Keine WertschätzungDie Ausgaben für Bildung entsprechen nicht der Wirtschaftskraft Deutschlands
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst in der Erziehung und Wissenschaft 5/2007 der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wir danken der GEW und den Autoren für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. |
In der neuesten Veröffentlichung des Amts vom 4. April 2007 (Budget für Bildung, Forschung und Wissenschaft 2004/2005) ist wieder einmal eine umfangreiche Neuerung bei der Datengrundlage vorgenommen worden. Damit liegt nur für die Jahre 2003 bis 2005 Zahlenmaterial vor. Es zeigt allerdings, dass die Gesamtausgaben (also öffentliche und private Ausgaben) des so genannten Bildungsbudgets von 147,8 Euro im Jahr 2003 auf 144,8 Milliarden Euro in 2005 zurückgegangen sind. Gemessen am in der Zwischenzeit gewachsenen Bruttoinlandsprodukt ging der Anteil von 6,8 auf 6,5 Prozent zurück.
Geschuldet ist dies zum größten Teil den drastisch geschrumpften Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Weiterbildung. Für die anderen Bildungsbereiche gilt, dass es allenfalls kleine, nominelle Anstiege gegeben hat, der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) aber auch dort zurückgegangen ist.
Will man dennoch die langfristige Entwicklung der Bildungsausgaben erfassen, muss man auf die so genannten "öffentlichen Grundmittel für Bildung" zurückgreifen, die jährlich im Bildungsfinanzbericht der früheren Bund-Länder-Kommission (BLK) ausgewiesen werden.
Keine Spur von Mehrausgaben
2003: 147,8
2004: 146,1
2005: 144,1
Quelle: Statistisches Bundesamt, Im Fokus, April 2007, S. 6ff.
(Ein Vergleich mit den öffentlichen und privaten Ausgaben der Vorjahre ist wegen Änderungen bei der Datenerfassung derzeit nicht möglich.)
Öffentliche Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung (sog. Grundmittel; ohne Kultur, kirchliche Angelegenheiten)
Anteil am BIP (in Prozent)
1975: 5,6
1980: 5,3
1985: 4,7
1990: 4,1
1995: 4,6
1998: 4,4
1999: 4,3
2000: 4,3
2001: 4,3
2002: 4,4
2003: 4,4
2004: 4,3
2005 (Soll): (4,3)
Quelle: BLK-Bildungsfinanzbericht 2004/2005, Heft 137-II, S. 41f.
Welche Datengrundlage man auch heranzieht – dass der PISA-Schock zu mehr finanziellen Mitteln für die Bildung geführt hätte, ist nicht erkennbar. Im langfristigen Vergleich zeigt sich, dass die öffentlichen Ausgaben sogar leicht rückläufig sind.
Es gibt aber einen Bereich, in dem die Bildungsausgaben in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen sind: die privaten Aufwendungen für Nachhilfe, Lernmittel und dergleichen. Allein von 2003 bis 2005 haben sich diese um acht Prozent auf mittlerweile 5,4 Milliarden Euro (vgl. Statistisches Bundesamt, April 2007) erhöht. Wenn der öffentliche Bildungsauftrag unzureichend erfüllt wird, müssen Eltern, Studierende und Schüler verstärkt eigenes Geld beisteuern. Dies passt vielleicht in das von manchen propagierte "moderne" Weltbild, dass jeder seines Glückes Schmied sei.
Aber einmal abgesehen von der Frage, ob Defizite des Bildungsbereiches durch private Nachhilfe ausgeglichen werden können und sollen: Es kann sich längst nicht jeder diese Nachhilfe leisten; zu unterschiedlich sind auch heute noch die materiellen Möglichkeiten. Soziale Benachteiligungen werden so zusätzlich verschärft.
Ein weiterer Bereich, mit dem ein schleichender Rückzug des Staates aus der Bildung illustriert werden kann, betrifft die öffentlichen Ausgaben für Schulbücher. Wurden 1995 bundesweit 283 Millionen Euro aufgewandt, waren es 2005 nur noch 228 Millionen Euro (vgl. vds-Bildungsmedien e.V.). Alleine um die Preissteigerungen bei Büchern aufzufangen, hätten die Ausgaben zunehmen müssen – statt um fast 20 Prozent zu sinken.
Auch die steigenden Anforderungen hätten einen weiteren Anstieg erforderlich gemacht. Stattdessen zeigt sich auch hier, dass private Mittel den Rückgang öffentlicher Aufwendungen gezwungenermaßen auffangen müssen. Fest steht: Die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland entsprechen nicht den Lippenbekenntnissen der Politiker.
Wie sieht es in anderen Ländern aus? Wie hoch ist dort die Wertschätzung von Bildung?
Die neuesten, international vergleichbaren Zahlen stammen aus dem Jahr 2003 (vgl. OECD, Bildung auf einen Blick, vom September 2006). Demnach betrug in Deutschland der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben an der Wirtschaftsleistung 4,4 Prozent. Im Durchschnitt wandten die Industrieländer der OECD 5,2 Prozent des BIP für Bildung auf. Die Spitzenreiter waren – wen wundert’s? – Island mit 7,5 Prozent, Dänemark mit 6,7 Prozent sowie Norwegen und Schweden mit jeweils 6,5 Prozent. Wollte Deutschland nur den OECD-Durchschnittswert erreichen, müssten die öffentlichen Bildungsausgaben um etwa 18 Milliarden Euro jährlich steigen – und um auf Platz drei zu kommen, müssten sie sogar um rund 50 Milliarden Euro und damit gut die Hälfte anwachsen. Wenn andere Länder der Bildung eine so hohe Wertschätzung zukommen lassen – warum geht das nicht auch in Deutschland?
Sonntagsreden hören wir viele, mehr Geld für die Bildung wird immer wieder versprochen. Doch wie man es dreht und wendet: Die gesamten Ausgaben halten der Entwicklung der Wirtschaftskraft nicht stand. Offensichtlich ist Bildung der Politik weniger wert als früher.
Ulrich Thöne, GEW-Vorsitzender;
Reinhard Frankl, Sprecher der GEW-AG Bildungsfinanzierung;
Gunter Quaißer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik