Die unternehmerische Hochschule"Hasenfreiheit in Zeiten der Jagd"
Florian Muhl
Clemens Knobloch - "Wir sind doch nicht blöd - Die unternehmerische Hochschule",
Verlag Westfälisches Dampfboot, 2010, 264 Seiten
Die unternehmerische Hochschule wurde erstmals von Detlef Müller-Böling, dem damaligen Leiter des "Centrums für Hochschulentwicklung" (CHE), in seinem programmatischen Buch "Die entfesselte Universität" (2000) beschworen. Er macht darin die demokratische Gremienuniversität als Gegner aus. Sie sei "reformunfähig", "blockiert" und letztlich "gescheitert". Demokratische Strukturen an den Hochschulen seien überhaupt hinderlich und sollten durch unternehmerische ersetzt werden.
Dies wäre nicht weiter von Bedeutung, wenn nicht das CHE als einflussreicher, 1994 von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gegründeter, Think Tank die Idee einer unternehmerischen Hochschule als Leitmotiv seines Handelns begreifen und in diesem Sinne Lobbyarbeit betreiben würde.1
Knobloch unterzieht dieses angeblich vollkommen ideologiefreie Programm in seinem Buch einem Realitätscheck und zeichnet nach, wie weit die "Kolonisierung des wissenschaftlichen Feldes mit den […] Kodes und Mitteln der Ökonomie" bereits fortgeschritten ist. Er konfrontiert die wohlklingende Marketingsprache der Fürsprecher der unternehmerischen Hochschule mit der Wirklichkeit und liefert eine Vielzahl von Beispielen für die Folgen der Einführung betriebswirtschaftlicher Werkzeuge wie z.B. Kennzahlen und Ziel- und Leistungsvereinbarungen für die Hochschulen.
Studieren in der unternehmerischen Hochschule
"Ähnelte das Studium früher einem Geländespiel, bei dem die Erstsemester in unübersichtlichem Terrain abgesetzt wurden und vor der Aufgabe standen, sich zunächst einmal den erforderlichen Überblick zu verschaffen - ohne detaillierte Landkarte, so ist heute die Komplexität der ausgeteilten Landkarten und Regelwerke das eigentliche Problem." (S.14)
Die Studierenden, deren Status sich in der unternehmerischen Hochschule von Mitgliedern der Hochschule zu Kunden oder Stakeholdern gewandelt hat, finden sich derzeit in in einer paradoxen Situation wieder: Sie sind einerseits dazu angehalten, als "Unternehmer ihrer selbst" und Quasi-Kunden der Hochschulen den geforderten Kreditpunkten möglichst effizient nachzujagen, um so in die eigene Person und Persönlichkeit als Humankapital zu investieren. Andererseits sind sie für die Hochschulen eine nachgefragte Ware, die diese sich am liebsten ganz autonom selbst aussuchen möchten. Schließlich hängt mittlerweile u.a. von der Zahl und der Qualität der "produzierten" Abschlüsse die Zuweisung von Mitteln an die Hochschulen ab. Knobloch fragt zurecht, was für eine Rolle in dieser Konstellation noch das Grundrecht auf Bildung spielen kann.
Die Wissensgesellschaft als "kognitive Schwitzbude"
Infos zum Autor
Clemens Knobloch, geb. 1951, lehrt Sprach- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Siegen; Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von attac und der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW; publizistisch aktiv für den "Freitag", die "Blätter für deutsche und internationale Politik" und andere Zeitschriften.
Vor diesem Hintergrund nimmt sich Knobloch dem verbreiteten Reden von der Wissensgesellschaft, die derzeit in aller Munde ist, an. Knobloch beschreibt sie als "rhetorisches Druck- und Arzneimittel", mit Hilfe dessen angebliche Sachzwänge (wie z.B. allgemeine Deregulierung) behauptet werden, die zufälligerweise genau den Bedürfnissen derjenigen entsprechen, die diese verbreiten.
