Was geschlechter- und wissenschaftspolitisch zum Bologna-Prozess gehörtGendergerecht studieren können (II)
Geschlechtergerechtigkeit im Studium und bei der Berufsvorbereitung durch die Hochschule ist nicht erreicht. Nicht nur mentale, sondern v.a. strukturelle und inhaltliche Veränderungen sind unverzichtbare Voraussetzungen, um darin vorwärts zu kommen. Wie sie aussehen könnten und war sie erfordern, haben Ruth Becker, Bettina Jansen-Schulz, Beate Kortendiek und Gudrun Schäfer grundsätzlich und bis ins Einzelne überlegt. Hier ist der zweite Teil ihrer Arbeitsergebnisse.
Dieser Artikel erschien zuerst in Forum Wissenschaft (Heft 4/2007), herausgegeben vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Wir danken dem BdWi und den Autorinnen für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen.
Dem Verlag Peter Lang GmbH - Internationaler Verlag der Wissenschaften danken wir herzlich für die Erlaubnis, diese Analyse als Vorabdruck zu publizieren aus: Anne Dudeck, Bettina Jansen-Schulz (Hrsg.): Zukunft Bologna? Gender und Nachhaltigkeit als Leitideen für eine neue Hochschulkultur. Frankfurt am Main et al.: Peter Lang 2007, S. 329-356 (für eine Bestellung einfach auf den Link klicken!). Für die Vorab-Publikation wurde der Beitrag aktualisiert und seine Gliederung bearbeitet.
Übergang Bachelor – Master
Nach Auffassung von Expertinnen und Experten der Agenturen ist der Übergang vom BA zum MA eine ganz wichtige Zäsur, um Entscheidungen zur Fächerwahl und ggf. auch einen Studienortwechsel zu planen. Dies werde von Frauen und Männern gleichermaßen genutzt. Die Chance des neuen Systems sei es, eine sehr viel genauere und differenziertere Orientierung der Studierenden zu ermöglichen. Für die Frage der Geschlechtergerechtigkeit ist allerdings vor allem die Übergangsquote zu den höheren Abschlüssen, also den Masterabschlüssen, den Promotionen und Habilitationen von Bedeutung. Wird die Stufung der Studiengänge dazu führen, dass die kontinuierliche Abnahme der Frauenquote, die wir bisher auf dem Weg vom Diplom über Promotion und Habilitation zur Professur in allen Studienfächern registrieren müssen, sich nun bereits beim Übergang zum Masterabschluss einstellt? Das vorliegende Datenmaterial lässt hier noch keine gesicherten Schlüsse zu. Laut Hochschulrektorenkonferenz waren im Wintersemester 2005/2006 knapp 203.000 Studierende in Bachelor-Studiengängen eingeschrieben, davon 94.000 Frauen. Damit lag der Frauenanteil im Bachelor-Bereich mit 46,4% nur unwesentlich unter dem Anteil der Frauen unter allen Studierenden (48,1%) (HRK 2007: 21, Tabelle 2.2.1). Unter den gut 46.000 Studierenden der Masterstudiengänge waren dagegen nur 18.500 Studentinnen, das entspricht einem Anteil von nur 40% (ebenda), ein zumindest alarmierendes Ergebnis.
Die Frage, warum mehr Männer als Frauen in die MA-Phase wechseln, dürfte einer der gewichtigsten Prüfsteine für Geschlechtergerechtigkeit in den gestuften Studiengängen und für die Erhöhung des Anteils von Frauen in der Wissenschaft werden, da der Zugang zu einer Hochschulkarriere zukünftig über einen Masterabschluss erfolgen wird. Notwendig ist hier neben einer zeitnahen Erfassung und Auswertung geschlechtsdifferenzierender Daten die Implementation von Maßnahmen in den Bachelor-Studiengängen, die geeignet sind, Studentinnen für die Fortsetzung ihres Studiums in einem Masterstudium zu gewinnen. Neben den bereits zitierten Mentoring-Programmen sollte hier über gezielte Förderprogramme, ähnlich der Promotions- und Habilitationsförderung, sowie über spezifische Beratungsangebote nachgedacht werden. In vielen Fächern wäre vermutlich auch eine Quotierung studentischer Hilfskraftstellen, die nicht selten am Beginn einer wissenschaftlichen Laufbahn stehen, hilfreich. Da der Zugang zu einer Hochschulkarriere zukünftig über einen Masterabschluss erfolgen wird, verlagert sich der Zeitpunkt einer ersten Hürde auf dem Weg in eine Hochschulkarriere auf einen noch früheren Zeitpunkt, und es stellt sich die Frage, ob die Einführung gestufter Studiengänge nicht die „Qualifikations-Schere“ zwischen männlichen und weiblichen Absolventen größer werden lässt.
