Staatsgerichtshof oder nächste Regierung kann sie kippenWas wird aus den Studiengebühren in Hessen?
Dass in Hessen eine Verfassungsklage gegen Studiengebühren Erfolg haben könnte, liegt an einem Passus der hessischen Landesverfassung. In Artikel 59 heißt es: "In alle öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich".
Die bisherige CDU-Landesregierung sah darin nach einem Rechtsgutachten kein Problem, da es im selben Artikel weiter heißt: "Es [das Gesetz] kann anordnen, daß ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet." Die CDU (aber auch die FDP) interpretieren diesen Passus so weit, dass die Bereitstellung von Darlehen ausreiche, um Studiengebühren erheben zu können.
Richter sehen Bedenken gegen das Gesetz
Das Verwaltungsgericht Giessen hat inzwischen in mehreren Eilentscheidungen deutlich gemacht, dass es das Studiengebührengesetz für verfassungswidrig hält. Zuletzt gab es einen Beschluss, der die Uni Marburg dazu zwang, einer Klägerin die Gebühren vorläufig zurückzuzahlen (vgl. unseren Artikel vom 13.11.2007). Kurz davor hatte die Uni Gießen erklärt, von denen die bis im November noch nicht die Gebühr für das Wintersemester gezahlt hatten, das Geld erst einmal nicht eintreiben zu wollen (auch hier ging ein Eilentscheid des VG Giessen voraus, siehe hier).
Bei der Anhörung vor dem Staatsgerichtshof scheinen die Richter, aber auch die Landesanwältin (die sich der Klage angeschlossen hat) vor allem als Problem zu sehen, dass die Studiengebühren – bis auf sehr wenige Ausnahmen, die nicht der Rede wert sind – von allen Studierenden erhoben werden. Das angebotene Darlehen würde nicht dazu führen, dass "nicht leistungsfähige" Studierende "leistungsfähig" werden (jeweils finanziell gemeint).
Grundsätzliche Einwände gegen Studiengebühren scheint das Gericht allerdings nicht zu haben. Auch der UN-Pakt "über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" scheint keine Rolle zu spielen. Es geht offenbar nur um die Auslegung der hessischen Verfassung. Sofern das Studiengebührengesetz großzügige Ausnahmen von der Gebührenpflicht machen würde (z.B. alle BAföG-Empfänger müssen nicht zahlen), würde das Gericht möglicherweise das Gesetz durchwinken. Da es solche weitläufigen Ausnahmen jedoch nicht gibt, könnte der Staatsgerichtshof tatsächlich entscheiden, dass das Gesetz verfassungswidrig sei. Bis zur Entscheidung dauert es aber noch einige Monate.
Wer entscheidet zuerst?
Die Landtagswahlen in Hessen haben eine Mehrheit für Parteien erbracht, die sich gegen Studiengebühren ausgesprochen hatten (SPD, Grüne, Linke). Würde es zu einer Regierung dieser Parteien kommen (evt. auch rot-grün mit Tolerieung durch Linke), wäre eine Abschaffung der Studiengebühren durch den Landtag noch vor einer Entscheidung des Staatsgerichtshofes möglich. Aber noch will ja vor allem die SPD keine solche Koalition oder Tolerierung. Bei Beteiligung von FDP oder CDU an einer Koalition wäre jedoch eine Abschaffung von Studiengebühren durch die Regierung selbst schwer möglich.
Der Staatsgerichtshof hat jedenfalls nach der Anhörung am Mittwoch auf weitere Anhörungstermine verzichtet. Trotzdem wird es wohl bis in den Frühsommer dauern, bis eine Entscheidung vorgelegt wird. Man darf gespannt sein, ob bis dahin eine neue Regierung steht – die der Entscheidung des Gerichts vielleicht vorgreift ...