HoPo-HintergrundBachelor + Master: Eine Zwischenbilanz
Der Bologna-Prozess
Seit einigen Jahren finden in ganz Europa sehr weitgehende hochschulpolitische Veränderungen statt, die in erster Linie als Resultat des so genannten Bologna-Prozesses angesehen werden, durch den mittlerweile 45 Staaten bis zum Jahr 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum schaffen wollen.
Dabei sind die Verabredungen der europäischen Regierungen aber keinesfalls ein bindender Vertrag, der nur einen geringen Spielraum bei der Umsetzung in nationalstaatliches Recht lässt, wie es zum Beispiel bei einer Richtlinie der Europäischen Union der Fall wäre. Da die Bildungspolitik weiterhin klar in der Kompetenz der nationalstaatlichen oder – wie in Deutschland – der regionalen Regierungen liegt, ist in jedem der beteiligten Staaten eine eigenständige Umsetzung der europäischen Vereinbarungen möglich, die durchaus unterschiedliche Interpretationen der Erklärungen und auch einen gar nicht so kleinen Spielraum für nationalstaatliche Besonderheiten lässt.
Denn die Vereinbarungen treffen immer auf eine bestehende Hochschullandschaft in den teilnehmenden Ländern, die aus einer eigenen Wissenschaftstradition und einer spezifischen Ausgestaltung des jeweiligen Bildungssystems hervorgegangen ist.
Auch wenn der Bologna-Prozess zu keinen rechtlich bindenden Vorschriften geführt hat, sollte jedoch keinesfalls ignoriert werden, dass die Bereitschaft von 45 Regierungen, ihre Hochschulpolitik zu koordinieren und gemeinsame Ziele zu verfolgen, in der Praxis dennoch sehr weitgehende Folgen für die nationalstaatlichen Bildungssysteme nach sich zieht. Nur eben nicht im Sinne einer für alle verbindlichen Vorschrift, sondern mit der Möglichkeit zur eigenen Akzentsetzung durch die Politik und auch durch die einzelnen Hochschulen.
Umsetzung in Deutschland
Das in Deutschland wohl bekannteste Ziel des Bologna-Prozesses ist die Einführung einer gestuften Abschlussstruktur mit den drei Studienzyklen Bachelor, Master und Doktorat. Viele BeobachterInnen reduzieren ihn sogar auf dieses Teilziel, da so viele Menschen von den neuen Abschlüssen betroffen sind, sei es als Abiturientin bei der Wahl des Studienfachs oder als Hochschullehrer, sei es als Betriebsrätin oder als Personalverantwortlicher in einem Unternehmen.
Immerhin werden zu Beginn des Sommersemesters 2006 nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz an den Hochschulen in Deutschland 2.737 Bachelor- und 1.786 Masterstudiengänge angeboten. Dies entspricht mehr als einem Drittel der insgesamt rund 11.000 Studienmöglichkeiten.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes studierten im Wintersemester 2004/2005 mehr als 300.000 Studierende in den neuen Studiengängen. Dies entsprach 15,1% der insgesamt rund 1,9 Millionen Studierenden. Auch wenn derzeit (April 2006) noch keine aktuelleren Zahlen vorliegen, kann doch davon ausgegangen werden, dass sich der Anteil von Studierenden in Bachelor- und Masterstudiengängen in der Zwischenzeit weiter erhöht hat, auch weil vielerorts die bisherigen Diplom- und Magisterstudiengänge eingestellt wurden.
Auch wenn der Anteil der StudienanfängerInnen, die sich für einen Bachelor- oder Masterstudiengang entscheiden, im Wintersemester 2004/2005 mit 17,2% schon etwas höher lag als der Anteil an allen Studierenden, sind die traditionellen Studiengänge, für die sich immer noch mehr als 80% der StudienanfängerInnen entscheiden, doch weiterhin die Regel. Dies wird aufgrund der politischen Prioritätensetzung wahrscheinlich nicht so bleiben, relativiert aber den häufig in der Öffentlichkeit erweckten Eindruck, dass die gestufte Studienstruktur mit Bachelor und Master im Gefolge des Bologna-Prozesses die deutsche Hochschullandschaft schon bestimme.
