Gesellschaftliche Verantwortung im AlltagUmgang mit rechten Stammtischparolen
Von Turid Müller
1. Kurz + knapp
Wenn du reden möchtest, solltest du einige Tipps beachten. Bleibe ruhig und gelassen, das wirkt sich auch auf deine/n Gesprächspartner*in aus. Wenn du ruhig bleibst, fällt es deinem Gegenüber auch leichter. Konzentriere dich auf ein Thema zur Zeit. Wenn zwischen Themen gesprungen wird, konzentriere dich auf eins.
Es gibt einige Dinge, die du tun kannst. Was das Richtige ist, musst du jedoch für dich selbst entscheiden. Du könntest dich einfach raushalten oder den Fokus auf etwas anderes lenken, um das Thema zu wechseln. Wenn dir die Parolen zu weit gehen, kannst du auch ein klares Stoppsignal senden. Ist dein Gegenüber aufgeschlossen, kannst du auch ein konstruktives Gespräch führen.
Ja! Zum Beispiel die gewaltfreie Kommunikation. Indem du das Gegenüber mit der „Giraffensprache“ von Rosenberg weg von den Pauschalisierungen und hin zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen führst, setzt du womöglich einen Prozess des Umdenkens in Gang.
2. Wie umgehen mit Rechten?
Als Schauspielerin und Kommunikationspsychologin gebe ich seit vielen Jahren Fortbildungen im Bereich Spontanität und Schlagfertigkeit. Vor einigen Jahren erreichte mich dann die erste Anfrage, ob ich Schlagfertigkeit auch in Bezug auf ein spezielles Thema unterrichten könne: Den Umgang mit Diskriminierung und Parolen betreffend – vor allem von rechts. In meinen Trainings ohne Themenschwerpunkt waren unter den persönlichen Beispielen auch immer wieder solche Fragen gewesen – warum also nicht? Ich sagte zu – nichts ahnend, was das bedeuten würde. Seit diesem Tag erlebe ich eine nie dagewesene Flut von Anfragen. Der Bedarf an Fortbildungen zu diesem Thema scheint enorm. So enorm, dass es mir ein bisschen (manchmal auch ein bisschen mehr…) Angst macht. Denn es zeigt: Gesellschaftlich erleben wir gerade einen deutlichen Umschwung. Einen Backlash. Und dem müssen wir begegnen.
Auch ich erlebe gerade immer wieder Situationen, in denen mir erstmal der Mund offensteht. Aber durch die tiefe Auseinandersetzung mit der Thematik hat sich der Raum meiner Möglichkeiten insgesamt deutlich erweitert. Und je mehr Erlebnisse die Teilnehmenden meiner Kurse an mich herantragen, umso größer wird meine Überzeugung, dass wir es hier mit einer der wichtigsten Herausforderungen der Gegenwart zu tun haben. Es wird uns überall begegnen: In Hörsälen und auf dem Weg zum Praktikum genauso wie auf Familienfeiern oder am Arbeitsplatz. Es ist an uns, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Und dafür sollten wir uns wappnen.
Die zentrale Frage, die sich mir immer wieder (nicht zuletzt durch die Teilnehmenden meiner Workshops) stellt, ist: Macht es überhaupt Sinn, mit Menschen rechter Gesinnung ins Gespräch zu kommen?
Ich denke, diese Frage ist nicht allgemeingültig zu beantworten. Es ist wichtig, zu differenzieren: Kommunikationspsychologisch können wir festhalten, dass die Frage individuell und sowohl situationsspezifisch als auch in Abhängigkeit vom Gegenüber zu beantworten ist. Das heißt: Ich beantworte sie anders als jemand anders. Alle, die diesen Artikel lesen, beantworten die Frage für sich auf unterschiedliche Weise. Und wichtig ist, zu berücksichtigen, wie die Situation ist, z.B., ob ich mich mit meiner Antwort in Gefahr begebe oder ob es quasi unterlassene Hilfeleistung wäre, mich rauszuhalten.
