65 Prozent) zurückgegangen. Dies ist der niedrigste Anteilswert seit Beginn dieser Untersuchungsreihe im Jahr 1976. Obwohl der gesellschaftliche Stellenwert von Bildung und Ausbildung in der öffentlichen Diskussion nicht in Frage gestellt wird, scheint die obige Entwicklung vielfach ignoriert zu werden. Anstatt Anreize für die Aufnahme eines Studiums zu schaffen, werden die Forderungen nach Studiengebühren immer lauter. Erklärtes Ziel der Befürworter ist, bereits mit Studienbeginn die Studierenden an den Kosten ihrer Ausbildung zu beteiligen. Angesichts der schwierigen Haushaltslage der öffentlichen Hand scheinen die Einnahmen verlockend und die neuen Bildungsbarrieren, die insbesondere für junge Menschen aus einkommensschwächeren Elternhäusern entstehen würden, von nachrangiger Bedeutung. Rheinland-Pfalz geht einen anderen Weg: - Mit dem Studienkonto soll jedem Studierenden ein gebührenfreies Erststudium ermöglicht werden. - Es kann darüber hinaus auch für anschließende gebührenpflichtige Weiterbil-dungsmaßnahmen und postgraduale Studien genutzt werden. Dazu zählen auch postgraduale Fernstudiengänge. - Die Attraktivität von Fachhochschulstudiengängen sowie von Bachelor- und Masterstudiengängen wird erhöht. Das Studienkonten-Modell setzt damit bundesweit neue Maßstäbe. Als entscheidender Schritt zu einem innovativen und konsistenten System wurde darüber hinaus das Studienkonten-Modell mit der Hochschulfinanzierung verknüpft. Diese Einbindung des Studienkonten-Modells in den Gesamtkontext der Hochschule schafft eine Vielzahl von Anreizen zu effizientem Handeln für Hochschulen, Studierende und Staat. Die in Rheinland-Pfalz bereits eingeführten Hochschulfinanzierungssysteme werden entsprechend weiterentwickelt. 2. Grundsätze des Studienkonten - Modells Prinzip: Jeder Studierende erhält ein Studienkonto, das mit einer bestimmten Anzahl von Semesterwochenstunden (SWS) ausgestattet ist. Das Studienkonto kann sowohl für ein Erststudium als auch für anschließende Weiterbildungsmaßnahmen und postgraduale Studien genutzt werden. Dies gilt auch für ausländische Studierende. Das Studienkonto steht bis zum 55. Lebensjahr zur Verfügung. Nach Verbrauch des Studienkontos erheben die Hochschulen für ihre Leistungen Gebühren. Ausstattung des Studienkontos: Vorgeschlagen wird die Einrichtung eines Fachkontos. Jeder Studienanfänger erhält ein Studienkonto in Höhe der SWS, die laut Studien- und Prüfungsordnung im jeweiligen Studiengang als Pflicht- und Wahlpflichtveranstaltungen zu absolvieren sind, zuzüglich eines Aufschlags von 20 Prozent. Denkbar wäre auch die Einführung eines Generalkontos, das in der Regel mit 200 Semesterwochenstunden ausgestattet würde. Hierüber soll mit den rheinland-pfälzischen Hochschulen ergebnisoffen diskutiert werden. Sowohl Fachkonto als auch Generalkonto bieten den Studierenden einen Gestaltungsfreiraum für ihr Studium. Dieser ist für eine individuelle Lebensplanung unverzichtbar. Hervorzuheben ist auch, dass alle Veranstaltungen des Studiums Generale nicht in die Regelungen des Studienkonten-Modells einbezogen werden. Dies gilt ebenso für Promotionen. Buchungsmodalitäten des Studienkontos: Es wird vorgeschlagen, das Studienkonto mit einer Regelabbuchung pro Semester zu führen. Die Höhe der Regelabbuchung orientiert sich an der jeweiligen Ausstattung des Studienkontos mit SWS und der Regelstudienzeit eines Studiums. Die Regelabbuchung ist dabei so festzulegen, dass jedem Studierenden ein gebührenfreies Erststudium bis zur zweifachen Regelstudienzeit ermöglicht wird. Damit soll auf der einen Seite garantiert werden, dass gesellschaftlich gewünschte oder individuell notwendige Lebensentwürfe junger Menschen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Kombination von Studium und Beruf nicht eingeschränkt werden. Auf der anderen Seite zahlt sich die geringe Regelabbuchung auch für Studierende aus, die zügig ihr Studium beenden. Ihnen steht durch das Studienkonto ein Bonus für die Nutzung von gebührenpflichtigen Weiterbildungsangeboten und postgradualen Studien zur Verfügung. Denkbar wäre auch die Einführung einer leistungsbezogenen Abbuchung in Kombination mit der Regelabbuchung. Für die leistungsbezogene Abbuchung werden die SWS registriert, die ein Studierender individuell pro Semester an der Hochschule in Anspruch nimmt. Zur Ermittlung werden zum Beispiel die abgelegten Prüfungen (sowohl studienbegleitende als auch Zwischen- und Abschlussprüfungen) herangezogen. Jeder abgelegten Prüfung wird eine bestimmte Anzahl von Lehrveranstaltungen zugeordnet, deren Lehrstoff für diese Prüfung relevant ist. Die für die leistungsbezogene Abbuchung registrierten SWS werden von Semester zu Semester addiert; d.h. es wird eine kumulierte Summe gebildet. Gleiches erfolgt für die Regelabbuchung. Das Studienkonto ergibt sich aus der Gegenüberstellung der kumulierten Summen von leistungsbezogener Abbuchung und Regelabbuchung. Jeweils der höhere Wert wird auf das Studienkonto angerechnet. Auch für die Berechnung des Studienkontos auf der Grundlage einer leistungsbezogenen Abbuchung und einer Regelabbuchung gilt das oben genannte. Studierenden steht grundsätzlich die zweifache Regelstudienzeit für ein gebührenfreies Erststudium zur Verfügung. Anders ist aber, dass der individuelle Verbrauch des Studierenden maßgeblich ist und keine Pauschalierung erfolgt. Hierüber wird mit den rheinland-pfälzischen Hochschulen ergebnisoffen diskutiert. Nutzung des Studienkontos für die Weiterbildung und postgraduale Studien: Die Ausstattung des Studienkontos mit SWS ist großzügig bemessen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass bei der Mehrheit der Studierenden zum Abschluss des Erststudiums ein Rest von SWS auf dem Studienkonto verbleibt. Dieser kann für gebührenpflichtige Weiterbildungsangebote und postgraduale Studien der Hochschulen genutzt werden. Gebührenpflichtige Weiterbildung ist damit ohne Eigenmittel finanzierbar, wenn der Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit zuzüglich eines weiteren Semesters erfolgt ist. Dieser besondere Bonus steht nach Abschluss eines Fachhochschulstudiengangs und eines Bachelorstudiengangs generell zur Verfügung. Für andere Universitätsstudiengänge gilt die Einschränkung, dass das Erststudium in der Regelstudienzeit zuzüglich eines Semesters absolviert wurde. Damit wird den vielfachen Empfehlungen des Wissenschaftsrates Rechnung getragen, Maßnahmen zu ergreifen, um den Anteil der Fachhochschulstudierenden zu erhöhen. Zu den praxisnahen und anwendungsbezogenen Studienangeboten der Fachhochschulen gehören auch duale Studiengänge. Auch diesen Absolventinnen und Absolventen verbleibt ihr Studienkonto generell für eine zukünftige Weiterqualifizierung. Gleichzeitig wird der Einführung der neuen Hochschulabschlüsse Nachdruck verliehen. Hervorzuheben ist, dass Probleme durch Kombinationen von Bachelorstudiengängen mit ggf. gebührenpflichtigen Masterstudiengängen damit nicht mehr auftreten. Bereits heute werden viele Weiterbildungs- und postgraduale Angebote als Fernstudiengänge zur Verfügung gestellt. Das Studienkonto kann auch dafür ohne Einschränkung angewendet werden. Studiengebühren Studierenden wird bei Regelabbuchung ein gebührenfreies Erststudium bis zur zweifachen Regelstudienzeit ermöglicht. Studierende, die ihre SWS aufgebraucht haben, ohne einen Studienabschluss zu erzielen und ihr Erststudium beenden möchten, müssen Studiengebühren entrichten. Jede SWS ist mit 25 € zu vergüten. Die Anzahl der SWS richtet sich nach der Regelabbuchung pro Semester. Daraus ergibt sich eine Studiengebühr von durchschnittlich ca. 300 € pro Semester. Bei einem System der Leistungsabbuchung kann der Betrag je nach in Anspruch genommener Leistung höher oder niedriger sein. Studiengang- und Studienortwechsel: Bei einem Studiengangwechsel bis zum Ende des zweiten Semesters erhält der Studierende ein neues Studienkonto. Studien- und Prüfungsleistungen des erstgewählten Studiums, die im neuen Studiengang anerkannt werden können, werden angerechnet. Bei einem Studiengangwechsel nach dem zweiten oder späteren Semester sowie bei jedem Weiteren bleibt die bisherige Berechnung des Studienkontos uneingeschränkt bestehen. An nicht rheinland-pfälzischen Hochschulen absolvierte Semester werden mit der Regelabbuchung auf das Studienkonto angerechnet. Im Falle der Beteiligung anderer Bundesländer besitzt das Studienkonto länderübergreifende Gültigkeit. Entsprechende Kooperationsvereinbarungen werden getroffen. 