Vorgeschichte der Reform
In den Diskussionen wird häufig übersehen, dass die Diskussion um gestufte Studiengänge in Deutschland keineswegs neu ist. Zum ersten Mal machte der Wissenschaftsrat bereits im Jahr 1966 diesen Vorschlag, um so kürzere Studienzeiten und eine bessere Berufsqualifizierung der AbsolventInnen zu erreichen. Seit 1978 steht auch der Vorschlag für ein dreijähriges Studium auf der ersten Stufe im Raum, das für möglichst viele Studierende einen berufsqualifizierenden Abschluss in kürzerer Zeit sichern soll. Auf europäischer Ebene sieht die Anerkennungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften ebenfalls schon seit 1988 ein mindestens dreijähriges Studium als Mindestanforderung für die Zulassung zu den nationalstaatlichen Arbeitsmärkten vor.
Gerade in Deutschland blieb die Debatte um kürzere Studiengänge aber jahrzehntelang weitgehend folgenlos, da sich insbesondere die Hochschulen und die Studierenden lange erfolgreich gegen die Einführung wehrten. Erst mit dem Bologna-Prozess kam das alte politische Ziel einer Stufung des Studiums erneut auf die politische Agenda und war mit dem europäischen Rückenwind nun leichter durchzusetzen.
Diese lange Vorgeschichte muss bei der Bewertung der Einführung gestufter Studiengänge in Deutschland in jedem Fall einbezogen werden, denn die Ziele des Bologna-Prozesses haben sich mit der deutschen Studienreformdiskussion zu einer spezifisch deutschen Reformagenda verbunden. Dies erklärt zumindest teilweise die vielfach kritisierten Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen der Reformanstrengungen der letzten Jahre.
Viele Problemfelder erkennbar
Hier zunächst eine Auflistung der wichtigsten Problemfelder (klickbar, um schnell auf einzelne Punkte zu gelangen), im Anschluss wird auf alle Punkte ausführlich eingegangen.
Problemfeld I: Universitäten vs. Fachhochschulen
Die neuen Abschlüsse sollen im Rahmen des Bologna-Prozesses für eine bessere internationale Vergleichbarkeit und eine bessere Übertragbarkeit der erworbenen Kompetenzen innerhalb Europas sorgen. Allerdings sind mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in Deutschland viele Fragen verbunden, da die Schaffung eines neuen Abschlussniveaus unterhalb des bisherigen Diploms die gesamte Tektonik des deutschen Bildungssystems zumindest erschüttert. Denn es ist noch nicht absehbar, wie sich der Bachelor auf das duale System der Berufsausbildung und vor allem auch auf die beruflichen Aufstiegsfortbildungen zum Techniker oder zur Meisterin auswirkt. Gleiches gilt für das Verhältnis von Fachhochschulen und Universitäten, die beide einen Masterabschluss anbieten können, der nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz gleichberechtigt sein soll.
Aus studierendenpolitischer Sicht ist eine Aufwertung der Fachhochschulabschlüsse und ihre Gleichberechtigung mit den Abschlüssen der Universitäten begrüßenswert, denn eine unterschiedliche Gewichtung von anwendungsorientiertem und wissenschaftsorientiertem Wissen ist inhaltlich kaum zu begründen. Der erhebliche Widerstand vieler Universitäten erscheint deshalb vor allem als durch den drohenden Verlust von Standesprivilegien motiviert, deren Aufrechterhaltung nicht mehr zeitgemäß ist. Wichtig ist vielmehr eine Verbindung von Theorie und Praxis in neuen Studienkonzepten, was einer unterschiedlichen Profil- und Schwerpunktbildung von Fachhochschulen und Universitäten keinesfalls widersprechen muss. Am Gelingen dieser Verbindung von Theorie und Praxis, von Forschungs- und Anwendungsorientierung werden sich die neuen Studiengängen sowohl an Fachhochschulen als auch an Universitäten messen lassen müssen.
Problemfeld II: Theorie und Praxis vs. Zeit und Geld
Eine stärkere Berufs- und Praxisorientierung des Hochschulstudiums ist sicherlich grundsätzlich zu begrüßen. Nur so kann dem gewandelten Charakter des Studiums als wissenschaftlicher Berufsausbildung angemessen Rechnung getragen werden. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei den Praxisphasen und Betriebspraktika zu. Deren Einbindung in die Studiengangkonzeption als eigene Lehr- und Lernform sowie deren Vorbereitung und Betreuung ist sowohl eine organisatorische als auch eine didaktische Herausforderung für die Hochschulen.
Praxissemester und Praktika müssen als Teil des Studiums auch grundsätzlich mit Kreditpunkten versehen werden. Dies muss auch bei der Festlegung der Regelstudienzeiten berücksichtigt werden. Deshalb kritisieren viele Studierendenvertretungen auch die Streichung von Praxissemestern an vielen Fachhochschulen, um so die politische Vorgabe zur Einführung eines sechssemestrigen Bachelors erfüllen zu können.
