Desinteresse an Politik steigtPolitische Einstellungen von Studierenden widersprüchlich
Im Konstanzer Studierendensurvey werden seit 1983 ungefähr alle drei Jahre Tausende von Studierende an staatlichen Universitäten und Fachhochschulen (nicht aber von künstlerischen, kirchlichen oder privaten Hochschulen) vor allem rund ihre Zufriedenheit und Einstellungen rund ums Studium und den Übergang zum Beruf befragt. Im Kurzbericht (der mit Anhang auf über 60 Seiten kommt) der aktuellen Studie gar nicht aufgeführt, wurden in der Befragung immer auch die politische Einstellung der Studierenden abgefragt. Die Veränderungen über die Jahre sind durchaus interessant, deshalb stellt hat Studis Online die wichtigsten Ergebnisse zusammengestellt.
Politisches Interesse schwindet
1983 war noch die Mehrheit der Uni-Studierenden sehr stark am "allgemeinen politischen Geschehen" interessiert, konkret waren es 55%. Gar kein Interesse hatten 4%. 2007 wollten schon 10% gar nichts mehr von der Politik wissen und nur noch 37% hatten starkes Interesse.
An den Fachhochschulen sank das sehr starke Interesse in diesem Zeitraum von 45% auf nun 33%. Gar kein Interesse hatten 1983 5%, inzwischen 9%. Die Werte von Fachhochschulen und Universitäten scheinen sich also langsam anzunähern.
Betrachtet man die großen Fachbereiche, so sind JuristInnen im Schnitt offenbar noch am stärksten am politischen Geschehen interessiert (ihr Interesse ist auch weniger stark geschwunden, als bei anderen Fachbereichen), Naturwissenschaftliche Studiengänge und Medizin dagegen am wenigsten.
Politischer Standort in der Mitte
Gefragt wurde jeweils nach der Einschätzung, ob sich der/die jeweils Befragte im Vergleich mit den meisten Leuten in Deutschland bzw. mit den eigenen KommilitonInnen als ziemlich "links" (1-2), "in der Mitte" (3-5) oder "rechts" (6-7) einordnet oder ob eine Beurteilung nicht möglich ist.
Im Vergleich zu den meisten Leuten sahen sich 1983 30% als ziemlich links an, nur 5% als ziemlich rechts, 56% verorteten sich in der Mitte, 8% konnten oder wollten das nicht beurteilen. "Linker" jedenfalls im Vergleich zu den meisten Leuten fühlten sich die Uni-Studierenden Anfang und Mitte der 1990er (34% 1993 und 1995). Im aktuellen Jahrzehnt dagegen sehen sich 2007 nur noch 25% als im Vergleich "ziemlich links" an, auf der rechten Seiten sind es sogar nur noch 2%. 14% dagegen können (oder wollen) dazu keine Aussage machen.
An den Fachhochschulen ergibt sich ein ähnliches Bild, wobei sich immer geringfügig mehr als rechts einstuften und weniger als links. Im Gegensatz zu den Unis ist der Anteil derer, die sich als "ziemlich links" im Vergleich zur Gesamtgesellschaft einstufen 2007 sogar geringfügig höher (22%) als 1983 (21%), der höchste Wert wurde 1994 erreicht (28%).
Im Vergleich mit den Kommilitonen dagegen fühlen sich aktuell nur 12% als "zimlich links", dafür aber 5% als ziemlich rechts. 1983 empfanden sich 13% als "ziemlich links" und sogar 15% als "ziemlich rechts". Offenbar wurde in den 1980ern das Klima an den Unis als "linkslastig" empfunden, wenn sich eine doch so hoher Zahl im Vergleich als "rechts" einstufte. An den Fachhochschulen sind die Werte recht ähnlich.
Sozialdemokratisch-Grün-Alternativ-Liberal
Den Befragten wurden dann noch einige politische Grundrichtungen vorgelegt und erneut die Gelegenheit gegeben, die Zustimmung (+1 bis +3), Ablehnung (-1 bis -3) oder neutrale Haltung (0) dazu zu äußern. Als Richtungen wurden dabei "christlich-konservativ", "grün/alternativ", "kommunistisch-marxistisch", "liberal", "national-konservativ" und "sozialdemokratisch" vorgegeben.
