Kein HRG mehr?Hochschulrahmengesetz geht über Bord
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst in der Erziehung und Wissenschaft 2/2007 der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wir danken der GEW und dem Autoren für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. |
Verfassungsrechtlich bedenklich
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), aber auch andere Organisationen, halten es politisch für riskant und verfassungsrechtlich bedenklich, wenn es künftig in 16 Ländern 16 unterschiedliche Systeme des Hochschulzugangs und der Studienabschlüsse geben sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind die Hochschulen verpflichtet, ihre Ausbildungskapazitäten erschöpfend auszulasten, bevor Studienbewerber abgewiesen werden können.
Ob die Länder dies ohne einheitliche bundesgesetzliche Regelung schaffen, ist zumindest fraglich. Auch vor dem Hintergrund der im Rahmen des Bologna-Prozesses geplanten Annäherung der Studienstrukturen im Europäischen Hochschulraum wäre es ein Anachronismus, wenn die Bundesrepublik auf nationale Regelungen über Hochschulabschlüsse und deren gegenseitige Anerkennung in den Ländern verzichtete. Die Kleinstaaterei würde fröhliche Urstände feiern.
Gemeinsames KMK-Konzept zweifelhaft
Wenig überzeugend ist die Vorstellung, dass künftig die Kultusministerkonferenz (KMK) an Stelle von Bundestag und Bundesrat für einheitliche Regelungen sorgen soll. KMK-Beschlüsse bedürfen der Einstimmigkeit aller Länder: Die "Quedlinburger Beschlüsse" von 2005 zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in der Lehrerbildung zeigen, dass auf dieser Grundlage kein gemeinsames Konzept herauskommen kann, sondern allenfalls die gegenseitige Akzeptanz eines föderalen Flickenteppichs.
Hinzu kommt: Im Vergleich zu einem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren hat die Erarbeitung entsprechender Regelungen in der KMK eine weitaus geringere Transparenz und demokratische Legitimation. Hier geben Ministerialbürokraten den Ton an, direkt gewählte Abgeordnete und Vertreter von Gewerkschaften und Verbänden bleiben außen vor.
Ein eklatanter Widerspruch zur Ankündigung im Gesetzentwurf, mit der Aufhebung des HRG würde "die Deregulierung des Hochschulrechts des Bundes vollzogen", ist die Überführung des HRG-Paragrafen zur Befristung von Arbeitsverträgen in das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Eine nahe liegende und sachgerechte Form der Deregulierung wäre dagegen die Aufhebung der bundesgesetzlichen Tarifsperre. Diese verbietet Arbeitgebern und Gewerkschaften, die Beschäftigungsbedingungen des Personals an Hochschulen und Forschungseinrichtungen tariflich zu regeln.
Das HRG hat die Hochschulpolitik in der Bundesrepublik Deutschland über 30 Jahre geprägt. Bei seinem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1976 führte es zum Stopp demokratischer Hochschulreformen in den Ländern und wurde daher auch von vielerlei Seite kritisiert. Heute wird es indes von jenen politischen Kräften als Fessel empfunden, die den alten Verfassungsgrundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu Gunsten eines schrankenlosen Wettbewerbsföderalismus’ über Bord werfen möchten. Nicht nur die GEW hält daher die Abschaffung des HRG für verantwortungslos und fordert die Bundesregierung auf, ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen.