HochschulpolitikStudentenwerke auf der Seite der Studierenden
Das Interview führte Jens Wernicke
Studis Online: Herr Meyer auf der Heyde, einmal ganz grundsätzlich gefragt: Wer sind die Studentenwerke, was tun sie, und was macht das Deutsche Studentenwerk?
Achim Meyer auf der Heyde: In Deutschland gibt es 61 Studentenwerke. Die Studentenwerke sind in den 1920er Jahren als studentische Selbsthilfeinitiativen entstanden; heute sind die Studentenwerke moderne Dienstleistungsunternehmen mit mehr als 15.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über 1,1 Milliarden Euro. Als von den Hochschulen unabhängige Anstalten des öffentlichen Rechts haben die Studentenwerke den gesetzlichen sozialen Auftrag, die rund zwei Millionen Studierenden – und jetzt zitiere ich die abstrakte Gesetzesformel – ‚wirtschaftlich, sozial, gesundheitlich und kulturell zu fördern’. Konkret bedeutet das: Die 61 Studentenwerke betreiben über 700 Mensen und Cafeterien mit 200.000 Plätzen und 85 Millionen Essen im Jahr, sie bieten den Studierenden 180.000 Wohnheimplätze, schütten im Auftrag von Bund und Ländern über 1,5 Milliarden Euro BAföG aus, bieten Sozialberatung, psychologische Beratung sowie Beratung für Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit.
Neu beraten wir die Studierenden in allen Fragen der Studienfinanzierung, wozu viele Studentenwerke neue Beratungsstellen geschaffen haben. Außerdem bieten die Studentenwerke 5.700 Plätze in ihren 170 Kinderbetreuungseinrichtungen, und wir fördern die studentische Kultur, entweder mit Räumen, Equipment und Technik oder auch mit Kulturbüros und einem kulturellen Kursprogramm. Die Leistungen der Studentenwerke, die an über 190 Hochschulstandorten und weit über 300 Hochschulen arbeiten, bilden das soziale Rückgrat im deutschen Hochschulsystem. Mit anderen Worten: Wir sorgen dafür, dass die Studierenden auch wirklich den Rücken frei haben für ihr Studium. Unser Motto ist: "...damit Studieren gelingt!"
Das Deutsche Studentenwerk, kurz DSW, ist der Dachverband der 61 Studentenwerke in Deutschland. Wir vertreten die Interessen der Studentenwerke gegenüber der Politik auf Bundes- und Länderebene; darüber hinaus nimmt das Deutsche Studentenwerk aber auch sozialpolitische Interessen der Studierenden wahr. Wenn Sie wollen, sind wir nicht nur das soziale Rückgrat, sondern auch das soziale Gewissen des Hochschulwesens.
Aber mit 1,1 Milliarden Euro Umsatz und 15.000 Beschäftigten klingt das auch stark nach Profit.
Die Studentenwerke sind gemeinnützig und eben nicht profitorientiert. Wo wir Einnahmen erzielen, setzen wir sie zur Quersubventionierung anderer Angebote ein, die nicht profitabel sind oder sein können. Nehmen Sie als Beispiel die vielen kleinen Mensen oder Cafeterien an kleinen Hochschulstandorte oder die breiten, kostenlosen Beratungsangebote für Studierende: Das alles können wir nur bieten, weil wir eben nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet sind. Was nicht heißt, dass die Studentenwerke nicht wirtschaftlich und effizient arbeiten, im Gegenteil: Wenn Sie sich mal die Zusammensetzung unserer gesamten Einnahmen von 1,174 Milliarden Euro im Jahr 2005 ansehen: Rund zwei Drittel dieser Einnahmen (764 Mio. Euro bzw. 65%) erwirtschaften die Studentenwerke selbst, vor allem über Miteinnahmen in ihren Wohnanlagen und Umsatzerlöse in ihren Mensen und Cafeterien.