Demnach sind die besten Zeiten für "grün/alternativ" eingestellte offenbar vorbei. Auch denn der Tiefpunkt von 2001 wieder überwunden werden konnte, sind die Werte deutlich schlechter als Mitte/Ende der 1990er.
Sowohl bei den "kommunistisch-marxistischen" als auch bei der "national-konservativen" Richtung ist die Ablehnung im Vergleich zu den Höchstständen um mehr als 10% gefallen. Zustimmung gibt es für deutlich links von 12% (8% +1, 4% +2 oder +3), für sehr rechts von 6% (4% +1, 2% +2 oder +3). Deutlich gestigen ist bei beiden "Extremen" eine neutrale Einstellung. Bei "kommunistisch-marxistisch" liegt dies nun bei 16% (1983 nur 9%), beim "national-konservativen" bei 11% (1983 bei 5%, 1990 sogar bei nur 4%).
Am meisten Zustimmung wird der "sozialdemokratischen" Richtung zugebilligt. 36% nennen eine starke Zustimmung, weitere 31% eine gewisse. Abgelehnt wird diese Richtung nur von insgesamt 12%. Offenbar wird "sozialdemokratisch" nicht mit der SPD gleichgesetzt, denn es wäre nicht bekannt, dass die SPD unter Studierenden so stark ist, wie diese Werte vermuten ließen.
Wiwis liberal, SoWis rot-grün
Schaut man die größeren Fachbereiche an, so kann man Tendenzen erkennen, die man schon fast als Klischee bezeichnen könnte. Während alle anderen Fachbereiche "christlich-konservativ" eher ablehnen (Werte von -0,5 bis -0.9), können sich Jura, Wirtschaftswissenschaften und Medizin am ehesten damit anfreunden und kommen auf 0.0 oder 0.1. Umgekehrt ist die Ablehnung gegenüber "kommunistisch-marxistisch" bei diesen Fachbereichen am stärksten, die Ablehnung von "national-konservativ" am schwächsten (wobei die Ablehnung trotzdem hoch ist und der Unterschied zu anderen Fachbereichen hier noch am geringsten ist).
Liberale Werte werden am stärksten von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften geteilt (0,6), sozialdemokratische von denen aus dem Bereich Sozialwissenschaften (1,1). Grün-alternativ fühle sich am ehesten Kultur- und SozialwissenschaftlerInnen (je 0,8), WirtschaftswissenschaftlerInnen vergeben hier als einziger Fachbereich negative Werte (-0,1).
Streiks und Demonstrationen finden weniger Zustimmung, "harte Bestrafung der Kriminalität" dafür um so mehr
Den Befragten wurden diverse Statements vorgelegt, bei denen sie ihre Zustimmung (+1 bis +3), Ablehnung (-1 bis -3) oder neutrale Einstellung (0) dazu angeben konnten.
"Der Bürger verliert das Recht zu Streiks und Demonstrationen, wenn er damit die öffentliche Ordnung gefährdet."
1983 lehnten diese Aussage noch 62% der Uni-Studierenden ab (der Spitzenwert wurde 1990 mit 65% erreicht), inzwischen nur noch 48%. Die Zustimmung ist zwar nur von 26% auf 29% gestigen, deutlich mehr haben sich neutral verhalten.
An den Fachhochschulen war die Ablehnung dieser Aussage 1990 am höchsten (57%), um inzwischen ihren Tiefstand mit 43% erreicht zu haben. Die Zustimmung schwankte zwischen 37% (1983) und 26% (1998), um 2007 bei 34% zu liegen.
Nun kann man sich fragen, ob inzwischen erkannt wird, dass solch eine Frage wenig differenziert und der Knackpunkt ist, was denn "die öffentliche Ordnung gefährdet". Oder ob wirklich mehr Studierende glauben, dass die entsprechenden Instanzen korrekt erkennen, wann wirklich eine Gefahr besteht und diese Behauptung nicht nur vorschieben, um unliebsame Proteste zu unterbinden.