Knobloch belegt seine These, der "Geist der Universität" werde derzeit "unter einer Vielzahl ökonomischer Zwänge begraben", an verschiedenen Beispielen aus dem Innenleben der "schönen neuen Hochschulwelt": So widmet er sich ausführlich den Studiengebühren als Erziehungsprogramm, den zerstörerischen Dynamiken, die sich aus der umfassenden Verpunktung und Vermessung der Lehre ergeben und den pädagogischen Effekten der bereits an anderer Stelle kritisierten In-Konkurrenz-Setzung der Hochschulen via Ranking bzw. Rangliste.
Bemerkenswert ist auch der von Knobloch geschilderte Umstand, dass zu einem Zeitpunkt, an dem vielen Hochschulen bereits der Humboldtsche Anspruch an Bildung und der Anspruch der Einheit von Forschung und Lehre ausgetrieben wurde, die Marke "Humboldt" bei Hochschulmanagern, die deutsche "Bildungsprodukte" im Ausland verkaufen wollen, Hochkonjunktur hat.
Es geht um's Ganze!
Knobloch verdeutlicht nachdrücklich, dass es bei dem derzeit stattfindenden Umbau der Hochschulen um die grundsätzliche Frage geht, ob es gelingen wird, die Universitäten als Orte unabhängiger Wissenschaft zu verteidigen. Dies sei dringend nötig, denn die unternehmerische Universität wird ausfallen "als Quelle von Eigensinn, als Institution, die gegenüber der […] Macht von Staat und Kapital selbstbewusst auftreten kann, weil sie die Leitidee der Wissenschaft und des besseren Arguments verkörpert". (S.63) Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Offenlegung eines Kooperationsvertrags zwischen Uni Köln und der Bayer HealthCare AG lassen erahnen, welche Bedeutung diese Frage in Zukunft spielen wird.
Knoblochs Buch ist ein entschiedenes Plädoyer gegen die angeblich alternativlose Unterordnung der öffentlichen Institution "Universität" unter die Logik der Wettbewerbsgläubigkeit und für die zentrale gesellschaftliche Bedeutung von unbedingten bzw. bedingungslosen Universitäten an denen die Eigenlogik der Wissenschaft und nicht die privatwirtschaftliche Verwertungs- und Profitlogik oberstes Kriterium ist.2
Fragt sich nur, wer der Stärkere ist...
Der Soziologe Ulrich Beck charakterisierte den Bologna-Prozess vor einiger Zeit als "McKinsey-Stalinismus". Wer das für übertrieben hält, oder sich dafür interessiert, wie es zu diesem historischen Wandel an den Hochschulen kommen konnte und wie genau er aussieht, dem sei die Lektüre von "Wir sind doch nicht blöd!" empfohlen. Auch für andere im Bildungsbereich Tätige, an Hochschul- bzw. Bildungspolitik Interessierte oder Studieninteressierte lohnt sich die Lektüre des Buchs.
Eine Vielzahl von Praxisbeispielen, seien es die Schilderungen zur Einführung der kaufmännischen Rechnungslegung an der TU Dortmund oder die Vorbereitung der Teilnahme an der nächsten Runde des "Exzellenzwettbewerbs" an der LMU München, machen Knoblochs Ausführungen sehr plastisch. Auch seine Analysen "einwandsimmuner Fahnenwörter" wie Autonomie, Exzellenz oder Qualität, die derzeit (nicht nur) an den Unis hoch im Kurs stehen, sind sehr aufschlussreich, machen sie doch deutlich, dass Sprache nie einfach neutral und objektiv, sondern immer wesentlich verbunden mit Macht und Deutungshoheit ist.
1 Siehe dazu z.B. den Artikel "Hochschulfreiheitsgesetz" NRW – Elitehochschulen - Der Einfluss von Lobbyorganisationen auf den Staat. (NachDenkSeiten.de, 2006).
2 Siehe zu der Diskussion, die sich im Anschluss an den Vortrag "Die unbedingte Universität" (1998) des französischen Philosophen Jacques Derrida entwickelte, auch die Artikel "Exzellenz als Geist und Geistlosigkeit" und die Rezension der kürzlich unter dem Titel "Unbedingte Universitäten" im Diaphanes-Verlag erschienenen Bände.