Rund 13% der Einnahmen (156 Mio. Euro) machen die Semesterbeiträge der Studierenden aus; sie liegen im Bundesdurchschnitt aktuell bei rund 46 Euro im Semester. Die Zuschüsse der Bundesländer an die Studentenwerke sind seit Jahren rückläufig; 2005 betrugen sie insgesamt noch 151 Millionen Euro bzw. 13% der Einnahmen. Die vierte größere Einnahmenquelle für die Studentenwerke ist die so genannte Aufwandserstattung für das BAföG. Sie betrug 2005 74 Millionen Euro (6% der Einnahmen). Man kann also sagen: Bei den Studentenwerken geht die soziale Verantwortung für die Studierenden Hand in Hand mit wirtschaftlicher Professionalität.
Gut, aber können die Studierenden denn bei Ihnen überhaupt mitreden? Wie steht es um die studentische Mitbestimmung?
Ich kann nur sagen: sehr gut. Ich habe ja bereits gesagt, dass die Studentenwerke auf studentische Selbsthilfeinitiativen zurückgehen. Die studentische Mitbestimmung hat bei den Studentenwerken eine gute, starke Tradition, und gerade in unserem Gremien sind die Studierenden stark vertreten – übrigens auch bei uns im Dachverband, dem Deutschen Studentenwerk. In unserem Vorstand sind drei Studierende vertreten, Herr René Voss aus Bochum ist als Studierender Vizepräsident des Deutschen Studentenwerks.
Wenn Sie sagen, das Deutsche Studentenwerk nehme die sozialen Interessen der Studierenden wahr: Wie sieht ihre soziale Situation denn aus, wo drückt der Schuh?
Dank unserer Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden wissen wir sehr gut Bescheid, wie es den Studierenden geht. Unsere Sozialerhebung machen wir seit 1951 im Abstand von drei Jahren; sie ist einzigartig in Deutschland. Übrigens haben wir gerade diesen Sommer die 75.000 Fragebögen für die inzwischen 18. Sozialerhebung an per Zufallsgenerator ausgewählte Studierenden verschickt, und im Sommer nächsten Jahres werden wir die Ergebnisse präsentieren können.
Zu Ihrer Frage: So wenig, wie es ‚den Durchschnittsstudenten’ gibt, so wenig kann man die soziale und wirtschaftliche Lage der zwei Millionen Studierenden auf einen einzigen Nenner bringen. Man muss differenzieren. 27% der Studierenden haben im Monat weniger als 600 Euro im Monat – zum Vergleich: Der BAföG-Höchstsatz beträgt 585 Euro! 14% der Studierenden wiederum haben mehr als 1.000 Euro im Monat; der Durchschnittswert bundesweit liegt bei 767 Euro monatliche Einnahmen.
Ich würde aber schon die These wagen, dass die Studierenden zumindest finanziell stärker unter Druck geraten. Denken Sie nur an die Studiengebühren, die sieben Bundesländer derzeit einführen. 1,4 Millionen der zwei Millionen Studierenden müssen Studiengebühren bezahlen – das trifft Studierende, die nur 600 Euro im Monat haben, viel stärker als jene, die über mehr Einnahmen verfügen.
Sie geben mir das Stichwort: Studiengebühren. Das Deutsche Studentenwerk gilt als vehementer Kritik von Studiengebühren. Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie sich auch an den Gebühren-Boykottaktionen beteiligen?
Das können wir nicht, das müssen tun, die es letztlich trifft: die Studierenden selbst. Wir machen vor allem auf der politischen Ebene Druck gegen Studiengebühren. Allein in diesem Jahr haben wir auf fünf Anhörungen in Länderparlamenten unsere dezidiert kritische Sicht auf Studiengebühren vorgetragen, und ich denke, es ist uns im Verbund mit anderen gelungen, die schlimmsten Auswüchse zu verhindern, etwa in Hessen, wo 1.500 Euro im Semester für Master-Studiengänge oder ausländische Studierende geplant waren.
