Studienreform in der LehrerbildungLeistungsbewertungen, Prüfungen, Verschulung
Über die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)
Die DGfE wurde 1964 gegründet und ist die Vereinigung der in Forschung und Lehre tätigen Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler in der BRD. Gegenwärtig hat sie ca. 2000 Mitglieder. Zweck der DGfE ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Pädagogik. Ihre weitgefächerte Arbeit findet ihren Niederschlag in Veröffentlichungen (Literatur), Tagungen und alle zwei Jahre auf dem gemeinsamen Kongress.
In Kooperation mit dem Deutschen Bildungsserver betreibt die DGfE außerdem das Adressbuch Erziehungswissenschaft mit umfassenden Informationen zu in der Erziehungswissenschaft tätigen Personen, Bildungsinstitutionen in Deutschland und mit Hinweisen auf Internet-Materialien.
Darüber hinaus bietet die DGfE im Rahmen dieser Kooperation den Stellenmarkt Bildung und einen Veranstaltungskalender.
Weitere Informationen finden sich unter www.dgfe.de.
"Leistungsbewertungen, Prüfungen, Verschulung" war der Titel einer Arbeitsgruppe der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) zur Lehrerbildung in den neuen Studienstrukturen. Diese drei Themen werde ich in Bezug auf die BA- und MA-Struktur an der Universität Bremen beleuchten. Dabei nehme ich als Studentin der ersten Kohorte in der neuen Studienstruktur eine durch praktische Erfahrungen geprägte Perspektive ein.
Leistungsbewertung
Mit dem Bereich Leistungsbewertung assoziiere ich zuerst die große Anzahl von benoteten Prüfungen, die am Ende nahezu jeder Veranstaltung absolviert werden müssen. Vier bis fünf Hausarbeiten oder sogar mehr in einem Semester sind an der Universität Bremen keine Seltenheit, und es kommen weitere Prüfungsformen sowie Prüfungsvorleistungen dazu. Studierende sind dadurch einer beinahe ständigen Leistungsbewertung ausgesetzt, die mit entsprechendem Leistungsdruck einhergeht. Volker Koscielny, psychologischer Berater der Zentralen Studienberatung der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, bezeichnet das Abprüfen jeder einzelnen Leistung als "fatal" und hält die große Anzahl an Prüfungen für "extrem übertrieben".1
Der Leistungsdruck wird (an der Universität Bremen) noch verstärkt, weil die Abschlussnote des Bachelor-Studiums mitentscheidend bei der Vergabe der Masterstudienplätze ist, sofern die Anzahl der Bewerber und Bewerberinnen größer ist als die Anzahl der vorhandenen Studienplätze. Bessere Noten in den Einzelprüfungen bedeuten infolgedessen auch größere Chancen auf einen Masterstudienplatz. Dies führt zu einer Konkurrenzsituation unter den Studierenden. Nach jeder Prüfung stellt sich für sie die Frage: Wo stehe ich? Wie viele Personen haben besser, wie viele haben schlechter abgeschnitten als ich?
"Wer ist dieser Freizeit?" - Eine Frage, die sich viele Bachelor-Studierende stellen...
(Zeichnung präsentiert auf einer Ausstellung von Bachelor-Studierenden der Erziehungswissenschaft an der Uni Hamburg im Dezember 2007)
Einen größeren Druck in bewerteten Modulen haben auch die Gießener Lehramtstudierenden in einer Befragung zu positiven und negativen Aspekten des modularisierten Studiensystems angegeben.2 Bestätigt wird eine insgesamt große Belastung der Studierenden in den Bachelor- und Master-Studiengängen, die sich u. a. an der Zunahme des Leistungsdrucks zeige (vgl. Spiegel Online 2009). Da die Ausübung des Lehrer(innen)berufs ohne den Masterabschluss jedoch nicht möglich ist, strebt der größte Teil der Absolventinnen und Absolventen des Bachelor-Studiums den Übergang in das Masterstudium an, und es ist schwer, sich der Konkurrenzsituation als Einzelperson zu entziehen.
