Die Wirtschaft verfolgt eindeutige InteressenBildungsmarkt
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst in der Erziehung und Wissenschaft 5/2007 der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wir danken der GEW und dem Autoren für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. |
"Bildung neu denken"?
2004 legte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft die Studie "Bildung neu denken!" vor, in der die Prognos AG in Zusammenarbeit mit dem Berliner Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen eine Reihe von Empfehlungen formuliert hat. In der Untersuchung ist eine im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche und unzureichende Finanzierung des Bildungswesens festgestellt worden.
Schlussfolgerung im Bericht: Die gesamten Bildungsausgaben müssten im Jahr 2020 um rund 30 Prozent höher als bisher ausfallen, um die vorgesehenen Reformen auch zu realisieren, also um etwa 34 Milliarden Euro. Dieses Geld sollte zu einem großen Teil von der öffentlichen Hand kommen: Bund, Länder und Gemeinden sollten mit rund 29,2 Milliarden Euro belastet werden, die privaten Haushalte müssten etwa 4,1 Milliarden zusätzlich aufbringen, die Sozialversicherungen 0,9 Milliarden Euro. Allein der Unternehmensbereich käme mit einem Plus von 0,2 Milliarden recht gut weg.
Zurückgerudert
Manchem Protagonisten aus der Wirtschaft ist das Konzept "Bildung neu denken" dann wohl zu weit gegangen: Dass die öffentlichen Bildungsausgaben steigen müssten (wenn auch nicht die der Wirtschaft für Ausbildung), fand nicht überall Zustimmung. Im vergangenen Jahr legte das Institut der deutschen Wirtschaft folgerichtig eine Expertise vor ("Bildungsfinanzierung und Bildungsregulierung in Deutschland"), in der die noch zwei Jahre zuvor von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft vertretene These einer im internationalen Vergleich unterdurchschnittlichen und unzureichenden Finanzierung des deutschen Bildungswesens rundweg bestritten worden ist. Da es keine Unterfinanzierung gäbe, müssten folglich auch keine (öffentlichen) Ausgaben erhöht werden.
Selbst wenn die generelle Unterfinanzierung bestritten wird: In manchen Bereichen (etwa in der frühkindlichen Bildung) wird sie vom IW doch zur Kenntnis genommen: Der Staat müsse sich mehr für die Jüngsten engagieren und hier mehr Geld investieren, heißt es. Eine Einschätzung, die nur zu begrüßen ist. Dass damit aber eine Umschichtung der Finanzierung aus anderen Bereichen einhergehen soll, ist nicht plausibel.
Warum sollen etwa die Hochschulen – durch die Einführung von Studiengebühren – gleichzeitig mehr privat finanziert werden? Wer solche Rechnungen aufmacht, spielt Vorschule und Hochschule gegeneinander aus: "Wird eine deutlich höhere Akademisierung in Deutschland angestrebt, reicht der gegenwärtige Mitteleinsatz nicht aus. Zusätzliche Mittel wären insbesondere aus privaten Quellen wie Studiengebühren zu gewinnen", so das IW in seiner Studie.
Öffentliche Ausgaben umzuschichten sowie die Effizienzreserven zu nutzen, wird zwar gefordert – doch gleichzeitig soll der Staat nicht mehr an öffentlichen Mitteln für die Bildung aufwenden. Das Institut der deutschen Wirtschaft kommt sogar zum Schluss, dass sich in den nächsten Jahrzehnten Geld einsparen lasse.
Rechnungen nicht eindeutig
Man stelle sich das einmal vor: Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft errechnet, dass der Staat seine Ausgaben um insgesamt 29,4 Milliarden Euro erhöhen muss – das IW rechnet nach und widerspricht.
In der neuesten Publikation der Bayerischen Wirtschaft (Jahresgutachten 2007: Bildungsgerechtigkeit) werden vorsichtshalber keine Zahlen mehr genannt. Auch Aussagen zur generellen Unterfinanzierung sucht man vergeblich. Gleichzeitig plädiert man dafür, Umschichtungen in den Bildungsphasen vorzunehmen: mehr öffentliches Geld für die Vorschule, mehr privates Geld in der Hochschulausbildung. Kurzum: Studiengebühren seien nur konsequent.
Bildungsmärkte schaffen
Zeichnung (c) Thomas Plaßmann Leibniz-Gymnasium GmbH & Co KG |
Jetzt ist auch die wissenschaftliche Diskussion innerhalb der Wirtschaft wieder dort, wo sich die Bundesbank schon 2003 positionierte: Effizienzreserven nutzen, private Ausgaben im Bildungsbereich anheben. So wird immerhin deutlich, warum sich die der Wirtschaft nahestehenden Experten überhaupt mit Bildungsfinanzierung beschäftigen. Ihr Ziel ist, Bildungsmärkte zu schaffen. Denn: Nur wo es Gebühren gibt, macht es für die Privatwirtschaft überhaupt einen Sinn, ein (Bildungs-)Angebot zu schaffen. Nur wo es Gebühren gibt, können die privaten Anbieter Gewinne erwirtschaften.
Bildung wird zur Ware – aber nur dort, wo sich die Wirtschaft Gewinnmöglichkeiten verspricht. Am weitesten fortgeschritten ist die Privatisierung im Hochschul- und Weiterbildungsbereich – deshalb ist es immens wichtig, deren Vorreiterrolle als warnendes Beispiel für andere Bildungsbereiche im Auge zu behalten. Dies zeigt sich auch an einer Äußerung Dieter Lenzens in der Frankfurter Rundschau vom 13. März 2007. Lenzen verteidigte die (bereits in der Studie "Bildung neu denken" formulierte) Forderung nach der Einführung befristeter Lehrlizenzen für Lehrerinnen und Lehrer mit dem Hinweis, dass Mitarbeiter in den Hochschulen und der Weiterbildung bereits befristet beschäftigt seien. Er wisse nicht, warum der Schulbereich davon ausgenommen werden sollte.
Fazit: Es gibt diverse Wortmeldungen aus der Wirtschaft mit unterschiedlichen Akzentuierungen, doch die Zielsetzung ist stets die gleiche: Privatisierung der Bildung wissenschaftlich zu begleiten – und damit öffentlich zu puschen.
Gunter Quaißer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik