Studierende und die GEWGewerkschaft unterstützt im Einzelfall Studiengebührenboykott
Das Interview führte Jens Wernicke
Studis Online: Herr Keller, was hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit den deutschen Hochschulen und den dort arbeitenden Beschäftigten und Studierenden zu tun?
Andreas Keller: Die GEW ist die Bildungsgewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). In allen Bildungsbereichen von der Kita bis zur Weiterbildung organisiert sie die dort tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zu den über 250.000 Mitgliedern der GEW gehören daher zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Auch Studierende können Mitglieder der GEW werden. Dafür gibt es viele gute Gründe. Nicht nur weil viele Studierende schon heute nebenberuflich als Jobber oder studentische Beschäftigte arbeiten, sondern weil sie perspektivisch als Akademikerinnen und Akademiker abhängig beschäftigt sein werden und die Gewerkschaften auch die Interessen der zukünftigen Arbeitnehmergeneration im Blick haben sollten: Die Studierenden in der GEW werden durch einen eigenen Bundesausschuss repräsentiert, der in den wichtigen Gremien vertreten ist.
Als Bildungsgewerkschaft vertritt die GEW somit die beruflichen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Interessen der Hochschulbeschäftigten und der Studierenden – gegenüber den Arbeitgebern und gegenüber der Politik sowie durch individuelle Beratung und Rechtsschutz.
Ich bin überzeugt, dass die Hochschulbeschäftigten und die Studierenden viele gemeinsame Interessen haben: So hat z. B. die Qualität von Lehre und Studium viel mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Personals aber auch mit der sozialen Lage der Studierenden zu tun.
Was sind denn zurzeit die größten Probleme der Hochschulbeschäftigten? Und inwiefern beeinträchtigen diese den Studien- und Hochschulbetrieb und damit letztlich auch Studierende?
Die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Personals an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind momentan einer umfassenden Flexibilisierung und Deregulierung ausgesetzt: Unterhalb der Professur wird das wissenschaftliche Personal heute fast ausschließlich befristet beschäftigt; zunehmend werden nebenberuflich Tätige, etwa Lehrbeauftragte oder wissenschaftliche Hilfskräfte mit Hochschulabschluss, in prekären Beschäftigungsverhältnissen etabliert.
Hinzu kommen die übertriebenen Hierarchien in der Personalstruktur der deutschen Hochschulen. Mehr und mehr qualifizierte junge Akademikerinnen und Akademiker ziehen daher eine Karriere in der Wirtschaft oder im Ausland der steinigen wissenschaftlichen Laufbahn vor.
Auch Studierende sollten sich kritisch mit dieser Entwicklung auseinandersetzen – nicht nur weil die Qualität der Lehre darunter leidet, sondern auch, weil die Studierenden von heute die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von morgen sind.
Die GEW setzt sich für eine Reform der Hochschulpersonalstruktur ein und tritt für die tarifliche Regelung der Beschäftigungsverhältnisse von allen Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und ein.
Wo sehen Sie die größten Probleme der Studierenden?
Ein drängendes Problem ist die Unterfinanzierung unserer Hochschulen. Bund und Länder sind drauf und dran, abermals einen so genannten Studentenberg untertunneln zu wollen, d.h. dem bevorstehenden Anstieg der Studierendenzahlen nicht mit einem entsprechenden Ausbau der Studienplätze Rechnung zu tragen.
Der kürzlich ausgehandelte "Hochschulpakt" ist leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der dem tatsächlichen Bedarf an mehr Studienplätzen nicht gerecht werden kann. Ein noch schärferer Numerus Clausus und noch überfülltere Hörsäle sind absehbare Folgen hiervon. Zusätzlich wird das Studium für heutige und künftige Studierende immer mehr verteuert – insbesondere durch die Einführung von allgemeinen Studiengebühren ab dem ersten Semester in inzwischen sieben Bundesländern.
Zum kapazitätsbedingten Numerus Clausus kommt also ein "sozialer Numerus Clausus" hinzu, die von unserem Sozialstaat eigentlich geforderte Chancengleichheit wird substanziell in Frage gestellt. Doch damit nicht genug: Trotz vieler positiver Zielsetzungen droht die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland in vielen Studienfächern und an vielen Hochschulen eine scharfe Zweiteilung des Hochschulstudiums in ein Schmalspurstudium für die Masse und ein Exzellenzstudium für eine Elite zu etablieren.
Hierfür sorgen insbesondere Hürden beim Übergang vom Bachelor- zum Masterstudium. Bund und Länder haben nicht ausreichend Vorsorge für die Sicherung der Qualität sowie des berufsqualifizierenden Charakters der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge getroffen.
Wie möchte die GEW bei den angesprochenen Problemfeldern in das politische Geschehen eingreifen?
