Uni in Zeiten der PandemieFür die Öffnung der Hochschulen auf neuem Niveau
»Eine unsichtbare Gefahr bedrohte alles, woran wir glaubten. Und das Schicksal dieses Landes lag plötzlich in unseren Händen. Also fassten wir all unseren Mut zusammen und taten, was von uns erwartet wurde. Das einzig Richtige. Wir taten … nichts. Absolut gar nichts, waren faul wie die Waschbären. Tage und Nächte lang blieben wir auf unserem Arsch zu Hause und kämpften gegen die Ausbreitung des Corona-Virus. Unsere Couch war die Front und unsere Geduld war unsere Waffe. […] So wurden wir zu Helden. Damals. In diesem Corona Winter 2020.«
Video-Kampagne der Bundesregierung #besonderehelden, November 2020
Studieren ist auch soziale Interaktion.
Seit über einem Jahr befinden sich die Hochschulen im Bundesgebiet in einem mehr oder weniger strikten Lockdown. Damit sind ihre Mitglieder in den digitalen Wahnsinn und in die zugespitzte Isolation verbannt. Übrig bleibt, was vorher schon ein Problem war, nur jetzt noch weiter verschärft: Leistungs- und Konkurrenzdruck, vorrangiges Bulimie-Pauken und Prüfungsfixierung, Top-Down-Entscheidungen, soziale Nöte und Ängste, Depression und Verzweiflung. Ausschließlich zu Prüfungen dürfen mancherorts noch die Hochschulen betreten werden – schlicht gerichtet auf die Verwertbarkeit. Ein feuchter Traum marktkonformer Neoklassiker, wie der Hamburger VWL-Professor Thomas Straubhaar in einem Gastbeitrag unter der Überschrift »Corona erwirkt das Ende der Massen-Universität« in der Welt zum Besten gab1. Das ist weder gesundheitsförderlich, noch eine gesellschaftliche Perspektive!
Die Bundesregierung versucht diesen Umstand mit zynischen Mythen über »wahre Helden« zu kaschieren. Doch wir wollen keine besonderen Helden, wir wollen Studierende, Wissenschaftsbetreibende sein. Der gesellschaftliche Bedarf an Wissenschaft, die kritisch zum Allgemeinwohl arbeitet, und an Bildung von mündigen Persönlichkeiten, die eingreifen zur Verbesserung unserer Welt, wächst im Angesicht der tiefgreifenden Krise enorm. Doch solche Wissenschaft und Bildung brauchen entsprechende Grundlagen. Sie brauchen Orte der Begegnung, direkten sozialen Austausch, kritische Nachfragen und Diskussionen, zufällige Begegnungen, und demokratische Interessenvertretung. Sie brauchen Gestik, Mimik, Lachen und spontane Anregungen. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen. Er ist gesellschaftlich, und so ist es humane Wissenschaft.
»Ich möchte Student sein, um mir einmal an Hand einer Wissenschaft langsam klarzumachen, wie das so ist im menschlichen Leben. […] Mit welchem Resultat könnte man studieren, wenn man nicht es mehr müßte! Wenn man es will! Wenn die Lehre durch weitgeöffnete Flügeltüren einzieht, anstatt durch widerwillig eingeklemmte Türchen, wie so oft in der Jugend!«
Peter Panter (Kurt Tucholsky): Ich möchte Student sein, Vossische Zeitung, 27.01.1929
Schon vor Beginn der aktuellen Lockdown-Politik waren kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung nach jahrzehntelanger neoliberaler Deformation, Unterfinanzierung und Entdemokratisierung erheblich eingeschränkt. Dagegen wuchsen allerorts demokratische, sozialkritische und friedensorientierte Bewegungen, die zaghafte Reformen der Bachelor-Master-Quälerei, Abschaffung von Anwesenheitspflicht, leichte Redemokratisierungen und zahlreiche Zivilklauseln zur Ausrichtung der Wissenschaften auf Friedensentwicklung durchsetzten. Wie knüpfen wir in der aktuellen gesellschaftlichen Zuspitzung und entgegen der Eindämmung erweiternd daran an? In Bezug auf die aktuellen Härten sind auf Bundesebene in der letzten Zeit Aktionen unter dem Motto #Solidarsemester begonnen worden, mit denen einige Erleichterungen durchgesetzt werden konnten. Doch die sog. Überbrückungshilfe ist ein schlechter Witz und der Prüfungsdruck bleibt trotz Freischussregelungen hoch. Wir müssen also weiter und grundsätzlicher aktiv werden.
