HoPo-HintergrundUSA: Wenn das Studium für den Mittelstand unbezahlbar wird
Von Rolf van Raden
Wer durch die Innenstadt von New Haven wandert, wird beeindruckt sein, welche Infrastruktur den nur 11.300 Studierenden zur Verfügung steht. Studiengebühren und das uni-eigene Stiftungskapital von 11 Milliarden Dollar sorgen dafür, dass die happy few nicht nur gute Studienbedingungen, sondern auch ein denkbar angenehmes Ambiente vorfinden. Aushänge und Flugblätter zeugen von einer weitgefächerten Landschaft an studentischen Gruppen und Initiativen: Ob die „Alternative Media Library“, die „Civil Liberties Union“, das „Hunger & Homelessness Action Project“, oder die Gruppe „Men Against Rape and Sexual violence“ – sie alle sind an Yale vertreten.
Studieren wie im Kölner Dom
Die Universitätsgebäude wirken in ihrem gothischen Stil eher wie Kirchen und Kathedralen. Der sakrale Charme der Architektur wird jedoch durch das omnipräsente Motto von Yale – light and truth – in weltliches Pathos transformiert. Neben den unzähligen Archiven, Bibliotheken und Museen steht den Studierenden ein kostenloses Bussystem zur Verfügung. Gleichwohl ist die Armut eines Teiles der Stadtbevölkerung unübersehbar. Auch in Deutschland weisen zwar Sozialstudien Jahr für Jahr nach, dass Kinder aus ärmeren Familien an deutschen Universitäten eklatant unterrepräsentiert sind und dass der soziale Numerus Clausus besser denn je funktioniert. Dennoch mutet es merkwürdig an, wenn Studierende in New Haven offensichtlich erste AnsprechpartnerInnen für jene sind, die um ein paar Dollar betteln oder Papierblumen verkaufen müssen.
„If you think education is expensive, try ignorance“, wird der ehemalige Präsident der Harvard University Derek Bok in großen Lettern im Schaukasten vor dem Eingang der First Methodist Church zitiert. Über Alternativen müssen etliche StudentInnen nachdenken. Ungefähr 44.000 Dollar zahlen sie pro Jahr an Studiengebühren. In der Regel finanziert sich diese Ausbildung zu unterschiedlichen Anteilen aus der Unterstützung ihrer Eltern, eigener Arbeit sowie aus Krediten. Wer bedürftig ist, kann bei der Universität eine finanzielle Unterstützung beantragen, die im vergangenen Jahr laut Uni-Statistik im Durchschnitt 22.000 Dollar betragen hat. Selbst bei einem Durchschnitts-Bedürftigen bleiben so immer noch etwa 1.800 Dollar monatlich übrig, die die Studierenden und ihre Eltern an Gebühren selbst aufbringen müssen. Dass dies selbst für Kinder aus der Mittelklasse ein großes Problem sein kann, liegt auf der Hand.
44.000 Dollar Studiengebühren
Sofie F., Studentin im zweiten Studienjahr am Morse College der Yale University berichtet, wie sie das Geld zusammen bekommt: „In meinem Fall beginnt alles mit dem Zuschuss der Universität. Die restliche Summe teilt sich auf in einen Familien-Anteil, welchen meine Eltern bezahlen müssen, und einen Selbsthilfe-Beitrag sowie die Summe, die ich im Sommer verdienen kann. Vergangenes Jahr erschien mir das nicht als ein so großes Problem. Ich hatte ein großzügiges außeruniversitäres Stipendium und konnte es vermeiden, einen Bildungskredit aufzunehmen. Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal versucht, meinen gesamten Anteil selbst zu verdienen. Im vergangenen Sommer habe ich drei Jobs gehabt, zum Teil 40 Stunden pro Woche. Dennoch habe ich es nur gerade eben so geschafft, meinen geplanten Sommer-Verdienst zu erreichen. Was die Summe für das akademische Jahr angeht, ist es möglich, das gesamte Geld während der Vorlesungszeit zu verdienen – aber nur, wenn man 19,5 Stunden pro Woche arbeitet.“ Sofie konnte und wollte es sich nicht leisten, neben dem anspruchsvollen Studium und der Vollbeschäftigung im Sommer noch eine Halbtagsstelle während des Semesters zu besetzen. Deshalb reichte das Geld nicht, so dass sie sich im August vor dem Antragsformular eines staatlichen Bildungskredites wiedergefunden hat.
Letzte Chance – Eizellenspende?
Im Anzeigenteil einer lokalen Tageszeitung finden sich alternative Finanzierungsmöglichkeiten. Das Genmaterial potentiell hochbegabter Elitestudentinnen ist offensichtlich einiges wert: „Bildungskredite abbezahlen, Studiengebühren für ein Graduierten-Studium entrichten, im Ausland studieren oder einen guten Start in Ihre berufliche Zukunft – Wie? Spenden Sie anonym Eizellen für ein glückliches kinderloses Ehepaar mit hoher Ausbildung, musikalischen und athletischen Fähigkeiten. Wegen der Bedeutung für Sie und uns werden wir der ausgesuchten Spenderin die außergewöhnliche Summe von 60.000 Dollar bezahlen. Schreiben Sie einen Brief mit Informationen über sich und Ihren Hintergrund an unser Anwaltsbüro.“ Eine andere Anzeige bietet sogar 75.000 Dollar für Eizellen einer Yale-Studentin, die unter anderem folgenden Kriterien genügt: „Attraktiv, intelligent, Ergebnis des akademischen Auswahltests mindestens 1370, 21-29 Jahre, Größe mindestens 1,62 Meter, kein Übergewicht“.