Frauen- und Geschlechterforschung integrieren
Je nach Fachdisziplin unterscheidet sich die Integration von Gender-Aspekten in Lehre und Studium nach Inhalt, Intensität und Reichweite. Während Geschlechterfragen innerhalb der Gesellschafts- und Kulturwissenschaften zum Kanon gehören (sollten), da die Kategorie Geschlecht unabdingbar zur Analyse sozial- und kulturwissenschaftlicher Verhältnisse benötigt wird, stellen sich insbesondere innerhalb der Ingenieur- und Naturwissenschaften die Geschlechterfragen anders, da sie sich nicht so offensichtlich aus dem Wissenschaftsinhalt herleiten lassen. Gleichwohl hat die Frauen- und Geschlechterforschung gezeigt, dass auch in diesen Fächern die Beachtung von Geschlechteraspekten unabdingbar zur Weiterentwicklung der Disziplinen notwendig ist.
Eine Auswertung der fachspezifischen Inhalte, Methoden und Fragestellungen der Frauen- und Geschlechterforschung in unterschiedlichen Disziplinen1 zeigt, dass – neben spezifischen Fragestellungen – in allen Fächern drei zentrale Frage- bzw. Problemstellungen der Geschlechterforschung benannt werden können, die als integrale Bestandteile eines Curriculums in jedem Fach zu einem geschlechtergerechten Studium und einer geschlechtersensiblen Berufsqualifizierung beitragen können. Es geht dabei
um Professionsaspekte der Fachdisziplin,
um Wissenschaftskritik der Fachdisziplin und
um Aspekte der Herstellung und Nutzung der Ergebnisse der Fachdisziplin.
Diese im Folgenden erläuterten Geschlechterforschungsaspekte, so die dringende Handlungsempfehlung, sollten im Rahmen der Akkreditierung gestufter Studiengänge als „Mindeststandards“ für Gender-Aspekte in den Curricula angesehen werden.
Die Erarbeitung und Analyse der Geschichte des angestrebten Berufes, d.h. die Nachzeichnung zentraler Entwicklungslinien und Fachtraditionen unter Geschlechtergesichtspunkten, beinhaltet [erstens] historische Fragen, wie die nach der Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufsfeldern und dem „Frauenstudium“, ebenso wie Prozesse der Akademisierung von Berufen, die zuvor als „Frauenberufe“ galten2, sowie das „Geschlechterbias“ der Berufe und seine Entwicklung3.
Dabei gilt es, die Profession auf der individuellen, institutionellen und gesellschaftlichen Ebene zu analysieren, um die Vergeschlechtlichung von Arbeit und geschlechterdifferenzierte Zuschreibungen deutlich zu machen. Eine Sensibilisierung der Studierenden bezüglich der eigenen Geschlechterrolle sowie vorhandener Geschlechterstereotypen soll die Selbstreflexion gegenüber der eigenen späteren beruflichen Tätigkeit stärken und damit auch die Bedeutung des Geschlechts für die Berufspraxis sichtbar machen. Insbesondere sind professionsbezogene Kommunikations- und Interaktionsprozesse sowie geschlechterbezogene Wahrnehmungen zu thematisieren und berufsfeldbezogen zu begleiten. Hierbei gilt es, berufliche Handlungen und Haltungen geschlechter- und kulturkritisch zu reflektieren.
Durch die Thematisierung von Professionsgeschichte und -entwicklung und die Analyse berufsfeldbezogener Geschlechterverhältnisse können sowohl in stark horizontal segregierten Studiengängen, wie den Erziehungswissenschaften oder den Ingenieurwissenschaften, aber auch in vertikal segregierten Fächern Geschlechteraspekte innerhalb der Fachkultur aufgegriffen und problematisiert werden.
