Zwei Buchprojekte zum Bildungsstreik präsentieren ErgebnisseUni brennt! + Unbedingte Universitäten
Education is not for sale?
Die Bildungsproteste des vergangenen Semesters, die ihren Ausgang in Wien nahmen und sich zu einem großen Teil gegen die massiven Umstrukturierungen des Bildungswesens richteten, die unter der Fahne des Bologna-Prozesses durchgeführt wurden - Verkürzung des Studiums, Modularisierung, Zerschlagung der Einheit von Forschung und Lehre - waren Impulsgeber für zwei studentische Arbeitsgruppen an den Universitäten in Wien und München.
In Wien gründete sich Ende November vergangenen Jahres aus einem Plenum im besetzten Audimax die Arbeitsgemeinschaft Buchveröffentlichung und erarbeitete in nur zwei Monaten das dem nun veröffentlichten Buch "Uni brennt" zugrunde liegende Konzept. KommilitonInnen in München begannen im Dezember 2009 im Zuge der Proteste mit einem ähnlichen Projekt. Das Ergebnis lässt sich nun in dem in der Reihe "Unbedingte Universitäten" bei Diaphanes erschienenen Buch "Was passiert? - Stellungnahmen zur Lage der Universität" nachlesen.
Beide Werke verbindet der Anspruch einen inhaltlich breiten und kritischen Diskussionsbeitrag zur laufenden Debatte um das Verständnis von Bildung und die gesellschaftlichen Anforderungen an Universitäten und Hochschulen zu leisten. Im Weiteren soll ein Überblick über die Bücher gegeben werden.
"Uni brennt. Grundsätzliches, Kritisches, Atmosphärisches"
"Uni brennt - Grundsätzliches, Kritisches, Atmosphärisches"; Erschienen im Verlag Turia + Kant; 2010
In dem 318-seitigen Buch sind Beiträge von Studierenden, Lehrenden, Intellektuellen und Künstler_innen abgedruckt. Die Form der Texte ist dabei sehr vielfältig und reicht von Essays, Kommentaren und Interviews über Reden bis hin zu wissenschaftlichen Texten.
In dem Kapitel Quo vadis, Bildung? beschäftigen sich Erich Ribolits und Paul Kellermann grundsätzlich mit dem Begriff der Bildung. Die Rubrik Politik und Bologna versammelt Beiträge aus der Perspektive von Lehrenden und Studierenden, die sich mit den universitätspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre beschäftigen. So geht Konrad Paul Liessman, Professor der Philosophie, der Frage nach, wie man "dem Bologna-Prozess den Prozess machen" kann. Die Studierenden Eva Maltschnig und Thomas Moldaschl beleuchten in ihrem Beitrag die Zusammenhänge von struktureller Umgestaltung der Universitäten in Unternehmen und der neoliberalen Wirtschaftspraxis, welche sich durch die Verwandlung "alle[r] Bereiche des menschlichen Lebens in ökonomisch erschließbare und profitable Geschäftsfelder" darstellt.
Unter der Überschrift Lebenswelten von Studierenden finden sich verschiedene Beiträge, die sich mit der finanziellen Lage der Studierenden und den Auswirkungen von andauerndem Wettbewerb und Leistungsorientierung auf den Studiumsalltag auseinandersetzen. Ergänzt wird diese Perspektive durch die Beiträge von Lektor_innen, die sich ebenfalls an den Protesten beteiligten, über den Arbeitsplatz Universität.
In der zweiten Hälfte des Bandes werden in kurzen Beiträgen unterschiedliche, teilweise gegenläufige Positionen aus den besetzten Hörsälen zusammengetragen. Sie beschäftigen sich u.a. mit der Organisationsform und -struktur der Protestbewegung, der Bedeutung von Web 2.0-Anwendungen (#unibrennt) für das Empowerment von Studierenden und alternativen Formen von Bildung und Wissensproduktion wie sie z.B. in der KriSU (Kritischen und Solidarischen Universität) oder von der AG Squatting Teachers betrieben werden. Sie verdeutlichen, das die Besetzung viele Gesichter hat.
Abgerundet wird der Band durch Fotos der Proteste in Wien, die Forderungskataloge sowohl der Studierenden als auch der Lehrenden- und Forschendenversammlung der Wiener Universitäten, Reden, Interviews und Stellungnahmen.
Ein lesenswertes Buch für alle Bildungsinteressierten, die sich im letzten Jahr selber an den Besetzungen beteiligt haben, aber auch für alle diejenigen, die mehr über die Motivation der Besetzer_innen erfahren und sich ein eigenes Bild machen möchten. Die Vielzahl unterschiedlicher Textsorten sorgt dafür, dass die Lektüre spannend bleibt.
