Vom Elfenbeinturm zum EventmarketingUnternehmen Universität
Von Heiner Keupp
Aber die Bilder ändern sich, und statt des Elfenbeinturms ist jetzt der »Leuchtturm« die Leitmetapher. Er soll permanent blinken, und das erfordert eine grundlegend veränderte Präsentationskultur. Die Zielgruppe dafür ist allerdings weniger eine breite Öffentlichkeit, die einmal im Jahr eine »lange Nacht der Wissenschaften« geboten bekommt – Ziel ist vielmehr die Mobilisierung der Universitätsangehörigen selbst. Sie sollen sich zu Höchstleistungen aufschwingen, all ihre Ressourcen aktivieren, Grenzen eines traditionellen Wissenschaftsverständnisses überschreiten und die Bequemlichkeitseffekte einer Beamtenmentalität überwinden. Entbürokratisierung und Entstaatlichung sind weitere Zielvorgaben.
Dieser Artikel erschien zuerst in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" (Heft 10/2007), herausgegeben u.a. von Norman Birnbaum, Micha Brumlik, Jürgen Habermas, Rudolf Hickel, Claus Leggewie, Ingeborg Maus, Rosemarie Will. Wir danken der Redaktion und dem Autor für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. |
Wenn man die Fragmente zu einem Gesamtbild zusammenzufügen versucht, dann entsteht das Bild einer Universität, das mit der Humboldtschen Idee fast nichts mehr gemeinsam hat. Diesen Umstand möchte ich hier exemplarisch belegen und damit die These untermauern, dass die »Eventisierung« der Hochschullandschaft Teil einer Mobilisierungsstrategie ist, die die Universitäten ihrer kritisch-reflexiven Restbestände an Autonomie beraubt und sie in das Getriebe des globalisierten Kapitalismus als unmittelbar nutzbare Ressource widerstandslos einpasst. Man könnte von einer »Entkernung der Universitäten« sprechen, die von einer Wettbewerbssituation in die nächste gejagt werden, darin Spitze beweisen sollen und dabei ihre Produktivität und Kreativität in einem hektischen »Mehr vom Gleichen« einbüßen – was, vorsichtig formuliert, zumindest eine »Zähmung der wissenschaftlichen Neugier« bedeutet.2
Umbau der Universitäten – Impressionen von einer Baustelle
Im Beratungsgremium einer großen Volkshochschule, dem ich angehöre, wurden jüngst die geplanten Angebote für das kommende Halbjahr diskutiert. Ein Kurs, der sich mit einem neuen Konzept der Elternbildung beschäftigen soll, war überschrieben »Eltern – ‚Leuchttürme‘ oder ‚Sparringspartner‘«. »Leuchttürme« – wie kann man einen solchen verbrauchten Begriff verwenden? Aber auch wenn ich mit meiner ablehnenden Reaktion nicht ganz alleinstand: Die Mehrheit des Gremiums konnte sie nicht verstehen. Ein Leuchtturm liefere doch ein positives Bild: verlässliche Orientierung, Hoffnung, ja vielleicht sogar Rettung! Aber so kann man das wohl nur sehen, wenn man den inflationären Gebrauch des Begriffs im Elitediskurs der sich radikal verändernden Hochschullandschaft nicht kennt und nicht von Texten überschwemmt wird, in denen es nur so wimmelt von Leuchttürmen.
Als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am 23. Juni 2005 die mühsam ausgehandelte Bund-Länder-Initiative verkündete, die 1,9 Mrd. Euro für eine »Exzellenzinitiative« zur Verfügung stellte, sprach er von den »Leuchttürmen der Wissenschaften«, die hier aufgestellt werden sollten. Das klang noch etwas gewöhnungsbedürftig. Aber weil dieser Jargon in den Hochschulen seitdem tagtäglich und ganz ohne ironische Distanz nachgeplappert wird, inkorporieren viele Wissenschaftler ihn in die eigene Rede oder Schreibe. »Leuchtturm« wird so zur Metapher für eine Universität, in der sich kritische Geister schon längst expatriiert fühlen.
Wir wissen ja seit Wittgenstein, dass unsere Sprachspiele auch unser Denken lenken. Die neue Sprache und Denkweise der formierten Universität, ihr »Jargon der Eigentlichkeit«, kommt einem ja im Grunde bekannt vor. Die Wirtschaft hat sich längst unter Anleitung smarter und harter Unternehmensberater einer marktradikalen Transformation unterzogen, und die dort vertrauten Begriffe tauchen jetzt alle im neuen Jargon des Hochschulmanagements auf: Stellenbewerber werden in »Assessment Centers« auf ihre Eignung abgecheckt. Von »Qualitätsmanagement« über »Benchmarking«,3 Steuerungs- und Strategiefähigkeit durch neue »Governance-Strukturen«, »Ranking« in allen denkbaren Varianten, »People Processing« bis zur Modularisierung reichen die gängigen »Plastikwörter«, die begrifflichen Duftmarken, die man kennen und noch besser flüssig dem eigenen Redestrom einverleiben sollte. Diese Plastikwörter »sind nicht isoliert, sondern zwischen ihnen gehen Fäden hin und her wie zwischen Knotenpunkten, und insgesamt ergibt sich ein Netz, das unser Bewusstsein von der Welt überwölbt und vielleicht gefangen hält«.4 Von den »stake holders« der Universität, auf die wir Rücksicht zu nehmen hätten, sprach kürzlich eine Kollegin. Aus den Studiengebühren berappenden Studierenden werden »Kunden«, von deren kritischem Kundenverhalten Rückkopplungseffekte auf die Qualität der Lehre erwartet werden. Und man will sich natürlich erfolgs- und gewinnträchtig »aufstellen«.
Der Sport ist eine zweite Diskursarena, die gern genutzte Metaphern liefert. Der Wettbewerb, der die »Exzellenzinitiative« für die Hochschullandschaft einläutete, wurde unter dem Titel »Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten« vom damaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Ernst-Ludwig Winnacker ausgerufen. Hier fühlte man sich sehr schnell wie in einem sportlichen Wettkampf auf höchstem Niveau: Immer wieder wird der Aufstieg in die kleine Gruppe der Eliteuniversitäten mit dem Mitspielen in der »Champions League« verglichen, also mit dem höchsten europäischen Fußballwettbewerb. »Eine auf Rekorde und Spitzenleistungen versessene Gesellschaft kann gar nicht anders, als sich auch Wissenschaft nach ebendiesen Prinzipien organisiert vorzustellen, und die Berichte über Big Science und weltweit umworbene Spitzenforscher erinnern immer öfter an die Hintergrundreportagen über die Transfersummen in der Champions League.«5 Auch der Vergleich mit den Olympischen Spielen wird nicht gescheut. Der Präsident der Universität Würzburg zieht mit olympischem Geist in den Wettbewerb um die Elitestatus-Medaillen: »Wir wussten, dass die Konkurrenz sehr hart ist. Aber das ist wie bei den Olympischen Spielen. Nicht alle der Besten können eine Medaille bekommen. Wir werden nun unser Zukunftskonzept weiter ausarbeiten und uns als eine der besten deutschen Universitäten erneut dem Wettbewerb stellen.«
Elite – ein Tabubegriff erlangt Normalität
Im Bemühen, so etwas wie »Urvertrauen« in eine demokratische Lebensform zu finden, hat sich die konstituierende Bundesrepublik deutlich von einem Elitedenken distanziert, das sich dünkelhaft inszeniert. Es waren ja schließlich gerade auch die »Eliten« aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, die das Naziregime gestützt hatten, und die Nationalsozialisten hatten sich ja selbst elitär verstanden und das Gegenteil von einer demokratischen Alltagskultur repräsentiert. Im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik war es daher eher anstößig, ein Elitebekenntnis abzugeben. Ein elitäres Bewusstsein wurde nur in kleinen abgeschotteten Zirkeln gepflegt.
Seit den 90er Jahren hat sich das gründlich geändert. Kamen sich die ersten Bekenntnisse zum Elitestatus noch mutig vor, fast wie Tabubrüche, hat sich inzwischen eine neue Normalität eingestellt. Nur: Was ist »Elite«? Welche Messlatte soll angewandt werden, wer definiert, was Eliten sind? Steht der Begriff nicht immer für einen Diskurs der Einschließung und Ausschließung, der gesellschaftlichen Spaltung und insofern für ein Gesellschaftsmodell der Ungleichheit?6
Der Psychologe sieht hier zunächst ein großes narzisstisches Betätigungsfeld der Selbstzuordnung zu Eliten (am Besten noch über den Intelligenzquotienten, der die Zugehörigkeit zur absoluten Geisteselite bestätigt: Wir, die fünf Prozent mit dem IQ über 150!). Mit dem Hinweis auf Napola und Ordensburgen lässt sich aber auch ein historischer Bezug aufbauen, der zur Vorsicht gemahnt. Eugen Kogon zitiert in seinem Buch »Der SS-Staat« einen hohen SS-Führer so: »Fünf bis zehn von Hundert der Bevölkerung, ihre beste Auslese, sollen herrschen, der Rest hat zu arbeiten und zu gehorchen. Nur so sind jene Höchstwerte erzielbar, die wir von uns selbst und dem deutschen Volke verlangen müssen.«
Andererseits gibt es vielleicht dennoch aktuelle Gründe, den Elitebegriff neu zu diskutieren, beispielsweise mit Blick auf einen Diskurs, dessen Überschrift ich für verfehlt halte, dessen Anliegen aber von großer Bedeutung ist: Unter dem Begriff der »Jungen Eliten« wird darüber nachgedacht, was Menschen auszeichnen sollte, die erkennbare Herausforderungen der Zukunft tatkräftig anpacken und Zukunftsfähigkeit zeigen. In diesem Diskurs wird nicht einfach nur »Mut zur Leistung« oder ein »Bekenntnis zur Leistung« – heute »excellence« genannt – abgelegt, sondern es wird nach den Fähigkeiten von Menschen gefragt, die wissen, worauf es ankommt, die nicht auf den alten Umlaufbahnen ihre Fähigkeitsprofile entwickeln, sondern die quer denken, die gegen den Mainstream in ihrem jeweiligen Fach etwas auf die Beine gestellt und eine Lebensweise gewählt haben, die nicht wie eine Festung gegen die Veränderungen der absehbaren Zukunft aufgebaut ist, sondern die auf Neugier, Offenheit, Experimentierfreudigkeit setzt, aber auch sozial innovativ angelegt ist. Diesen Strang des Elitediskurses möchte ich weiter beleuchten und mich dabei gleichzeitig und endgültig vom Elitebegriff verabschieden. Man könnte ja stattdessen auch von Pionieren, Entdeckern, Experimentatoren sprechen. Sie repräsentieren als Modelle, als Vorbilder einen Weg, der zur Formulierung neuer Bildungsziele führt, die aber für alle Bildungsprozesse grundlegend werden könnten und nicht zum elitären Besitz von wenigen werden.
Diesen Versuch, den Elitediskurs nicht in Bausch und Bogen zu kritisieren, sondern ihn eher eigenwillig umzudeuten, sehe ich inzwischen als gescheitert an. Die Kriterien, die zur Vergabe der Ehrentitel »Eliteuniversität« oder »Exzellenzcluster« herangezogen werden, haben nichts mehr mit kritischem Denken oder eigenwilliger Kreativität zu tun, sondern eher mit der Zugehörigkeit zu internationalen Zitierkartellen und der verinnerlichten Bereitschaft, sich deren »Zunftordnungen« anzupassen. Nicht zuletzt auch die Produktion ökonomisch verwertbaren Wissens in Form von Patenten und Wirtschaftskooperationen sichert Exzellenz. Es ist unglaublich, wie schnell dieser Begriff ins Vokabular der veränderten Universitätslandschaft Eingang gefunden hat. Schon vor Jahren nervte der Sportreporter Gerd Rubenbauer, der jede überdurchschnittliche Leistung als exzellent bezeichnet. Und da bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen viele gute Leistungen zu bewundern sind, kam er in einer Reportage kaum mit weniger als zehn Exzellenzattributionen aus. Und jetzt erfasst diese nervige Zuschreibung bzw. Selbstzuschreibung auch die Universitäten. Die gutachterliche Hymne für den ersten Listenplatz einer Berufungsliste wird keinesfalls ohne das Attribut »exzellent« auskommen – und selbstverständlich sind all die, die schon da sind, ohne diese Auszeichnung gar nicht denkbar. So kommt es zu einer permanenten kollektiven narzisstischen Selbstüberhöhung.
Auch die Nachwuchsförderung hat sich längst in diesen Jargon eingeklinkt. So hat die Robert-Bosch-Stiftung im Mai 2007 ein Stipendium für junge Wissenschaftlerinnen ausgeschrieben, das »für eine verantwortungsvolle Spitzenposition in Forschung oder dem Wissenschaftsmanagement qualifizieren« soll. Sie wählt dafür einen anspornenden Titel: »Fast Track: Exzellenz und Führungskompetenz für Wissenschaftlerinnen auf der Überholspur«. Und da man mit der Verinnerlichung dieser schönen neuen Elitezugehörigkeit gar nicht früh genug anfangen kann, werden mittlerweile selbst Früh-Fördersysteme für Kleinkinder unter dem Titel »Early Excellence« aufgelegt.