Mehr von Clemens Knobloch
- "Das CHE-Ranking gehört abgeschafft!" - Interview mit Prof. Clemens Knobloch bei Studis Online (08.03.2010)
- "Vom Lockruf zum Goldrausch: Bertelsmann und die Stiftungen in der Hochschulpolitik" - Vortrag Ringvorlesung Uni Hamburg (01.12.2009)
Weitere Materialien zum Thema "Unbedingte Universitäten" vs. "Privatisierung von Bildung"
- Textreihe zu Bildungsstreik und -reform "Für eine bessere Bildung" (Studis Online & BdWi, 2009/2010)
- Unbedingte Universitäten - Exzellenz als Geist und Geistlosigkeit (Prof. Wolfgang Fach, 2009)
- Plínio Prado - Die Universität, das Selbst und der gegenwärtige Markt (aus "Unbedingte Universitäten: Was passiert? Stellungnahmen zur Lage der Universität")
- Kritik der neoliberalen Zerstörung der Universität! (Prof. Gerhard Stapelfeldt, 2009, Kritiknetz)
- "Was bedeutet eigentlich "Humankapital"?" (Prof. Dr. Ingrid Lohmann, 2007)
Leseprobe: Vorwort aus "Wir sind doch nicht blöd! - Die unternehmerische Hochschule"
"Ich begreife es nicht, ich beschreibe es."
Volker Braun
Clemens Knobloch - "Wir sind doch nicht blöd - Die unternehmerische Hochschule",
Verlag Westfälisches Dampfboot, 2010, 264 Seiten
> zum Inhaltsverzeichnis
Nicht wiederzuerkennen sind sie, die hiesigen Universitäten. Wo Geist, Bildung und Wissenschaft zu Hause waren, klingt es jetzt so: Die TH Darmstadt erklärt in ihrem Mission Statement, sie habe vor, eine richtige Marke zu werden. Dazu gehöre ein neues Corporate Design. Die TH Aachen stellt einen Change Manager ein. In Baden-Württemberg kontrollieren Aufsichtsräte das Geschäftsgebaren der Hochschulen. Spin-offs werden gegründet, Patentverwertungen optimiert. Die Studenten werden als Kunden angesprochen und wie Waren nach Güteklassen sortiert. Der ehemalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz ist als Headhunter einer Unternehmensberatung unterwegs. Und die ehrwürdige Universität Göttingen verfügt über eine Stabsstelle Controlling. Womöglich ist die erste börsennotierte Hochschule nur eine Frage der Zeit. Wo sind wir? Haben die Manager die Macht übernommen an den Universitäten und die traditionell weltfremden Gelehrten aufs Altenteil gesetzt?
Doch halt! Macht ist ein böses Wort. Die sie haben, sprechen lieber von Verantwortung. Fragen wir also: Gibt es noch das öffentlich finanzierte und politisch verantwortete System der universitären Bildung, mit seiner staatlich garantierten Lehr- und Forschungsfreiheit, seiner demokratischen Selbstverwaltung, seiner idealistischen Bildungstradition? Oder wird dieses System vor unseren Augen ganz ebenso privatisiert wie Bahn, Post und kommunale Müllabfuhr?
Kein Zweifel: Die marktradikale Rosskur der letzten 15 Jahre hat die Universitäten erreicht. Sie bezieht ihre Rezepte aus den Seminaren des New Public Managements. Schlank, effizient und staatsfern soll sie sein, die neue Universität. Und vor allem: unternehmerisch. Verschrieben wurde diese Rosskur den Universitäten jedoch von einer ziemlich großen Koalition politischer und wirtschaftlicher Eliten. Die Verantwortung für Forschung und Lehre wird von den Managern nicht bloß übernommen, sie wird ihnen auch übergeben. Der Staat, so scheint es, hat es eilig, sie loszuwerden. Und das, obwohl man mit einer erfolgreichen Bildungspolitik Wahlkämpfe führen und öffentlich punkten kann.