Zum zweiten geht es um das Sichtbarmachen von Geschlecht und um Frauen und Männer in der Wissenschaft. Die Studierenden sollen befähigt werden, die Bedeutung der Kategorie Geschlecht für Wissenschaft, Forschung und Praxis ihrer Fachdisziplin zu erfassen und die Geschlechterverhältnisse des jeweiligen Faches zu reflektieren.
Aus einer wissenschaftskritischen Haltung heraus sollen Studierende angeregt werden, mögliche Genderbias in der eigenen Fachdisziplin aufzuspüren, indem sie lernen, geschlechtersensibel danach zu fragen, „wer was wann warum und wie“ erforscht und veröffentlicht hat. Hier stehen Androzentrismus, Geschlechterdichotomie oder Geschlechtersensibilität der Wissenschaft unter dem Gesichtspunkt der Wissensproduktion im Mittelpunkt. Es gilt Studierende zu befähigen, Forschungsprozesse und -projekte geschlechtersensibel und kritisch zu hinterfragen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, Werk und Biografie von Wissenschaftlerinnen des jeweiligen Faches zu berücksichtigen, und insbesondere, Wissenschaftspionierinnen aufzuspüren sowie die Biografien und Werke von Wissenschaftlerinnen aufzugreifen. Die Einbindung biografischer Dimensionen und Reflexionen in Lehre und Studium ermöglicht zudem eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Weg als Wissenschaftlerin/Wissenschaftler.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die geschlechtergerechte Sprache, durch die Sprachsensibilität und Sprachreflexion in Lehre und Studium gefördert werden. Auch bei der Verwendung von Praxisbeispielen im Rahmen der Lehre ist darauf zu achten, dass Beispiele nicht zur Aufrechterhaltung von Geschlechterstereotypen beitragen, sondern modernisierte und widerständige, ungewohnte Geschlechterbilder aufgegriffen werden. Dieser Ansatz zur Integration geschlechtergerechter Sprache und Bilder sollte sich auch in den Lehr- und Unterrichtsmaterialien wiederfinden.
„Geschlecht“ sichtbar machen
Der dritte zentrale fachunabhängige Geschlechterforschungsansatz bezieht sich auf die geschlechtersensible Sicht, auf die Prozesse der Herstellung und Nutzung von Forschungsergebnissen und -produkten. Hier sind die Wissensproduktion und die Auswirkungen auf die Nutzung sowie geschlechtsdifferente Aneignungsprozesse zu thematisieren. Diese Thematisierung solcher Fragestellung kann insbesondere in den Ingenieurwissenschaften, in denen vielfach die Vorstellung vorherrscht, die „Konstruktion einer Maschine hat doch nichts mit dem Geschlecht zu tun“, dazu beitragen, die alle gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bereiche durchdringende Bedeutung der Kategorie Geschlecht zu verdeutlichen.4
Wird in Wissenschaft, Forschung und Praxis etwas hergestellt – im Maschinenbau ein Auto konstruiert, in der Pharmazie ein Medikament entwickelt, in der Architektur ein Haus entworfen –, sind sowohl bei der Konstruktion als auch bei der Nutzung Geschlechter-Aspekte zu beachten. Medikamente sollten auf ihre unterschiedliche physiologische Wirkung für Frauen und Männer getestet sein, das Haus eine Küche enthalten, deren Größe es zulässt, gemeinschaftlich die Hausarbeit zu erledigen, und das Auto so konstruiert sein, dass es vielfältigen Ansprüchen gerecht wird.
Durch die Analyse der Transformation von Ergebnissen aus Wissenschaft und Forschung ist es möglich, NutzerInnenschnittstellen unter Geschlechter-Aspekten auszuwerten und zu gestalten. Dabei gilt es auch, geschlechterbezogene Konnotationen in der Gestaltung von Produkten kritisch zu hinterfragen und Geschlechterstereotypierungen zu durchbrechen.
Im Zuge der Neuorganisation gestufter Studiengänge im Rahmen von Akkreditierungsverfahren stellt sich [viertens] die Frage nach dem systematischen Ort der Integration von Gender-Aspekten in Lehre und Studium. Hier lassen sich vier Ansätze skizzieren:
Fachübergreifender Ansatz: Übergreifendes Gender-Modul für mehrere Studiengänge,
Integrativer Ansatz: Theorien, Methoden, Erkenntnisse der Geschlechterforschung als Querschnittsaufgabe und selbstverständlicher integraler Bestandteil von Lehre und Forschung,
Partikular-expliziter Ansatz: Gender-Fachmodule, Gender-Modulbestandteile,
Expliziter Ansatz: Gender-Studiengang, Aufbaustudiengänge, BA/MA Gender-Studiengänge, Promotionsstudiengang, Frauenstudiengänge, Frauenhochschulen, Virtuelle Gender-Studies.