Der neue kategorische Imperativ: Das »unternehmerische Selbst«
Für die Feststellung von Exzellenz gibt es zwei Messlatten. Neben den eingeworbenen Drittmittelsummen gibt es das »Ranking« über Publikationen, die nach einer ganz eigenen »Währung« taxiert werden.
Jüngst spürte ich während eines Treffens mit einem sehr geschätzten Kollegen aus dem Bereich der Theologie dessen Empörung, die er aus einem Treffen mit der Führungsebene einer Eliteuniversität mitbrachte. Dort war er mit der knallharten Erwartung konfrontiert worden, dass die Geisteswissenschaften ein vergleichbares Drittmittelvolumen einwerben sollten wie die Naturwissenschaften. Nur: Wie soll das ein Fach bewerkstelligen, das sich mit kirchlicher Jugendarbeit beschäftigt? Aber selbst wenn man auf diese Frage eine rational begründbare Antwort geben könnte – der Subtext der Botschaft wäre dennoch eindeutig: Die Qualität eines Wissenschaftlers wird auf der Waage seiner unternehmerischen Potenz abgewogen. Das »unternehmerische Selbst«7 – der neue kategorische Imperativ des herrschenden marktradikalen Gesellschaftsmodells – ersetzt immer mehr die Figur des kreativen Intellektuellen, der seine gedankliche Unabhängigkeit gerade dadurch erweist, dass er nicht von fremdgesteuerten Geldströmen abhängig ist. Und diese demokratisch nicht mehr kontrollierten Verflechtungen zwischen Hochschulen und Wirtschaft breiten sich krakenartig aus. Rund um die Universitäten werden Firmen gegründet, und da damit ja auch ein konstruktiver Beitrag zum Arbeitsmarkt geleistet wird, sehen viele dies durchaus positiv. Mit ihren Patenten machen vor allem Technische Universitäten einträgliche Geschäfte. Die Pharmaindustrie lässt an Universitätskliniken neu entwickelte Präparate testen, und die Universitäten verdienen daran. Überhaupt verstehen sich die Universitäten zunehmend als Unternehmen. Da wo früher ein kostenfreies öffentliches Forum für interessante Vorträge zu finden war, werden heute saftige Mieten erhoben, selbst bei studentischen Projekten. Manager und Unternehmer werden zunehmend die Leitbilder dieser neuen Universität.8 Nicht zufällig sitzen in den durch neue Hochschulgesetze etablierten »Hochschulräten«, die im Vergleich zu den traditionellen Selbstverwaltungsgremien immer einflussreicher werden, inzwischen dieselben Personen, die sich auch in den Aufsichtsräten der Großkonzerne tummeln.9 Sie sorgen schon dafür, dass die Universitäten ihre Profile an den »ökonomischen Notwendigkeiten« ausrichten.