Der politische Mainstream in Bund, Ländern und auf der europäischen Ebene setzt auf eine Kommerzialisierung von Bildung und Forschung und eine Privatisierung der Bildungsfinanzierung, stellt die Chancengleichheit und den offenen Hochschulzugang in Frage, treibt die Flexibilisierung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voran und baut die erkämpften Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsrechte des Personals und der Studierenden immer mehr ab.
Die GEW möchte diese Entwicklung durch den gemeinsamen Widerstand von Studierenden und Hochschulbeschäftigten aufhalten und umkehren. Bei einem reinen Abwehrkampf darf dabei aber nicht stehen geblieben werden. Nein, es muss für eine alternative Reform des Bildungs- und Wissenschaftssystems gestritten werden. Wir haben Alternativkonzepte für Veränderungen im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Lehrenden und Lernenden. Ausgangspunkt ist hierbei stets unsere Überzeugung, dass Bildung keine Ware, sondern ein Menschenrecht ist.
Und Hochschulen sind keine Dienstleistungsunternehmen, sondern Gemeinschaften von Lehrenden und Lernenden. Die GEW setzt auf Innovation durch Partizipation: Die am Wissenschaftsprozess beteiligten Gruppen gestalten diesen gemeinsam und sind über wirksame Mitbestimmungsverfahren zu beteiligen.
Im Sommersemester steht in einigen Bundesländern erstmalig für alle Studierende die Zahlung von allgemeinen Studiengebühren an. An einigen Hochschulen wird zum Boykott der Gebühren mittels Treuhandkonten aufgerufen. Wie steht die GEW zu Aktionen wie einem Boykott?
Die GEW steht in der Auseinandersetzung um Studiengebühren an der Seite der Studierenden und bleibt bei ihrer klaren Ablehnung von Studiengebühren ohne Wenn und Aber. Denn Studiengebühren schrecken insbesondere junge Menschen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten von der Aufnahme eines Studiums ab und führen zu einer Erhöhung der Abbrecherquote.
Unsere Gesellschaft braucht aber nicht weniger, sondern deutlich mehr Akademikerinnen und Akademiker. Ein Studiengebührenboykott kann ein wirksames und legitimes Mittel kollektiver Interessenvertretung darstellen. Diese Form des kollektiven Widerstands ist aber auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nie ohne Risiko.
Das Risiko lässt sich vermindern und die Chancen des Widerstandes lassen sich erhöhen, wenn möglichst viele Menschen für die Teilnahme gewonnen werden können. Dies setzt ein professionelle Vorbereitung und Durchführung der Aktionen voraus. Ist eine solche im Einzelfall in einem betroffenen Bundesland gegeben, wird auch die GEW Aktionen für einen Studiengebührenboykott politisch unterstützen – ohne aber die mit einer Teilnahme verbundenen Risiken zu verschweigen.
Abschließend: Welche Maßnahmen wünschen Sie sich, damit studieren wieder mehr Lust als Last sein kann?
Hochschulen müssen nicht nur "exzellente" Forschung, sondern auch exzellente Lehre erbringen. Der Bund darf sich daher nicht aus der Finanzierung der Hochschulen zurückziehen und die finanzschwachen Länder sich selbst überlassen, wie es die Föderalismusreform vorsieht, sondern muss diese beim Ausbau ihrer Studienplätze unterstützen.
Durch eine Strukturreform der Ausbildungsförderung sollten alle Studierenden unabhängig vom Portmonee ihrer Familien in die Lage versetzt werden, ihr Studium zu finanzieren. Voraussetzung dafür ist, dass sich die Länder auf die Sicherung der Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums verständigen und die Beschlüsse zur Einführung von Studiengebühren zurückgenommen werden.
Wir brauchen eine echte qualitative Studienreform im Europäischen Hochschulraum, welche die Studierfreiheit und Studierbarkeit aller Studiengänge sicherstellt und die Durchlässigkeit beim Übergang vom Bachelor zum Master sicherstellt. Voraussetzung für die Einführung der neuen Studiengänge ist ihre Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt und bei den Studierenden sowie die Sicherung der Qualität von Studium und Lehre. Die GEW möchte Lehrende und Lernende ermuntern, sich in diese Prozesse einzubringen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Infos zur Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gibt es unter www.gew.de. Dort ist auch die aktuelle Ausgabe der "Erziehung und Wissenschaft", der bundesweiten Zeitschrift der GEW, eingestellt. In ihr sind aktuelle Beiträge von Andreas Keller zum Hochschulpakt sowie zum Wert pädagogischer Arbeit an Hochschulen zu finden.
Bitte beachten, dass die Lizenz nur für diesen Artikel-Text und nicht etwa für das ganze Angebot von Studis Online gilt. Nur Artikel, unter denen sich explizit ein solcher Hinweis findet, dürfen im Rahmen der Bedingungen verwendet werden. Es kann bei anderen Artikeln auch von dieser Lizenz abweichende Lizenzen geben, also bitte genau lesen und beachten!