Auch vom Gegenüber hängt es ab: Mit meinem Onkel kann ich vielleicht zwischen Steak und Crème brûlée ins Gespräch kommen und eventuell sogar ein Umdenken anstoßen. Von Diskussionen mit Nazikadern dagegen wird in der Regel abgeraten. Sie sind unter Umständen zu gut geschult. Ein Podium für Nazis wollen wir ja nicht bieten.
In solchen Situationen kann es sinnvoller sein, sich zunächst zurückzuhalten. Oder den Fokus auf die zu lenken, die vielleicht erreichbar oder sogar unserer Ansicht sind – aber bislang am Gespräch unbeteiligt. Ich beantworte die Frage für mich persönlich so: Es gibt viele Situationen, in denen es sinnvoll ist, zu handeln. Aus den unterschiedlichsten Gründen: Um Menschen zu verteidigen, um Einsicht zu erzielen. Oft aber auch nur für mich selbst – damit ich mich nicht habe verändern lassen. Damit ich reinen Gewissens in den Spiegel sehen kann und weiß: Ich bin nicht stumm geblieben.
Für die Situationen, in denen ich einschreiten möchte, rüste ich mich.
3. Welche grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten gibt es?
In meinen Schulungen ist das die Stelle, an der ich für gewöhnlich ein Bäumchen-Diagramm zeichne: Die Hälfte der Reaktion haben wir im Grunde geschafft, wenn es uns gelingt, eine Entscheidung zu treffen, ob bzw. wie wir reagieren wollen.
Zunächst ist es vermutlich hilfreich, durchzuatmen und einen Augenblick lang in uns zu gehen. Vor unserem geistigen Auge könnten wir nun das Bäumchen-Diagramm ausklappen. Um uns zu entscheiden, was wir tun wollen, sollten wir zunächst zwei Dinge klären: Was will ich erreichen? Und: Was bin ich bereit, zu riskieren – oder auch nicht? Die Antwort auf diese Fragen bestimmt die Abzweigung im Bäumchen-Diagramm.
Wenn ich mit meiner Chefin spreche, will ich die Beziehung vielleicht grundsätzlich nicht aufs Spiel setzen. Da habe ich bei einem Fremden in der U-Bahn andere Voraussetzungen. Dafür habe ich bei meiner Chefin vielleicht keine Angst um Leib und Leben – den Mann in der U-Bahn kann ich nicht einschätzen. In Abhängigkeit unserer Antworten auf die beiden Fragen oben, sehe ich einige grundsätzliche Möglichkeiten:
Nichts tun: Mich raushalten, nicht drauf einsteigen, die Situation verlassen, mich in Sicherheit bringen.
Den Fokus auf etwas anderes lenken: Andere Themen oder Menschen zum Zentrum des Gespräches machen.
Die Reaktion verschieben: Nicht sofort reagieren, sondern später.
Konstruktiv ins Gespräch kommen: Einen gelungenen Austausch anstreben.
Ein deutliches Stopp-Signal senden: Klar machen, dass hier eine Grenze erreicht ist.
Humorvoll parieren: Antworten – aber entschärft bzw. mit erweiterter Narrenfreiheit durch Humor.
4. Jetzt oder nie?
Turid Müller – Schauspielerin und Diplompsychologin – arbeitet an den Schnittstellen von Kommunikation und Kreativität. Unter anderem als Leiterin von Kreativitäts- & Präsentationstrainings.
Und als „Teilzeitrebellin“ im Bereich Chanson/Musikkabarett:
Wenn ich partout nicht weiß, wie ich mich verhalten soll, kann es stimmig sein, „nichts“ zu tun (nichts ist auch etwas). Oder schlicht zu gehen – was ja ggf. auch etwas aussagt. Dann ist aber nichts verloren. Oft gibt es eine zweite Chance: Sagen wir mal, eine Kollegin hat eine pauschalisierende Äußerung über Migrant*innen gemacht. Die bekämen alles vorn und hinten reingeschoben und die Deutschen müssten am Existenzminimum rumkrebsen. Nun habe ich naturgemäß nicht alle Fakten dazu parat. Schon gar keine Zahlen! Aber mein Bauch und meine Lebenserfahrung sagen mir, dass ihre Behauptungen so nicht stimmen. Ohne Fakten will ich mich aber nicht auf eine Diskussion einlassen: Wer weiß, ob sie mich am Ende vorführt!? Also sage ich erstmal nichts dazu.