Die geschilderte Situation steht im Widerspruch mit den im Lehrer(innen)beruf erforderlichen Kompetenzen. Die dargestellten Tendenzen, die eine egozentrische, auf das eigene Wohl bedachte Einstellung zukünftiger Lehrerinnenund Lehrer fördern, können nicht das sein, was von Seiten der Universitäten, den Bildungsbehörden, der Politik und von allen übrigen an der Lehramtsausbildung Beteiligten gewollt ist. Wie soll z. B. die Vermittlung von Teamfähigkeit und einem sozialem Miteinander durch Lehrerinnen und Lehrerumgesetzt werden, die diese in ihrer eigenen Ausbildung nicht oder nurwenig erlebt haben? Das Lehramtsstudium darf sich nicht zu einem Ellenbogenstudium entwickeln, das Lehrkräfte zu Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern macht, weil sie die Erfahrung gemacht haben, sich gegenüber ihren Kommilitonen profilieren zu müssen.
Ein aus meiner Sicht unerlässlicher Schritt auf dem Weg zur Verringerung des Leistungsdrucks und zur Vermeidung der Konkurrenzsituation ist die Gewähr eines Studienplatzes für alle Absolventinnen und Absolventen, mindestens für die Studierenden der eigenen Universität, möglichst jedoch einschließlich der Bewerberinnen und Bewerber anderer Universitäten. Eine weitere Möglichkeit, den Druck auf die Studierenden beim Ablegen von Prüfungen zu vermindern, sehe ich in der Förderung von solidarischen Einstellungen und Verhaltensweisen der Studierenden. Die angehenden Lehrkräfte sollten angeleitet werden, trotz der Relevanz eines guten Studienabschlusses einen größtmöglichen Lernzuwachs für alle in den Blick zu nehmen, statt ihren Fokus auf die Bewertung zu legen und dadurch, wie dies häufig der Fall ist, das Lernen zu vernachlässigen.
Auf der Tagung Von Bologna nach Quedlinburg – Die Reform des Lehramtsstudiums in Deutschland wurde in einer Arbeitsgruppe zum Thema "Lernen, Beurteilen und Prüfen" diskutiert, Prüfungen nur noch mit ‚bestanden‘ und ‚nicht bestanden‘ zu bewerten (was nicht unumstritten ist) oder nur noch ganze Noten zu vergeben. Dies wurde zwar vor dem Hintergrund einer Verringerung von Subjektivität und Notenzufälligkeit bei der Bewertung in Erwägung gezogen, könnte jedoch auch zu einer Verminderung des Leistungsdrucks beitragen.3
Prüfungen
Über die Gewähr von Masterstudienplätzen für alle Bewerberinnen und Bewerber hinaus sollten zur Verbesserung der Studiensituation die Prüfungs- und Bewertungsformen verändert werden. Prüfungen in Form von Klausuren halte ich im Fach Erziehungswissenschaft nicht für sinnvoll. Sie stellen eine bloße Wissensabfrage dar und führen somit zu einer schlichten Reproduktion von Wissen auf Seiten der Studierenden. Auswendiglernen von Veranstaltungsinhalten hat ein temporäres, jedoch kein langfristig verfügbares und anwendbares Wissen zur Folge. Es stellt eine Art Wissensbulimie dar: Die Studierenden lernen die Veranstaltungsinhalte für eine Klausur auswendig, schreiben sie in der Klausur nieder, und anschließend wird das Erlernte direkt wieder aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Die fehlende Nachhaltigkeit des Gelernten ist außerdem durch weitere,
Protest gegen "Bulimielernen" im Rahmen des Abitur nach Klasse 12 (G8) und im Bachelor-Studium; auf der Demonstration zum Bildungsstreik im Juni 2009 in Hamburg.
sich unmittelbar anschließende Prüfungen bedingt. Die geschilderte Situation steht in Widerspruch zum angestrebten Wissens- und Kompetenzzuwachs der Studierenden, der spätestens im Zuge der Prüfungen sichtbar werden soll4. Hausarbeiten sind eine Lösung für das Problem, da sie zur Vertiefung einer bestimmten Thematik dienen. Die vertiefte Auseinandersetzung darf jedoch nicht durch eine zu hohe Anzahl an schriftlichen Ausarbeitungen verhindert werden. Neben der Vertiefung wird die Verknüpfung von Wissen nicht genügend berücksichtigt. Diese könnte zum einen innerhalb der verschiedenen erziehungswissenschaftlichen Module verbessert werden, zum anderen würde aber auch eine stärkere Verbindung mit den fachdidaktischen Inhalten des Studiums die Qualität des Lehramtsstudiums verbessern.