Schließlich leben wir, allen Verlautbarungen zufolge, in einer Wissensgesellschaft. Keine Festrede ohne den feierlichen Satz, Wissen sei die Ressource der Zukunft. Zugleich jedoch sinkt die Bildungsrendite spürbar. Ein Uniabschluss ist kein Freifahrschein für sichere Arbeitsplätze oder gar für sozialen Aufstieg. Die Dauerkrise der Universitäten, an denen Wissen doch erzeugt und vermittelt werden soll, will zum offiziösen Optimismus der Wissensgesellschaft nicht recht passen. Richten soll es jetzt die unternehmerische Hochschule - im staatlichen Auftrag.
Unter dem Vorwand, die Hochschulen in Freiheit und Autonomie zu entlassen, verordnet der Staat ihnen ein rabiates betriebswirtschaftliches Fitnessprogramm. Einen wachsenden Anteil ihres Haushaltes sollen sie künftig selbst erwirtschaften: durch Sponsoren, Auftragsforschung, Studiengebühren. Das Leitbild der unternehmerischen Hochschule hat viele Facetten: der Wettbewerb um die besten Wissenschaftler und Studierenden, die individuelle Profilbildung, das Qualitätsmanagement, die endlose Folge von Rankings, Evaluationen und Akkreditierungen. In ihrer Gesamtheit bilden sie ein Umerziehungsprogramm für die Hochschulangehörigen. Vom Abschneiden in all diesen neuen akademischen Disziplinen hängt nämlich die Mittelzuweisung ab. Die öffentliche und die private - und damit die Zukunft der Hochschulen. Sofern deren Vertreter noch dem alten Denken verhaftet sind und Wissenschaft fälschlich für einen Selbstzweck nehmen, bringen die Deutungsmuster der neuakademischen Umgangssprache sie rasch auf Marktkurs: Standortsicherung, Qualitätskontrolle, Effizienz und Wettbewerb.
Exquisite globale Markenunis wie Harvard, Stanford, MIT dienen als Vorbild. Sie reizen den Ehrgeiz der bildungsstolzen Teutonen: So etwas wollen und können wir auch. Wir sind doch nicht blöd! Der Wettbewerb um zusätzliche Forschungsmittel - als Exzellenzinitiative ein Medienknüller - erzeugt die Eliteuniversität gleich mit. Aber zugleich reden Politiker gerne davon, die Akademikerquote müsse erhöht, die Ausbildung stärker am Arbeitsmarkt orientiert werden. Beide Aufgaben soll die unternehmerische Hochschule der Zukunft lösen. Sie muss daher die egalitäre Unilandschaft polarisieren. Low Budget-Ausbildungsstätten für die vielen bilden den unteren Rand - mit verschulten Kurzstudiengängen und dem bescheidenen Ziel der "employability" ihrer Absolventen. Das heißt so viel wie: berufliche Anwendbarkeit. High End-Forschungsstätten mit globalem Markenstatus und exklusiven Zugangsfiltern bilden den oberen Rand. Und dazwischen liegt ein breites Feld von Normalunis, dauermobil gehalten durch den drohenden Abstieg und den lockenden Aufstieg. Nicht vorgesehen ist in diesem Spektrum ein Ort für reflektierte und distanzierte Wahrheitssuche, für Wissenschaft, die nicht auf den Markt schielen muss.
Die Leitbegriffe und Deutungsmuster der neuen Universität sind betriebswirtschaftlich. Ihre Realität ist es nur teilweise. Die verschulten Ausbildungsstätten bleiben ebenso von öffentlichen Mitteln abhängig wie die High End-Universitäten. In Zielvereinbarungen legen die Ministerien fest, welchen Output die Hochschulen erzielen müssen, wenn sie ihre öffentlichen Mittel behalten wollen. So sollen die Universitäten kostenneutral beweglicher und effizienter gemacht werden. Der Hochschulrat trägt dafür Sorge. Er besteht aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, in der Mehrzahl aus den Chefetagen der Wirtschaft und Politik. Die Professoren haben jahrelang gegen eine angemessene Vertretung anderer Gruppen in den Leitungsorganen der selbstverwalteten Universität gekämpft. Jetzt sind sie selbst entmachtet. Keine Entscheidungsmacht für diejenigen, die Universität sind: Lehrende und Studierende. Das ist die Devise der unternehmerischen Hochschule. Einigermaßen verblüffend ist, dass dieser Umsturz ohne nennenswerte Gegenwehr über die Bühne geht.
