Interview mit Clemens Knobloch"Das CHE-Ranking gehört abgeschafft"
Clemens Knobloch ist Professor für Sprachpsychologie, sprachliche Kommunikation und Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft am Fachbereich 3 der Universität Siegen. Sein Fachbereich hat sich gegen eine weitere Beteiligung am CHE-Ranking ausgesprochen.
Studis Online: Wie ist es derzeit um die Akzeptanz des CHE-Rankings bestellt?
Clemens Knobloch: Dass die Akzeptanz des CHE-Ranking rapide schwindet, ist schon daran zu erkennen, dass die Leitung des Bertelsmann-Instituts von Uni zu Uni reist, um den Schaden für die Firma zu begrenzen. Der Kittel brennt. Man gibt sich lernbereit im Hause Bertelsmann und erklärt, die Kritik zur "Verbesserung" des Ranking-Verfahrens nutzen zu wollen. Aber ein Verfahren, dass aus gewollten Unterschieden Rangplätze macht, ist nicht zu verbessern. Es gehört abgeschafft.
Wie schätzen Sie derzeit die Möglichkeit eines breiter organisierten Ausstiegs aus dem CHE-Ranking in Deutschland ein?
Im Augenblick ist die Lage günstig. Die politischen und ökonomischen Akteure versuchen, die anwachsende Kritik der Studierenden und mancher Medien auf die eigenen Mühlen zu lenken. Man versucht den Eindruck zu erwecken, die Kritik werde ernst genommen und berücksichtigt.
Tatsächlich wird es darauf ankommen, dass die Proteste weitergehen. Die Studierenden sollten sich ebenfalls am CHE-Ranking nicht mehr beteiligen. Ich weiß von mehreren weiteren Hochschulen, dass der Ausstieg aus dem Ranking im Gespräch ist.
Was für ein Interesse hat die Bertelsmannstiftung, die als gemeinnützig firmiert, sich dafür einzusetzen, dass der Bildungsbereich nach dem Wettbewerbsprinzip organisiert wird und welche Rolle spielen Hochschulrankings in diesem Zusammenhang? oder Wie gemeinnützig ist das CHE?
Eine Auswahl von aktuellen "Verweigerern" des CHE-Rankings:
Fachbereich Sozial- und Gesundsheitswesen der FH Ludwigshafen (war früher: Evangelische FH Ludwigshafen, Februar 2008)
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Kiel (Juli 2009)
die Fachbereiche 2 (Erziehungswissenschaft und Psychologie), 3 (Sprach-, Literatur und Medienwissenschaften), (Juli 2009) und 8 der Uni Siegen
Berufsverband der deutschen Historiker VHD (Juli 2009; offenbar wollen viele historische Institute und Seminare sich nicht mehr am CHE-Ranking beteiligen)
Fachbereich Bildungswissenschaften der Uni Koblenz-Landau (September 2009)
Uni Bonn (Dezember 2009)
Weitere aktuelle Kritik:
Die Bildungsgewerkschaft GEW hat auf dem Gewerkschaftstag 2009 beschlossen, "über Kontaktpflege und Positionsaustausch hinaus nicht mehr mit der Bertelsmann-Stiftung zusammen[zu]arbeiten", da "die Bertelsmann-Prinzipien Wettbewerb, Markt, Effizienz und Effektivität" den bildungspolitischen Leitlinien der GEW entgegenstehen.
Auch in Österreich und der Schweiz haben einige Hochschulen ihren Ausstieg aus dem CHE-Hochschulranking bekanntgegeben. Zu den Hintergründen kann man einiges in einem derStandard.at-Interview (2007) mit dem Geschäftsführer der Österreichischen Qualitätssicherungsagentur (AQA) nachlesen. Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass die Überschrift der Interviews etwas zu weitgehend ist. Es beteiligen sich weiterhin Hochschulen am Ranking. Diese dann aber direkt und ohne Beteiligung der AQA.
Clemens Knobloch: Das CHE ist ungefähr so gemeinnützig wie die Pharmalobby, der ja auch nur unsere Gesundheit am Herzen liegt. Langfristig ist der Bildungsmarkt für große "content provider" wie Bertelsmann eine Lizenz zum Gelddrucken. Verpunktung und Modularisierung schaffen längerfristig vermarktbare Wissens- und Bildungseinheiten. Je prekärer die Verhältnisse am neuakademischen Arbeitsmarkt werden, desto größer wird die Bereitschaft der Mittelschicht, für die Bildungsabschlüsse ihrer Kinder viel Geld zu investieren. Das wird das größte Privatgeschäft seit der Riesterrente. Außerdem hat das Haus Bertelsmann auch eine ideologische Sendung: die Durchdringung aller öffentlichen Bereiche mit dem Geist von Markt, Wettbewerb, Konkurrenz.