Wissenschaft und Bildung sind systemänderungsrelevant
»Das ist eine sehr, sehr schwere Zeit, die von uns keiner voraussehen konnte und die sich auch kein Mensch gewünscht hat. Ich kann Unmut verstehen, muss aber trotzdem für Akzeptanz werben, weil wir keine andere Variante haben. […] [E]s ist ja nicht ein politischer Beschluss, den wir gefasst haben, sondern es ist so etwas wie ein Naturereignis, eine Naturkatastrophe, mit der wir umgehen.«
Angela Merkel, Bundespressekonferenz, 2.11.2020
»Wissenschaft hat die Verantwortung, mit Rationalität, Analyse und Transfer durch öffentliche Kommunikation gegen Fake-News und rechte Demagogie für Aufklärung, mündige Teilhabe und angstfreie Demokratie zu wirken. Sie ist ein unverzichtbarer Teil souveräner öffentlicher Meinungsbildung, gerade in schwierigen Zeiten.«
Petition der Kundgebung »Für die Wiederöffnung der Universität« u.a. der Fachschaftsräte Erziehungswissenschaft und Lehramt für allgemeinbildende Schulen der Uni Hamburg am 3.6.2020
Dieser Artikel erschien zuerst in Forum Wissenschaft (Heft 1/2021), herausgegeben vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Wir danken dem BdWi und den Autorinnen für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. Der Artikel geht auf Diskussionen bei der BdWi-/fzs-Herbstakademie 2020 zurück. Dort wurde auch der Bereich der Hochschulen unter Corona-Bedingungen in den Blick genommen und kontrovers diskutiert, ob und wie Gesundheitsschutz in Pandemie-Zeiten für Hochschulangehörige mit dem Bedürfnis nach Präsenzbetrieb an Hochschulen als Voraussetzung für die demokratische Erfahr- und Gestaltbarkeit von Hochschule und Wissenschaft in Einklang zu bringen sind.
Wir befinden uns neben der Pandemie auch in einer tiefgreifenden Welt(wirtschafts)krise. Eine vernünftige Perspektive kann nur gemeinsam, international solidarisch und aufgeklärt entwickelt werden. Hochschulen haben dafür – erkämpfterweise – gute, weil tendenziell demokratische, Bedingungen. Sie sind gesellschaftlich die Orte der Analyse der Welt in ihrer Gewordenheit und Veränderbarkeit, der Kritik, der Problemlösungen. Sie sind die Orte der Bildung mündiger Persönlichkeiten. Als solche sind sie nicht nur systemrelevant, sondern systemänderungsrelevant.