In unseren Befragungen und in den Curricula-Vorschlägen werden alle vier Ansätze vertreten, auch gibt es an den Hochschulen in Deutschland Beispiele für alle vier Ansätze. Fachübergreifende Ansätze sind vor allem an den Hochschulen bzw. in den Fächern sinnvoll, in denen die Frauen- und Geschlechterforschung bisher nicht oder gering vertreten ist. Ein transdisziplinäres und hochschulweites Gender-Modul kann z.B. auf den drei oben dargestellten Fragestellungen aufbauen, ergänzt durch transdiziplinäre Ergebnisse aus der Frauen- und Geschlechterforschung. Ein integrativer Ansatz, in dem Gender-Aspekte als Querschnittsthema in bestehende Studienfächer aufgenommen werden, wird zwar von der Mehrzahl der befragten Wissenschaftlerinnen und der an der Entwicklung der genderbezogenen Curricula beteiligten Expertinnen bevorzugt, doch scheitert dies in den allermeisten Fächern bisher an der mangelnden Kompetenz und Bereitschaft der nicht mit der Frauen- und Geschlechterforschung im jeweiligen Fach vertrauten Lehrenden. Deshalb wird in den Curricula überwiegend ein partikulär-expliziter Ansatz mit Gender-Modulen oder -elementen empfohlen. Allerdings würde es zu kurz greifen, die Einrichtung eigenständiger Gender-Module ausschließlich als temporäre Lösung zu werten. Innerhalb vieler Studiengänge kann einem expliziten Gender-Modul eine berufsqualifizierende Funktion zukommen.5 Ein expliziter Ansatz wird insbesondere für die Sozial- und Kulturwissenschaften befürwortet, wo nicht selten MA-Studiengänge auf eine gleichstellungsorientierte Berufspraxis vorbereiten oder eine vertiefende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frauen- und Geschlechterforschung stattfindet. An einigen Hochschulen werden in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern spezielle monoedukative Studiengänge ausschließlich für weibliche Studierende angeboten.6
Gender-Aspekte – Selbstläufer?
Gleichstellungsbeauftragte und Geschlechterforscherinnen bezweifeln in großer Zahl die Fähigkeit der Fachbereiche, im Sinne des Gender Mainstreaming (selbst-)steuernd zu handeln. Nach Einschätzung der Gleichstellungsbeauftragten sind externe Vorgaben sehr hilfreich – sowohl von der Politik an die Hochschulen als auch von den Hochschulleitungen an die Fakultäten und Fachbereiche. Von den Gleichstellungsbeauftragten, die gleichstellungsorientierte Maßnahmen bei der Einführung gestufter Studiengänge an ihrer Hochschule nannten, bejahten 58% die Frage, ob es sich bei den an ihrer Hochschule ergriffenen Maßnahmen um sog. „Top down“, also von der Hochschulleitung ausgehende Maßnahmen handelt. Zwar sind diese Maßnahmen in der überwiegenden Zahl der Fälle von den Gleichstellungsbeauftragten und/oder engagierten Wissenschaftlerinnen konzipiert und angestoßen worden, doch entfalten sie offenbar erst dann Wirkung, wenn sie von den Hochschulleitungen verbindlich gemacht werden, wobei die Verbindlichkeit, so einige Befragte, durch eine Kombination von „Anreizen und Sanktionen“, z.B. durch die Integration von Gleichstellungsindikatoren in die leistungsbezogene Mittelvergabe, unterstützt werden sollte.
Die Hoffnungen der befragten Wissenschaftlerinnen richten sich auch bzw. vor allem auf die Akkreditierungsagenturen und -kommissionen, von denen erwartet wird, dass sie von sich aus Gleichstellungsaspekte in ihre Prüfungen einbeziehen. Dies widerspricht […] jedoch dem Selbstverständnis der Agenturen und auch des Akkreditierungsrats. Sollte es bei dieser Position bleiben, kommt den Hochschulleitungen die zentrale Schlüsselstellung bei der Sicherstellung der Berücksichtigung von Aspekten der Geschlechtergerechtigkeit und der Integration der Frauen- und Geschlechterforschung in die neuen Studiengänge zu.