Studiengebühren sind aus unserer Sicht Gift für die Chancengleichheit im deutschen Hochschulsystem. Sie können insbesondere auf junge Menschen aus einkommensschwächeren und Mittelstands-Familien abschreckend wirken. Gerade diese Schichten sind aber an unseren Hochschulen bereits jetzt deutlich unterrepräsentiert. 81 von 100 Kindern aus einkommensstarken Haushalten schaffen den Sprung an die Hochschule, aber nur elf Kinder aus einkommensschwächeren Familien. Wir befürchten: Die soziale Ungleichheit, die in der Schule ihren Ausgang nimmt, wird durch Studiengebühren ins Hochschulsystem fortgesetzt.
Und Studiengebühren sind auch ökonomisch widersinnig. Sie erschweren den Zugang zu höherer Bildung; das ist das Gegenteil dessen, was Deutschland braucht. Um unsere Innovationskraft zu stärken und einem Fachkräftemangel in der Wirtschaft entgegen zu wirken, müssen wir mehr junge Menschen gerade aus bildungsfernen Schichten für ein Hochschulstudium mobilisieren. Das schafft man nicht mit Studiengebühren.
Noch ein Wort zur so genannten ‚Sozialverträglichkeit’: Jene Bundesländer, die Studiengebühren einführen, bieten den Studierenden Darlehen der jeweiligen Landesbanken an; diese Kredite müssen erst nach dem Studium zurückgezahlt werden. Dies sei, so wird argumentiert, sozialverträglich. Dieses Argument überzeugt mich nicht. Am Ende stehen wenig finanzkräftige Studierende mit Schulden da. Wer die Studiengebühren leichter bezahlen kann, ist schuldenfrei. Das ist nicht sozialverträglich. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel gilt eine Kappungsgrenze von 10.000 Euro für BAföG-Darlehensanteil plus Studiengebühren-Darlehen als sozialverträglich, in Hamburg sollen es 17.000 Euro sein. Das zeigt die Dehnbarkeit und Fragwürdigkeit des Begriffs.
Wenn Sie die soziale Selektivität des Hochschulsystems beklagen – wie sehen Sie denn aus Ihrer Perspektive die aktuellen Reformbaustellen in der Hochschulpolitik, Stichwort Exzellenzinitiative, Hochschulautonomie?
Wir befürchten in der Tat, dass die laufenden Hochschulreformen die ohnehin stark ausgeprägte soziale Selektion an den Hochschulen noch weiter verschärfen. Wir sagen als Deutsches Studentenwerk ganz klar: Auch ein an Exzellenz und Wettbewerb orientiertes Hochschulsystem muss sozial durchlässig sein für all jene jungen Menschen, die nicht aus einer finanz- und bildungsstarken Familie stammen. Autonomie und Wettbewerb stoßen dort an ihre Grenzen, wo die Chancengleichheit gefährdet ist. In Deutschland zu studieren, das darf künftig nicht heißen ‚Geschlossene Gesellschaft’. Was der Titel ‚Elite-Uni’ übrigens für die Studierenden ganz konkret bedeutet, wird sich erst zeigen. Im schlimmsten Fall nutzen die Elite-Unis den Titel, um von ihren Studierenden noch mehr Studiengebühren zu verlangen.
Aber Bund und Länder haben sich ja auf einen Hochschulpakt verständigt, um zusätzliche Studienplätze zu schaffen.
Ja, und das sehen wir durchaus positiv. Der Hochschulpakt, ist ein erster, wichtiger Schritt, aber weitere müssen folgen. Dieses Land wird beweisen müssen, was ihm seine Studierenden eigentlich wert sind. Wir schaffen weniger soziale Selektion und mehr Chancengleichheit aber grundsätzlich nur mit zusätzlichen, massiven Investitionen.