Die Folgen der dargestellten Situation sind, dass die einzelnen Studierenden an mehreren Baustellen gleichzeitig arbeiten müssen. Am Ende des Semesters bzw. in der vorlesungsfreien Zeit entsteht eine Ballung von Klausuren und Hausarbeiten, die es zu bewältigen gilt und die jedes Semester erneut auftritt. Jedoch kann kein Haus entstehen, dessen Konstruktion ohne Abstimmung mit dem Bau des restlichen Hauses vorgenommen wurde. Ein solches Haus würde auf wackeligem Fundament stehen und eventuell irgendwann zusammenbrechen oder gar nicht erst fertiggestellt werden. Die Gefahr, dass die universitäre Ausbildung von angehenden Lehrkräften in einigen Bereichen einem instabilen oder nicht fertiggestellten Haus gleicht, besteht auch im Bachelor- und Masterstudium. Bei dieser Kritik soll nicht der Vorbereitungsdienst als zweite Ausbildungsphase außer acht gelassen werden, jedoch entsteht während des Studiums die Problematik, dass die Studierenden Wissen anhäufen, das nur partial verknüpft ist und somit aus vielen Einzelteilen besteht, die untereinander nicht zu einem großen Ganzen verbunden und somit für den späteren Beruf nicht optimal verfügbar sind. Die am Ende des Studiums erlangten Kompetenzen sind vom Möglichen dadurch ein großes Stück entfernt. Es gilt also, Verknüpfungen zwischen erziehungswissenschaftlichen Veranstaltungsinhalten, aber auch mit fachdidaktischen Studienanteilen herzustellen.
Eine Prüfungsform, die dies gewährleistet und bloßer Reproduktion von Wissen entgegenwirkt sowie zu der für den Lehrer(innen)beruf so wichtigen Meinungsbildung hinsichtlich pädagogischer Fragestellungen und eines pädagogischen Konzepts führen kann, ist die mündliche Prüfung. Studierende werden alleine oder in Gruppen dazu aufgefordert, sich vorab intensiv mit einem Thema zu beschäftigen und ihre Meinung dazu in der Prüfung darzulegen, zu diskutieren und zu reflektieren. In der Vorbereitung können die Studierenden sich mit ihrer pädagogischen Einstellung bzw. einem für sie geeigneten pädagogischen Konzept auseinandersetzen und dies im Gespräch mit dem Prüfer oder der Prüferin darlegen, reflektieren und modifizieren. Die Form der mündlichen Prüfung habe ich hier herausgegriffen, weil sie an der Universität Bremen nur selten praktiziert wird. Dies soll jedoch keineswegs nahelegen, dass Hausarbeiten mit geeigneter Fragestellung, die zu einer tiefgehenden Auseinandersetzung und Diskussion der Thematik führen, nicht eine ähnliche Wirkung haben können. Jedoch sieht die Realität häufig anders aus, da die Studierenden bei der Erstellung von Hausarbeiten unter großem Zeitdruck stehen und somit eine intensive Auseinandersetzung auch bei dieser Prüfungsform nicht möglich ist.
Besonders gravierend ist die Situation während des Verfassens der Bachelor- und der Master-Arbeit. Die Studierenden haben währenddessen bis zu sechs reguläre Veranstaltungen, die zum Ende des Studiums alle mit einer Modulprüfung abschließen. So ist eine vertiefte Auseinandersetzung, genauso wie bei anderen Prüfungen auch, nur begrenzt möglich. Während der Arbeit an der BA- bzw. MA-Arbeit sollten daher im optimalen Fall keine Veranstaltungen stattfinden. Das bedeutet: Alle Veranstaltungen sollten in den vorherigen Semestern belegt werden oder in begrenztem Umfang als Blockveranstaltungen zu Beginn des Abschlusssemesters stattfinden.