Aber zu Hause setze ich mich hin und mache mich schlau. Zum Beispiel mit den inhaltlichen Argumentationshilfen, die unten in der Link-Liste stehen. Die wichtigsten Zahlen notiere ich mir. Und in der nächsten Mittagspause setze ich mich zu der Kollegin und komme auf das Thema zurück. Ich hätte mich sogar dafür verabreden können. Dann ist mein Inneres vielleicht auch beruhigter, sowas nicht sang und klanglos hinzunehmen. Das könnte zum Beispiel so klingen: „Das ist ein wichtiges Thema, dass du da ansprichst. Lass uns demnächst mal ausführlich darüber reden.“ Wir dürfen uns erlauben, die Reaktion aufzuschieben. Spontanität darf auch mal vorbereitet werden.
5. Ablenken?
Ablenken kann sinnvoll sein. Zum Beispiel den Fokus weg von geschulten Nazikadern zu lenken wie oben beschrieben. Aber auch unter anderen Umständen kann das Suchen von Verbündeten eine hilfreiche Strategie sein. Das kann im laufenden Gespräch passieren oder auch vorbereitend auf eine mögliche Wiederholung der Situation. Den Fokus zu lenken kann auch in Momenten, die Zivilcourage erfordern, das Mittel der Wahl sein.
Angenommen, in der Bahn sitzt eine Frau mit Kopftuch. Ein Typ steigt ein und pöbelt sie an. Was tun? Den Typ in seine Schranken weisen? Der ist ziemlich groß und sieht nicht aus, als ob er unbedingt darauf besteht, verbal zu bleiben… In dem Fall kann ich mich zu der Dame setzen und ein Gespräch anfangen: Sie bekommt meine Aufmerksamkeit, nicht er. Das ist auch ein wenig pädagogisch wertvoll. Denn sein aggressives Verhalten wird nicht mit Aufmerksamkeit belohnt. Und es bedeutet für mich eine niedrigere Hemmschwelle. Es wirkt potenziell deeskalierend.
Und die Frau fühlt sich vermutlich auch mehr gestärkt und in Sicherheit, als wenn ich den Kerl, der auf Krawall aus ist, auch noch reize. Es ist völlig egal, worüber ich rede. Es muss gar nichts mit dem Vorfall zu tun haben. Ich kann sie begrüßen, übers Wetter reden – egal! Hauptsache ich schaffe durch das Gespräch einen imaginären Schutzraum für sie. Der Aggressor verliert unsere Aufmerksamkeit und mit Glück auch bald die Lust, die Dame weiter zu drangsalieren.
6. Klare Kante?
Auch ein Themenwechsel kann unter Umständen sinnvoll sein. Um dem Gedankengut keinen Raum zu geben. Oder auch um mir meine Kraft nicht rauben zu lassen. Wenn ich zum Beispiel beratend tätig bin, kann ich darauf hinweisen, dass es in der Beratung nicht um bestimmte Menschengruppen geht, sondern um die ratsuchende Person selbst, und dass ich nun zu diesem Thema zurückkehren möchte. Oder ich mache meinem Kollegen klar, dass ich nicht die richtige Ansprechpartnerin für bestimmte Gesprächsthemen bin. Oder ich mache unter Verweis auf die Gesprächsregeln klar, dass bestimmte Themen hier nicht hergehören – und ich benenne, worum es sich handelt: Rassismus.
Bei Familienfeiern reicht vielleicht die Frage nach dem Lieblingshobby meines Schwiegervaters, um einen weiteren „Vortrag“ zu verhindern – wenn es nicht der richtige Augenblick für Gegenrede ist.
