HochschulpolitikProteste gegen neues Thüringer Hochschulgesetz
Das Interview führte Jens Wernicke
Studis Online: Am 9. November diesen Jahres demonstrierten etwa 5.000 Thüringer Studierende in Erfurt gegen die geplante Novellierung des Thüringer Hochschulgesetzes. Was kritisieren die Studierenden – und welche Position vertritt diesbezüglich die GEW?
Marlis Bremisch: Ein erster großer Kritikpunkt ist die geplante Einführung von Verwaltungsgebühren in Höhe von 100 Euro pro Jahr. Außerdem will die Landesregierung den Hochschulen freistellen, dass sie für Leistungen wie z. B. Spracheingangsprüfungen oder Eingangsprüfungen in künstlerischen oder Sport-Studiengängen Gebühren erheben können, ebenso wie für Angebote im Sprach- und EDV-Bereich, die nicht Bestandteil einer Studien- und Prüfungsordnung sind. Die Langzeitstudiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester sollen natürlich bestehen bleiben. Der zweite Kritikpunkt ist die massive Zurücknahme demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der akademischen Selbstverwaltung.
Wie sieht das im (Gesetzes-)Detail denn in etwa aus; was genau schreibt das neue Hochschulgesetz vor?
Zu den Vorhaben im Finanzierungsbereich habe ich bereits Einiges gesagt. Hinzufügen möchte ich zu diesem Punkt noch, dass die Thüringer Hochschulen mit dem Finanzvolumen des Jahres 2001 auskommen müssen, obwohl ihre Studierendenzahlen seither teilweise erheblich gestiegen sind. Sie sind also chronisch unterfinanziert und selbst, wenn sie in bestimmten Grenzen entscheiden können, ob sie Gebühren erheben oder nicht, werden sie teilweise gezwungen sein, es zu tun, damit sie bestimmte Aufgaben überhaupt noch erfüllen können.
Zu den anderen Änderungen: Es soll ein Hochschulrat aus Personen gebildet werden, die (zum großen Teil) nicht der Hochschule angehören. Dieser soll zu großen Teilen die Geschicke der Hochschule bestimmen, indem er zum Beispiel die Grundordnung, die Struktur- und Entwicklungsplanung und die Grundsätze für die Ausstattung und Mittelverteilung der Hochschule bestätigt und den Präsidenten und den Kanzler wählt. Eine Präsidialverfassung mit einem Präsidenten mit weitgehender Machtbefugnis soll nämlich zukünftig vorgeschrieben sein. Demgegenüber werden die Konzile abgeschafft und die Befugnisse der Senate eingeschränkt. Dadurch gehen auch die Einflussnahmemöglichkeiten von Studierenden und MitarbeiterInnen auf die Entwicklung der Hochschule zu einem großen Teil verloren. Da verwundert es auch nicht mehr, dass in dem vorliegenden Gesetzentwurf der Passus fehlt: "Die Hochschulen lassen sich in ihrer Tätigkeit von der Verantwortung für soziale Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung und Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen leiten."
Wird Derartiges nicht zunehmend bei der Novellierung verschiedenster Landeshochschulgesetze realisiert – oder ist Thüringen hier ein "Sonderfall"?
Thüringen vollzieht mit dieser Umstrukturierung der akademischen Selbstverwaltung, was eine ganze Reihe von anderen Bundesländern in seiner Hochschulgesetzgebung bereits vollzogen haben. Wenn ich den Überblick noch richtig behalten habe, dann haben nur noch Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Konzile und Thüringen – noch. Länder, die dem Hochschulrat weitreichende Befugnisse geben, einen starken Präsidenten und eine sehr eingeschränkte Mitbestimmung des Senats haben, sind Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. Die anderen Länder gehen in dieser Gesamtheit nicht ganz so weit. Die Tendenz, demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten von Studierenden und MitarbeiterInnen abzubauen und Hochschulen wie Unternehmen zu betrachten und zu führen, ist aber bei allen Gesetzesnovellierungen der letzten Zeit zu beobachten.