Zu den Folgen des staatlich verordneten Wettbewerbs gehört, dass politische Aufsicht nicht mehr als solche auftritt. Sie ändert ihre Form, heißt jetzt Freiheit oder Autonomie und tritt auf als wirtschaftlicher Sachzwang: Eigenverantwortlich entscheidet jede Hochschule über ihr Profil. Aber leisten kann sie (sich) nur, was zugleich öffentliche und private Mittel in ihre Kassen bringt. Die Schließung unrentabler Fachbereiche regelt dann der Markt. Die Freiheit der Hochschulen ist "Hasenfreiheit in Zeiten der Jagd" (Hannah Arendt). Frei von Verantwortung für die Hochschulen ist freilich fortan die Politik. Wer heute ein Fach, eine Fakultät, eine Hochschule schließt, der hat sich für diese Entscheidung politisch zu verantworten. Schon morgen werden alle Strukturentscheidungen die Form von Sachzwängen und ökonomischen Imperativen annehmen und nicht mehr als politische Machtentscheidungen erkennbar sein. Solange eine Bildungsinstitution politisch verantwortet und demokratisch verwaltet wird, ist es ein Skandal, wenn private Geldgeber Forschungsthemen und Ausbildungsinhalte diktieren. Schon morgen wird eben das eine Selbstverständlichkeit sein - im Zeichen von Wettbewerb, Qualitätsmanagement und Profilbildung.
Flächendeckend eingeführt wird die Pflicht der Hochschulen, alle ihre Studiengänge bei einer privaten Agentur akkreditieren zu lassen. Ausgenommen sind nicht einmal die, welche zu staatlichen Abschlüssen führen, wie das schulische Lehramt und die Juristenausbildung. Qualitätskontrolle, so lautet die stets populäre Devise. Der private TÜV für öffentliche Bildungsangebote erfüllt eine Forderung des GATS, des General Agreement on Trade in Services. Dieses Abkommen über die Vermarktung von Dienstleistungen - worunter auch universitäre Studiengänge verstanden werden - ist Baustein einer großräumigen globalen Privatisierungsstrategie und erster Schritt zur geforderten Gleichbehandlung öffentlicher und privater Bildungseinrichtungen. Auf diesem Wege kann die Öffentliche Hand gezwungen werden, jedem kommerziellen Anbieter von Bildung die gleichen Bedingungen zu garantieren, die für öffentliche Bildungsangebote im Lande gelten. "Inländerbehandlung" heißt dieses GATS-Prinzip (in der unnachahmlichen Sprache des allumfassenden Marktes) - ein Prinzip, das öffentlicher Bildung die Luft abschnürt. Es zwingt die Staaten, jedem privaten Halsabschneider, der eine Profituni aufmacht, die gleiche Förderung zu gewähren, die eine öffentliche Einrichtung des Landes genießt. Langfristig könnte so ein öffentliches Hochschulsystem zuerst delegitimiert und dann vom Markt verdrängt werden wegen Verzerrung des Wettbewerbs und Benachteiligung der privaten Anbieter. Für Arbeitsmigranten gilt übrigens weiterhin das Prinzip Ausländerbehandlung.