Das wirft die Frage auf, wie die Hochschulen dazu angeregt bzw. verpflichtet werden können, diese Aufgabe zu übernehmen. Ein geeignetes Instrument scheinen uns hier die Zielvereinbarungen zwischen den Wissenschaftsministerien und den Hochschulen zu sein, die zunehmend abgeschlossen werden, um politischen Zielen im Kontext der Hochschulautonomie Geltung zu verschaffen. In diesen Zielvereinbarungen sollte festgeschrieben werden, dass die Hochschulen Konzepte zur Ausgestaltung gestufter Studiengänge nach den Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit entwickeln und bei der Entwicklung und Durchführung gestufter Studiengänge verbindlich anwenden. Damit hätten die Akkreditierungsagenturen brauchbare Grundlagen für die Überprüfung der Geschlechtergerechtigkeit der zu akkreditierenden Studiengänge.7
Elemente eines Prüfkonzepts
Wie ein solches Konzept aussehen soll, was es enthalten, wie es strukturiert und mit welchen Ressourcen es verbunden sein soll, dazu gibt es bisher keinerlei Regeln oder Vorgaben, nur Forderungen und Vorschläge von Seiten gleichstellungsorientierter Institutionen sowie in der Geschlechterforschung und/oder der Gleichstellungspolitik engagierter Wissenschaftlerinnen. Trotz der großen Bandbreite der Ansätze lassen sich folgende zentralen Elemente eines solchen Konzepts herauskristallisieren:
Eine Beschreibung der Kriterien, an denen nach dem Verständnis der Hochschule „Geschlechtergerechtigkeit“ zu messen ist,
ein Organisationskonzept, wie die Berücksichtigung dieser Kriterien bei der Entwicklung von Studiengängen in den Fachbereichen und Fakultäten sichergestellt wird,
ein Konzept zur Information, Beratung und Weiterbildung aller an der Entwicklung, Akkreditierung und Durchführung von Studiengängen auf Hochschulseite Beteiligten (Vermittlung von Gender-Kompetenz),
ein Konzept zur Sicherstellung der notwendigen fachlichen Kompetenzen (Geschlechterforschung, Gender Studies),
ein Konzept zur nachhaltigen Qualitätssicherung (Evaluation, Monitoring und Controlling),
Aussagen über die temporär und dauerhaft hierfür bereitgestellten Ressourcen.
Den nach unserem Eindruck weitestgehenden Ansatz eines Organisationskonzepts zur Berücksichtigung der Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit und der Integration von Inhalten der Frauen- und Geschlechterforschung hat die Universität Dortmund entwickelt. In Dortmund sind die Fakultäten und Fachbereiche verpflichtet, ihre Akkreditierungsanträge einer zentralen „Gender Studies AG“ vorzulegen und von dieser eine Stellungnahme einzuholen, die den zuständigen Gremien (Senatskommission, Rektorat) zusammen mit den Akkreditierungsunterlagen als Entscheidungsgrundlage dient. Andere Hochschulen setzen vor allem auf die Etablierung einer zentralen Beratungsinstanz. Hier ist insbesondere die TU München zu nennen, die ein Fachgebiet „Gender Studies in Ingenieurwissenschaften“ mit einer (befristeten) Professur und einer wiss. Mitarbeiterin eingerichtet hat. Die Professur soll Vorschläge zur Erhöhung der Studentinnenanteile in Ingenieurwissenschaften erarbeiten, Maßnahmen für erfolgreiche Karriereverläufe von Ingenieurinnen weiterentwickeln und die Fachbereiche in diesen Fragen beraten. Außerdem sollen geeignete Steuerungsinstrumente zur Integration von Gender-Aspekten entwickelt werden. An anderen Hochschulen nehmen bestehende Zentren der Geschlechterforschung teilweise solche Beratungsfunktionen wahr.8
Gender-Kompetenz bezeichnet nach dem Gender-Kompetenzzentrum der Humboldt-Universität zu Berlin „die Fähigkeit von Personen, in ihren Aufgaben und Handlungsbereichen Geschlechteraspekte zu erkennen und gleich stellungsorientiert zu bearbeiten“. Dazu gehören das „Wollen“, das „Wissen“ und das „Können“ (Gender-Kompetenzzentrum Berlin 2006). Im Kontext von Lehre und Studium bedeutet Gender-Kompetenz vor allem
die Kenntnis der Auswirkungen gesellschaftlicher Ungleichheiten der Geschlechter auf Lehre und Studium z.B. hinsichtlich Interessen, Lernstrategien, Kommunikations- und Interaktionsstrukturen, Lebenssituation usw.,
die Kenntnis der für das jeweilige Fach einschlägigen Theorien, Methoden und Erkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschung,
die Bereitschaft zur Berücksichtigung dieser Wissensbestände und zur Integration in das eigene Handeln (Vermeidung von Diskriminierungen jeglicher Art, aktiver Einsatz für Gleichstellung, Anwendung der Prinzipien des Gender Mainstreaming).