Leseprobe: Rahel Sophia Süß - Denken hilft
"Uni brennt! Grundsätzliches, Kritisches, Atmosphärisches", 2010, Turia + Kant, 318 Seiten, 24 EUR
"Was passiert? – Stellungnahmen zur Lage der Universität"
"Unbedingte Universitäten: Was passiert? Stellungnahmen zur Lage der Universität"; Erschienen im Verlag Diaphanes; 2010
Der Verlag Diaphanes hat im März 2010 eine Reihe mit dem Titel "Unbedingte Universitäten" herausgegeben. Darunter ist auch der Band "Was passiert? - Stellungnahmen zur Lage der Universität".
Ein Kollektiv aus Studenten und Studentinnen der Münchner Universität sandte im Zuge der Proteste an der Münchner Universität im Dezember 2009 die Frage "Was soll Universität, was fordern Sie von und für die Universität heute? Was soll Ihrer Ansicht nach, die Universität tun und was für sie getan werden?" an Wissenschaftler_innen in der ganzen Welt, die diesen Fragen nahestehen. Aus den Antworten, die sie aus Wien, Paris, Berkeley, Zürich und anderen Orten des Protestes erhielten, wurde der Band zusammengestellt.
Eröffnet wird der Band durch kurze Vorbemerkungen der Mitglieder der Arbeitsgruppe, in denen sie die Gründe für ihr Engagement und Fragen, die sie im Zusammenhang mit den Protesten beschäftigen, darlegen. Darauf folgen - immer wieder unterbrochen durch die Positionspapiere, Forderungskataloge und Resolutionen, die während der Bildungsproteste des vergangenen Jahres an verschiedenen Unis im deutschsprachigen Raum, aber auch an der University of California und der Pariser Sorbonne-Universität verabschiedet wurden - die Beiträge von Wissenschaftler_innen ganz unterschiedlicher Disziplinen - Philosophie, Soziologie, Erziehungswissenschaft - zu den Fragen der Studierenden nach der Lage der Universität.
Der Philosoph und Bologna-Kritiker Julian Nida-Rümelin äußert sich beispielsweise "Zur Aktualität der humanistischen Universitätsidee" und zur Rolle der Wissenschaft in einer aufgeklärten, an Forschung und Bildung interessierten demokratischen Gesellschaft. Der Erziehungswissenschaftler und Psychoanalytiker Karl-Josef Pazzini fragt nach sinnvollen Formen von Demokratie an Universitäten, wendet sich gegen die "Krankheit des Konsensualismus" und erinnert an die ""Unvollendbarkeit" von Demokratie und Bildung". Der Soziologe Ulrich Beck geht der Frage "Welche Universität wollen wir?" nach.
Auch kritische sozialwissenschaftliche Positionen von Autoren wie den Politikwissenschaftlern Alex Demirovic ("Von der bedingten Universität zum emanzipatorischen Wissen") und Thomas Sablowski ("Bildung und Wissenschaft im Kapitalismus") sind vertreten. Desweiteren versammelt der Band Beiträge von Dirk Baecker, Judith Butler, Philippe Büttgen und Barbara Cassin, Marcus Coelen, Simon Critchley, Wolfram Ette, Christian Hänggi, Werner Hamacher, Anselm Haverkamp, Mark Lance, Nikolaus Müller-Schöll, Robert Pfaller, Björn Quiring, Gerald Raunig sowie einem Wiener Kollektiv.
Die Universität in ihrer bisherigen Form befindet sich aus verschiedenen Gründen in einer Krise und die derzeitigen tiefgreifenden Umbauprozesse sind Belege dafür. Die Ausrichtung dieser "Reformen" und ihre Folgen waren in den vergangenen Jahren immer wieder Anlass für Proteste von Studierenden und Lehrenden. Die Frage danach und die Diskussion darüber, was Universität ist, sein soll und sein kann, ist daher heute aktueller denn je. Wer sich an ihr beteiligen möchte, findet in diesem Band Positionen, die im Kontext der aktuellen Protestbewegungen die aktuellen Veränderungen der Universitäten reflektieren, auf Gefahren aufmerksam machen, aber auch Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Alles in allem eine nur zu empfehlende inspirierende und anregende Zusammenstellung. Sie bietet Stoff zum Nachdenken, Diskutieren und Weiterdenken und ist eine Bereicherung für eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen bildungs- und hochschulpolitischen Fragen in Theorie und Praxis.
Leseprobe: Plínio Prado - Die Universität, das Selbst und der gegenwärtige Markt
"Was passiert? – Stellungnahmen zur Lage der Universität", 2010, Diaphanes, aus der Reihe "Unbedingt Universitäten", 416 Seiten, 17 EUR