40 Jahre "Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)"Was 1968 auch begann
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Wie kam es zur Gründung des BdWi? Welche Motive standen dahinter?
Die an der Universität Marburg erfolgte BdWi-Gründung steht fraglos im allgemeinen Kontext des Aufbruchs der linken Intelligenz im Verlauf der 60er Jahre. Die sich abzeichnende Hochschulreform – ein Sammelbegriff, hinter dem völlig widersprüchliche Konzepte der unterschiedlichsten politischen Reichweite standen – förderte noch einmal speziell politische Positionierungen und Polarisierungen in einem akademischen Milieu, dessen traditionelle Vertreterinnen und Vertreter sich bis dato eher als apolitisch einstuften oder bestenfalls standespolitische Organisierung gelten lassen wollten.
Unmittelbarer Anlass der Gründung war das einige Monate zuvor an den Universitäten in Umlauf gebrachte »Marburger Manifest«. Dieser Aufruf verteidigte die Ordinarienuniversität auf dem Level der 50er Jahre und formulierte eine scharfe Absage selbst an die bescheidensten Vorschläge von Mitbestimmung in Hochschulgremien. Innerhalb weniger Wochen unterschrieb ein Viertel der deutschen Professorinnen und Professoren diesen Text. Da auf diese Weise offenkundig eine konservative politische Sammlungsbewegung entstand, schien es auch für die damalige kleine Minderheit der linken Professorinnen und Professoren etwa um Werner Hoffmann und Wolfgang Abendroth – und zunächst weniger Assistentinnen und Assistenten – überfällig, sich politisch zu organisieren.
Als unmittelbare Aufgabenfelder bei der BdWi-Gründung wurden die öffentliche Auseinandersetzung mit den – im Mai des gleichen Jahres verabschiedeten – Notstandsgesetzen und mit dem in Vorbereitung befindlichen Hessischen Hochschulgesetz benannt. Eine Bundeshochschulgesetzgebung gab es damals noch nicht. In diesem Rahmen erschien folglich das Demokratiemotiv die verbindende Klammer für gesellschaftspolitische Interventionen und dem Engagement für eine demokratische Selbstverwaltung der Hochschulen.
Was hat man sich unter demokratischer Wissenschaft« vorzustellen? Auf dieses Postulat folgt schließlich immer stante pede der Vorwurf, man wolle freie Erkenntnistätigkeit vordergründig politisieren bzw. gesellschaftlichen Interessen instrumentell unterordnen.
Demokratie – und Politik generell – auf der einen und Wissenschaft auf der anderen Seite werden immer in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Das ergibt sich schon daraus, dass über die Gültigkeit einer wissenschaftlichen Schlussfolgerung nicht qua Mehrheit abgestimmt werden kann und dass Mehrheiten sich auch irren können. Das heißt aber eben nicht im falschen Umkehrschluss, dass Demokratie und Wissenschaftlichkeit in einem Verhältnis der prinzipiellen Unvereinbarkeit zueinander stehen, wie es das »Marburger Manifest« damals – und die Konservativen an den Hochschulen noch heute – behaupten.
Im Gegenteil! In Hochschulgremien etwa soll nicht über physikalische Theorien abgestimmt werden, sondern die demokratische Verfasstheit solcher Gremien rechtfertigt sich aus dem Vorhandensein und der Gleichberechtigung unterschiedlicher Interessen. Diese werden vor allem in einen Aushandlungs- und Willensbildungsprozess gebracht. Andernfalls würde qua Macht oder Amt entschieden, was ja gerade die Ordinarienuniversität charakterisierte – und die heutigen autoritären Managementhochschulen umso mehr! Autoritäre Strukturen sind wiederum die geeignete Form einer diskreten Verfügbarmachung der Wissenschaft für Herrschaftszwecke.