Für die Sicherstellung und Weiterentwicklung der zur Integration der Frauen- und Geschlechterforschung in das Studienangebot erforderlichen Kompetenzen wurden inzwischen unterschiedliche Organisationsmodelle entwickelt. Zentrale Elemente sind Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung, die teilweise in Instituten, Koordinationsstellen, Kompetenzzentren, Projektverbünden zusammengeschlossen sind und/oder über Koordinationsstellen koordiniert werden.9
„Papier ist geduldig“ – dies gilt leider auch, wie wir aus Erfahrung wissen, für viele Pläne, Stellungnahmen und Verlautbarungen der Hochschulen. Wohl auf Grund solcher Erfahrungen betrachten es die befragten Wissenschaftlerinnen und Gleichstellungsbeauftragten als zentrale Schwachstelle der bisherigen Akkreditierungsverfahren, dass die Angaben der Fachbereiche und die Auflagen der Agenturen zunächst nicht weiter überprüft werden, sondern erst bei der Reakkreditierung nach durchschnittlich fünf Jahren. Auch die ExpertInnen aus den Akkreditierungsagenturen sehen das Problem, dass erst bei der Reakkreditierung von ihnen geprüft werden kann, inwieweit die in den Plänen formulierten Absichten umgesetzt wurden.
Aus diesem Grund kommt einem hochschulinternen Qualitätssicherungssystem, das die Zielerreichung zeitnah und laufend prüft (und gegebenenfalls steuernd eingreift), eine ganz zentrale Bedeutung zu. Ein solches System sollte zumindest folgende Elemente enthalten:
Eine geschlechtsdifferenzierende Erhebung und Auswertung aller für die Beurteilung der Geschlechtergerechtigkeit eines Studiengangs relevanten quantitativen Daten,
ein geschlechtsdifferenzierendes Studienevaluationssystem,
ein Monitoring- und Controllingsystem, das die erhobenen Daten und Informationen überwacht und bewertet,
ein Feed-Back System mit Anreizen und Sanktionen, um Fehlentwicklungen entgegenzusteuern.
Befragt nach ihren Erfahrungen, nach Widerständen und Erfolgsrezepten, berichten die befragten Wissenschaftlerinnen relativ einhellig von der Notwendigkeit, mit „Beharrlichkeit, Zähigkeit und Professionalität“ die Gender-Thematik einzubringen – ein mühsames, aber oft doch auch erfolgreiches Unterfangen. Der Erfolg scheint jedoch vor allem dort einzutreten, wo Hochschulleitungen die Bestrebungen aktiv unterstützen und die Bedeutung der Integration von Gender-Aspekten immer wieder herausstellen. Unabdingbar ist jedoch auch ein materielles Engagement in Form der Bereitstellung adäquater Ressourcen. Die Überprüfung der Bereitstellung ausreichender Ressourcen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Akkreditierungsagenturen, um sicherzustellen, dass die in den Studienplänen und Akkreditierungsunterlagen dargestellten Absichten auch erfüllt werden können.10
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Literatur (zu Teil I und II)
Akkreditierungsrat (2005): http://www.akkreditierungsrat.de, (Zugriffe: 9.1.06, 22.5.06)
Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2005: Studien- & Berufswahl 2005/2006. Nürnberg
Gender-Kompentenzzentum (2006): Website http://www.genderkompetenz.info/genderkompetenz/, (Zugriff: 04.06.2006)
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (Hg. ) 2007: Statistische Daten zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, Sommersemester 2007, Statistiken zur Hochschulpolitik 1/2007, Bonn: http://www.hrk.de/de/download/dateien/HRK_StatistikBA_MA_SoSe2007_final.pdf, (Zugriff 26.7.2007)
Anmerkungen
1 Hierbei haben wir auf die 47 fachspezifischen Curricula-Vorschläge zur Integration der Frauen- und Geschlechterforschung in die Studieninhalte zurückgegriffen, die wir im Rahmen der Studie eingeworben haben.
