Die Lenzen-Scharenberg-AffäreMachtmissbrauch eines Uni-Präsidenten?
Inzwischen in Hamburg: Dieter Lenzen, früher Präsident der FU Berlin, an der sich die Lenzen-Scharenberg-Affäre abspielte.
Der deutsche Wissenschaftsbetrieb zeigt sich derzeit von einer sehr schlechten Seite. Vor allem die politischen wie wissenschaftlichen Führungskräfte des Hamburger Wissenschaftsbetriebes geben Anlass zur Sorge. Wurde doch im Dezember in der Hansestadt mit Dieter Lenzen ein Hochschulmanager als renommierter Heilsbringer für die Hamburger Universität verpflichtet, der die Freie Universität Berlin (FU) Ende Februar nicht mit weißer Weste Richtung Elbe verließ. Angesichts dieser Ignoranz stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Art symbolischen "Vorstrafenregisters" im Wissenschaftsbetrieb. Lenzen hätte darin spätestens seit 2007 einen langen Eintrag. Manche Leute meinen sogar, ein solcher Eintrag hätte mittlerweile von einer deutschen Wissenschaftsbehörde, diesmal der Berliner, implizite Bekräftigung erfahren.
2007: Eine Berufung an der FU Berlin wird zum Politikum
Doch zunächst zu den Ereignissen, die 2007 bundesweit Aufsehen erregten. Im Januar wurde FU-Präsident Lenzen eine Berufungssache vorgelegt, die ihm nicht gefiel: Am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien (JFKI) sollte eine auf fünf Jahre befristete Juniorprofessur an Albert Scharenberg vergeben werden. Der Politologe und Chefredakteur der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik war damals jedoch erstens 41 Jahre alt und saß zweitens im Kuratorium der Rosa-Luxemburg-Stiftung der Partei Die Linke. Da letzteres kein wissenschaftliches Kriterium ist, rekurrierte Lenzen auf ersteres, um die Ablehnung Scharenbergs zu begründen: Unüblich lange vier Monate nach Erhalt des Berufungsvorganges zur Weitergabe an den Wissenschaftssenator (Scharenberg war in der Zwischenzeit zufälligerweise noch ein Jahr älter geworden) schrieb das Präsidium dem zuständigen Dekanat, der Wunschkandidat habe, verglichen mit seinem Alter, zu wenige wissenschaftliche Leistungen vorzuweisen.
Doch an Lenzens eigentlichem Grund für die Zurückweisung des sowohl vom Instituts- als auch vom Fachbereichsrat ohne Bedenken durchgewunkenen Berufungsvorschlags kann es keinen Zweifel geben. Schon 2007 nannten anonyme Kommissionsmitglieder in Presseartikeln die Verweigerungshaltung wahlweise irrational, absurd oder politisch begründet.
Richtig ist, dass, wenn auch juristisch nicht zwingend, Juniorprofessuren für Nachwuchskräfte bis Mitte 30 gedacht sind. Doch eine am Berufungsverfahren beteiligte Person weiß: Bereits im Abschlussbericht der Berufungskommission - also lange, bevor Lenzen überhaupt von der Sache erfuhr - wurde auf dieses Thema explizit eingegangen und empfohlen, in diesem Fall das Alter nicht als formalen Ausschlussgrund anzusehen. Begründung: In Deutschland gebe es wenige Institute, die überhaupt für das gewünschte Profil - Politikwissenschaft zu Nordamerika - ausbilden, wodurch der Kreis der in Frage kommenden Personen sehr klein ausfalle. Alle in die engere Wahl gekommenen Bewerbungen stammten von eher unüblich alten Fachkräften.
Präsidiale Intervention mit Nachspiel
Lenzens Intervention wurde von den brüskierten Fachgremien zunächst zurückgewiesen: Sowohl Instituts-, als auch Fachbereichsrat bekräftigten ihre Empfehlungen und schlugen zur Güte vor, weitere externe Gutachten einzuholen, was aber nichts fruchtete.
