Protest gegen KahlschlägerKürzungswelle an Hochschulen
Richtig hoch her gegangen war es bereits am Mittwoch der Vorwoche in Bremen. Ein Zug von rund 2000 Schülern, Studierenden und Hochschulmitarbeitern zog lautstark durch die Innenstadt und skandierte Losungen wie "Bildungsabbau stoppen", "Bildung am Limit" und "Für eine radikale Entschleunigung des Studiums". Man wolle nicht nur geplante Kürzungen stoppen, sondern fordere im Gegenteil "mehr finanzielle Mittel für Bildung im Allgemeinen", bekräftigte Kristin Reimers vom "Aktionsbündnis Universität Bremen" in ihrem Redebeitrag. Ferner machten die Demonstranten ihrem Unmut über volle Hörsäle und Seminare, Personalabbau, den Ausfall von Schulstunden und unbezahlte Überstunden von Lehrkräften Luft.
Sparen wieder in Mode: Viele Hochschulen in Deutschland müssen den Gürtel ab 2014 deutlich enger schnallen, obwohl das Geld für solide Räumlichkeiten und Lehre dringend benötigt wird
Auf die Beine gestellt hatten die Demo die Gesamtschülervertretung (GSV) und Studierendenvertreter der Uni sowie der Hochschule Bremen. Die Menschenmenge war am Hauptbahnhof gestartet und machte Station bei der Bildungsbehörde und der Bremischen Bürgerschaft. Darin beschlossen am gestrigen Mittwoch die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen den Doppelhaushalt 2014/15. Während der Parlamentssitzung demonstrierten etwa 50 Studenten gegen die geplanten Sparmaßnahmen und warfen Kopien von Geldscheinen und Flugblätter in den Plenarsaal.
Bremer Hochschulen auf Sparkurs
Für die Universität Bremen sieht der verabschiedete Etat in den nächsten beiden Jahren die Streichung von rund 90 Planstellen bei wissenschaftlichen Mitarbeitern und in der Verwaltung vor. Ursprünglich sollten sogar 130 Arbeitsplätze dem Rotstift geopfert werden. Als Reaktion auf den geballten Protest durch Studierende, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Uniangstellte will die Regierung nun 40 Stellen weniger plattmachen.
Noch viel härter könnte es die Hochschule Bremen erwischen. Dort brütet das Rektorat gegenwärtig über dem sogenannten "Strategieentwicklungsprozess", kurz "Step 2020". Nach Einschätzung des Allgemeines Studierendenausschusses (AStA) laufen die Planspiele darauf hinaus, dass in den kommenden Jahren 40 Prozent aller Studienplätze wegfallen könnten und ganze Studiengänge dichtmachen müssen, was, so die Sorge, "schon einer Teilschließung gleich käme".
Heile Welt im Koalitionsvertrag
Nur wie passen solche Aussichten mit den Bekenntnissen der kommenden Bundesregierung zusammen? Im Koalitionsvertrag von Union und SPD erscheint die hochschulpolitische Zukunft nämlich geradezu verheißungsvoll. Dort liest man zum Beispiel: "Unsere Kernanliegen sind die Stärkung der Hochschulen, die Stärkung der Wissenschaftsorganisationen und die Förderung strategischer Profile und Kooperationen im Wissenschaftssystem." Und weiter heißt es: "Wir gewährleisten Planungssicherheit und schaffen eine nachhaltige Perspektive für das deutsche Wissenschaftssystem." In den kommenden Jahren wolle man dazu "den Hochschulen mehr Geld zur Grundfinanzierung zur Verfügung stellen".
Das sind lautere Absichten, nur wie will man das bewerkstelligen, wenn die Bundesländer auch weiterhin das alleinige Sagen bei den Hochschulen haben. Ihr Anteil an deren Finanzierung beträgt 80 Prozent, zehn Prozent kommen vom Bund, der Rest aus privaten Quellen. Die Bundesregierung kann und darf lediglich über Sonderprogramme wie den Hochschulpakt oder die Exzellenzinitiative Geld zuschießen. Solange das im Grundgesetz verankerte sogenannte Kooperationsverbot in Bildungsfragen weiterbesteht, bleiben die Spielräume des Bundes eng begrenzt. Und im Koalitionsvertrag findet sich – wie berichtet – eben kein einziges Wort dazu, die Regelung in absehbarer Zeit kippen zu wollen.