Folgendes soll an dieser Stelle jedoch positiv angemerkt werden: Im Vergleich zu der vorherigen Studienstruktur, die eine Ballung der für die Endnote relevanten Prüfungen am Ende des Studiums beinhaltet, können die Studierenden nun in mehreren Prüfungen ihr Wissen zeigen bzw. anwenden (je nach Art und Form der Prüfung).
Einen weiteren Widerspruch zwischen den Aufgaben von Lehrkräften und den von Lehramtsstudierenden erlebten Strukturen, mit dem ich zum Bereich Verschulung überleite, sehe ich im Umgang mit Vorwissen sowie Vorerfahrungen, welche im Studium und den dazugehörigen Prüfungsformen häufig keine oder nur wenig Berücksichtigung finden. Nur in wenigen Veranstaltungen wird zu Beginn des Semesters einbezogen, was die Studierenden zu dem Thema bereits an Wissen, Kompetenzen und Erfahrungen vorweisen können. Gleichzeitig wird immer wieder die Relevanz von Vorwissen bzw. Vorerfahrungen und deren Erhebung bei der zukünftigen Arbeit in der Schule thematisiert. Zukünftige Lehrerinnen und Lehrer sollen dies in der Berufspraxis umsetzen, haben es aber nicht ausreichend selbst in ihrer Ausbildung erlebt.
Verschulung
Die Frage nach der Verschulung des Bachelor- und Masterstudiums ist durchaus berechtigt, zumal kritische Stimmen z. B. aufgrund der starren Studienstrukturen bereits von einer "Sekundarstufe 3" sprechen. Es stellt sich die Frage, ob das, was wir unter Verschulung verstehen, überhaupt in Schule gewollt ist. Diese Frage kann ich mit einem klaren Nein beantworten, denn Verschulung bedeutet für mich starre Strukturen, vorgegebene Inhalte und Lernmethoden und damit einhergehend wenig Freiheiten und wenig Mitbestimmung für die Lernenden, und das entspricht nicht meiner Vorstellung davon, unter welchen Rahmenbedingungen Lernen in der Schule stattfinden soll. Verschulung in diesem negativen Sinn findet sich im Studium in Form von wenigen Wahlmöglichkeiten bei der Belegung von Lehrveranstaltungen wieder. Man kann provokant davon sprechen, dass (in vielen Bereichen) eine Gleichschaltung der Studierenden stattfindet: Alle sollen sich gleich bewegen, gleichzeitig die gleichen Veranstaltungen besuchen, dasselbe lernen, dieselben Prüfungen absolvieren, Noten dafür bekommen, und im nächsten Semester das gleiche wieder von vorne.
Dabei ist die Situation an der Universität Bremen im erziehungswissenschaftlichen Bereich im Vergleich zum fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Studium jedoch recht positiv. In allen Modulen gibt es zu der verpflichtenden Vorlesung ein oder zwei Vertiefungsseminare, die aus einem Pool von Veranstaltungen gewählt werden können. Inhaltliche Wahlmöglichkeiten innerhalb einer Veranstaltung gibt es dennoch nur sehr wenige. Die neue Rolle der Lernenden, die Fleckenstein (2008, 38) als Entwicklung "[v]on konsumierenden Empfängern vorgefertigter ‚Lernhappen‘ (die manchmal recht unverdaulich verabreicht werden) […] zu Akteuren und Mitgestaltern der Lernarrangements" beschreibt, können die Studierenden nur in geringem Maße erleben, oder sie müssen bei der Gestaltung an den Rahmenbedingungen einer Veranstaltung ansetzen. Die oben bereits erwähnte Arbeitsgruppe "Lernen, Beurteilen und Prüfen" hält einen Perspektivenwechsel an den Hochschulen, der mit einem Methodenausbau einhergeht, für notwendig. Sie fordert dafür auch eine aktive Einbindung der Studierenden und ein Abwenden von einer ausschließlichen Wissensaufnahme. Die Unterstützung durch die Hochschulleitung ist dabei von großer Bedeutung (vgl. Ebert 2007, 145). Dies bei zukünftigen Umstrukturierungen der Lehramtsstudiengänge, aber auch in jeder einzelnen Veranstaltung zu berücksichtigen und umzusetzen, würde einen wichtigen Beitrag zur Qualität der Lehramtsausbildung leisten.