Die Studienzeit darf kein Selbstzweck sein, sie muss vielmehr in einem angemessenen Verhältnis zu den Studienzielen und -inhalten stehen. Ein Studienabschluss kann nur den Anspruch erheben, berufsqualifizierend zu sein, wenn er die Grundlage für eine dauerhafte Berufstätigkeit legt. Leitbild muss hierbei das einer nachhaltigen Berufsqualifizierung sein, die auch einen Wandel des Berufsbildes und die Notwendigkeiten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens einbezieht.
Dies gilt auch für die von vielen Hochschulen angebotenen dualen Studiengänge, die neben dem Studium eine berufspraktische Tätigkeit vorsehen. Auch diese dürfen sich nicht am kurzfristigen Qualifizierungsbedarf einer bestimmten Nische des Arbeitsmarktes orientieren, sondern müssen schon in der Konzeptionsphase auch langfristige Entwicklungsmöglichkeiten der AbsolventInnen einbeziehen.
Problemfeld III: Sachzwang vs. Recht auf Bildung
Nach dem Willen der Kultusministerkonferenz soll der Bachelor der Regelabschluss für die Mehrheit der Studierenden sein, da diese dann über einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss verfügen, mit dem sie in die Arbeitswelt übergehen sollen. Der Zugang zum Master als weiterem berufsqualifizierenden Abschluss soll deshalb von besonderen Zulassungsbedingungen abhängig gemacht werden.
Die Berufsqualifizierung durch den Bachelor ist jedoch umstritten, vor allem viele kleine und mittlere Unternehmen sind in dieser Frage noch sehr skeptisch. Diese stellen aber auch für AkademikerInnen einen großen Teil der potenziellen Arbeitsplätze.
Viele Studierende kritisieren vor allem den geplanten eingeschränkten Zugang zum Mastergrad, der dem Diplomniveau entspricht. Sie befürchten schlechtere Berufschancen und vor allem auch ein geringeres Einkommen, wenn sie gezwungen werden, die Hochschulen mit dem Bachelor zu verlassen.
Bei der tariflichen Eingruppierung der neuen Abschlüsse werden deshalb zukünftig auch die Gewerkschaften gefordert sein, denn letztlich ist die Frage der Entlohnung ein Lackmustest dafür, wie ernst es Politik und Wirtschaft meinen, wenn sie die Einführung von Bachelorstudiengängen forcieren.
Das politische Ziel der Studienzeitverkürzung darf nicht auf Strukturanpassungen reduziert werden, indem die Regelstudienzeiten auf drei Jahre verkürzt werden. Die reale Studienzeit ist weniger von der festgelegten Semesterzahl als viel mehr von der sozialen Lage der Studierenden und guten Betreuungsmöglichkeiten abhängig. Deshalb hat sich auch die Einführung von so genannten Langzeitstudiengebühren nicht bewährt, um die Studienzeiten bis zum erfolgreichen Abschluss nachhaltig zu senken.
Die geplante Einschränkung des Zugangs zum Masterstudium bedeutet eine Einschränkung der Bildungschancen mit katastrophalen Folgen für die jungen Menschen und die gesamte Gesellschaft. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr gut ausgebildete Fachkräfte – auch an den Hochschulen.
Deshalb fordern Studierendenvertretungen deutschlandweit auch eine Einschränkung von Auswahlverfahren und anderen Zulassungsbeschränkungen sowie eine grundsätzliche Wahlfreiheit der Studierenden beim Übergang zum Masterstudium. Desweiteren ist der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte auszuweiten.
Für den notwendigen Ausbau der Studienplätze müssen hierbei ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Anders ist eine Erhöhung der StudienanfängerInnenquote eines Altersjahrgangs auf den OECD-Durchschnitt von 40% nicht zu erreichen. Dieses Ziel steht auch keinesfalls im Gegensatz zur Beibehaltung des dualen Systems der Berufsausbildung, wie eindrucksvoll das Beispiel Dänemark zeigt. Dort setzen viele AbsolventInnen einer Berufsausbildung ihre Bildungslaufbahn an der Hochschule fort, weshalb Dänemark sowohl über ein duales Berufsausbildungssystem als auch über eine hohe AkademikerInnenquote verfügt.
Ambivalent ist die Einbeziehung der Promotion als drittem Zyklus in das gestufte Studiensystem zu bewerten, denn die Promotion weist mit ihrem Charakter als wissenschaftliche Qualifizierung sowohl Merkmale des Studiums als auch eigenständiger wissenschaftlicher Forschung auf. Zwar muss die Betreuung während der Promotion auch durch eine stärkere Strukturierung der Qualifizierungsanteile und die Förderung des Austausches mit anderen WissenschaftlerInnen verbessert werden, gleichzeitig muss aber auch die Forschungstätigkeit der Promovierenden angemessen vergütet werden. Dies muss durch eine angemessene arbeits- und tarifrechtliche Absicherung geschehen.