Was für Grundannahmen liegen dem Betreiben von Rankings und dem Glauben an die Vergleichbarkeit von Hochschulen mit vollkommen unterschiedlichen Ausrichtungen zugrunde?
Jedes Ranking zielt notwendigerweise darauf, die Rangunterschiede herzustellen, die es zu messen vorgibt. Rankings "funktionieren" wie sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Wer schlechte Ergebnisse erzielt, der wird beargwöhnt, erhält weniger Mittel und wird tatsächlich "schlechter". Gute Rangplätze können dagegen leicht in (materielle, reputative etc.) Ressourcen umgewandelt werden, also wird man "besser".
Seriöse Sozialwissenschaftler (sogar die des Statistischen Bundesamtes! Siehe die Tagung vom 9./10. November 2006 in Wiesbaden) sprechen dagegen von der praktisch unlösbaren Schwierigkeit, die Qualität von Forschung und Lehre in Rankings zu operationalisieren. Und mit Bezug auf die Adressaten solcher Rankings sprechen sie von Entmündigung und Steuerungsversuchen. Jedes Hochschulranking stellt einen Versuch dar, die Hochschulen von außen, insbesondere durch kommerzielle Interessen, zu steuern.
Die Hochschulen wurden in den letzten Jahren im Zuge des Bologna-Prozesses und werden derzeit immer noch massiv umgebaut, sowohl auf Ebene der Studienordnungen (Bachelor / Master), als auch der Rahmengesetzgebung (Ziel- und Leistungsvereinbarungen, Leistungsbezogene Mittelvergabe) und der Finanzierung (Studiengebühren). Welche Rolle spielte - und spielt - dabei das Centrum für Hochschulentwicklung?
Das CHE ist seit seiner Gründung 1994 der wichtigste kompakte Akteur der deutschen Hochschulpolitik. Alle "Reformen", die in ihrer Gesamtheit einer externen Machtübernahme an den Unis gleichkommen, sind vom CHE ersonnen. Von den Studiengebühren über die Budget-Autonomie, die faktisch das Gegenteil von Autonomie ist, bis zu den Hochschulräten und den verbindlichen Akkreditierungen. Das NRW-"Hochschulfreiheitsgesetz" wurde faktisch vom CHE übernommen. Seit einiger Zeit agiert das CHE "zweihändig", es hat neben dem "gemeinnützigen" CHE einen Zweig "CHE-Consult" aufgemacht, der unmittelbar mitverdient an Beratung, Steuerung der Hochschulen etc.
Weg mit dem CHE-Ranking?
Wird die Zuweisung von öffentlichen Mitteln von dem Abschneiden einer Hochschule in einem Ranking abhängig gemacht?
Augenblicklich ist die Kopplung zwischen Rankings und öffentlicher Mittelzuweisung noch indirekt. Direkt hängt die Mittelzuweisung von den so genannten "Zielvereinbarungen" ab, in denen die zuständigen Landesministerien die Bedingungen dafür festlegen, dass sie weiterhin einen großen Teil der Hochschulbudgets finanzieren.
An der privaten Zeppelin Universität am Bodensee soll eine Professur für "Reformkommunikation" eingerichtet werden. Wie bewerten Sie dies vor dem Hintergrund der stattfindenden Umdeutung von Begriffen wie "Autonomie", "(Hochschul-)Freiheit" etc.?
Das Witzige ist ja eher, dass man zur Implementierung des neuakademischen Jargons durchaus keine Professur braucht. Jeder Depp kann ja die Leier von Autonomie, Effizienz, Freiheit, Profilbildung, Qualitätsmanagement herunterbeten. Es ist auch überall die gleiche Leier, der basso continuo der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, gleich ob es um Gesundheit, Kindergärten, Stadtverwaltungen, Schulen oder Universitäten geht.
Das Problem ist eher, dass man an den Universitäten keinerlei Übung im Umgang mit diesen Sprechblasen hat. Sie sind einwandsimmun. Stellen Sie sich mal hin und sagen: "Meine Uni soll nicht autonom sein". Und wenn Sie erklären, dass sich hinter dem schönen Wort "Autonomie" die Zwangsjacke für jedermann verbirgt, dann hört schon keiner mehr zu. Das Wort klingt ja so schön!
Auch in Nordamerika und Kanada gibt es Hochschulrankings. Sie werden dort u.a. von dem Magazin Maclean's und dem U.S. News & World Report durchgeführt. In Kanada entschlossen sich 2007 mehrere große Universitäten, darunter die Universität Toronto, die in den Rankings regelmäßig gut abgeschnitten hatte, zum Boykott des Rankings, da ihnen die Vergleichbarkeit nicht gewährleistet erschien.
