Propaganda für StudiengebührenStudie sieht gebührenfreie Bundesländer als Verlierer
Studiengebühren schön verpackt – und trotzdem nicht beliebt
In der Studie wird vor allem hervorgehoben, dass Studierende mit guten Noten auch bei Studiengebühren eher im Heimatland blieben. Diese Chance haben aber im Grunde auch nur diejenigen mit guten Noten, denn die können sich über das ZVS-Verfahren tatsächlich aussuchen, wo sie landen. Da mehr noch als in anderen Studiengängen Kinder von MedizinerInnen eine ähnliche Karriere anstreben (und vielleicht die Praxis erben ...), liegt es nahe "vor Ort" bleiben zu wollen. Wenn eine gute Note hinzukommt, ist das möglich – und finanziell wahrscheinlich (jedenfalls im Durchschnitt) ein geringeres Problem, als bei Studierenden anderer Studiengänge, die eher auch aus finanzschwachen Familien kommen.
Die (von der Abitur-Note her) "schlechten" Studierenden würden eher auch in anderes Bundesland wechseln. Was die Studie nicht erwähnt: Ihnen bleibt durch das Zulassungsverfahren oft keine andere Wahl. Wer mit einer nicht überaus guten Note oder über die Wartezeit an einen Medizin-Studienplatz gelangen will, wird das eher gelingen, wenn er oder sie mit jedem Platz zufrieden ist. Mehr Plätze gibt es zur Zeit eher in Ostdeutschland (alle Bundesländer ohne allgemeine Studiengebühren) – kein Wunder also, dass so der Eindruck entsteht, die "schlechten" Studierenden würden eher den Gebühren ausweichen.
Sowohl das ZVS-Verfahren führt hier also zu einem Studiengebühren-unabhängigen Effekt, aber auch die soziale Zusammensetzung von Medizinstudierenden ist nicht geeignet, aus ihrem Verhalten auf alle Studierenden und deren Verhalten in Bezug auf Studiengebühren zu schließen.
In der ausführlicheren Darstellung des DIW wird korrekterweise erwähnt, dass nur Medizinstudierende untersucht wurden. Auch räumt eine an der Studie beteiligte Forscherin ein, dass die Studie sich nicht um die Studienentscheidung kümmert. "Was wir aber mit unseren Daten leider nicht untersuchen konnten, war die vorhergehende Entscheidung, ob sich ein Abiturient überhaupt für ein Studium bewerben will. Es könnte ja sein, dass Studiengebühren den Effekt haben, dass sie Studienberechtigte generell von einem Studium abhalten."
Gebührenfreundliche Propaganda hat Tradition
Die Presseerklärung des DIW kann man also mal wieder der Rubrik "Propaganda" zuordnen. Die durchaus Erfolg hat. Sucht man das Thema bei einer Suchmaschine, so findet man Artikel mit dem Titel "Studenten flüchten nicht vor Gebühren" (und Untertitel "Kein Vorteil durch Gebührenverzicht") oder "Freie Länder verlieren". Jeweils ohne jede Erwähnung der Einschränkungen der Studie.
Immerhin: SPIEGEL ONLINE ist auf diese plumpe Presseerklärung nicht hereingefallen und zerlegt die Studie genüsslich in einem Artikel Mediziner sind immun gegen Studiengebühren. Trotzdem dürfte in einigen Zeitungen eher etwas wie in den obigen Fundstellen zitiert stehen.
Nachdem aktuell die Zeichen gar nicht mehr so sehr auf Studiengebühren stehen (in Hessen wurden sie ja wieder abgeschafft, demnächst wahrscheinlich auch im Saarland), hat das DIW offenbar versucht, die eigentlich mageren Ergebnisse seiner Studie in Richtung Studiengebühren zu wenden. Im Prinzip nicht viel anders, als bspw. das CHE vor einigen Jahren (zeitlich passend zu diversen Studierendenprotesten auch gegen Gebührenpläne, die dadurch diskreditiert werden sollten) behauptete, Studierende seien mehrheitlich für Studiengebühren.
Es gilt offenbar nach wie vor: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast. Oder selbst interpretiert ;)
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