Die Auseinandersetzung fand ein auch bundesweites Presse-Echo, nicht zuletzt durch eine von 100 Profs aus mehreren Ländern unterzeichnete ganzseitige Anzeige in der Berliner Tageszeitung Tagesspiegel zur Solidarisierung mit Scharenberg1 geriet die FU-Leitung unter Druck. Die Artikel im Herbst 2007 schlossen, wenn sie die Vorgehensweise des Präsidiums nicht als unhaltbar kritisierten, im Ton der Vorläufigkeit. So endete die Berliner Zeitung mit der Warnung: "Schlimm wäre es, wenn weiterhin der Verdacht bestünde, die Freie Universität lehne politisch unliebsame Bewerber ab."2 In der ZEIT hieß das zwei Monate später: "Entweder das Präsidium hatte tatsächlich gute Gründe, die Berufung des Nordamerika-Experten abzulehnen. Dann ließe sich mit ein bisschen gutem Willen alles aufklären. Oder aber es stimmt der Verdacht, dass Präsident Lenzen die Berufung seines Kollegen aus politischen Gründen verhindert hat – und das wäre nicht weniger als ein handfester Skandal."3
Bestürzend: Da Gras über die Sache wuchs, ist die Öffentlichkeit immer noch auf diesem Stand - nur die tageszeitung4 und Spiegel Online5 erinnerten daran, als Lenzen in Hamburg wiederholt als profilierter und renommierter Uni-Manager, als perfekter Retter für die angeschlagene Uni gefeiert wurde. Der dort ohnehin in Gang befindliche studentische Aufruhr bot natürlich einen guten Nährboden für Anti-Lenzen-Protest, im Zuge dessen auch die Affäre Scharenberg erwähnt wurde. Doch die protestierende Minderheit richtete sich sowieso gegen Lenzen generell, gegen seine bekannte bildungspolitische Ausrichtung. Hier geht es aber um eine Frage, die unabhängig davon behandelt werden muss: Hat Lenzen gegen das Berliner Hochschulgesetz und die Freiheit der Wissenschaft verstoßen, wie zum Beispiel die - immerhin an der Landesregierung beteiligte - Berliner Linkspartei 2007 behauptete? Falls ja, dann ist damit eine so grundlegende Regel des Wissenschaftsbetriebes verletzt, dass jenseits allgemeinpolitischer Differenzen eine kollektive Verurteilung Lenzens seitens der so genannten Scientific Community angebracht wäre. Damit ist nicht eine vollständige Ächtung auf Lebenszeit gemeint. Zumal es ja generell legitim ist, Verfehlungen eines Menschen langfristig mit eventuellen Verdiensten aufzurechnen. Aber einen Vorzeige-Präsidenten Lenzen gäbe es dann nicht mehr, wodurch wohl auch die unter anderem von ihm propagierte Politik der Konzentrierung von immer mehr inneruniversitärer Macht in den Uni-Präsidien diskreditiert werden würde.
Fehlendes Langzeitgedächtnis der Wissenschaft
Doch das Gedächtnis von Wissenschafts-Deutschland scheint in bedauerlichem Zustand zu sein. Die Bewunderung, die Lenzen in Hamburg nun offen entgegengebracht wird, zeigt, dass die Selbststeuerung der Wissenschaft auf den Hund gekommen ist. Die für die Öffentlichkeit immer noch ungeklärte "Affäre" Scharenberg ist so wenig präsent, dass der Gedanke an ein wissenschaftsethisch begründetes Vorstrafenregister nahe liegt.
Denn auch der Wissenschaftsbetrieb hat eigentlich, so zumindest das Selbstbild, unabdingbare Regeln und Sanktionsmechanismen, die denkbar heikel sind, da sie als Basis nur eine implizite kollektive Übereinkunft über die Verteilung von Prestige haben, und, von Einzelfragen abgesehen, nicht eine formale, juristisch abgesicherte Norm. Die Gemeinschaft der Wissenschaft Betreibenden soll selbst über ihre Mitglieder wachen und ist intern legitimiert, abweichendes Verhalten, also unwissenschaftliches Arbeiten, zu bestrafen - bis hin zum faktischen Ausschluss aus der Gemeinschaft durch kollektive Missachtung der betreffenden Person. Neudeutsch gesprochen: Es geht um Qualitätssicherung. Das inhaltlich (zumindest theoretisch, idealtypisch) unabhängige gesellschaftliche Subsystem namens Wissenschaft muss der Außenwelt dauerhaft seine Glaubwürdigkeit begründen können. Interne "Säuberungsmechanismen" dienen dem Erhalt der eigenen Arbeitsgrundlage, sind Beweis der zwingend erforderlichen Selbstständigkeit.