Hochschulen, Wissenschaft und Bildung werden zur Entwicklung vernünftiger Perspektiven jetzt gebraucht. Die Antwort der Regierenden nach eigener Aussage »auf Sicht zu fahren« führt immer wieder zielsicher gegen die Wand, weil der neoliberal-kapitalistische Status quo verteidigt werden soll. Dafür wird die bisherige Politik von Privatisierung, Sozialstaatskürzungen und Bankenbedienung nicht nur nicht korrigiert, sondern mit erheblichen Einschnitten in die Grundrechte noch weiter zugespitzt: Nach außen wird abgeschottet sowie erheblich aufgerüstet, nach innen eingeschüchtert und eigenverantwortlich ins Private geschickt – nicht zuletzt damit weitreichende Ambitionen auf eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft angesichts des aktuellen Desasters nicht Grundlage einer kollektiven Praxis werden. Doch diese Politik scheitert. Sie braucht entschiedene Gegnerschaft, selbst für naheliegende Sofortmaßnahmen (Schnelltests, Luftfilter, Ausbau und Rekommunalisierung des Gesundheitswesens, Aufklärungskampagne für Hygiene, Impfen und Immunsystemstärkung, Freigabe der Impfstoff-Patente). Und erst recht für grundlegende Reformschritte zum Ausbau der sozialen und demokratischen Teilhabe aller (wie Streichen der Schuldenbremse, massive Investitionen in öffentliche Daseinsvorsorge und Ausbau des Sozialstaats, Beschäftigungsprogramme, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, Bildungs- und Kulturstättenausbau, sozial-ökologischer Umbau von Produktion und Mobilität, Stopp der Rüstungsexporte, …).
Der Kampf um die Wissenschaft ist gleichzeitig ein Kampf um das Verständnis der aktuellen Krise als systemische Krise des neoliberalen Kapitalismus, die menschengemacht und damit veränderbar ist, und nicht als Naturkatastrophe, vor der wir alle zu erstarren hätten. Die Gründe für die ursprüngliche Übertragung des neuen Corona-Virus auf Menschen liegen in der kommerziell getriebenen Zerstörung von Urwäldern, Ökosystemen und Biodiversität sowie in der von globalen Kapital- und Warenströmen getriebenen industriellen Landwirtschaft, wie es u.a. Rob Wallace zeigt2. Die Gründe der rasanten Verbreitung des Virus, der unzureichenden Versorgung infizierter Menschen wie auch die schleppende Eindämmung des Virus hierzulande liegen im Wesentlichen im aggressiven Verteidigen des zusammengekürzten Gemeinwesens und der Vorrangstellung des Profits. Die verschärfte tiefe soziale Ungleichheit ist es, die die Menschen heute so bedroht. In dem internationalen Aufruf »Arbeit: Demokratisieren, dekommodifizieren, nachhaltig gestalten«, den im Mai 2020 über 6000 Wissenschaftler*innen unterzeichnet haben, wird eine Perspektive formuliert: »Wie lässt sich ein solches Szenario [der existenziellen Ungleichheit] vermeiden? Durch die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Entscheidungen, die ihr Leben und ihre Zukunft am Arbeitsplatz betreffen – durch die Demokratisierung der Unternehmen. Und indem man Arbeit dekommodifiziert – indem eine nützliche Beschäftigung für alle gemeinsam garantiert wird.«3
Der Kampf um die Bildung mündiger Persönlichkeiten ist der Kampf um das Begreifen der eigenen kollektiven, geschichtlichen Handlungsfähigkeit entgegen Vereinzelung und Passivierung. »Bildung dagegen begreift sich als entbundene Selbsttätigkeit, als schon vollzogene Emanzipation. Mit ihr begreift sich der Mensch als sein eigener Urheber, versteht er, daß die Ketten, die das Fleisch aufschneiden, von Menschen angelegt sind, daß es eine Aussicht gibt, sie zu zerreißen.«4
So unternommen sind Wissenschaft und Bildung Politisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch ihre Denaturalisierung. Das ist für die Herrschenden gefährlich. Insofern sind sie konsequent, die Bildungs-, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen so vehement als »Gefährdungsorte« zu schließen. Potentielle »Gefährdungsorte« – bei entsprechenden Hygienekonzepten – für die Ansteckung mit Solidarität, Geschichtsbewusstsein und kollektiver Handlungsfähigkeit. Machen wir sie dazu!
»Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretischer Glaube in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände. Es ist also absolutes Interesse der herrschenden Klasse, die gedankenlose Konfusion zu verewigen.«
Karl Marx an Louis Kugelmann, 11. Juli 1868
Hochschulen für kritische Wissenschaft »entdämmen«
»Ich bitte Sie deshalb herzlich um die Einhaltung der Anweisungen in der Hoffnung, diejenigen darin zu unterstützen, die politische Verantwortung dafür tragen, eine Tragödie von unserem Land, unserer Stadt und unserer Universität abzuwenden […]. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und fortwährende Bereitschaft, unter schwierigen Bedingungen unser aller Pflicht zu tun. Dieses besonders auch eingedenk des Umstandes, dass wir alle uns darüber bewusst sein müssen, dass das Opfer des kommenden Monats nicht das letzte sein wird.«
Dieter Lenzen, Präsident Uni Hamburg, Begleitbrief zur 9. Dienstanweisung der UHH, 30.10.2020
»Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.«
Heinrich Heine, »Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen«, 1854
Mit und für kritische Wissenschaft müssen wir die Hochschulen »entdämmen«. Wie soll sonst etwa mit kritischen Nachfragen und Diskussionsbeiträgen bei einer aufgenommenen Vorlesung von Bernd Lucke, dem an die Uni Hamburg zurückgekehrten Gründer der AfD, interveniert werden? Wie können vertiefte Gespräche über die gemeinsamen finanziellen Nöte unter Studierenden zur kollektiven Bearbeitung nach einem Zoom-Seminar stattfinden? Wie sollen gruppenübergreifende Verständigungen in (Zigaretten-)Pausen von Gremiensitzungen für zentrale Reformschritte via MS Teams gelingen? Es braucht Präsenz – geschützt, solidarisch, aufmerksam!
Im aktuellen Lockdown der Hochschulen und verordneten »Digitalsemester« werden die Grundprobleme offengelegt und drängender – mit verhängter Zwangs-Digitalisierung zur Freude von Bertelsmann, zoom, Microsoft und Co. KG, einhergehend mit erheblichen Entdemokratisierungen und Exklusionen. In Bayern und Baden-Württemberg wird der Lockdown prompt dafür zu nutzen versucht, Hochschulgesetznovellen mit verstaubten Konzepten von verschärfter Marktorientierung durchzubringen. Bundesweit drohen zudem aktuell massive Kürzungen der öffentlichen Haushalte und in den Hochschulen, während die Protestmöglichkeiten eingeschränkt sind.
Anstatt, auch für die Interessenswahrnehmung, Arbeits-, Lern- und Aufenthaltsräume zu schaffen, wurden Studierende beispielsweise an der Uni Hamburg im Sommersemester 2020 zu »Publikum« degradiert, um sie aus den Uni-Gebäuden ausschließen zu können. Unter anderem vor diesem Hintergrund fand am 3.6.2020 eine Kundgebung am Campus der Uni Hamburg unter dem Motto »Zur Wiederöffnung der Universität« statt.5 Damit war der Anfang genommen, die Aktivitäten in den Hochschulgremien mit Aktionen im öffentlichen Raum zu ergänzen und unterstützen. Mit der Petition »Für Präsenz und ein Solidarsemester an den Hamburger Hochschulen«6 wurden über 1800 Unterschriften auf dem Campus, in Studierendenwohnheimen und online gesammelt, und an Vertreter*innen der Hamburgischen Wissenschaftsbehörde übergeben. Lehrende der Uni Hamburg schlossen sich mit der Petition »Die geplante Präsenzlehre im Wintersemester ermöglichen«7 an. Im Rahmen der Demonstration »Solidarische Krisenlösungen BILDEN – für die Öffnung der Hochschulen«8 im November 2020 wurden Perspektiven dafür aus verschiedenen Fachschaftsräten und Lehrenden eröffnet.
Eine »Entdämmung« der Hochschule ist Teil des Kampfes um demokratische Hochschulen, die für das Allgemeinwohl und nicht den Standort arbeiten. Im Grundgesetz ist für diese Arbeit die Freiheit der Wissenschaft, zur Realisierung aller Grundrechte zu arbeiten, verbrieft. Diese werden verwirklicht, wenn wir sie von der Last der Angst befreien und wahrnehmen, wie Prof. Dr. Norman Paech bei einem Treffen von Mitgliedern der LINKEN Hamburg am 9.5.2020 darlegte9. Die ersten zwanzig Artikel des Grundgesetzes – von der unantastbaren Menschenwürde bis zum Sozialstaatsgebot – stehen in ihrer Entstehung und in ihrem Gehalt nicht etwa im Konflikt mit Gesundheit, sondern sind geradezu deren Bedingungen.