In einigen Situationen kann es wichtig sein, dem Kind einen Namen zu geben: „Das ist Sexismus!“ oder „Das ist ein Vorurteil!“. Das kann zum Beispiel wichtig sein, wenn es kein konstruktives Gespräch, sondern eine klare Grenzziehung braucht – zum Beispiel um Personen oder Räume zu schützen. Stichwort: „Don‘t feed the troll!“.
Das kann zum Beispiel auch bei so genanntem bürgerlichen Rassismus („Ich bin kein Rassist, aber…“) zum Tragen kommen: Dann könnte unser Vorgehen darin bestehen, das „aber“ zu entkräften: „Eine Bevölkerungsgruppe zu verallgemeinern ist per definitionem rassistisch." Das gilt auch für Opfer-Rhetorik: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen?“ ist abzuweisen und richtigzustellen: Die Meinungsfreiheit erlaubt uns zwar, alles zu sagen – aber in den Grenzen von Gesetz und Rechtsstaatlichkeit!
Ein klares „Nein!“ kann auch bedeuten, zu anderen Mitteln zu greifen – zum Beispiel zu juristischen. Hier kann es Sicherheit geben, sich über die rechtliche Grundlage zu informieren. Gegen rassistische Witze am Arbeitsplatz etwa gibt es eine rechtliche Grundlage. Solche Wege kann ich auch beschreiten, wenn das Maß voll bzw. andere Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Hierbei ist wichtig, zu bedenken, welche Folgen das für die Person haben könnte, die ich damit schützen will.
7. Miteinander reden?
Auf der anderen Seite gibt es auch Ereignisse, die es möglich machen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Auf möglichst konstruktive Art und Weise. Dabei helfen zum Beispiel folgende Anregungen:
In der Ruhe liegt die Kraft: Wenn dein Körper, deine Stimme und deine Worte ruhig bleiben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch dein Gegenüber ruhig bleibt.
Datencheck: Bei Stammtischparolen frag nach persönlichen Erlebnissen, nach Zahlen, Daten, Fakten und Quellen. Gegebenenfalls wird klar, wie wenig faktenbasiert die Meinungen sind. Ansonsten kannst du gegenargumentieren.
Logik: Weise auf logische Fehler hin und lass dir erklären, wie die ggf. widersprüchlichen Behauptungen zusammenpassen.
Eins zurzeit: Wirst Du mit einer Flut von Parolen überschüttet, greif eine einzelne raus, zu der du etwas zu sagen hast. Bleib thematisch bei ihr.
Konkret: Wenn die Parolen allgemein und schwammig bleiben, werde möglichst konkret. Im Allgemeinen kann man etwas schwer widerlegen.
Fakten allein überzeugen nicht: Berichte von persönlichen Beispielen und von Menschen, die du kennst. Fakten allein führen nicht zur Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen. Dazu müssen Menschen emotional berührt werden.
Konsequenzen: Mach deutlich, was die Konsequenzen der geäußerten Forderungen wären. Zum Beispiel durch die Frage: „Willst Du das wirklich?“. Denkt die Ideen gemeinsam zu Ende: Wie sähe die Welt dann aus?
Dass uns nichts einfällt, gibt es nicht: Wenn du sprachlos bist, nutze das, was du in deinem Inneren findest als Basis, von der aus du starten kannst: „Ich bin sprachlos…“ ist ein guter Ansatz, von dem aus du weiterreden kannst. Dein Schock ist der Baustein, auf den du deine Reaktion aufbauen kannst. Du hast den roten Faden gefunden und spinnst ihn nun weiter: „Ich bin sprachlos, weil mich überrascht, wie du zu dem Thema stehst…“ Dann kannst du in die Argumentation einsteigen: „Ich sehe das anders, denn…“
Deeskalation: Verlangsamen und beruhigen kannst du durch eine Technik aus dem „Aktiven Zuhören“, dem Paraphrasieren: Dabei wiederholst du in einer kurzen Zusammenfassung den zentralen Punkt in der Argumentation des Gegenübers mit einem kleinen Fragezeichen am Ende, um zu prüfen, ob du richtig verstanden hast. Wenn dein Gegenüber das bejaht, baust du dein Gegenargument auf diesem Kern auf. Das begünstigt gegenseitiges Verständnis. Verstehen heißt aber nicht zustimmen – keine Sorge! Und die Essenz der Haltung auf den Punkt zu bringen, kann durchaus provokant sein.