Der BdWi hat immer die Position vertreten, dass die demokratische Verfasstheit wissenschaftlicher Institutionen auch der beste Garant, die adäquate Form, für die wissenschaftliche Autonomie dieser Institutionen ist – der beste Schutz gegen die Instrumentalisierung durch staatliche oder wirtschaftliche Partikularinteressen. Gleichzeitig stärken solche Strukturen öffentliche Transparenz und gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftssystems. Dies ist auch heute noch der Gegenentwurf zu dessen Kommerzialisierung und Privatisierung. Diese Kontroverse ist die letzten 40 Jahre immer aktuell gewesen, selbst wenn sie in unterschiedlichen Begriffen und Kostümen ausgetragen wurde.
Vom ursprünglichen Projekt »Hochschulreform« ist heute nichts mehr wieder zu erkennen – ebenso wie die politischen Impulse des 68er-Aufbruchs längst politisch verebbt sind. Wie ist es zu erklären, dass ein Verband wie der BdWi bis heute Bestand hat, was für die meisten der sehr zahlreichen politischen Gründungen infolge von '68 ja nicht gilt?
Dazu war vermutlich eine gewisse Wandlungsfähigkeit erforderlich. Der BdWi musste sich thematisch mehrfach neu erfinden bzw. strategisch neu ausrichten. Das ergibt sich schon daraus, dass unsere Positionen in der Wissenschaft, selbst zu unseren stärksten Zeiten, immer politisch minoritär und wir ein Teil der gesellschaftlichen Opposition waren. So mussten wir uns natürlich an veränderte politische Kräfteverhältnisse anpassen – und konnten unsere Themen nicht aus eigener Vollkommenheit heraus frei bestimmen. Seit Ende der 70er Jahre finden in der Hochschulpolitik fast nur noch Rückzugsgefechte statt. Allerdings denke ich, dass diese Wandlungsfähigkeit einen gewissen Grundkonsens zur Voraussetzung hat, der auch weitgehend mit dem Gründungsmotiv 1968 identisch ist. Dieses lässt sich auf die Formel bringen: Wissenschaft und Politik!
Der BdWi versteht sich als ein Verband, der an der Nahtstelle von Wissenschaft, politischen Institutionen, gesellschaftlicher Öffentlichkeit und sozialen Bewegungen wirkt. Innerhalb dieses Spannungsfeldes versuchen wir verschiedene politische Impulse zusammen zu bringen: im Sinne einer systematischen Kritik herrschender Entwicklungen oder, positiv ausgedrückt, im Sinne der Erarbeitung wissenschafts-, forschungs- oder bildungspolitischer Forderungen und Perspektiven. Dies setzt politische Kooperation und gemeinsame Diskussion voraus, mit sozialen Initiativen, studentischen Verbänden, politischen und gewerkschaftlichen Organisationen … Dieser politische Ansatz hat es offenbar immer wieder ermöglicht, Irrtümer und Fehler zu korrigieren bzw. neue politische Entwicklungsressourcen zu erschließen. Auch bei zunehmenden Schwierigkeiten.
Zu diesen Schwierigkeiten gehört wohl die zunehmende Verdrängung kritischer und linker Wissenschaftsansätze, die sich im Zuge der Hochschulreform zumindest an einzelnen Hochschulen etablieren konnten. Diese Verdrängung ist offenbar Ausdruck einer forcierten Ökonomisierung der Hochschulen nach den Erfolgskriterien von Markt und Wettbewerb. Wie lassen sich vor diesem Hintergrund noch Aussagen über die politische Wirksamkeit des BdWi machen?
Ganz bescheiden formuliert sind kleine Erfolge daran messbar, dass es immer noch hin und wieder gelingt, ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen, Diskussionen in der richtigen Richtung anzuzetteln, Einsprüche und Widersprüche zu artikulieren, die von einem relevanten Teil der wissenschaftspolitischen Öffentlichkeit wahrgenommen werden, der eine gewisse »kritische Größe« übersteigt. Das sollte man allerdings auch nicht hochjubeln. Noch in den 70er Jahren waren politische Erfolge des BdWi ganz konkret anhand akademischer Stellenbestzungen oder von Abstimmungskonstellationen in Hochschulgremien – zumindest an einzelnen Hochschulen – bestimmbar. Diese Zeit ist in der Tat lange vorbei. Aktuell macht aber gerade die Verdrängung kritischer Wissenschaft aus den Hochschulen Organisationen notwendig, die einen Diskussionszusammenhang, eine Art Netzwerk, zwischen Noch-Hochschulangehörigen und kritischer Intelligenz außerhalb der Hochschule aufrechterhalten.