Welche Gemeinsamkeiten bestehen zwischen den Rankings der Bertelsmannstiftung und denen von Maclean's und U.S. News & World Report?
Bertelsmann pflegt, wie jeder Konzern, die Selbstdarstellung, wonach die eigenen Rankings toll und die der Konkurrenz völlig wertlos sind. Handfeste Größen sind Drittmittel, Preise, Veröffentlichungszahlen, Absolventen, Zitation. Aber alle Rankings können in der Gewichtung der Faktoren so abgemischt werden, dass man sie strategisch als Steuerungen einsetzen kann.
Die European University Association (EUA) kündigt in einer Pressemitteilung vom 05.02. für 2011 die erstmalige Bereitstellung einer "annual review of international higher education rankings" an, in der die Methodik der jeweiligen Rankings kritisiert und Vorschläge für Verbesserungen gemacht werden soll.
Wie schätzen Sie diese Initiative ein?
Als Beobachter der medienöffentlichen Kommunikation werte ich das als ein Zeichen für die sinkende Akzeptanz der Rankings und für wachselnde Zweifel in der Öffentlichkeit. Nunmehr soll das Image der "Wissenschaftlichkeit" gestärkt werden. Faktisch gilt: Wer genug Macht und Prestige hat, dass er sich nicht von externen Mächten steuern lassen muss (allen voran die eigentlichen Markenhochschulen der angelsächsischen Welt, die wegen ihres Reichtums zugleich auch wirtschaftlich wirklich autonom sind), der zieht sich kühl lächelnd aus allen Rankings zurück, weil er durch seinen Rangplatz viel verlieren, aber nur wenig gewinnen kann.
Demnächst erscheint von Clemens Knobloch: Wir sind doch nicht blöd! Die unternehmerische Hochschule
Im März erscheint Ihr Buch "Wir sind doch nicht blöd!: Die unternehmerische Hochschule" zur schönen neuen Hochschulpolitik. Wer soll hier Ihrer Ansicht nach für blöd verkauft werden und wie geschieht das?
Für blöd verkauft werden in der neoliberalen "Reformrhetorik" alle, die Hochschule sind: Lehrende und Studierende. Große Firmen und Stiftungen haben mit ihrer Geld- und Medienmacht durchgesetzt, dass ihr Interesse an der Marktunterwerfung von Forschung und Lehre als das allgemeine Interesse erscheint. Der Reformdiskurs verspricht jedem das, was er am liebsten hätte: den Studierenden Berufsbezug und Arbeitsmarktqualifikation, den Forschern Exzellenz und Internationalität, den Politikern Entlastung der öffentlichen Kassen. Eintreten wird aber allenthalben das Gegenteil des Versprochenen.
Was würden Sie Menschen, die sich für ein Studium interessieren und sich aus diesem Grund über Hochschulen und angebotene Studiengänge informieren möchten, raten?
Faktisch sind Universitäten heute so durchsichtig wie nie zuvor. Mit ein paar Mausclicks wissen Sie, was in einem Fachbereich, an einer Uni, gelehrt, geforscht, geboten wird. Vor 20 Jahren hätten Sie dafür ein halbes Jahr recherchieren müssen. In drei Minuten kann man herausbekommen, zu welchen Themen ein Prof. gearbeitet hat, welche Veranstaltungen er macht etc. Es sind die gleichen, die sonntags den mündigen Kunden predigen und die Sie werktags mit ihren Rankings steuern und entmündigen. Jede direkte Information ist tausendmal besser als ein Ranking.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Florian Muhl.
Artikel zum CHE und zu Hochschulrankings bei Studis Online
- Think Tank für Studiengebühren - Wie das Centrum für Hochschulentwicklung Politik an Hochschulen macht (17.10.2007)
- CHE-Uniranking 2009 (11.05.2009)
- Unirankings - ein Instrument der Hochschulwahl?
- Boykottieren oder mitmachen? - CHE-Ranking in der Kritik (20.11.2007)
Artikel und Materialien zum Weiterlesen
- Die »gute Regierung« des Bildungswesens: Bertelsmann Stiftung (Prof. Dr. Ingrid Lohmann, 2006)
- Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes über "Hochschulrankings"
- Kritische Informationen zu den Aktivitäten des Bertelsmann-Konzerns und seiner Stiftung
- Die häufigsten Irrtümer über das CHE Ranking (das CHE versucht, einige Kritikpunkte an seinem Ranking zu entkräften)
- Studentenpresse: Unis boykottieren CHE-Ranking (17.08.2009)
- Telepolis: Ranking der Universitäten zunehmend unter Kritik (23.10.2007)