Beim Thema bleiben: Wenn Themenwechsel stattfinden oder zusammenhangslose Aussagen ins Feld geführt werden, bleib beim Thema und mach deutlich, dass das Eine nichts mit dem anderen zu tun hat.
Die Kompliment-Technik: „Bei Ihrer Belesenheit hätte ich eine differenzierte Einschätzung erwartet“ könnte beispielsweise die Antwort auf ein Vorurteil sein, wenn ich die Beziehung zu dem Betreffenden nicht belasten will – aber meinen Mund aufmachen.
Auch viele der üblichen Verdächtigen aus dem Bereich der Kommunikationspsychologie können hilfreich sein: Zum Beispiel gewaltfreie Kommunikation. Indem wir das Gegenüber mit der „Giraffensprache“ von Rosenberg weg von den Pauschalisierungen und hin zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen führen, setzen wir wohlmöglich einen Prozess des Umdenkens in Gang: Was sind die unerfüllten Bedürfnisse, die hinter meiner Wut auf „die Ausländer, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen“ stehen? Die Gesprächstechnik wirft den Menschen, mit dem wir sprechen, sanft auf sich selbst zurück und führt zur Wurzel der Weltanschauungen.
Die Idee dahinter: Alles, was Menschen tun, geschieht, um Bedürfnisse zu befriedigen. Gefühle geben Auskunft über unsere Bedürfnisse: Ist ein Bedürfnis erfüllt, haben wir so genannte „positive Gefühle“. Unerfüllte Bedürfnisse machen sich durch sogenannte „negative Gefühle“ bemerkbar. Die Menschen, die uns als „Wölfe“ erscheinen, weil sie Vorurteile haben, Schuldzuweisungen aussprechen usw., sind in Wirklichkeit „Giraffen mit Sprachschwierigkeiten“. Diese Haltung verändert viel in der Kommunikation. Ich kann mein Gegenüber auf jeden Fall nicht mehr als politischen Gegner sehen. Sondern ich sehe einen Menschen mit unerfüllten Bedürfnissen. Und vermutlich mit wenig erfolgversprechenden Strategien zu ihrer Erfüllung.
Diese Haltung kann den Boden für ein Gespräch auf Augenhöhe schaffen. Ganz anders zum Beispiel als bei einer schulmeisterlich-belehrenden Haltung, habe ich hier weniger mit Widerstand zu rechnen. Mitgefühl ist wahrscheinlicher. Natürlich gibt es viele Fälle, in denen uns diese Haltung angesichts der verbalen Entgleisungen unserer Mitmenschen unstimmig oder übernatürlich erscheint. Aber in einigen Konstellationen mag es hilfreich sein. Zum Beispiel, wenn ich mit den Menschen arbeiten muss, weil sie meine Klient*innen sind.
8. Humor! Ernsthaft?
Humor kann ebenfalls eine solche hilfreiche innere Haltung entfalten. Auch wenn es uns vielleicht auf den ersten Blick unangemessen erscheinen mag, bei solch grauenvollen Weltanschauungen mit Humor zu parieren. Manchmal ist es die wirksamste Gegenwehrt, die Lacher auf der eigenen Seite zu wissen. Nicht alle von uns sind humorvoll und schlagfertig – schon gar nicht in Situationen, die uns aufregen. Zum Glück gibt es Formeln für Witze. Und zusammen mit Training ermöglichen sie es, schneller etwas Passendes parat zu haben. Hier zwei meiner liebsten Humor-Techniken:
Imitieren:
Der Klassiker wäre die positive Diskriminierung eines Biodeutschen zu jemandem mit Migrationshintergrund: „Du sprichst aber gut Deutsch.“
„Danke. Du auch.“
Wir zahlen dabei mit möglichst gleicher Münze zurück und führen das Gegenüber auf diese Art vor. Wichtig: Je exakter der Nachbau, desto geschickter schlagen wir den anderen mit den eigenen Waffen.