Protest der Privilegierten
Nicht nur an den Elite-Universitäten stellen steigende Studiengebühren ein immer größer werdendes Problem dar. Durch die fortwährende Kürzung der Bildungsetats in den USA ist in den vergangenen Jahren an den öffentlichen Universitäten der Anteil der staatlichen Finanzierung auf deutlich unter 50 Prozent gesunken. 2001/2002 lagen die durchschnittlichen Gebühren noch bei 9200 Dollar pro Jahr, wobei schon damals die AbsolventInnen durchschnittlich mit 18.900 Dollar verschuldet waren. Dennoch steigen die Gebühren jedes Jahr beharrlich um sieben bis neun Prozent an.
Weil durch diese Entwicklungen schon längst nicht nur die sozial Schwachen getroffen sind, entwickelt sich seit einem knappen Jahr erstmals signifikanter Widerstand gegen die Studiengebühren-Erhöhungen unter den priviligierten StudentInnen. Ausgehend vom pädagogischen Seminar der privaten New Yorker Elite-Hochschule Columbia University hat sich eine landesweite Lobby gebildet, die mit ihren Kontakten in die höchsten gesellschaftlichen Schichten ein neues staatliches Stipendiensystem durchsetzen will, dass einen Großteil der Gebühren abdecken soll: Das Ziel ist die Durchsetzung des „National Tuition Endowment Act“. Das ist ein Gesetzesentwurf, mit dem innerhalb von 10 Jahren ein Fonds von 30 Milliarden Dollar aufgelegt werden soll – ironischer Weise zu einem Großteil finanziert durch die auflaufenden Zinsen der öffentlichen Bildungskredite, die zumeist nur zu bankähnlichen Konditionen zu haben sind. Obwohl das wie eine Milchmädchenrechnung wirkt, oder wie die Rettungsaktion des berühmten Baron Münchhausens, der sich an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, ruht die Hoffnung vieler Mittelstandsfamilien auf diesen Plänen. Denn sollte sich die gegenwärtige Entwicklung fortsetzen, wäre ein Studium auch für Kinder aus bürgerlich-normalverdienenden Verhältnissen in einigen Jahren kaum noch finanzierbar.
Keine Regel ohne Ausnahme
Die reiche Yale University hat auf die Studienfinanzierungs-Debatten, die in den USA kaum mehr zu deckeln sind, ihrerseits mit einem öffentlichkeitswirksamen Schritt reagiert und so vorerst den Frieden auf dem eigenen Campus gesichert: Uni-Präsident Richard C. Levin hat erstmals zum Studienjahr 2005/2006 insgesamt 52 Millionen Dollar zusätzlich in die Hand genommen, um Familien mit einem Jahreseinkommen von unter 45.000 Dollar den Familienanteil an den Studiengebühren zu erlassen. Für Familien, die weniger als 60.000 Dollar jährlich verdienen, wurde der Beitrag gesenkt. Auch wenn der Anteil, den die Studierenden selbst aufbringen müssen, nur indirekt sinkt, weil die Familien vielleicht dennoch etwas zuschießen können, erhoffen sich viele von der Yale-Entscheidung eine Signalwirkung. Wahrscheinlich vergeblich: Denn zum einen sinken an New Havens Elite-Uni die effektiven Studiengebühren für Studierende aus ärmeren Familien insgesamt lediglich auf ein Niveau, das noch vor Jahren üblich war. Und zum anderen zeigt die landesweite Entwicklung, dass aufgrund der finanziellen Engpässe im weitgehend privatisierten Bildungssystem solche Wohltaten spektakuläre Einzelfälle bleiben werden, die als Ausnahme die Regel bestätigen – nämlich die konstante Erhöhung der Gebühren.
Weiterführende Links (meist über archive.org, da Originale nicht mehr online – 24.03.2015)
- Kampagne zur Durchsetzung des „National Tuition Endowment Act“
https://web.archive.org/web/20060923084009/http://www.columbia.edu/cu/senate/committees/studentaffairs/nte/index.html - Project on Student Debt
http://projectonstudentdebt.org/ - Initiative „Student Loan Watch“
http://www.ticas.org/program_view.php?idx=4 - New York University Tuition Reform Campaign
https://web.archive.org/web/20080416051141/http://www.makenyuaffordable.org/index.html - Kampagne „Affordable Tuition Now!“ an der University of Washington
https://web.archive.org/web/20100615060206/http://students.washington.edu/tuition/index.php - Studiengebühren der Columbia University
https://web.archive.org/web/20060626015127/http://www.columbia.edu/cu/sfs/fees.pdf - Offizielle Erklärung der Yale University zur Senkung der Gebühren
https://web.archive.org/web/20080511172051/http://www.yale.edu/opa/campus/news/2005/20050303_aid.html - Redd, Kenneth E.: „Why Do Students Borrow So Much?“
http://www.ericdigests.org/2001-4/loans.html - The Education Resource Institute, großer Anbieter privater Studienkredite in den USA
http://174.133.199.34/ - Offizielle Informationen zum staatlichen „Student Aid“-Programm
https://web.archive.org/web/20100707135150/https://fafsa.ed.gov/faq001.htm
Rolf van Raden, 26, studiert an der Ruhr-Universität Bochum Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft und Politikwissenschaft. Er ist Redakteur bei „betonzeit – studentische Zeitung für Bochum“ und freier Mitarbeiter in der Redaktion von „98,5 Radio Bochum“. 2001/2002 war er als Referent für Hochschul- und Bildungspolitik sowie 2002/2003 als Vorsitzender im AStA der Ruhr-Universität Bochum tätig.