Das klingt sehr defensiv!
Das ist auch zunächst die defensive, aber dennoch notwendige, Interpretation des bestehenden Zustandes, bei der man allerdings nicht stehen bleiben darf. Der BdWi war natürlich immer am stärksten im Milieu der kritischen Wissenschaft politisch verankert, hat sich aber in seinen Handlungsperspektiven nie auf dieses beschränkt, sondern es vielmehr als Ausgangsbasis begriffen, um politisch verallgemeinerungsfähige Perspektiven wissenschaftlicher Autonomie und gesellschaftlicher Verantwortung zu entwickeln.
Das aktuelle, als Begriff und Konzept aus den USA importierte, Leitbild der »unternehmerischen Hochschule« mit seiner Abschaffung der Restbestände akademischer Selbstverwaltung und der Installierung autokratischer agierender Hochschulpräsidenten, die die vorhandenen wissenschaftlichen Potentiale nach Erfolgskriterien von »Markt« und »Wettbewerb« sortieren und ausrichten, stellt auch ganz traditionelle, etwa professorale, Vorstellungen akademischer Freiheit und wissenschaftlicher Autonomie in Frage. Die Umsetzung dieses Leitbildes, die erst am Anfang steht, wird Kritik und Dissens, Widersprüche und Konflikte auslösen, von deren Verlausformen wir teilweise noch nicht mal eine Ahnung haben.
Diese Konflikte müssen politisch interpretiert und demokratiepolitisch gewendet werden. Das sehe als die eigentliche Herausforderung an. Entsprechende Analysen und Debatten sind noch in der absoluten Anfangsphase. Ihnen auszuweichen macht aber keinen politischen Sinn. Es geht darum, eine völlig neue Idee von Wissenschaft und Hochschule zu erarbeiten.
Zum Schluss: Wer organisiert sich im BdWi – und warum?
In der Anfangsphase mehrheitlich Professorinnen und Professoren, die zum Teil ihre Assistentinnen und Assistenten mitbrachten. Anfang der 70er Jahre kam ein Schub aus der radikalreformistischen bundesweiten Assistentenbewegung hinzu, die teilweise auch von Exponenten der Studierendbewegung geprägt war, die in der Wissenschaft Fuß gefasst hatten. Zu einem geringeren Teil wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Verbänden, Parteien und Gewerkschaften sowie aus der hochschulfreien Forschung.
Studierende dürfen – infolge einer viel zu spät vorgenommenen Satzungsänderung – erst seit 1989 Mitglied werden. Sie sind heute die größte und zahlenmäßig am stärksten wachsende Mitgliedergruppe, während der Professorenanteil auf etwa 15% zurück gefallen ist. Der BdWi hat eine hohe Mitgliederfluktuation, in der sich die zunehmende Flexibilisierung wissenschaftlicher Berufsausübung widerspiegelt. Während in den 70er Jahren die Entscheidung in der Wissenschaft zu arbeiten in der Regel noch eine berufliche Lebenszeitperspektive war, arbeitet etwa heute die Mehrheit der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen in immer kürzer befristeten (Zwangs-) Teilzeitarbeitsverhältnissen. Wissenschaftliche Arbeit ist immer häufiger eine bloße biographische Zwischenphase auf dem Weg in irgendein anderes Beschäftigungsverhältnis. Das macht uns natürlich zu schaffen und die Mitgliederbindung schwierig.
Streng betrachtet ist der BdWi heute kein ausschließlicher Verband professioneller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr. Etwa die Hälfte der Mitglieder arbeitet außerhalb der Hochschulen, etwa in Schulen, Verbänden, Gewerkschaften oder Parteien. Diese verschiedenen beruflichen und fachlichen Milieus verbindet aber offenkundig ein ähnliches bildungs- und wissenschaftspolitisches kritisches Interesse und sie suchen vermutlich einen übergreifenden Informations- und Diskussionszusammenhang, dieses zu artikulieren.