2 Eine solche Entwicklung ist derzeit beispielsweise bei den Gesundheitsfachberufen zu erkennen.
3 Verwiesen sei hier auf den sinkenden Männeranteil in den Rehabilitationswissenschaften und die Dominanz von Männern in den Studiengängen und Berufsfeldern der Natur- und Ingenieurwissenschaften.
4 So wäre es bspw. im Studiengang „Druck- und Medientechnik“ möglich, im Modul zum Druckvertragsrecht die Möglichkeiten und Grenzen der Vertragsnichterfüllung wegen des zu druckenden Inhalts (sexistische, rassistische u.a. Inhalte) zu thematisieren, wie dies als Anregung von der TFH Berlin vorgeschlagen wurde.
5 Beispielhaft verwiesen sei hier auf den Bachelor-Studiengang „Soziale Arbeit“ an der Fachhochschule Köln, in dem ein Wahlmodul mit dem Titel „Gender in Beratung, Bildung und Organisation“ angeboten wird, das alternativ zu einem Modul Interkulturalität gewählt werden kann.
6 Beispielhaft sei hier auf den Frauenstudiengang Informatik an der Hochschule Bremen oder den geplanten (schon akkreditierten) Studiengang „International Water- and Ressourcemanagement“ an der Universität Lüneburg verwiesen.
7 Bei einer Prozessakkreditierung, die nur die Qualitätssicherungssysteme einer Hochschule begutachtet, kommt der Einführung von Controllinginstrumenten in Bezug auf Gleichstellungsaspekte eine noch größere Bedeutung zu, da die Umsetzung im einzelnen Studiengang nur noch stichprobenartig kontrolliert wird.
8 Hingewiesen sei auch auf die Universität Lüneburg, die ein Projekt „Gender-Kompetenz in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen und der Organisation Hochschule“ von 2004 bis Ende 2006 durchgeführt hat.
9 Der vermutlich größte Verbund ist das Netzwerk Frauenforschung NRW mit derzeit 160 Wissenschaftlerinnen, darunter 60 Professorinnen, aus sehr unterschiedlichen Disziplinen.
10 Der zweite Teil der Studie enthält a) Handlungsempfehlungen an Hochschulleitungen, Bundes- und Landespolitik sowie Akkreditierungsinstitutionen, b) Vorschläge für fachspezifische Lehrinhalte aus der Frauen- und Geschlechterforschung für über 50 der von der BLK unterschiedenen 80 Studienfächer, c) eine Liste von mehr als 200 Gender-ExpertInnen, die an den Begutachtungsverfahren für diese Studienfächer hinsichtlich der Geschlechterforschungsinhalte mitwirken können, und d) eine Übersicht über Strategien zur Integration von Gender-Aspekten an Hochschulen in Deutschland. Die komplette Studie sowie die Gender-Curricula und GenderexpertInnen sind veröffentlicht in der Datenbank www.gender-in-gestufte-studiengaenge.de.
Die Autorinnen
Professorin Dr. Ruth Becker ist Hochschullehrerin an der Universität Dortmund im Fachgebiet Frauenforschung und Wohnungswesen in der Raumplanung. – Dr. Bettina Jansen-Schulz arbeitet als freie Gender-Beraterin an der Universität Lüneburg, der TU Berlin und HAWK Hildesheim. – Dr. Beate Kortendiek koordiniert von der Universität Dortmund aus das Netzwerk Frauenforschung NRW. – Dr. Gudrun Schäfer arbeitet als selbstständige Beraterin für Öffentlichkeitsarbeit, den Transfer von Forschungsergebnissen und als Karriereberaterin für Nachwuchswissenschaftlerinnen.