Das »unternehmerische Selbst« beginnt zunehmend die Identitätserzählungen der Universitätsangehörigen zu bestimmen. Ein Kollege aus dem universitären Mittelbau einer medizinischen Fakultät sagte mir kürzlich, er sei drei Millionen Euro »schwer«. Er meinte die »Drittmittel«, die er eingeworben hat, die sein »Gewicht« in der neuen universitären Rangskala ausdrücken sollen und ihm das Gefühl vermitteln, dass er »dazu gehört«. So ein Zahlenwert löst beim Zuhörer fast reflexartig die Frage nach dem eigenen Drittmittelaufkommen aus. Als Projektleiter in zwei DFG-finanzierten Sonderforschungsbereichen, die mir annähernd zwei Jahrzehnte die Zugehörigkeit zur »Spitzenforschung« (so werden Sonderforschungsbereiche eingeordnet) gesichert hat, kann ich mich persönlich zwar in den Kreis der universitären Millionarios einordnen und werde durch monetäre Statusmarkierungen nicht verunsichert. Dennoch: In der universitären Hierarchie überwiegen die Reflexe der Selbstwertabsicherung. »Wenn die Eintreibung von Drittmitteln zum Qualitätskriterium einer Wissenschaft wird, wird der zum Versager, der solche Mittel gar nicht benötigt, weil ein Kopf zum Denken genügt«, schreibt Konrad Paul Liessmann. Er beobachtet noch einen anderen Effekt dieser Bemühungen, den eigenen Drittmittelkapitalstock zu mehren: »Ganz nebenbei produziert der künstlich erzeugte Wettbewerbsdruck eine neue, eigene Literaturgattung: die Antrags-, Projektbeschreibungs-, Selbstdarstellungs- und Bewertungsprosa. Zu dieser gehört nicht nur das gekonnte Jonglieren mit Zahlen und Statistiken, sondern auch die bemerkenswerte Fähigkeit, dem Zeitgeist genau abzulauschen, welche wissenschaftlichen Trends als zukunftsfähig gelten könnten und in welchen Segmenten es sich daher lohnt, jene transdisziplinär vernetzten und international begutachteten Projektanträge zu stellen, die dann bei einer allfälligen Evaluation als die großen Pluspunkte verbucht werden können. Unter diesen Bedingungen wächst natürlich nicht Forschung, wohl aber der organisatorische, bürokratische und poetische Aufwand für diese. Projektanträge erreichen mittlerweile Dimensionen, die dem Vernehmen nach dazu führen, dass manch ein Antragsteller gleich den Antrag als wissenschaftliche Publikation deklariert – was insofern durchaus sinnvoll ist, als ja, wie schon Daniel Defoe wusste, »ein Projekt ein großartiges Unternehmen ist, das zu breit angelegt ist, als dass aus ihm etwas werden könnte.«10
Zunehmend entscheiden auch die Punktwerte bei den »Rankings« über die Berufung auf eine Professur. Da haben Aufsätze in englischsprachigen Journalen, die alle Publikationsangebote einem »Peer-Review«-Verfahren unterziehen, höhere »Impact«-Faktoren, als solche, die in einer deutschen Zeitschrift publiziert werden. Bücher in deutscher Sprache zu schreiben und zu publizieren, kann man einem jungen Kollegen, der eine akademische Karriere vorhat, nicht mehr empfehlen. Aufsätze in Sammelbänden braucht man gar nicht mehr anzugeben, denn sie bringen ohnehin kaum mehr Punkte auf das »Ranking«-Konto; die Einladung zur Mitarbeit an einem spannenden Buchprojekt wird daher auch immer häufiger dankend abgelehnt. Einzelne Wissenschaftler, ganze Institute oder Fachbereiche werden in ihrer »Forschungsstärke« nur noch an der Summe der unterschiedlich gewichteten Publikationen gemessen. So sind es quantifizierbare Konten, die über die wissenschaftliche Qualität entscheiden. Der jeweilige »Kontostand« könnte dann die letzte Entscheidungsinstanz bei Berufungen sein, und gelegentlich werden jetzt auch schon Zweifel geäußert, ob man dann auch wirklich zu einer vernünftigen Personalentscheidung kommt. Aber ein Qualitätsurteil darf sich ja nicht mehr auf ein »subjektives« Urteil stützen, sondern bedarf einer quantifizierbaren Legitimationsgrundlage. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass vor allem junge Wissenschaftler ihren ganzen Ehrgeiz in die Platzierung von Aufsätzen in »high-ranked journals« investieren. Die haben einen so hohen Standardisierungsgrad, dass sich einer wie der andere liest bzw. sie deshalb auch gar nicht mehr gelesen werden – außer von der unmittelbaren »Konkurrenz«. So ist eine öde Zeitschriftenlandschaft entstanden, die keine Inspiration, Ideen, Kreativität oder auch giftige Essays enthält.
Damit man sich an Kontenführung rechtzeitig gewöhnt, haben auch Studierende ihre Konten, auf denen ihre Leistungspunkte – im Jargon sind das die ECTS11 – verbucht werden, die in aller Regel durch Klausuren nachgewiesen werden müssen. Diese Konten werden zunehmend der zentrale Bezugspunkt für das Studium. Die Frage nach dem spezifischen Interesse am Thema einer Lehrveranstaltung gerät deutlich ins Abseits einer Luxusfrage: Es zählt, was zählt!
