Reformchance oder Abwicklung?Zur Debatte um die Weiterentwicklung der Akkreditierung
Bis zum Herbst diesen Jahres soll der Akkreditierungsrat Vorschläge für die Weiterentwicklung des deutschen Systems der Qualitätssicherung machen – so haben ihn die KultusministerInnen beauftragt. Das bisherige System der "Programmakkreditierung", in dem Akkreditierungsagenturen einzelne Studiengänge begutachten, wird seit seiner Einführung von verschiedenen Seiten kritisiert – mit zunehmender Schärfe.
Der bundesweite Akkreditierungsrat hat nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die voraussichtlich zur Jahresmitte einen Zwischenbericht an die KultusministerInnenkonferenz (KMK) richten wird. Sie soll unter anderem Kriterien für neue Verfahren entwickeln, in denen statt einzelner Studiengänge ganze Hochschulen begutachtet und akkreditiert werden.
Umstritten: die Programmakkreditierung
Hinweis: Dieser Artikel ist eine von den AutorInnen (siehe am Ende des Artikels) für Studis Online angefertige Kurzfassung. Das Original in voller Länge findet sich in der aktuellen Ausgabe von Forum Wissenschaft (Heft 1/2007), herausgegeben vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). |
Denn obwohl mit der Einführung der Akkreditierung die ministerielle Steuerung über Rahmenprüfungsordnungen abgeschafft und den Hochschulen ein größerer Spielraum zur Entwicklung innovativer Studienkonzepte eingeräumt werden sollte, haben sich in den Akkreditierungsagenturen sehr unterschiedliche Vorstellungen von einem guten Studium herausgebildet, die sich auch in den Akkreditierungsverfahren niederschlagen und so den Handlungsspielraum der Hochschulen massiv einschränken. Während einige Agenturen zumindest implizit eine Orientierung am fachlichen Mainstream voraussetzen, haben andere sehr konkrete fachliche Standards entwickelt, die in ihrem Detailiertheitsgrad noch über die alten Rahmenprüfungsordnungen hinausgehen. Innovative Studiengestaltung wird so gehemmt statt gefördert und kann häufig nur noch in fachlichen Nischen entstehen.
Daneben wird die mangelnde Einheitlichkeit der Ergebnisse der Akkreditierungsverfahren aufgrund unterschiedlicher Arbeitspraxen der Agenturen zunehmend als Problem wahrgenommen. Die mangelnde Vergleichbarkeit gefährdet das Ziel der Akkreditierung, einen Beitrag zu leisten zur Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der Studienabschlüsse und -leistungen sowie zur Mobilität der Studierenden. Teilweise liegt diese Schwäche in der mangelhaften Pflicht der Agenturen zur Rechenschaftslegung begründet, teilweise auch in der strukturellen Unterausstattung des Akkreditierungsrates, der seiner Aufsichtspflicht über die Agenturen schon aufgrund fehlenden Personals kaum gerecht werden kann.
Problematisch ist hierüber hinaus das Zusammenspiel von mangelnder Qualifikation, einem hohen Ermessensspielraum und einer häufig eher oberflächlichen Vorbereitung der GutachterInnen in Akkreditierungsverfahren. Diese Situation wird durch die Verfolgung von konkreten hochschulpolitischen Zielen durch die Agenturen sowie den teilweise erheblichen Einfluss von Wirtschaftsverbänden, Fachgesellschaften und Landesregierungen weiter verschärft. Die Diskussionen innerhalb des Akkreditierungssystems erscheinen insgesamt relativ weit abgehoben von der realen Situation an den Hochschulen, gleichzeitig ist eine Integration der auf europäischer Ebene geführten Diskussionen in die Alltagspraxis der Qualitätssicherung in Deutschland nach wie vor nur in Ansätzen gelungen. Auch hierin ist ein Grund für das Fehlen von Studienreformimpulsen aus dem Akkreditierungssystem heraus zu sehen.
Akkreditieren Hochschulen ihre Studiengänge bald selber?
Ein Teil der VertreterInnen der Länderministerien und der Hochschulen, aber auch einzelne Agenturen zielen in ihrer Kritik am Akkreditierungssystem in erster Linie auf eine deutliche Reduzierung des Aufwandes und der Kosten der externen Qualitätssicherung und wollen dazu dem internen Qualitäts-›Management‹ der Hochschulen ein deutlich höheres Gewicht zubilligen. Die externe Qualitätssicherung soll sich demnach auf eine Gesamtbewertung eben dieses Qualitätsmanagementsystems beschränken oder zumindest ihren Schwerpunkt hierauf legen.
Entsprechende Modelle sind das von der Akkreditierungsagentur ACQUIN entwickelte Konzept der »Prozessakkreditierung«, die an der Uni Mainz entwickelte »Systemakkreditierung« sowie die von der Agentur ZEvA geplante »institutionelle Evaluation«. Insbesondere das Pilotprojekt Prozessakkreditierung hat Forderungen nach einer deutlichen Verfahrensvereinfachung im Bereich der Qualitätssicherung von Studium und Lehre neuen Auftrieb gegeben.
Obwohl die Projektverantwortlichen bei ACQUIN nicht davon ausgehen, dass ein Übergang von der Programm- zur Prozessakkreditierung zu einer Reduktion von Aufwand und Kosten führen würde, wird die Prozessakkreditierung von anderer Seite als günstigere Variante der Akkreditierung propagiert. Den Anfang machte bereits im Februar 2005 der bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel als er ein Verfahren der »Prozessakkreditierung« als »effektivere und bessere« Form der Qualitätskontrolle vorschlug. Mit der Prozessakkreditierung sei es nicht nur möglich, den institutionellen Kontext der Studiengänge in die Beurteilung einzubeziehen, so Goppel – es könnten auch bis zu 100 Millionen Euro an Kosten eingespart werden, wenn nicht mehr jeder einzelne Studiengang bewertet werde.
»Dieses Verfahren setzt das Vertrauen in die Selbstüberprüfung der Hochschule an die Stelle permanenter Kontrolle von außen«, lobte auch Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, das vorgeschlagene Verfahren. Hier ist die wesentliche Motivation vieler BefürworterInnen der Prozessakkreditierung zu suchen, denen die Überprüfung ihrer Studiengänge durch externe GutachterInnen schon lange ein Dorn im Auge ist. Dagegen halten die VertreterInnen der Berufspraxis und der Studierenden – übrigens in einer keinesfalls selbstverständlichen Übereinstimmung mit einigen Bundesländern – am Prinzip einer studiengangbezogenen Qualitätssicherung fest. Auf einer Anhörung des Akkreditierungsrates im November 2006 betonte auch der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs), dass nur so ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit und Anerkennungsfähigkeit der Studieninhalte und -abschlüsse zu gewährleisten sei.
Von Programmen zu Prozessen
Im internationalen Vergleich fällt das deutsche Akkreditierungssystem bereits heute durch ein geringes Maß verbindlicher fachlich-inhaltlicher Anforderungen an Studiengänge auf: Ausschließlich die Strukturvorgaben der KMK, welche sich auf sehr allgemeiner Ebene bewegen, müssen von den Hochschulen eingehalten werden. Mit einer Weiterentwicklung in Richtung der Prozessakkreditierung würde sich das deutsche System der Qualitätssicherung weiter von übergreifend definierten und verbindlichen Qualitätsstandards entfernen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Pilotprojekt, welches von ACQUIN und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in den letzten zwei Jahren an den Universitäten Bayreuth und Bremen sowie den Fachhochschulen Erfurt und Münster durchgeführt wurde, mit rund 1,2 Millionen Euro gefördert. Zur Sicherung der ›Prozessqualität‹ sollten die beteiligten Hochschulen in einem ersten Schritt eine Analyse ihrer internen Prozesse im Bereich Studium und Lehre durchführen, Ansatzpunkte zur (weiteren) Optimierung dieser Prozesse entwickeln und sie abschließend in so genannten Prozessqualitätshandbüchern definieren.
Auf dieser Grundlage wurden Zeit- und Aktionspläne erstellt, Prozessabläufe erprobt und auf die einzelnen Studiengänge angewendet. Schließlich wurden stichprobenartig einzelne Studiengänge einer Programmakkreditierung unterzogen, um die Belastbarkeit der internen Qualitätssicherungsverfahren zu überprüfen. Dem zugrunde liegt die zentrale Hypothese der Prozessakkreditierung, die bei vorhandener Prozessqualität das Vorhandensein und die Nachweisbarkeit einer umfassenden Programmqualität vermutet. Zur Überprüfung der Prozessqualität sollen bis zu zehn Prozent der Programme einer Hochschule im Rahmen einer Programmakkreditierung überprüft werden. Während der Akkreditierungsdauer von bis zu zehn Jahren könnten weitere bis zu zehn Prozent der Studiengänge einer Stichproben-Programmakkreditierung unterzogen werden. Somit würde für mindestens 80 Prozent der Studienprogramme einer Hochschule keine Qualitätsprüfung mehr erfolgen.