Nun ist in dem hier diskutierten Fall aber offensichtlich noch keine Einzelperson oder Gruppe auf den Plan getreten, die sich ob dieses Sensationseinkaufs der Uni Hamburg bei ihrer Berufsehre gepackt fühlt, wie es gleichzeitig im Fall Nikolaus Brenders passiert: Für den ZDF-Chefredakteur, der ebenfalls aus politischen Motiven abgesägt wird, starteten namhafte Stimmen aus Journalismus und Rechtswissenschaft eine öffentliche Intervention, die sich auf Rechte und Normen beruft, die Teil der elementaren Grundlage ihres eigenen beruflichen Tuns sind. Ein derartiges wissenschaftliches Alarmsystem gegen eine Kontinuität6 rein politisch motivierter Interventionen ist derzeit, falls es in Deutschland jemals existiert hat, offensichtlich außer Betrieb. Sonst hätte angesichts Lenzens starker Medienpräsenz nach Bekanntwerden seiner Hamburger Ambitionen längst mal jemand gefragt, wie es damals eigentlich weiter ging, im Herbst 2007 an der FU.
Langwierige Kommissionsarbeit
Angesichts der präsidialen Sackgasse, in der das Verfahren steckte, hatten damals wohl viele auf eine Neuausschreibung der Stelle, also ein neues Verfahren getippt. Doch die Berufungskommission wurde nur auf zwei Positionen umbesetzt und bekam den Auftrag, sich sämtliche Bewerbungen noch einmal anzusehen. Statt vier FU-Profs waren nun fünf in der (auch mit Mitgliedern der anderen Statusgruppen besetzten) Kommission, was legal ist. Die Zahl der JFKI-Profs erhöhte sich so auf drei, weshalb böse Zungen meinen, schon hier lasse sich der Wille erkennen, nichts mehr anbrennen zu lassen.
Die Kommission musste dann erst klären, ob alle Bewerbungen aufrecht erhalten wurden und gegebenenfalls aktualisiert werden sollten. Es folgte das normale Prozedere von Anhörungen und externen Gutachten, doch erst eineinhalb Jahre später lag der neue Abschlussbericht vor. Dort wurde, wie schon im ersten, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die allermeisten Bewerbungen nicht zum ausgeschriebenen Stellenprofil passten. Während ein Berufungsvorschlag, also das Kommissionsurteil, normalerweise eine Reihung von drei Personen enthält - in Ausnahmefällen können es auch vier sein -, waren es bei beiden Kommissionsberichten je nur zwei. Mit dem Unterschied freilich, dass Albert Scharenberg im ersten Gutachten auf Platz eins landete, von der umbesetzten Kommission aber noch nicht einmal als für Platz drei würdig angesehen wurde. Begründung: Er habe seit seiner Promotion nichts mehr publiziert, was in das Stellenprofil passt, und sich "nicht mehr durch eigene Forschungen profiliert".
Diese Sichtweise konfligiert mit dem erwähnten offenen Brief im Tagesspiegel an Lenzen, in dem die unterzeichnenden Profs behaupten, Scharenberg könne "auf Grund seiner vorliegenden Arbeiten sozusagen aus dem Stand habilitiert werden." Doch dieser Konflikt wurde an der FU nicht ausgetragen. Die Gremien winkten den neuen Berufungsvorschlag durch (im Fachbereichsrat allerdings nur mit relativ knapper Mehrheit).