In einem Seminar zum Thema Kinderrechte als Grundlage vorschulischer und schulischer Profilbildung und Qualitätssicherung wurde in einem der vergangenen Semester im Rahmen einer Projektinitiative selbstgesteuertes Lernen mit Zielvereinbarungen an der Universität Bremen ermöglicht. Dabei haben die Studierenden selbstorganisiert in Projektgruppen zu je drei bis vier Personen gearbeitet und sich eigene Ziele hinsichtlich der genannten Thematik gesetzt. Daneben fanden vier Seminarsitzungen mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt, die für gemeinsame Absprachen, den Austausch über die Arbeitsergebnisse, Modifizierung der Projektziele etc. genutzt wurden. Das Seminar wurde mit einer schriftlichen Ausarbeitung in Form eines Readerbeitrags abgeschlossen. Alle Ergebnisse wurden zu einem Reader zusammengefügt, und die Bewertung erfolgte durch die Projektgruppen mithilfe eines Ringverfahrens. Das bedeutet, dass jede Gruppe eine andere bewertet, ihre eigene Note jedoch von einer anderen Gruppe bekommt (Gruppe A bewertet Gruppe B, welche wiederum Gruppe C bewertet usw.).
Initiiert wurde das Seminar in der geschilderten Form von einem studentisch selbstorganisierten Arbeitskreis und nicht von universitärer Seite. Es ist wünschenswert, auch im modularisierten Studienablauf größere Gestaltungsmöglichkeiten für die Studierenden einzuplanen bzw. vorzusehen. Um dies zu erreichen, sollte sich die Rolle des Lehrenden, so wie Fleckenstein es beschreibt, vom Wissensvermittler bzw. der Wissensvermittlerin hin zu einem Moderator, einer Moderatorin wandeln. Der bzw. die Lehrende würde den Lernprozess begleiten und wäre für die Ausgangsposition (Modulbeschreibung) und den Abschluss des Seminars (Prüfung) verantwortlich (vgl. Fleckenstein 2008, 39) bzw. würde diese mit den Studierenden gemeinsam entwickeln (wie es in dem beschriebenen Seminar der Fall war).
Verschulung im Studium ist auch, wenn offener Unterricht in einer Vorlesung mit 200 Studierenden thematisiert wird und eines der Ziele darin besteht, bei den Studierenden Interesse an dieser Unterrichtsmethode zu wecken. Die Studierenden werden in vielen Veranstaltungen mit didaktischen Theorien und Modellen konfrontiert, die Hilfen zu deren Umsetzung fehlen aber. Es entsteht ein Widerspruch zwischen dem Erlernten und dem Erlebten. Konfuzius hat schon vor 2500 Jahren formuliert, welche Erfahrungen wichtig sind, um einen optimalen Lernerfolg zu erreichen: "Erkläre es mir, und ich vergesse. Zeige es mir, und ich erinnere. Lass es mich tun, und ich verstehe."
Ich sehe den Grund für das Problem der Verschulung darin, dass der Übergang aus der Schule in die Universität für viele Studierende fließend ist. Ihre schulischen Erfahrungen übertragen sie daher häufig auf das Lernen in der universitären Ausbildung. Die Studienstruktur trägt nicht dazu bei bzw. verhindert, dass die bekannten Strukturen aufgebrochen werden, sondern setzt das Bekannte fort. Es bedarf daher Anregungen für die Studierenden in Form eines methodisch vielfältigen Seminarangebots, so dass eine Reflexion über unterschiedliche Lernformen initiiert werden kann und zukünftige Lehrerinnen und Lehrer möglichst viele Unterrichtsmethoden auch selbst erlebt haben, bevor sie diese selbst in der Schule durchführen. Es soll hier jedoch angemerkt werden, dass nicht nur die universitären Strukturen dazu beitragen, dass die Studierenden wenig Initiative ergreifen, um den verschulten Strukturen entgegenzuwirken. Auch außeruniversitäre Erfahrungen, die bei einem direkten Übergang von der Schule in die Universität häufig nicht vorhanden sind (außerschulische Praktika, Freiwilliges Soziales Jahr etc.), können bereichernd für die Kompetenzen angehender Pädagoginnen und Pädagogen sein und ihre Eigeninitiative stärken.