Wir können und werden nicht darauf warten, bis Söder, Merkel und Co. die Hochschulen wieder öffnen. Der Kampf um den kritischen Inhalt der Wissenschaft geht mit dem Kampf um deren Bedingungen zusammen: es geht um die Wiederöffnung der Hochschulen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat – mit projektbezogenen, exemplarischen Seminargruppen, egalitären Lehr-Lern-Prozessen, solider sozialer Unterlegung durch BAföG als elternunabhängiger Vollzuschuss, demokratischer Kultur, für die Orientierung der Wissenschaft auf die Realisierung der Nachhaltigkeitsziele (SDG) der UN.
Aber entwickeln sich die Hochschulen dann nicht zu Infektionshotspots? Nein! Wie der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg nicht müde wird zu betonen, ist das Wichtigste zum Infektionsschutz die Einhaltung der AHA-A-L Regel (Abstand/Hygiene/Alltagsmaske + App + regelmäßiges Lüften), begleitet von massenhaften Testungen und der Nachverfolgung von Risikokontakten. Im Laufe des letzten Jahres haben Kolleg:innen in den Hochschulverwaltungen (und auch in den Kunst- und Kultureinrichtungen!) sorgfältig durchdachte Hygiene-Konzepte entwickelt, an Formen der Kontaktdatenerhebung gefeilt und Räume »coronagerecht« gezählt. Gleichzeitig werden Technik und Konzepte für Veranstaltungen in hybrider Form entwickelt, die es denjenigen, die nicht vor Ort sein können oder mögen, ermöglichen, sich in die Diskussionen einzuklinken. Diese Konzepte haben sich in der Praxis bewährt, zum Beispiel als wir an der Uni Hamburg die Orientierungseinheiten für die Erstsemester zum Wintersemester 2020/21 in den großen Studiengängen Sozialökonomie, Lehramt, Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften hybrid und in geschützter Präsenz lebendig und hygienisch durchgeführt haben. Es geht um eine Wiederöffnung der Hochschule, die alle Mitglieder gemeinsam gestalten: durch Schnelltests und soziale Unterstützung, Hygienekonzepte und (hybride) Aufmerksamkeit, ohne Raus-Prüfungen und mit kollektiven Lernprozessen. Hochschulen können so beispielgebend sein für die Realisierung sorgsamer sozialer Begegnungen und für den Ausbau gesellschaftlicher Teilhabe Aller.
Laut Infektionsschutzgesetz ist ab einer Inzidenz von 165 gleich wieder Schluss mit dem Bisschen, was an den Unis an Analoglehre läuft. Kultusminister und Rektoren wehren sich gegen eine Gleichsetzung mit den Schulen und pochen auf größere Freiheiten. Bildungsministerin Karliczek denkt darüber nach – wie üblich reichlich verspätet. weiter
Mehr Selbstbewusstsein wagen: Für Präsenz und Solidarsemester
»Wissenschaft ist zur Lösung gesellschaftlicher Probleme unabdingbar. Forschung, Lehre, Bildung sind ein gemeinsamer Prozess von Menschen, der ganz wesentlich auf dem Austausch der Beteiligten beruht. Somit ist mit der untersagten Begegnung der Beteiligten in Präsenzveranstaltungen auch die Möglichkeit, sich mit der Wissenschaft den Herausforderungen der Zeit und der Krise zu stellen, drastisch eingeschränkt. […] Präsenzveranstaltungen sind das Herz der Universität.« (Beschluss des Akademischen Senats der Uni Hamburg, 18.6.2020)10
In Frankreich nehmen gegenwärtig tausende Studierende in zahlreichen Städten die Notwendigkeit der solidarischen Veränderung unserer Lage zum Anlass, für massive Investitionen in den Hochschulbereich, Verbesserung der sozialen Lage der Studierenden und Öffnung der Hochschulen auf die Straße zu gehen – trotz erheblicher Repression. In diesem kollektiven Engagement liegt die Antwort auf die verhängte Frustration und Vereinzelung11.