Problemfeld IV: Durchlässigkeit und soziale Selektivität
Eins der wohl zentralsten Probleme des deutschen Bildungssystems war und ist stets die soziale Schieflage desselben sowie seine (Nicht-)Durchlässigkeit gewesen, sowohl zwischen den Bildungsinstitutionen als auch zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung.
Auch deshalb wird der aktuelle Trend zur Einschränkung des Hochschulzugangs durch Auswahlverfahren und zur Beschränkung des Zugangs zum Masterstudium von vielen stark kritisiert.
Dies gilt ebenso für den Abbau von Studienplätzen im Rahmen der Qualitätssicherungsdiskussion, durch die das Mißverhältnis von ausfinanzierten Studienplätzen und realen Studierendenzahlen offenkundig geworden ist. Dabei steht die notwendige Berücksichtigung der Ressourcenausstattung als Qualitätsmerkmal außer Frage. Eine zu geringe Mittelausstattung darf aber nicht zur Reduzierung von Studienmöglichkeiten führen, notwendig ist vielmehr eine deutliche Erhöhung der verfügbaren öffentlichen Mittel, um alle vorhandenen Studienplätze auch auszufinanzieren.
Im internationalen Vergleich ist nach Angaben der OECD der Anteil der deutschen Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit 5,3% für das Jahr 2002 relativ gering. Die Ausgaben liegen deutlich unter denen der Vereinigten Staaten, in denen sie bei 7,2% lagen. In Schweden waren es 6,9%, in der Schweiz 6,2% und in Frankreich 6,1% des BIP.
Bei den OECD-Daten fällt auf, dass der Unterschied auch bei Berücksichtigung der Finanzierungsquelle weiter besteht. Zwar war im Jahr 2002 der Anteil privater Bildungsausgaben in den USA mit 1,9% des BIP deutlich höher als in Deutschland, wo er bei 1,0% lag. Selbst bei den öffentlichen Aufwendungen jedoch ist der Abstand mit 5,3% für die USA zu 4,4% des BIP in Deutschland sehr gross.
Problemfeld V: Modularisierung und Studierbarkeit
Theoretisch bietet eine Modularisierung der Studiengänge große Chancen für eine qualitative, was meint: wirklich inhaltliche Studienreform, wenn Modularisierung denn mehr bedeutet als die Zusammenfassung von Veranstaltungen und eine studienbegleitende Prüfungsorganisation, worin sich die Umsetzung an vielen Hochschulen leider erschöpft.
Notwendig ist vielmehr eine inhaltliche Neukonzeption der Lehrveranstaltungen mit einer klaren Orientierung an „Learning Outcomes“ statt an traditionellen „Inputs“. Damit muss auch ein Perspektivwechsel von den Arbeitsschwerpunkten der Lehrenden zu den Bedürfnissen der Lernenden verbunden sein. Die einzelne Lehrveranstaltung muss dazu in ein organisatorisch und didaktisch schlüssiges Gesamtkonzept eingebunden sein und geeignete Lehr- und Lernformen nutzen.
Die Realität an vielen Hochschulen wird diesen Ansprüchen jedoch leider nicht gerecht, da die Chance für eine curriculare Neukonzeption im Sinne einer qualitativen Studienreform nicht genutzt, sondern an den hergebrachten Veranstaltungsformen und den traditionellen Studieninhalten festgehalten wird.
Damit geht in vielen Fällen eine deutliche Erhöhung der Anzahl und des Umfangs der Prüfungen einher, da fälschlich angenommen wird, dass für jede einzelne Veranstaltung eine eigene Leistung erbracht werden muss, um Kreditpunkte erhalten zu können. In der Folge liegt die reale Arbeitszeit der Studierenden in vielen Fällen deutlich über den in Deutschland veranschlagten 1.800 jährlichen Arbeitsstunden, die wiederum deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 1.500 Stunden liegen, von denen auch das ECTS ausgeht.
Es scheint daher dringend geboten, die auf europäischer Ebene geforderte Orientierung an „Outcomes“ und an einem angemessenen studentischen „Workload“ endlich umzusetzen und die in der Modularisierung liegenden Chancen zu nutzen. Dabei muss grundsätzlich gelten, dass ein Modul auch im Regelfall mit einer Prüfung abschließbar sein muss und an die Stelle der Semesterwochenstunden die studentische Arbeitszeit tritt.