Sonst verläuft das Studium wie in einer Schulklasse. Die Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Seminars variiert nur wenig, so dass die sozialen Kontakte häufig die gleichen sind. Das bedeutet, dass eine Verzögerung im Studienablauf auch zu einem weitgehenden Verlust der sozialen Kontakte führt. Die Studierenden reagieren darauf, indem sie mit enormem Einsatz versuchen, ihr Studium in der Regelstudienzeit zu beenden, was wiederum zu einem Abarbeiten der verpflichtenden Prüfungen und einem weitgehenden Verlust des interessegeleiteten Studierens führt.
Caputa-Wiessner (vgl. 2008, 62) bestätigt, dass für diejenigen, die nicht systemkonform studieren wollen, u. a. aufgrund des Jahresrhythmus (nur jährliches Belegen von Modulen möglich) verschiedenartige Probleme entstehen. Die oben erwähnten Gießener Studierenden gaben an, dass die Wahl der Veranstaltungen nicht nach Interesse, sondern im Hinblick auf den Studienverlaufsplan und dessen Realisierung vonstatten gehe. Zusätzliche und interessegeleitete Studieninhalte sind danach kaum möglich (vgl. ebd.). Eine Veränderung der Studienstruktur hinsichtlich der Reihenfolge der zu studierenden Module, sofern dies inhaltlich sinnvoll ist, würde zu einer Mischung der Kohorten führen und so einen Beitrag dazu leisten, den Druck, das Studium in der Regelstudienzeit zu beenden, zu vermindern.
Die Überforderung der Studierenden als Folge der Umstrukturierung der Studiengänge wird auch von psychotherapeutischen Beratungsstellen bestätigt. Sie geben an, dass immer mehr Studierende Beratungsbedarf haben, weil sie bereits im Studium unter Überbelastung, Stress, Überforderung, Depressionen oder einer Angst, nicht lernen zu können, leiden. Dabei ist unter den Bachelor-Studierenden der Anteil der Beratungsbedürftigen aus den Geisteswissenschaften deutlich höher als früher, und bei jedem fünften ist eine professionelle Psychotherapie erforderlich (vgl. Spiegel Online 2009). Diese Angaben sind alarmierend und zeigen, dass eine Veränderung der Studienstruktur hin zu weniger Leistungsdruck, einer geringeren Anzahl an Prüfungen und mehr Wahlmöglichkeiten im Studium unbedingt notwendig ist.
Fazit
Hinsichtlich der drei Themen Leistungsbewertung, Prüfungen und Verschulung des BA- und MA-Studiums besteht viel Handlungsbedarf, soll das Studium tatsächlich die Basis für eine spätere Tätigkeit als Lehrerin bzw. Lehrer legen. Es besteht aber die Hoffnung, dass die Lehrenden durch die entstandenen Missstände sensibilisiert wurden und Veränderungen in der Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer mit der Umstrukturierung der Studienstruktur hin zu einem Studium von insgesamt 300 ECTS-Punkten (für alle Lehramtsstudierenden) gelingen. Das neue Studienangebot soll ab dem Wintersemester 2010/11 an der Universität Bremen beginnen. Festzuhalten ist ebenfalls, dass auch aus Sicht vieler Lehrender Verbesserungsbedarf besteht, der in die Umstrukturierungsprozesse mit einfließen kann5 6, was hier aufgrund des Schwerpunkts auf die studentische Sicht nicht weiter thematisiert werden kann.