Wenn nun im Lockdown Wissenschafts- und Gesellschaftsvorstellungen der 1950er Jahre wieder hervorgekramt werden, wie etwa die Wiedereinführung des »Kuppeleiparagraphen« in Kölner Studierendenwohnheimen oder die Reduktion der sozialen Kontakte auf die Familie, und wenn in Frankreich darauf kämpferisch geantwortet wird, ist es dann nicht auch hier in der BRD Zeit für ein neues »68«?!
Also runter vom Sofa, raus aus den ermüdenden Zoom-Seminaren und Online-Vorlesungen, auf die Straße, rein in die Hochschulen! Jean Zieglers vielfach zitierte Erkenntnis »Ich bin der andere, der andere ist Ich.« ist dabei durchaus leiblich zu verstehen! Kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung brauchen uns, wir brauchen sie. Für Präsenz und Solidarsemester!
»Schönster aller Zweifel aber
Wenn die verzagten Geschwächten den Kopf heben und
An die Stärke ihrer Unterdrücker
Nicht mehr glauben!«
Bertolt Brecht, Lob des Zweifels, 1934
Ergänzung (28.4.2021): Ende März wurde von diversen Fachschaftsräten an Hamburger Hochschulen ein Offener Brief für die Öffnung der Hamburger Hochschulen in geschützter Präsenz an die Hamburger Hochschulleitungen sowie die Hamburger Wissenschaftsbehörde gesendet. Er wird mittlerweile auch vom Hochschulsenat der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg sowie dem Ausschuss für Lehre und Studium des Akademischen Senats der Universität Hamburg unterstützt. Der Brief sowie weitere Informationen sind auf der neu eingerichteten Webseite offene-hochschulen-hamburg.de zu finden und er kann dort von allen, die die Unterstützung erklären möchten, unterzeichnet werden.
Die Autor:innen Artur Brückmann, Franziska Hildebrandt, Florian Muhl, Sinah Mielich sind aktiv bei DIELINKE.SDS Uni Hamburg, im Bündnis für Aufklärung und Emanzipation - BAE! sowie der GEW bzw. ver.di.
1 Vgl. Thomas Straubhaar, Die Welt, 20. Juli 2020
2 Rob Wallace, »Wir können einpacken!«, der Freitag, 2. November 2020
3 vgl. democratizingwork.org
4 H.J. Heydorn, »Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft«, 1979.
5 Die Redebeiträge der Kundgebung sind auf dem Youtube-Kanal des Fachschaftsrats Erziehungswissenschaft an der UHH zu finden.
6 Für den Text der Petition vgl. www.openpetition.de/!hmmmy
7 Für den Text der Petition vgl. www.openpetition.de/!ctrtk
8 Die auf der Demonstration gehaltenen Redebeiträge sind auf dem Youtube-Kanal des FSR Sozialökonomie an der UHH nachzuhören.
9 Für die Video-Aufzeichnung seines Vortrags »Geschichte und Aktualität der Grundrechte« vgl. www.youtube.com/watch?v=idtiC-5sePw
10 Für eine Dokumentation der Initiativen unseres linken Bündnisses (BAE!) im Akademischen Senat der Uni Hamburg und der erwirkten Beschlüsse aus 2020 vgl. www.bae-hamburg.de/artikel_403.html
11 Hier findet ihr exemplarisch die Petition der französischen Studierendengewerkschaft UNEF: https://risunihamburg.com/2021/01/25/solidaritat-mit-den-studentinnen-in-frankreich-petition-unterschreiben/
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