Die endgültige Austreibung kritischen Denkens: Der Bolognaprozess
War Bologna einst der Inbegriff einer selbstbewussten italienischen Stadt, auf deren Marktplatz mächtige Demonstrationen stattfanden, so löst die Erwähnung dieses Städtenamens heute ein völlig anderes Assoziationsfeld aus: Menschen an den Hochschulen denken sofort an die Bachelor- und Masterstudiengänge, die sie jetzt entwickeln müssen. Bis 2012 soll es an europäischen Universitäten nur noch solche Studiengänge geben – das wurde im Jahre 1999 von Kultusministern europäischer Länder in Bologna beschlossen.12 Diplome sowie klassische sozial- und geisteswissenschaftliche Magisterstudiengänge werden vollständig abgeschafft, und an ihre Stelle tritt ein durchstandardisiertes Bachelorstudium, das in sechs Semestern zu absolvieren ist. Die Hoffnung, dass sich der Bachelor nur unwesentlich vom bisherigen Grundstudium unterscheiden würde und dass sich dann im Masterstudium das bisherige Hauptstudium unterbringen ließe – und sich insofern gar nicht so viele änderte, da die Flaschen nur umetikettiert werden müssten –, erweist sich zunehmend als grandiose Illusion. Denn nur einer kleiner Teil der Bachelorabsolventen (in Nordrhein-Westfalen sind es etwa 30 Prozent) wird die Chance auf die Zulassung zu einem Masterstudiengang bekommen. Diese Zulassung wird, nachdem das niedere akademische Fußvolk über einen Bachelor abgefertigt wurde, die erste Stufe der Eliteförderung darstellen. Der Bachelorabschluss soll zu einer »Berufsbefähigung« führen, was durchaus ein Reformimperativ für eine neue Hochschullandschaft sein könnte; zugleich ist es jedoch kaum vorstellbar, dass man in sechs Semestern eine qualifizierte »Berufsbefähigung« erreichen könnte. Diese Nescafé-Variante von Studium wird zudem ein deutlich reduziertes Gehaltsniveau zur Folge haben und kaum den Zugang zu anspruchsvollen Weiterqualifikationen ermöglichen.13
Die von ECTS-Punkten kontrollierten Bachelorstudiengänge müssen in einem durchoperationalisierten Modulsystem angeboten und studiert werden. Man könnte natürlich argumentieren, dass mit gut durchdachten Modulen endlich auch qualitativ bessere Lehrveranstaltungen entstehen, die nicht im subjektiven Belieben des Dozenten liegen, der sich im alten Universitätssystem unter der Überschrift »Freiheit von Forschung und Lehre« vor einer kritischen Evaluation abschotten konnte. Allerdings wird auch hier die mögliche Qualitätsverbesserung von einer ungeahnten Regelungswut erstickt. Die zu schreibenden Modulhandbücher stellen sich nämlich als bürokratische Monster heraus.14 Der Bolognaprozess vollzieht sich in einem starren Rahmen, der das genaue Gegenteil einer immer wieder angekündigten Entbürokratisierung bedeutet. Der Staat hat sich aus diesem Prozess stark zurückgezogen, aber er hat hier ein Betätigungsfeld für privatwirtschaftlich organisierte»Akkreditierungs-Agenturen« geschaffen, die ohne demokratische Legitimation ein Kontrollsystem über diese neuen Studiengänge gelegt haben, das die rechtlichen Überprüfungssysteme der alten Kultusbürokratien wie Orte liberalen Geistes erscheinen lassen.
Die Absolventinnen und Absolventen dieser Studiengänge werden in ihren Zeugnissen kaum mehr individuelle Schwerpunktsetzungen und Interessen sichtbar machen können. In einem schulartigen Formierungsprozess erwerben sie, als ob sie geklont wären, alle ein fast identisches Profil. Eine der Fragen, die man sich immer mehr stellen muss, ist, wie sich eigentlich der Widerspruch erklären lässt zwischen diesem neuen Studienprofil und den – gerade von Wirtschaftsvertretern geäußerten – Erwartungen, dass Akademiker selbstständig, flexibel und kreativ sein sollten. Auch die stärkere Internationalisierung, die ein wichtiges Begründungsargument für den Bolognaprozess war, bleibt angesichts der realen Studienbedingungen völlig auf der Strecke.