Das Projektstudium, das an der Universität Bremen in der vorherigen Studienstruktur eine stärkere Rolle gespielt hat7, könnte in vielerlei Hinsicht Verbesserungen für das Studium schaffen: Studierende könnten ihr Studium in Form von forschendem Lernen stärker selbst in die Hand nehmen, Wissen würde verknüpft und im optimalen Fall über mehrere Semester hinweg erweitert. Es bestünde die Möglichkeit, die bestehende Konkurrenzsituation zwischen den Studierenden zu entzerren, da Bewertungssituationen seltener würden. Sowohl Berufspraxis als auch gesellschaftliche Prozesse könnten durch Verknüpfung einzelner Module und Zusammenarbeit mit den Fachdidaktiken, die im Zuge dessen möglich würde, stärker miteinbezogen und der Erwerb eines stärker anwendungsbezogenen Wissens könnte ermöglicht werden. Meiner Ansicht nach kann eine Stärkung des Projektstudiums einen wesentlichen Beitrag zur Qualität der Lehrer(innen)bildung leisten und dazu beitragen, dass zukünftige Lehrkräfte für ihren Beruf grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten in größerem als dem derzeitigen Umfang erwerben und kompetenter mit Kindern umgehen können. Das Projektstudium sollte im Zuge der bevorstehenden Umstrukturierung berücksichtigt werden und in der neuen Struktur einen festen Bestandteil darstellen.
Die hier dargestellten Möglichkeiten und Ideen, die Qualität der Lehrer( innen)ausbildung zu verbessern, sind Anregungen, die bei der konkreten Umsetzung je nach Situation in der jeweiligen Hochschule spezifiziert werden müssten, jedoch inhaltlich auf das Bachelor- und Masterstudium allgemein zu beziehen sind.
Alexa Tegeler, 24 Jahre, studiert seit 2005 an der Universität Bremen. Dort hat sie den Abschluss des BA Fachbezogene Bildungswissenschaften (Lehramt) gemacht sowie eine Zusatzqualifikation für den Elementarbereich erworben. Zur Zeit studiert sie im Master Inklusive Pädagogik: Lehramt Sonderpädagogik in Kombination mit dem Lehramt an Grund- und Sekundarschulen.
Der Beitrag wird in der Ausgabe März 2010 der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft unter dem Titel "Ein Beitrag aus studentischer Sicht - Leistungsbewertungen, Prüfungen, Verschulung" erscheinen. (Siehe http://www.dgfe.de/zeitschrift/index_html)
Fußnoten
1 Spiegel Online (14.2.2009): Studium Bolognese. Bachelor-Studenten verzweifeln am Leistungsdruck, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,607639,00.html
2 vgl. Caputa-Wiessner, B. (2008): Die Erfahrungen der Reform … "Halb zog es sie, halb sanken sie hin". In: Bechthold, G./Helferich, P. S. (Hrsg.): Generation Bologna. Neue Herausforderungen am Übergang Schule – Hochschule. Bielefeld: Bertelsmann, 59–63.
3 vgl. Ebert, M. (2007): Lernen, Beurteilen und Prüfen. In: Hochschulrektorenkonferenz (Hrsg.): Von Bologna nach Quedlinburg – Die Reform des Lehramtsstudiums in Deutschland, 142–145.
4 vgl. Fleckenstein, K. (2008): Aspekte der Lehr-Lern-Beziehung im modularisierten Studiensystem. In: Bechthold, G./Helferich, P. S. (Hrsg.): Generation Bologna. Neue Herausforderungen am Übergang Schule – Hochschule. Bielefeld: Bertelsmann, 37–46.
5 vgl. Carle, U. (1996): Wer die Schule verändern will, muß die angehenden Lehrerinnen und Lehrer gewinnen. Freinetpädagogik an der Hochschule. In: Hering, J./Hövel, W. (Hrsg.): Immer noch der Zeit voraus – Kindheit, Schule und Gesellschaft aus dem Blickwinkel der Freinetpädagogik. Bremen: Pädagogik Kooperative, 157-178.
6 vgl. Daiber, B. (2005): Vision einer universitären Lern-/Forschungsstation In: Kohlberg, W. D. (Hrsg.): Europäisches Handbuch reformpädagogischer Seminardidaktik. Trade-Dissemination-Network. Osnabrück: Universität Osnabrück, 235–272.
7 vgl. Bolland, A. (2007): Forschendes und biographisches Lernen in der Lehrerausbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.