Überakzeptieren:
Akzeptieren reicht nicht. Wir müssen über die Realität hinaus gehen, um Humor zu erzeugen. Wenn also Tante Hildegard beim nächsten Familientreffen prophezeit, dass dein Partner, der aus dem Iran kommt, dich demnächst mit einem Kopftuch verschleiern will, sagst du einfach: „Oh verdammt, ich habe die Burka zu Hause gelassen!“ – Ich vermute, danach ist mindestens einen Augenblick lang Ruhe. Und wer weiß: Vielleicht ist nach dem gemeinsamen Lachen ja der Boden bereitet, um mal ernsthaft darüber zu reden, wie es dir und deinem Partner mit den besorgten Stimmen aus der Familie geht.
Mund zu, es zieht!
Wenn sich all diese Ideen nicht sofort umsetzen lassen, hab Geduld mit Dir. Es dauert eine Weile bis neue Möglichkeiten ihren Weg in unser kommunikatives Repertoire finden. Vielleicht hilft es, einen kleinen Zettel im Portemonnaie zu haben und darauf die Strategien zu notieren, die dich am meisten ansprechen? Bei der nächsten Situation wirst du vermutlich hinterher merken, dass du es wieder runtergeschluckt hast. Beim übernächsten Mal merkst du es in der Situation, weißt aber nicht, wie du dich verhalten sollst. Beim überübernächsten Mal probierst du eine dieser Anregungen aus, aber es geht schief. Und dann langsam bilden sich neue Bahnen.
Dazu ist es wichtig, dass wir uns erlauben, es vorher auszuprobieren und falsch zu machen. Also los! Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt! Wenn du den Artikel schließt und raus gehst in die Welt der sozialen Netzwerke und der realen Begegnungen. Und: Wenn du dein Gegenüber auch vielleicht nicht überzeugen kannst – dann tu es für dich:
„Weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuflein Dreck.“ Astrid Lindgren
Online auf Zack gegen rechte Hetze
Shitstorm: Wenn die Auseinandersetzung im Netz stattfindet, kann es sinnvoll sein, nicht alle Postings einzeln zu beantworten, sondern ein gesammeltes Statement abzugeben.
Grenzen setzen: Erinnere an die Gruppenregeln oder führe ggf. welche ein.
Unterstützung holen: Schalte die Administrator*innen der Gruppen ein.
Konsequenzen: Kannst Du den Vorfall bei den Betreiber*innen des sozialen Netzwerkes melden?
Juristische Konsequenzen: Meldestelle für Hass im Netz ist das BKA.
#ichbinhier: Die CounterSpek-Gruppe geht gegen Hass-Speach im Internet vor.
Entfreunden oder gegen Echokammern wirken: Gedanken zum Umgang mit rechtsgesinnten in der Freundesliste findest Du hier und hier.
Initiativen gegen Hass im Netz: Hogesatzbau, NETTZ und no hate speech.
Weiterführendes
Literaturtipps
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Links
- Dr. Claus Leggewie: Mit Rechten reden? (YouTube-Video)
- Antifeminismus als Demokratiegefährdung?! Gleichstellung in Zeiten von Rechtspopulismus
- Argumentationshilfen gegen Diskriminierung
- Argumentationshilfen für Asyl
- Kommunikations-Coaching: Wie Sie rechtspopulistische Phrasen kontern
Hinweis: Der Artikel stammt von 2019. Die Studis Online-Redaktion hat zuletzt am oben angegebenen Datum die Links geprüft und bei Bedarf aktualisiert oder ersetzt. Ansonsten ist der Inhalt im Grunde (leider) zeitlos.