Eingestürzte Decke
Die Lage wird sich sogar weiter anspannen, weil sich der Bund im Rahmen der seit 2006 geltenden Föderalismusreform von der bis dahin gemeinsamen Aufgabe des Hochschulbaus verabschiedet hatte. Immerhin ließ er übergangsweise Kompensationsmittel für die Länder springen, allerdings läuft die Zweckbindung der Zuschüsse zum Jahresende aus. Die durch die sogenannte Schuldenbremse zum Sparen verdammten Länder können diese dann auch für beliebig andere Dinge einsetzen. So drohen die Gelder zum Stopfen aller möglichen Löcher verwendet zu werden und die Hochschulen leer auszugehen. 2020 soll es dann endgültig Schluss sein mit den Zuwendungen des Bundes.
Wohin das führen kann, zeigt sich an der Uni Erlangen. Dort kam im Juli die Decke runter. Mitten in der Nacht krachte ein 200 Kilogramm schwerer Brocken auf den Arbeitsplatz eines Archäologen. Die Tageszeitung Die Welt titelte ob dieses Geschehnisses: "Deutsche Unis sind überlastete Milliardengräber". Dazu passt auch ein aktueller Bericht der Süddeutschen Zeitung über den wachsenden Einfluss der Rüstungsindustrie auf Forschung und Lehre auf dem Wege der Drittmittelvergabe. Eine Folge der rückläufigen öffentlichen Finanzierung besteht demnach darin, "dass man Aufträge nimmt, egal, woher sie kommen".
Hochschulabbau Ost
Der "freie zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) hat angesichts der vielerorts anstehenden Kürzungen vor "beispiellosen Kahlschlägen" gewarnt. Einen Vorgeschmack liefert insbesondere ein Blick in den Osten der Republik. Nach Darstellung des bundesweiten Bündnisses "Bildung braucht" benötigt beispielsweise die Universität Greifswald in den nächsten zwei Jahren zusätzliche Mittel in Höhe von 13,4 Millionen Euro. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern stelle aber lediglich 3,2 Millionen Euro in Aussicht. In der Konsequenz drohten Stellenstreichungen bei wissenschaftlichen Mitarbeitern, Abstriche bei der Betreuungssituation sowie der Wegfall von Studiengängen. Wie die regionale Presse schreibt, könnte sämtlichen Landeshochschulen in den kommenden Jahren ein Defizit von 40 Millionen Euro ins Haus stehen.
Ähnlich die Situation in Thüringen, wo insgesamt 500 Stellen von Wissenschaftlern auf der Kippe stehen. Die Universität Jena muss beispielsweise sieben Millionen Euro einsparen, 20 bis 30 Professuren drohen wegzufallen, auch hier bleiben wohl ganze Studiengänge auf der Strecke. Alle weiteren Landeshochschulen werden ebenso auf Sparflamme gesetzt. Mehr als 1000 Stellen sollen bis 2020 an den sächsischen Hochschulen abgebaut werden. Sachsen-Anhalts höchste Bildungsanstalten sollen zwischen 2015 und 2025 mit jährlich fünf Millionen Euro weniger Geld auskommen. An der Uni Leipzig rechnet man so zum Beispiel über kurz oder lang mit dem Wegfall der Pharmazie.
Protestreiche Jahre?
"Gemeinsam haben diese und etliche weitere Bundesländer den Wegfall von Studienplätzen, die Zusammenlegung von Fakultäten sowie Entlassungen in Lehre und Verwaltung", erklärte Steffen Regis, Sprecher von "Bildung braucht". Vergleichbar schlecht ist demnach auch die Lage in Berlin und im Saarland. "Die Bundesländer werden über kurz oder lang durch nicht ausgleichbare Inflation, tarifbedingte Lohnsteigerungen und steigende Energiekosten ihre Bildungseinrichtungen nicht halten können, so Regis düstere Prognose.
Der Bund müsse deshalb "umgehend Maßnahmen gegen die fortschreitende Finanznot beschließen, um einen länderübergreifenden bildungspolitischen Notstand abzuwenden". Wirklich hoffnungsfroh ist der Aktivist jedoch nicht. So lasse der Koalitionsvertrag "entbehrungs- und protestreiche vier Jahre erwarten." Immerhin: Geräuschlos geht der Hochschulabbau nicht über die Bühne. Beispielsweise zogen in Greifswald am Dienstag 500 Menschen gegen die Kürzungen durch Straßen. Proteste gab es außerdem am Mittwoch in Erfurt. Um die Pläne zu stoppen, braucht es gewiss mehr Widerstand. Aber ein Anfang ist gemacht.
(rw)