Die feindliche Übernahme der Humboldtschen Hochschule durch die neoliberale Dominanzkultur Die Eventisierung der Hochschulen, ihre Hitparaden im »Ranking« auf allen Ebenen erzeugen nicht gerade den Eindruck einer fröhlichen Szenerie, obwohl manche Maßnahmen der eigenen Öffentlichkeitsarbeit diesen Eindruck erwecken wollen. Manchen Hochschulrepräsentanten ist die allzu marktschreierische Positionierung auch schon etwas peinlich, und es wird »Dialog statt ‚Eventisierung‘« eingefordert. Man favorisiert dann den Begriff der »Wissenschaftskommunikation«. Zu diesem Thema fand im April 2007 in der Akademie der Wissenschaften Berlin eine Tagung statt, auf der Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität, daran erinnert, dass schon früher Eventisierung stattgefunden habe: »Vor fast 200 Jahren begeisterte der große Naturforscher Alexander von Humboldt mit jedem seiner ‚Kosmos-Vorträge‘ bis zu 800 Zuhörer, vom Preußenkönig bis zum Maurermeister.« In diese Tradition stellt er auch aktuelle Projekte wie »Forschungsschiffe«, »Science Centers« oder auch »Kinder-Unis«.
Gerold Wefer, Direktor des Forschungszentrums Ozeanränder, »Wissenschaftler des Jahres 2006« der Hansestadt Bremen, zeigt an, wie heute an den Hochschulen zu denken und zu handeln ist, und er heimst einen Preis nach dem anderen ein. Er versteht das Geschäft der »Eventisierung« und verweist auf deren eigentliche Funktion: Es geht nicht darum, Feste zu feiern und die Hochschule aus dem Elfenbeinturm in die gesellschaftliche Kommunikation zu führen. Es geht in Wirklichkeit um die endgültige Abtretung der Hochschule an den Markt. Dabei wird argumentiert, dass durch Exzellenzinitiative und Bolognaprozess Universitäten zunehmend wettbewerbsorientiert agieren; die öffentliche Präsenz könnte für Studierende als zukünftige Kunden entscheidend sein. Hier gilt es für die Teilnehmer auch, vorhandenes Potential stärker zu nutzen, zum Beispiel die »inneruniversitäre Reflexion« wieder zu beleben, die Universitätssammlungen als einzigartige Schätze zu begreifen und die Hochschule als Kulturzentrum zu verstehen. Selbst die Reflexion wird als Marktfaktor definiert, und der darauf gerichtete Appell verrät sich selbst.
Die Eventisierung gehört zu einer Strategie der »Neuerfindung« der Universitäten unter den Vorzeichen einer vollständigen Ausrichtung des neuen Systems an neoliberalen Ordnungsvorstellungen. Ein Staatssekretär aus dem bayerischen Wissenschaftsministerium hat Ende der 90er Jahre die Notwendigkeit einer Veränderung der Universität damit begründet, dass sie »fit« für das neue Jahrtausend gemacht werden müsste. Allein mit dieser Wortwahl hat er schon verraten, worum es gehen soll: nicht um kritische Wissenschaft oder Autonomiespielräume der Universität, sondern um einen Anpassungsprozess (»to fit in« heißt ja genau das) an die Imperative einer ökonomisch gesteuerten globalen Welt. Hier kann man die Grundzüge des flexiblen neuen Kapitalismus und seiner radikalen Konsequenzen in allen gesellschaftlichen Teilbereichen sowie nicht zuletzt auch bei den einzelnen Subjekten erkennen, wie sie Richard Sennett eindrucksvoll beschrieben hat.15 Menschen werden einer Veränderungsdrift ausgesetzt, die sie nicht mehr persönlich begrenzen und steuern können, die aber von ihnen die volle Verausgabung ihrer Energien fordert. Und sie erleben diesen Prozess nicht nur als nicht steuerbar, sondern auch als »unlesbar«. Nimmt man die Überlegungen von Zygmunt Bauman16 hinzu, wird die innere Logik dieser auf die Universitäten übertragenen Eventund Fitnesskultur noch deutlicher: Die eigentlichen Zielmarkierungen für eine gelungene universitäre Laufbahn oder eine erfolgreiche Institutsarbeit sind verschwunden. Es kommt vielmehr zur Etablierung von Vergleichssystemen in Form von »Rankings« und Drittmittelbilanzen, die den Stellen- bzw. Marktwert von den unmittelbaren Kollegen abhängig macht, die damit natürlich endgültig auch zu feindlichen Konkurrenten werden. Die Stimmung in den universitären Gremien ist davon untergründig längst vergiftet. Die universitären Lebensformen passen sich der unaufhaltsamen Beschleunigungsdynamik an, der gesellschaftliche und berufliche Fitness-Parcours hat kein erreichbares Maß, kein Ziel, an dem man ankommen könnte, sondern erscheint als eine nach oben offene Skala. Jeder Rekord könnte ja immer noch weiter gesteigert werden. Hier besteht trotz Wellness-Industrie keine Chance, eine Ökologie der eigenen Ressourcen zu betreiben, da in einem unaufhaltsamen Steigerungszirkel alles auf einen Erschöpfungszustand zuläuft. Die von Alain Ehrenberg vorgelegte Analyse zur erheblichen Zunahme von Depressionen in den spätmodernen Gesellschaften ist hier unmittelbar anschlussfähig: Dieser Steigerungszirkel verbraucht rücksichtslos alle Ressourcen und führt zu einem »erschöpften Selbst«.17 Die Eventisierung der Universitäten mobilisiert für diesen Steigerungszirkel und kann auch durch manisch wirkende Events die zunehmende Erschöpfung nicht kaschieren.