Dass die Impulse für eine unternehmerische Hochschule nicht aus der Bildungspolitik kommen, hat sich herumgesprochen. Die neue Freiheit der Universität stammt aus dem Hause Bertelsmann, das im joint venture mit der Hochschulrektorenkonferenz das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) betreibt. Der globale Medienkonzern hat eine Sendung: die Durchdringung der Bildungslandschaft mit dem neoliberalen Geist des Marktes. Dabei kalkuliert er langfristig auf einen nachwachsenden Rohstoff der Wissensgesellschaft: die grenzenlose (und vor allem: grenzenlos zahlungswillige) Bereitschaft aller Mit- telschichteltern, ihren Kindern eine gute Ausbildung mit auf den (zusehends von Prekaritätsdrohungen gesäumten) Lebensweg zu geben. Gute Schul- und Hochschulbildung gilt als Investition in die Zukunft. Nur ein Unmensch würde da sparen. Die systematische Ausbeutung dieses Motivs gliche der sprichwörtlichen Lizenz zum Gelddrucken. Bildungskredit, Bildungsversicherung, Bildungssparen (und wie die neuen Produkte der Finanzdienstleister heißen) - all das ist nur ein Anfang. Und wer weiß, vielleicht kann man an der virtuellen Universität der Zukunft sogar mit Bildungshäppchen zum Runterladen viel Geld verdienen. Die US-amerikanischen For Profit-Universitäten machen es schon vor - und hiesigen Bildungsprivatisierern den Mund wässrig. Die University of Phoenix, eine weitgehend virtuelle und voll kommerzielle Privathochschule, hat 300.000 eingeschriebene - und vor allem: zahlende - Studierende. Ob es sie am Ende der Finanzkrise noch geben wird, wissen wir freilich nicht.
Um Redeweisen und um Realitäten geht es in diesem Buch. Wie jeder solche Umbau vollzieht sich auch die Marktkolonisierung der Universität parallel auf zwei Ebenen:
in der Implementierung und Institutionalisierung neuer Macht- und Kontrollstrukturen an den Einrichtungen selbst und
in der flankierenden Etablierung resonanzfähiger Deutungsmuster und zustimmungsfähiger Leitbegriffe qua Medienmacht in der Öffentlichkeit.
Von beiden Schauplätzen handelt dies Buch, und davon, in welcher Beziehung sie stehen. Wer die neue und unternehmerische Universität nicht aus eigener Anschauung kennt, der bekommt nur die massenmediale Fassade zu Gesicht. Und die sieht imposant genug aus. Kritiker sprechen von einer ganz neuen und hoch expansiven Sprache: dem Neuakademischen. Das verlässt die Niederungen des Public Management und breitet sich rasant in der Hochschulpolitik aus. Auch in Hörsälen und Seminaren wird es bereits gesprochen. Und verstanden wird es überall. Den Grundwortschatz: Globalisierung, Standort, Wettbewerb teilt es schließlich mit Wirtschaft und Politik. Und auch die universitären Besonderungen muten vertraut an. Effizienz, Mobilität und Exzellenz verlangt man schließlich nicht nur an der Universität. Module, Soft Skills und berufsbezogene Studien - Kennen wir das nicht auch aus dem Umkreis der neuen Arbeitsagenturen? Wo das Neuakademische gesprochen wird, sieht die überkommene universitäre Bildungssprache alt aus, und ihre Sprecher erst recht. So plastisch und flexibel ist der Wortschatz der neuen Hochschulsprache, dass seine Bestände überall gleichermaßen funktionieren. Nüchtern und unideologisch mutet sie an. Man ist versucht, sie "effizient" zu nennen. Wer sie nicht spricht, wirkt idealistisch oder ideologisch.
Das Neuakademische ist weit mehr als bloß eine neue Fassade für alte Verhältnisse. Wie jede verordnete Sprache ist es zugleich ein Umerziehungsprogramm für die Sprecher. Man teilt uns mit, wie wir die alten und neuen Verhältnisse zu sehen und zu deuten haben. Darum rolle ich die schöne neue Universität von den Sprachformen und Redeweisen auf, in denen sie uns öffentlich entgegentritt. Wozu eigentlich sollen wir erzogen werden? Was steht im geheimen Lehrplan der unternehmerischen Universität? Darauf versucht das Buch eine Antwort zu geben.