3. Finanzierung des Studienkonten-Modells Um die o.g. gewünschten Anreizwirkungen zu erzielen, ist es erforderlich, das Studienkonten-Modell mit einem belastungs- und leistungsorientierten Hochschulfinanzierungssystem zu verbinden. Die wichtigste Bemessungsgröße ist die Semesterwochenstunde (SWS). Die Gesamtfinanzierung setzt sich aus drei Bereichen zusammen: die Vergütung der eingelösten SWS der Studierenden in der Regelstudienzeit (Grundvergütung), die Vergütung der nach dem Erststudium für gebührenpflichtige Weiterbildungsmaßnahmen und postgraduale Studien eingelösten SWS (Weiterbildungsvergütung) sowie die zu erhebenden Studiengebühren nach vollständigem Verbrauch der SWS des Studienkontos. Die von den Studierenden im Rahmen ihres Studienkontos bei den Hochschulen in Anspruch genommenen Leistungen sollen, sofern sich die Studierenden in der Regelstudienzeit befinden, den Hochschulen vergütet werden. Pro SWS werden den Hochschulen ca. 12,5 € gutgeschrieben. Die auf dem Studienkonto bei den Studierenden nach dem Studienabschluss verbleibenden SWS können für anschließende gebührenpflichtige Weiterbildungsmaßnahmen und postgraduale Studien verwendet werden. Die den Hochschulen dadurch entgangenen Einnahmen werden diesen mit einem Betrag von 50 € pro SWS vergütet. Das Land Rheinland-Pfalz wird die Finanzierung des Studienkonten-Modells in die bereits bestehenden Hochschulfinanzierungssysteme integrieren. Hierbei werden beispielsweise die beiden Komponenten Grundausstattung und Zusatzausstattung Lehre im Mittelbemessungsmodell (MBM) sowie die Weiterbildungskomponente des Personalbemessungskonzeptes (PBK) zusammengeführt. Als Übergangsregelung werden den Hochschulen die Einnahmen aus diesen Komponenten als Besitzstand garantiert. Schließlich werden die Hochschulen von Studierenden, die ihre SWS, ohne einen Studienabschluss zu erzielen, vollständig aufgebraucht haben und ihr Erststudium beenden möchten, Studiengebühren erheben. Für jede SWS werden 25 € zu entrichten sein. Die Anzahl der SWS richtet sich nach der Regelabbuchung pro Semester. Diese Einnahmen sowie die Einnahmen durch den zu erwartenden Ausbau des Weiterbildungsangebotes verbleiben den Hochschulen zusätzlich und werden damit die Einnahmesituation der Hochschulen spürbar verbessern. Das Studienkonten-Modell wird in Verbindung mit den aufgeführten Finanzierungsmodalitäten erhebliche Steuerungswirkungen erzielen. Durch die Staffelung der unterschiedlichen Beträge entsteht ein Anreiz auf Seiten der Studierenden ein Studium möglichst zügig abzuschließen, um das Studienkonto auch für ihre anschließende Weiterbildung einsetzen zu können. Auf Seiten der Hochschulen ist es von Vorteil, das Erststudium nachfrageorientiert und effizient zu organisieren, die Zahl der Bachelor-Studiengänge deutlich zu erhöhen und am Weiterbildungsmarkt noch stärker als bisher mit attraktiven Angeboten präsent zu sein. 4. Auswirkungen Das Studienkonten-Modell wird im Wesentlichen folgende Auswirkungen hervorrufen: - Jedem Studierenden wird ein gebührenfreies Erststudium ermöglicht. - Es entstehen erhebliche Anreize in den Hochschulen, Studienangebote für Studierende attraktiver zu gestalten und das Weiterbildungsangebot auszubauen. - Es wird bei den Studierenden das Bewusstsein erhöht, dass das staatliche Bildungsangebot ein kostbares Gut ist; die Attraktivität von Fachhochschul- sowie Bachelor- und Masterstudiengängen wird verstärkt. - Die Einnahmesituation der Hochschulen wird sich spürbar verbessern. 5. Umsetzung und weiteres Verfahren Die Umsetzung des Studienkonten-Modells soll an den Hochschulen unbürokratisch erfolgen. Die HIS-GmbH hat bereits eine erste Machbarkeitsstudie erstellt. Darin wurde die verwaltungsmäßige Umsetzbarkeit überprüft. Für einen effektiven Verwaltungsablauf an den Hochschulen wird eine Nutzung entsprechender HIS-Software-Module angestrebt. Alle Studierenden in Rheinland-Pfalz, die dem Geltungsbereich des Universitätsgesetzes (UG) vom 23. Mai 1995 und des Fachhochschulgesetzes (FHG) vom 6. Februar 1996 unterliegen, werden betroffen sein. Für die bei In-Kraft-Treten des Studienkontengesetzes bereits eingeschriebenen Studierenden ist eine Statusfeststellung ihres Studienkontos vorzunehmen. Es ist beabsichtigt, das Studienkonten-Modell möglichst zügig unter Beachtung des Vertrauensschutzes einzuführen. Die betroffenen Studierenden ebenso wie die Hochschulen sollen ausreichend Zeit haben, um sich auf die bevorstehende Änderung einzustellen. Es wird angestrebt, dass die gesetzlichen Regelungen im Rahmen der Hochschulgesetznovelle im Laufe des Jahres 2002 in Kraft treten, dass aber die Studiengebührenpflicht erstmals ca. eineinhalb Jahre später, zum 01.03.2004, also zum Sommersemester 2004, einsetzt. 6. Fassung, 05.11.2001