Widersprüchliche Bewertungen
Laut Zeugen kritisierte im Fachbereichsrat nur einer die Beurteilung Scharenbergs durch die zweite Kommission: Hajo Funke, Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI). Auf Anfrage bezeichnet Funke die Behauptung, Scharenbergs Publikationen der letzten 10 Jahre passten nicht zur ausgeschriebenen Stelle, als "unsachgemäße Darstellung". Auch Scharenberg selbst hat nur Unverständnis übrig: "Die haben sich die Texte nicht so genau angeschaut." Die Titel seiner Texte seien oft nicht einschlägig - so scheine es in einem Beispiel nur um Hip Hop zu gehen -, inhaltlich handele es sich aber oft sehr wohl um politikwissenschaftliche oder soziologische Studien. Redakteur Scharenberg sieht auch den im Kommissionsbericht vorgebrachten Kritikpunkt, sich in den letzten Jahren "zunehmend auf wissenschaftsjournalistische Beiträge konzentriert" zu haben, als nicht Ausschlag gebend an. Er habe auch in wissenschaftlichen Zeitschriften, sogar in "peer-reviewten" veröffentlicht. 2009 sei ein Handbuch-Artikel zu Schwarzem Nationalismus von ihm erschienen, den er vorab bei der aktualisierten Bewerbung mit eingereicht hatte. Die weiteren Ausschlussgründe betreffen nicht die wissenschaftliche Eignung, sondern Ausrichtung Scharenbergs: Er verwende kaum politikwissenschaftliche Methoden und nehme nie eine vergleichende Perspektive ein.
Interessanterweise hatte die erste Kommission ähnliches über eine eher von den Wirtschaftswissenschaften kommende Person gesagt, der "politikwissenschaftliches Verständnis" fehle und die "wenig analytisch oder theoriegeleitet" arbeite. Die meisten von ihr eingereichten Schriften seien "streng genommen keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen bzw. sie befinden sich erst in Vorbereitung". Die zweite Kommission hingegen lobte besagte Person auf Platz zwei des Berufungsvorschlags, sah also unter anderem kein Problem darin, dass sich auch über ein Jahr später immer noch bzw. wieder eine ganze Handvoll Aufsätze erst "in Vorbereitung bzw. im Begutachtungsverfahren" befanden. Dies nur zur Veranschaulichung der Dehnbarkeit wissenschaftlicher Kommissionsurteile. Die beiden Kommissionen setzten also jeweils eine Person auf einen der ersten beiden Listenplätze, die die jeweils andere noch nicht einmal auf Platz drei setzen wollte, also als schlicht ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle ansah.
Intervention des Wissenschaftssenators
Das Ende vom Lied: Der Berliner Wissenschaftssenator Zöllner teilte der FU im Herbst 2009 mit, dass die Stelle gar nicht besetzt werde. Zu den Gründen schweigt sich die Behörde gegenüber der Öffentlichkeit aus, doch aus FU-Kreisen ist zu erfahren, dass kritisiert worden sei, ein Berufungsverfahren sollte in acht Monaten über die Bühne gebracht werden, während die fragliche Stelle am JFKI bereits im Mai 2006 ausgeschrieben worden war. Da außerdem der Großteil der Bewerbungen während des Verfahrens zurückgezogen worden sei, könne nicht mehr als gesichert gelten, dass tatsächlich eine Bestenauslese statt finde. Zöllner signalisierte dem Vernehmen nach aber Zustimmung zu einer Neuausschreibung der Stelle.
Hajo Funke sieht sich durch diese Wendung bestätigt. Der Senator habe sich geschickt aus der Affäre gezogen, da er gewusst habe, dass die Bestenauslese vom FU-Präsidium verhindert worden sei. "Der ganze Berufungsvorgang ist von hinten bis vorne politisch geprägt." Funke glaubt, dass Zöllners Entscheidung zumindest einem Teil des damaligen FU-Präsidiums sehr unangenehm ist.
In der Tat ist Zöllners Schritt höchst peinlich für die FU, selbst wenn Funke ihn falsch interpretieren sollte. Denn die besagte Dauer von acht Monaten für Berufungsverfahren wird zwar in der Praxis oft nicht eingehalten – aber wenn es schon eine zeitliche Regelung im Berliner Hochschulgesetz gibt, stellt sich die Frage, wie alleine die zweite Kommission mehr als eineinhalb Jahre in Anspruch nehmen konnte, um zu einem Urteil zu kommen, zumal es sich um eine befristete Juniorprofessur ohne Verlängerungsoption handelt. Für Funke und Scharenberg riecht es nach politisch begründeter Manipulation und gewollter Verschleppung.