Dank der Exzellenzinitiative der Bundesregierung fließt viel frisches Geld in die Forschung, das ist gut. Über den Hochschulpakt soll etwas frisches Geld in zusätzliche Studienplätze fließen, das ist ein Anfang. Aber neben Forschung und Lehre gibt es eine dritte Säule im Hochschulsystem, nämlich die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur, sprich die Studentenwerke. Wenn das deutsche Hochschulsystem zukunftsfähig gemacht werden soll, wenn es die vielen Studierenden der nächsten Jahre gut aufnehmen und ausbilden will, wenn alle jungen Menschen, die das Zeug dazu haben, unabhängig von ihrer Herkunft studieren sollen – dann brauchen wir auch starke Studentenwerke. Hier sehen wir Bund und Länder in einer gesamtstaatlichen Verantwortung, uns stärker zu unterstützen.
Die Studentenwerke bauen zum Beispiel angesichts von Studiengebühren und Studienkrediten ihre Beratungsstellen für Studienfinanzierung aus, weil das Beratungs- und Informationsbedürfnis der Studierenden enorm ist. Hier müssen die Studentenwerke dringend von den Bundesländern stärker unterstützt werden. Und auch für unsere Wohnheime und Mensen haben wir einen dringenden Investitionsbedarf.
Das wichtigste Instrument, um mehr Chancengleichheit zu realisieren, ist und bleibt aber das BAföG...
...das seit der BAföG-Reform 2001 nicht mehr verbessert wurde.
Richtig. Wir appellieren an Bund und Länder, Sofortmaßnahmen zu ergreifen und das BAföG zu verbessern. Die Freibeträge, Bedarfssätze und Sozialpauschen müssen rasch angehoben werden, außerdem muss das BAföG automatisch jährlich an die Preis- und Einkommensentwicklung angepasst werden.
Ich betone: Ohne eine starke Breitenförderung über das BAföG keine Spitze, ohne Massenförderung keine Begabtenförderung. Deutschland ist auf ein starkes BAföG angewiesen, wenn wirklich 40% eines Jahrganges ein Studium aufnehmen sollen, wie es die Bundesregierung im Koalitionsvertrag sich zum Ziel gesetzt hat. Die zusätzlichen Studierenden werden vor allem aus einkommensschwächeren Familien und dem Mittelstand kommen müssen – für sie ist das BAföG das beste Argument für ein Studium.
Das BAföG ist dieses Jahr 35 Jahre alt geworden. Als es 1971 eingeführt wurde, wurde es von einem starken, parteiübergreifenden Konsens getragen, für mehr Chancengleichheit und mehr soziale Durchlässigkeit in der bundesdeutschen Gesellschaft zu sorgen – übrigens vor dem Hintergrund eines Fachkräftemangels, der uns in vielen Wirtschaftszweigen wieder droht. Heute beziehen rund 507.000 Studierende BAföG – das ist mehr als ein Viertel der Studierenden insgesamt.
Das BAföG ist eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Fast vier Millionen junge Menschen, deren Eltern für das Studium ihrer Kinder nicht hätten aufkommen können, konnten seit 1971 dank BAföG studieren. Das BAföG ist eine bildungs- und sozialpolitische Errungenschaft, auf die wir stolz sein dürfen, und für die sich das Deutsche Studentenwerk mit ganzer Kraft einsetzt.
Weitere Infos gibt es unter www.studierendenwerke.de.
Auf der Homepage des Deutschen Studentenwerks ist auch das neue "DSW-Journal" zum kostenlosen Download eingestellt. Mit diesem Magazin will das DSW seine hochschul- und bildungspolitische Sicht darlegen und die Arbeit der Studentenwerke vorstellen. Aufgemacht ist das Blatt mit einem Streitgespräch zwischen DSW-Präsident Prof. Dr. Rolf Dobischat und der Bundesbildungs- und -forschungsministerin Annette Schavan.
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