Kritische Fragen an das Konzept der Prozessakkreditierung wurden im Rahmen des Ver-netzungstreffens des Studentischen Akkreditierungspools im Juni 2006 von Berit Sandberg formuliert, die Public Management an der FHTW Berlin und der Uni Potsdam lehrt. Sandberg hielt es zunächst für problematisch, dass bei der Bestimmung des hochschulspezifischen Qualitätsbegriffs die Perspektive der Studierenden als Zielgruppe des Studienangebots sowie die Perspektive des Staates als wesentlichem Mittelgeber der Hochschulen zugunsten der Hochschulautonomie in den Hintergrund gedrängt werden sollen.
Eine erhebliche Schwäche des Konzeptes sei weiter die fehlende begriffliche Schärfe der ›Prozessqualität‹, welche eine Überprüfung deutlich erschwere. Insgesamt führe der Fokus der Prozessakkreditierung auf die Hochschule als Organisation zu einer Vernachlässigung der inhaltlichen Dimension der Qualität von Studium und Lehre. Wenn alle für den Bereich von Studium und Lehre relevanten Prozesse auf der Ebene der Hochschulleitung im Prozessqualitätshandbuch definiert würden, würde dies außerdem zu einer deutlichen Verringerung der Steuerungsautonomie auf den Ebenen der Fachbereiche und Institute führen.
Weiterentwicklung in öffentlicher Verantwortung
Die Gleichwertigkeit von Studienleistungen und -abschlüssen sowie die Mobilität der Studierenden zu gewährleisten ist eine wichtige Aufgabe von Hochschulen und Politik. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, kann die Qualitätssicherung nicht in die Autonomie der einzelnen Hochschule entlassen werden. Stattdessen brauchen wir ein übergreifendes System, das in demokratischer Auseinandersetzung verbindliche Standards definiert.
An ein reformiertes System der Qualitätssicherung ist außerdem die Anforderung zu formulieren, dass es Impulse für eine qualitative Studienreform liefert. Hierfür bildet die Beteiligung von Lehrenden, Lernenden und Berufspraxis auf allen Ebenen des Akkreditierungssystems eine zentrale Grundlage. Im Konzept der Prozessakkreditierung, welches von einer Begutachtung der Hochschulen durch ›ExpertInnen für Qualitätsmanagement‹ wie etwa ehemaligen HochschulpräsidentInnen bzw. RektorInnen ausgeht, ist eine Beteiligung der genannten Gruppen auf der Ebene der externen Begutachtung nicht vorgesehen.
In der Folge würden mit den Themen Studierbarkeit und Praxisorientierung zwei zentrale Ziele der Studienreform stark in den Hintergrund treten. Hinzu kommt, dass mit einer an den Konzepten des New Public Management orientierten ›Optimierung‹ hochschulinterner Prozesse das Konzept eines unter Beteiligung aller Statusgruppen weitgehend selbstverwalteten Hochschulsystems in hohem Maße in Frage gestellt würde.
Die Programmakkreditierung war bereits vor ihrer Einführung umstritten und hat viele Erwartungen enttäuscht. Dies sollte allerdings nicht dazu führen, dass aktionistisch ein mangelhaftes System durch ein neues ersetzt wird, welches das Ziel einer flächendeckend guten Hochschulbildung noch weniger erreichen kann als das alte. Vielmehr sollte nach einer ehrlichen Bestandsaufnahme ihrer Stärken und Schwächen eine Weiterentwicklung der Programmakkreditierung erfolgen. Im Vordergrund sollte hierbei stehen, dass Verfahren und Entscheidungen transparenter und die Strukturen demokratischer ausgestaltet werden.
Auch und gerade nach dem Wegfall des Hochschulrahmengesetzes als Folge der Föderalismusreform müssen Hochschulen und Länder für die Vergleichbarkeit von Studiengängen und -abschlüssen Verantwortung übernehmen. Dies wird ganz wesentlich von der Formulierung und Durchsetzung einheitlicher Mindeststandards abhängen, die gleichzeitig auch Freiräume für eine eigenständige Studiengestaltung vor Ort garantieren. Nur so können sich ›Qualitätsprüfung‹ und ›Qualitätsentwicklung‹ produktiv ergänzen. Den Rahmen dafür könnte der Akkreditierungsrat schaffen, sofern dieser eine hierfür angemessene Ausstattung erhält und politisch gestärkt wird.
Zu den AutorInnen
Ulf Banscherus ist seit Februar 2005 studentischer Vertreter im Akkreditierungsrat und arbeitet mit in dessen Arbeitsgruppe ›Weiterentwicklung‹.
Sonja Staack war von Januar 2003 bis November 2006 studentische Vertreterin im Akkreditierungsrat und ist Mitglied im Vorstand des BdWi.