Fehlende Streitkultur
Die Vorsitzende der zweiten Kommission war trotz schriftlicher und telefonischer Anfrage nicht zu sprechen. Lutz Mez jedenfalls, Privatdozent am OSI und Mitglied in beiden Kommissionen, findet nicht, dass eineinhalb Jahre eine zu lange Zeit seien, noch nicht einmal außergewöhnlich lange. Die neuen Kommissionsmitglieder hätten sich erst einarbeiten müssen. Auf die großen Diskrepanzen in der Beurteilung Scharenbergs durch die beiden Kommissionen angesprochen, vertritt Mez den Standpunkt: "Die Kommission muss die auswärtigen Gutachten unkommentiert wiedergeben." Besagte neue Gutachten hätten eben "eigenständige Meinungen" zum Ausdruck gebracht und die Kommission sei ihnen gefolgt. Interessanterweise hält Mez Scharenberg für "überqualifiziert" für die Stelle. Das sei bei einem Berufungsverfahren für eine Juniorprofessur auch nichts neues. Die Kritikpunkte des Präsidiums bezeichnet er als "Kokolores", sowohl was Scharenbergs Alter, als auch was die angebliche Befangenheit innerhalb der Kommission angeht (ein Mitglied soll sich früher für Scharenbergs Habilitation eingesetzt haben). Auch die im zweiten Kommissionsbericht aus einem externen Gutachten zitierte Behauptung, Scharenberg habe 10 Jahre lang nichts für die Stelle relevantes publiziert, hält Kommissionsmitglied Mez für "Humbug". Zu einer Diskussion darüber im Fachbereichsrat sei es trotzdem nicht gekommen.
Harald Wenzel, Institutsratsvorsitzender des JFKI und Mitglied der zweiten Kommission, spielt die ganze Geschichte ebenfalls herunter und will lieber nicht zu viele kritische Fragen beantworten. Die Juniorprofessur sei nicht im Stellenplan vorgesehen, sondern seinerzeit im Hinblick auf die Bewerbung des JFKI bei der so genannten "Exzellenzinitiative" von Bund und Ländern kurzfristig vom Präsidium geschaffen worden. Auf solch einer "Sahnehäubchen-Stelle" werde das Institut nicht bestehen, zumal das dafür vorgesehene Geld in der Vergangenheit für die Vertretung der vakanten Stelle ausgegeben worden sei.
Am JFKI wird augenscheinlich still gehalten. Und auch sonst regte sich, außer bei einigen Studierenden, kein Protest gegen den in dieser Angelegenheit eigentlich angezählten Lenzen - trotz dessen jüngster unhaltbaren Stellungnahme: Als die tageszeitung Zöllners Verweigerung im November publik machte, ließ ihr die FU-Leitung mitteilen, sie habe in dem umstrittenen Bewerbungsverfahren lediglich ihre Rechtsaufsicht wahrgenommen - nicht Lenzen, sondern die erste Berufungskommission sei befangen gewesen. Die Interpretation, es sei Lenzens Schuld, dass Zöllner die Berufung verweigerte, wurde "mit Entschiedenheit" zurückgewiesen.7 Mit dieser Argumentation tut sich das Präsidium aber keinen Gefallen. So wird, wer sich auf die unumstrittenen Fakten beschränkt, in dem 2007 aufgekommenen Verdacht gegen die FU-Leitung eher bestätigt.
Nicht exzellent genug für sein Alter?
Das Präsidium hatte seine Verweigerung ursprünglich mit der Verknüpfung zweier Punkte begründet, wohl wissend, dass der Hinweis auf Scharenbergs Alter alleine nicht verfangen hätte (der wurde ja schon von der ersten Kommission vorweg genommen und ist ohnehin kein justiziabler): Für sein Alter sei der Kandidat nicht "exzellent" genug. Doch genau das hat niemals ein Präsidium zu beurteilen! Über die fachliche Eignung urteilen bei jedem Berufungsverfahren die jeweilige Kommission, externe Gutachten sowie die Fachgremien. Dem Präsidium obliegt eben nur die Rechtsaufsicht (wobei es da - wohl u.a. auf Grund der berüchtigten Erprobungsklausel im Berliner Hochschulgesetz, die seit Jahren an der FU angewandt wird, da sie dem Präsidium mehr Macht gibt - durchaus juristische Schlupflöcher geben könne, wie Albert Scharenberg mitteilt, der das prüfen ließ).
Schon 2007 kam wohl aus diesem Grund nachträglich ein Befangenheitsvorwurf auf. Personalangelegenheiten werden nicht öffentlich besprochen, doch dem Vernehmen nach besagt der Vorwurf, Scharenberg habe früher von einem Mitglied der Berufungskommission Hilfe bei einem angestrebten Habilitationsverfahren bekommen, was dieses umgehend schriftlich bestritten habe. Inwiefern dadurch die ganze Kommission, die einstimmig für Scharenberg votiert hatte, beeinflusst worden wäre, ist ohnehin nicht begründbar. Alles andere als souverän auch der nächste Befangenheitsvorwurf: Bei einer Diskussionveranstaltung zu dem Fall im Herbst 2007 behauptete FU-Vizepräsidentin Ursula Lehmkuhl, ebenfalls vom JFKI, Scharenberg habe früher einmal mit einem der externen Gutachter zusammen publiziert. Als sie Widerspruch erntete, verließ sie extra den Raum, um den Nachweis zu besorgen, musste aber nach einer ganzen Weile ohne Ergebnis zurückkommen (und hat bis heute die Behauptung nicht wiederholt). Mittlerweile besagt der zweite Kommissionsbericht - ohne auf das Alter zu sprechen zu kommen -, Scharenberg passe an sich überhaupt nicht zum Stellenprofil.
Entblößter Quantifizierungswahn
Der Kandidat wurde also sozusagen nacheinander vergiftet, erdrosselt und erschossen. Letzten Endes erfolgreich, denn Scharenberg hat nun keine Lust mehr, zu kämpfen. Eine Konkurrentenklage habe zwar durchaus Aussicht auf Erfolg, würde sich aber "ewig" ziehen, weshalb er es sein lässt.
Ein Aspekt dieser Geschichte ist übrigens bisher stets unter den Tisch gefallen: Der entblößte Quantifizierungswahn der heutigen Parteigänger von Elitisierung und Exzellenzisierung. Der lag nämlich dem Argument zu Grunde, Scharenberg habe für sein Alter zu wenig Leistung erbracht. Das machte in erschreckender Weise Vizepräsidentin Lehmkuhl auf besagter Diskussionsveranstaltung im Herbst 2007 deutlich. Sie sagte, um zu beurteilen, ob Scharenberg für sein Alter "exzellent" genug sei, "zählt man einfach mal die Publikationen. Da muss man kein Fachwissenschaftler sein."8
Wenn ein Uni-Präsidium nach solchen Kriterien über die wissenschaftliche Qualität einer Person urteilt - und glaubt, damit auch in der Öffentlichkeit durchzukommen - ist im Wissenschaftsbetrieb mehr im Argen als nur das angesprochene kollektive Gedächtnis und die Sensibilität für politisch motivierte Eingriffe. Deutlich wird so einmal mehr, wie wichtig es ist, sich stets zu vergegenwärtigen, nach welchen Kriterien Elite - wörtlich die "Auslese der Besten" - festgelegt wird, und von wem. Ohne sich in die genaue fachliche Beurteilung Scharenbergs einmischen zu wollen - fest steht: Hier hat mit Lenzen eines der prominentesten Mitglieder des "Elite"-Kreises des deutschen Hochschulsektors offensichtlich der Bestenauslese mit halbseidenen Argumenten ein Bein gestellt.
Fußnoten
1 Offener Brief - "Für die Freiheit der Wissenschaft" (14.10.2007)
2 Berliner Zeitung - "Zu links und kritisch für Nordamerika" (14.09.2007)
3 ZEIT - "Hartnäckiges Schweigen" (01.11.2007)
4 tageszeitung - Lenzens dunkle Seiten (18.11.2009)
5 Spiegel Online - "Papstwahl" der Uni Hamburg (19.11.2009)
6 Schon ein paar Jahre vorher hatte sich Lenzen in eine Berufung am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften eingemischt, was dort für viel Unmut sorgte. Der Streit eskalierte nur nicht, weil sich Lenzens Wunschkandidat, Wolfram Weimer vom Magazin Cicero, zurückzog.
7 tageszeitung - "Lenzens Wunschliste kassiert" (19.11.2009)
8 Spiegel Online - "Uni-Präsidium in Erklärungsnöten" (17.10.2007)
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