(Unter den Talaren) – Muff seit 1000 Jahren?Strukturen, die Machtmissbrauch zulassen
„Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ – dieser aus Leukoplast-Streifen geklebte Spruch leuchtete im Jahre 1967 von einem schwarzen Transparent im Hörsaal der Uni Hamburg. Mit dem Transparent sollte unter anderem auf die Missstände der sogenannten Ordinarienuniversität aufmerksam gemacht werden. Er wurde später zur Kernparole der westdeutschen Studentenproteste. Während der Rektoratsübergabe wurde das Transparent ausgerollt und von Pressefotografen abgelichtet. Bei dem schwarzen Stück Stoff handelte sich um ein Stück des Trauerflors, welcher bei der Beerdigung Ohnesorgs genutzt worden war. Einer der Träger und Initiatoren der ganzen Aktion war Detlev Albers, damaliger Vorsitzender des AStAs. Schon im Vorwege des Protestes hatte er sich in internen Debatten der SPD über ein Gesetz für Universitäten für die sogenannte „Drittel-Parität“ ausgesprochen. Darin sollten Professoren, der wissenschaftliche Mittelbau und die Studierenden gleichermaßen Mitbestimmungsrecht haben. Die Ordinarienuniversität sollte in eine Gruppenuniversität überführt werden. Aber nicht nur die Ordinarienuniversität stand im Feuer der Kritik, auch die nicht von statten gezogene Entnazifizierung des Uni-Personals sowie die Unterdrückung von Äußerungen zum Vietnamkrieg wurden angeprangert. In einer Ordinarienuniversität sind die Professoren, auch Ordinarien genannt, die wichtigsten Mitglieder des Lehrkörpers. Sie haben den höchsten Rang in ihrer jeweiligen Disziplin und sind in der Regel für Forschung, Lehre und administrative Aufgaben zuständig. Ordinarienuniversitäten haben eine feste Anzahl von Lehrstühlen, die von Professoren besetzt sind, und die Professoren haben oft eine unbefristete Anstellung. Das Gegenteil ist die sogenannte Gruppenuniversität. Tatsächlich wurde am 23. April 1969 von der Hamburger Bürgerschaft das erste Hochschulreformgesetz der Bundesrepublik verabschiedet, was den Beginn der Gruppenuniversitäten einläutete. Alle drei oben genannten Gruppen bekamen die gleichen Mitbestimmungsrechte. 1973 Erklärte das Bundesverfassungsgericht das Konzept der Gruppenuniversitäten, also die Einbeziehung aller Statusgruppen in die Entscheidungsfindung zwar als verfassungskonform, schränkte diese aber in dem Sinne ein, als dass Professor*innen bei Fragen, die unmittelbar die Forschung betreffen, die absolute Mehrheit haben müssten und bei Fragen, die unmittelbar die Lehre betreffen, die Hälfte der Stimmen repräsentieren. Dieses Gesetz gilt noch heute.1. Proteste an der Uni Hamburg 1967
Erfolg
2. Die Talare sind ausgezogen, Muff bleibt
Und wie verstaubt sind die Hochschul-Strukturen heute? In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Hochschullandschaft sehr viel getan, Gutes sowie Schlechtes, im Allgemeinen ist es wohl mit einer Achterbahnfahrt zu vergleichen. Es gab den Übergang zur Gruppenuniversität; die Einführung und das stetige Wachstum privater Hochschulen; die Einführung und Abschaffung von Studiengebühren oder die vielfach kritisierte Bologna-Reform. Das sind nur einige Beispiele für Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Da man diese nicht kurz zusammenfassen kann, soll jetzt der Blick primär auf die derzeit dominierende Debatte gelenkt werden.
Vielleicht sind die Talare ausgezogen, Muff scheint es immer noch zu geben. Sicherlich nicht in derselben Form wie damals. Aber unzeitgemäße Strukturen scheinen keine Seltenheit. Erst im April wurde der offene Brief „Machtmissbrauch an Hochschulen“ publik – der ging allerdings nicht von Studierenden, sondern von Professoren, Doktoranden und postdocs aus. Kritisiert wird vor allem die ungerechtfertigte Übertragung von Aufgaben an wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und die Überlastung jener. Im Fokus stehen auch die prekären Arbeitsbedingungen – wissenschaftliche Mitarbeiter*innen werden in der Regel mit befristeten Verträgen abgespeist, denen die Verbeamtung auf Lebenszeit ihrer Vorgesetzten gegenübersteht – Machtmissbrauch hat da leichtes Spiel. Auch von sexueller Belästigung sowie von der Aneignung fremden geistigen Eigentums ist die Rede in der Debatte.
Peter Schütt, der Urheber des Banner-Spruches, erklärte übrigens zwei Jahrzehnte nach der Talar-Aktion, dass 1967 auch jener „Machtmissbrauch“ , der ihm persönlich widerfahren war, Anlass zur damaligen Aktion gewesen sei: Er hatte eine gesamte Vorlesung für einen seiner Profs geschrieben, welche dieser dann als sein Eigentum ausgab (Video ab 3:50).
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https://youtu.be/YMxvwqOG5Ec
Es ist erstaunlich, was für Parallelen es zu einer WDR-Dokumentation aus dem Jahr 2023 anlässlich der aktuellen Debatte gibt: Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin kritisiert, dass sie Arbeiten für ihre Professorin erledigte, die diese anschließend als ihre eigenen ausgab (Video ab 00:45).
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https://youtu.be/yGnE1Qa-u6I
Leider handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Das macht der offene Brief deutlich. Bereits bei einer Umfrage unter 1.339 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im Jahr 2020, gaben 61 Prozent der Befragten an, Machtmissbrauch im Wissenschaftsbetrieb beobachtet zu haben. Die Unterzeichner des Briefes hingegen sind Wissenschaftler*innen aller Disziplinen. Dass so viele Professor*innen ihn unterzeichnet haben, mag zunächst verwundern: so sind sie es doch, die im Fokus der Kritik stehen. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich hier um Profs handelt, die sich mit dem wissenschaftlichen Mittelbau solidarisch zeigen und die womöglich in ihrer früheren Karriere, als sie eben noch keine Prrofs waren, auch von Machtmissbrauch betroffen gewesen sein könnten. Und letztlich werden konkret keine Personen, sondern die Strukturen kritisiert, die dem Machtmissbrauch überhaupt erst die Türen öffnen.
Aber auch Studierende berichten immer wieder von Machtmissbrauch (vgl. z.B taz.de oder wa.de).
3. Die Stimmen der Studis
Apropos Studierende. Den Großteil der Studierenden scheint es heute wenig zu interessieren, was hinter den Kulissen der Hochschulen passiert. Schon seit Jahren ist die Wahlbeteiligung gering, wenn die Studierenden ihre Vertreter*innen wählen sollen. Gabriel Tiedje vom AStA der TH Berlin vermutete gegenüber gew.de im Jahr 2022, dass das nicht zuletzt mit der Bologna-Reform zusammen hinge: Diese habe zu einer Begrenzung der staatlichen Studienfinanzierung geführt und es für viele Studis notwendig gemacht, neben dem Studium zu jobben – dabei würde die Zeit für (Hochschul)politik verloren gehen. Hierzu sei anzumerken, dass die Corona-Pandemie und eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage durch den Ukraine-Krieg vielleicht umso mehr zu weniger Interesse an und Zeit für Hochschulpolitik geführt hat.
Andererseits muss man vielleicht auch sehen, dass sich heute ein breites Spektrum an Hochschulgruppen etabliert hat, überall kann man sich engagieren: Für die Umwelt, für Geflüchtete, für LGBTQ+-Personen etc. Möglicherweise hat sich das Engagement auch verlagert. Auch die Fridays for Future-Bewegung ist beispielsweise stark von Studierenden geprägt. Und wie wir wissen, verlagerten sich die studentischen Proteste Ende der 60er Jahre schließlich auch in starke politische Proteste, die gar nicht mehr so viel mit der Uni an sich zu tun hatten.
4. Männersache
Um nochmal auf das Thema der veralteten Strukturen zurückzukommen – was auffällt, ist, dass Hochschulleitungen nach wie vor primär ältere, westdeutsche Männer sind. Dennoch hat sich in den letzten Jahren viel getan: Mittlerweile werden 28 % der Hochschulen von einer Frau geführt. Immerhin konnte in den letzten Jahren ein stetiger Wachstum verzeichnet werden. Im Jahr 2000, vor 23 Jahren, lag der Anteil noch bei unter 10 %. Auch der Anteil der Professorinnen ist nach wie vor geringer als die der Professoren. Immerhin sind es auch hier mittlerweile 27 % und damit 17 % mehr als im Jahr 2000.
Übrigens betrug der Frauenanteil unter Studierenden im Wintersemester 22/23 rund 50,6 Prozent. Damit studierten bereits zum zweiten Mal mehr etwas Frauen als Männer an den Hochschulen in Deutschland. Es ist daher zu erwarten, dass auch der wissenschaftliche Nachwuchs, den es in die Forschung und Lehre treibt, künftig weiblicher wird und es in den nächsten Jahren eine ausgewogenere Verhältnisse zwischen den Geschlechtern gibt.
Damit es überhaupt Leute in den Wissenschaftsbetrieb treibt, sollte dieser nur womöglich mal den strukturellen Muff entstauben, um wieder attraktiv und erstrebenswert zu sein.
5. Quellen und weiterführende Links
- Chancengleichheit (gwk Bonn)
- Machtmissbrauch an Hochschulen (SPIEGEL ONLINE)
- Offener Brief (Zeitgeschichte-online.de)
- Mitbestimmung unter Vorbehalt (gew.de)
- DGP-Umfrage (dgps.de)
- Übergriffe von Professor (taz.de)
- Diskriminierung eines Studenten (wa.de)
- Frauenanteil an staatlichen Hochschulen (idw-online.de)
- Jede vierte Hochschule leitet eine Frau (forschung-und-lehre.de)