Fußnoten
1 Vgl. z.B. »Tübinger Universitätsnachrichten«, 14.6.2005, sowie allgemein Peter Kemper (Hg.), Der Trend zum Event, Frankfurt a.M. 2001.
2 Helga Nowotny, Unersättliche Neugier. Innovation in einer fragilen Zukunft, Berlin 2005, S. 34.
3 Der Chefideologe der neuen Hochschulmanagementphilosophie, Detlef Müller-Böling von der Bertelsmann- Stiftung, erklärt diesen Begriff so: Er »stammt aus der Landvermessung und besagt, dass ein Punkt in der Landschaft fixiert wird, um daran Entfernungen zu messen. Heute definiert man Benchmarking als systematische Suche nach guten Ideen und Lösungen. Universitäten suchen bei anderen Hochschulen nach Vorbildern, die sie übernehmen können. So haben 15 der größten deutschen Hochschulen – von Heidelberg bis München – soeben ein Benchmarking-Netz gegründet. In solchen Zusammenschlüssen will man voneinander lernen: Warum ist eine Hochschule besser in der Einwerbung von Drittmitteln als die andere? Wo funktioniert die interne Mittelverteilung am besten?« (Zit. nach »Die Zeit«, 36/2003.)
4 Uwe Pörksen, Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart 1988.
5 Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, Wien 2006, S. 126.
6 Vgl. hierzu auch Richard Münch, Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz, Frankfurt a.M. 2007.
7 Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt a.M. 2007.
8 Vgl. hierzu ausführlich die Abschiedsvorlesung von Bodo Zeuner, Die Freie Universität Berlin vor dem Börsengang? Bemerkungen zur Ökonomisierung der Wissenschaft, 11.7.2007, www.nachdenkseiten. de/?p=2497. – D. Red.
9 An der Münchner Universität sitzen: als Vorsitzender Hubert Burda, Nikolaus von Bomhard (Münchner Rück), Herbert A. Henzler (McKinsey), Albrecht Schmidt (HypoVereinsbank), Wilhelm Simson (Eon). Im Hochschulrat der TU München finden wir Roland Berger und Bernd Pischetsrieder.
10 Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, Wien 2006, S. 126.
11 Ausbuchstabiert heißt das »European Credit Transfer System« und soll den durchschnittlichen Arbeitsaufwand zum Ausdruck bringen, den ein Student zur Erbringung einer definierten Leistung zu investieren hat.
12 Vgl. die »Bologna-Declaration«, www.bmbf.de/pub/bologna_deu.pdf.
13 So haben beispielswiese die Psychotherapeutenkammern für sich festgelegt, dass die Zulassung zu einer kassenanerkannten Psychotherapieausbildung und zur Niederlassung nur über einen erfolgreich erworbenen Mastertitel erfolgen kann.
14 Ursula Link-Heer berichtet von einem Modulhandbuch an ihrer Universität, das 700 Seiten umfasste, zu denen noch 150 Seiten Korrekturen kamen; vgl. Ursula Link-Heer, Warum machen alle mit? Nach Diktat reformiert: Wir Bertelsmannprofessoren, in: »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 7.8.2006.
15 Richard Sennett, Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 2005; ders., Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998; ders., Kulturmaterialismus, in: »Blätter«, 5/2007, S. 585-590.
16 Zygmunt Bauman, Leben in der Flüchtigen Moderne, Frankfurt a.M. 2007.
17 Alain Ehrenberg, Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, Frankfurt a.M. und New York 2004.