Die vielfach zu beobachtende Einführung von Anwesenheitspflichten ist dabei für eine „Outcome“- und „Workload“-Orientierung keinesfalls notwendig, sondern in vielen Fällen sogar dem Lernerfolg abträglich, denn die reine Anwesenheit sichert keineswegs den Erwerb von Wissen und Kompetenzen. Dazu sind vielmehr ein konsistentes didaktisches Konzept und die Nutzung adäquater Lehr- und Lernformen nötig, wozu auch Projekte und das Selbststudium gehören müssen.
Problemfeld VI: Qualitätssicherung
Im Bereich der Qualitätssicherung setzt die Kultusministerkonferenz stark auf das Instrument der Akkreditierung, das zunehmend das schon seit Anfang der 1990er Jahre genutzte Konzept der Evaluation in den Hintergrund drängt.
Dabei überprüft die Akkreditierung idealtypisch zu einem bestimmten Zeitpunkt die Erfüllung bestimmter festgelegter Qualitätsstandards und -kriterien, während die Evaluation in einem längeren Prozess kontinuierlicher Verbesserung zur Qualitätsentwicklung an den Hochschulen beitragen will.
Der Gegenstand der beiden Instrumente ist dabei zweitrangig. Sowohl die Evaluation als auch die Akkreditierung kann auf Studiengänge (Programme), Hochschulen (Institutionen) oder das Qualitätsmanagementkonzept (Prozesse) angewandt werden.
Die Kultusministerkonferenz hat sich im Jahr 1999 für die Programmakkreditierung entschieden, um so sicherzustellen, dass jeder einzelne der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge den politischen Rahmenvorgaben entspricht und eine gute Qualität der Lehre bietet. Bis zum Sommersemester 2006 wurden so denn auch bereits 624 von 2.737 Bachelor- und 616 von 1.786 Masterstudiengängen akkreditiert.
Die Etablierung eines neuen Qualitätssicherungssystems braucht notwendigerweise eine gewisse Umstellungszeit, die im Interesse des Reformerfolgs auch notwendig ist. Denn die Akkreditierung soll nicht die Durchsetzung der gestuften Studienstruktur voran treiben, sondern eine höhe Qualität von Studium und Lehre ermöglichen.
Mit der Einführung der Akkreditierung sollte die bisher praktizierte ministerielle Detailsteuerung mit sehr kleinteiligen Rahmenprüfungsordnungen eingeschränkt und den Hochschulen ein größerer Spielraum zur Entwicklung innovativer Studienkonzepte eingeräumt werden. Diese Zielsetzung wurde auch von vielen Studierendenvertretungen als Beitrag zur Stärkung der Hochschulautonomie und als Erweiterung der Beteiligungsmöglichkeiten für die VertreterInnen der Berufspraxis, also für die VertreterInnen der ArbeitgeberInnen und der ArbeitnehmerInnen, an den Studienreformprozessen unterstützt.
In der Praxis haben sich aber in den Akkreditierungsagenturen sehr konkrete Vorstellungen von einem guten Studium herausgebildet, die allerdings unterschiedlich durchgesetzt werden. Während einige Agenturen zumindest implizit eine Orientierung am fachlichen Mainstream voraussetzen, haben andere sehr konkrete fachliche Standards entwickelt, die in ihrem Detailiertheitsgrad noch über die alten Rahmenprüfungsordnungen hinaus gehen.
Beide Methoden schränken den Handlungsspielraum der Hochschulen ein und hemmen innovative Studienkonzepte, die häufig nur noch in fachlichen Nischen entstehen können. Zwar sind auch fachliche Rahmensetzungen notwendig, um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse und die Möglichkeit zum Studienortwechsel zu sichern, dieser Rahmen muss aber in einem transparenten Prozess unter Einbeziehung aller Interessengruppen, vor allem der Wissenschaft und der Studierenden, aber auch der Berufspraxis, geschehen. Dies kann nicht ausschließlich die Aufgabe von wissenschaftlichen Fachgesellschaften sein.
Buchtipp
Denkanstöße zum Bologna-Prozess (Jahrbuch Hochschule gestalten), herausgegeben von Frauke Gützkow und Gunter Quaißer, ISBN 3-937026-41-X.
In den letzten Jahren hat die Hochschulpolitik angestoßen durch den Bologna-Prozess eine ungeahnte Dynamik entwickelt. Das Buch liefert handfeste Informationen zum Stand der Umsetzung, aber auch eine kritische Reflexion des Prozesses im internationalen Vergleich.
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