Staatsgerichtshof hat keine EinwändeStudiengebühren in Hessen bleiben möglich
Die Euphorie der StudiengebührengegnerInnen nach der Abschaffung der Studiengebühren in Hessen durch die Landtagsmehrheit von SPD, Grünen und Linker am 4. Juni war bereits kurz darauf gedämpft worden. Der geschäftsführende Ministerpräsidenten Koch (CDU) hatte zwei Tage später erklärt, er könne das Gesetz wegen eines Formfehlers nicht unterschreiben. Dieser tatsächlich vorhandene Fehler kann aber offenbar durch eine Sondersitzung des Landtages am 17. Juni ausgebessert werden, so dass das Gesetz vermutlich doch noch zum Wintersemester Wirkung entfalten kann.
Die Euphorie blieb also erhalten und die Hoffnung war groß, dass der hessische Staatsgerichtshof die Studiengebühren grundsätzlich für verfassungswidrig erklärt. In der hessischen Landesverfassung findet sich in Artikel 59 ein Passus zur "Unterrichtsgeldfreiheit". Dessen genaue Interpretation war (und ist) umstritten, was auch die knappe Entscheidung des Gerichts zeigt. Sechs Richter hatten keine Bedenken, fünf durchaus.
Keine Rückzahlung von Gebühren
Mit diesem Urteil haben sich die Hoffnungen zerschlagen, dass erstmalig in Deutschland ein Gericht in oberster Instanz (für die hessische Landesverfassung ist der Staatsgerichtshof die oberste Instanz) allgemeine Studiengebühren für verfassungswidrig erklären würde. Somit wird es auch nicht zu einer Rückzahlung der bisher erhobenen Studiengebühren in Hessen kommen.
Studienbeitragsdarlehen als soziale Abfederung?
Die Mehrheit der Richter hatte auch deswegen keine Probleme mit den Studiengebühren, da aus ihrer Sicht das Studienbeitragsdarlehen ausreicht, um den Zugang zum Studium allen zu ermöglichen. Die Darlehen würden ohne Bonitätsprüfung vergeben, BAföG-EmpfängerInnen müssten darüber hinaus keine Zinsen zahlen (dies ist eine hessische Besonderheit gewesen).
Dass allerdings für Menschen aus finanzschwachen Elternhäusern damit Schulden (oder mehr Jobben) zugemutet werden, die anderen aus finanzstärkeren Elternhäusern erspart bleiben können, scheint auch die Mehrheit der Richter des Staatsgerichtshofes zu verdrängen.
Die fünf Richter, die sich gegen Studiengebühren ausgesprochen hatten, sehen die Probleme dagegen durchaus. In der Presseeklärung des Staatsgerichtshofes zur Entscheidung wird ihre Ansicht wie folgt zusammen gefasst: "Mit dieser Zukunftsbelastung [den Schulden aus dem Darlehen] verschlechtere [der Gesetzgeber] die wirtschaftliche Lage wirtschaftlich schwacher Studierender noch zusätzlich und erhöhe im Widerspruch zur Hessischen Verfassung die Barrieren, die deren Studienaufnahme entgegenstünden."
Die Minderheit der Richter erklärt auch deutlich, dass "Der Unterricht ist unentgeltlich" in der hessischen Verfassung aus ihrer Sicht "Es kostet nichts" und nicht "Du kannst es später abzahlen" bedeute. Sie führen weiter an, dass das Ziel alle BAföG-berechtigten Studierenden von der Verpflichtung zur Zinszahlung freizustellen, nicht erreicht werde. Denn eine Befreiung gebe es nur, wenn tatsächlich BAföG bezogen wird, nicht aber, wenn auf den Bezug verzichtet wird, um Schulden zu vermeiden.
Gebühren können zurückkehren
Trotz der knappen Entscheidung ist diese nun rechtskräftig und bleibt auf lange Sicht – außer die Verfassung selbst würde geändert (was bei der dafür nötigen 2/3-Mehrheit im Landtag unwahrscheinlich ist) – Richtschnur. Der jeweilige hessische Landtag könnte im Rahmen der genannten Einschränkungen (ein Studienbeitragsdarlehen ist beispielsweise notwendig) jederzeit wieder Studiengebühren einführen.
Zwar wird am 17. Juni die aktuelle Landtagsmehrheit von SPD, Grünen und Linker die Gebühren erstmal abschaffen. Offen ist allerdings, wie lange diese Mehrheit erhalten bleibt. Die Wahl einer neuen Regierung konnte diese Mehrheit vor allem wegen diverser Vorbehalte gegen die Linke bisher nicht realisieren.
Insofern könnte die Abschaffung der Studiengebühren nur ein kurzes Zwischenspiel sein, wenn es bald Neuwahlen geben würde und die CDU dabei wieder die absolute Mehrheit erreicht oder zumindest nur die FDP als Koalitionspartner benötigt. Die aktuellen Umfragen jedenfalls sagen letzteres voraus ...
Quellen und weitere Materialien
- Pressemitteilung des Staatsgerichtshofes zur Entscheidung inkl. Zusammenfassung der abweichenden Meinung der Minderheit (11.06.2008)
- Studiengebühren in Hessen – Entwicklung in den letzten Jahren
- Historischer Moment: Studiengebühren in Hessen abgeschafft (03.06.2008)
- Zu früh gefreut? Koch will Gesetz zur Abschaffung der Studiengebühren nicht unterzeichnen (05.06.2008)