"Aufgabe der politischen Opposition ist es nicht, die Regierung zu kritisieren, sondern sie in ihrer Arbeit zu unterstützen."
Diese Aussage wurde 1983 von 62% der Uni-Studierenden abgelehnt, 1990 sogar von 70% (umgekehrt gab es nur 21% bzw. 14% Zustimmung). 2007 dagegen gab es nur noch eine knapp Ablehnung von 42% gegenüber 37% Zustimmung. 2004 stimmte sogar eine relative Mehrheit dieser Aussage zu (41% gegen 39% Ablehnung). Ähnlich sah es bei den FH-Studierenden aus, bei denen allerdings durchgehend mehr Zustimmung zu finden war und diese auch 2007 mit 42% höher als die Ablehnung mit 35% ist.
Auch hier ist die Frage, ob sich vielleicht das Verständnis von Kritik geändert hat bzw. die Form, wie die Medien "Kritik" transportieren, abgelehnt wird. Kritik an sich sollte doch hoffentlich noch möglich sein, Selbstkritik erst recht ...
Jeder Bürger hat das Recht, notfalls für seine Überzeugungen auf die Straße zu gehen."
Im Prinzip werden hier Grundrechte der Demokratie angesprochen: Redefreiheit und Demonstrationrecht. Die Ablehnung dieser Grundrechte ist erfreulich gering: 1983 lehnten diese Aussage nur 4% ab, 2007 sogar nur 3%. Die Zustimmung ist gleichwohl ebenfalls gefallen: Vom Höchststand 95% im Jahr 1990 auf nun 90%. An den Fachhochschulen war und ist die Zustimmung geringfügig schwächer.
verstärkte Förderung technologischer Entwicklung
Dieser Punkt fand zwar immer eine deutliche Mehrheit (schon 1983 lag sie bei 56%), diese ist aber noch deutlich gestiegen und liegt nun bei 79%. Dagegen sind nur noch 6% (1983: 25%), neutral 15% (20%).
Priorität des Umweltschutzes vor wirtschaftlichem Wachstum
Hier ist die extrem hohe Mehrheit von Anfang der 1990er (1990 lag sie bei 92%) gesunken und liegt nun bei 76%. Der "Tiefpunkt" der Zustimmung war 2004 mit 72% erreicht worden.
Abschaffung des Privateigentums an Industrieunternehmen und Banken
Eine Verstaatlichung dieser Branchen lehnt zwar weiter eine Mehrheit ab. Trotzdiem ist diese mit nur noch 54% deutlich geringer als zum Höchststand 1990 mit 73%. Die Zustimmung dazu ist zwar ebenfalls geringer (16%) als noch in den 1980ern (Höchststand 1985 mit 20%), dafür stehen inzwischen 30% diesem Punkt neutral gegenüber.
Harte Bestrafung der Kriminalität
Das ist erneut ein Punkt, bei dem eigentlich erst geklärt werden müsste, was denn unter Kriminalität verstanden wird. Denn sonst bleibt offen, ob einfach allgemein härtere Strafen gefordert werden oder sich das Verständnis davon, was als kriminell anzusehen ist, geändert hat.
Jedenfalls scheint "Law and Order" auch bei Studierenden stärker Anklang zu finden: 1985 lehnten die Aussage "Harte Bestrafung der Kriminalität" noch 40% ab, 42% stimmten zu. 2007 dagegen liegt die Zustimmung bei 73%, die Ablehnung nur noch bei 14%.
Quellen und weiteres zum Thema
- Kurzbericht 10. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen (PDF)
- Datenalmanach Studierendensurvey 1983 - 2007 (PDF)
- Alex Demirovic: Die politische Metapher links und die politischen Orientierungen von Studierenden (ausführlicher, wissenschaftlicher Artikel aus der Prokla 104; zwar aus dem September 1996, aber in vielen Aussagen immer noch aktuell)