In Zeiten von Studiengebühren und Studienreform durch Bachelor und Master: Wohin führt die aktuelle Umgestaltung der deutschen Hochschullandschaft Ihrer Meinung nach; was ist ihr Ziel?
Ich glaube, man muss hier trennen. Die Einführung des Bachelor-/Master-Systems ist per se nichts Schlechtes, allerdings kann eine solche Umstellung handwerklich schlecht gemacht sein. Die Tendenzen der Entwicklung der deutschen Hochschullandschaft wären meiner Meinung nach keine anderen, auch wenn es den Bologna-Prozess nicht geben würde.
Der Staat macht sich mit seiner Steuerpolitik selber arm, wodurch er nicht mehr in der Lage ist, Bildung – auch Hochschulbildung – zu bezahlen. Gleichzeitig wird in Deutschland eine Debatte geführt, die den Nutzen der Hochschulbildung in erster Linie im privaten Bereich ansiedelt: Ein Hochschulabsolvent ist weniger arbeitslos als ein Nichthochschulabsolvent, er verdient mehr usw. usf. Dass Hochschulabsolventen für die Gesellschaft wichtig sind, weil sie zu einem entscheidenden Teil zu deren Fortkommen beitragen, geht dabei sehr schnell unter. Gerade Deutschland braucht mehr Studierende und mehr Hochschulabsolventen, wenn es nicht von der Entwicklung in der Welt abgekoppelt werden will. Hier wird der gesellschaftliche Nutzen von (Hochschul-)Bildung schnell deutlich. Wenn aber Hochschulbildung der ganzen Gesellschaft und nicht nur dem Individuum selbst nutzt, dann sollte auch die Gesellschaft diese Bildung gebührenfrei halten. Diese Seite der Medaille wird in der Diskussion aber kaum gezeigt; Studierende, Gewerkschaften und einige Bildungswissenschaftler und Politiker sind hier einsame Rufer in der Wüste. Die Tendenz geht in Deutschland eindeutig in Richtung der Kommerzialisierung von Bildung und Bildungseinrichtungen und macht auch vor der Hochschulbildung nicht halt. Geschaut wird nach den USA, England, Australien, nicht in die skandinavischen Länder. Kinder aus ärmeren Familien und selbst Kinder aus Mittelstandsfamilien werden zukünftig immer schlechtere Bildungschancen haben und weniger an den Hochschulen zu finden sein. Bildung wird eine Ware unter vielen werden.
Auch das Thüringer Hochschulgesetz ist also – auch, aber nicht nur, im Kontext anderer Reformen – als Schritt hin zur Privatisierung des deutschen Bildungswesens anzusehen? Wie schätzen Sie die Chancen ein, dies zu verhindern? Was planen GEW oder Studierende, um dieses Gesetz noch aufzuhalten?
Was die Studierenden im Einzelnen planen, weiß ich (noch) nicht. Aber mit der Demo am 09.11. haben sie ein gutes Signal gegeben, dass sie sich nicht alles gefallen lassen werden. Die GEW Thüringen hat die Demo unterstützt und Kolleginnen und Kollegen haben an ihr teilgenommen. Außerdem haben wir alle Möglichkeiten, die der Gesetzgebungsweg bietet, wahrgenommen, d. h., wir haben Stellungnahmen eingereicht, uns beim Anhörungsverfahren des Wissenschaftsausschusses des Thüringer Landtags beteiligt. Unsere Landesvertreterversammlung hat im September 2006 eine Resolution beschlossen, mit der wir den Gesetzentwurf ablehnen und gleichzeitig die Fraktionen des Thüringer Landtages auffordern, diesen Gesetzentwurf zurückzuweisen. Diese haben wir allen Abgeordneten des Thüringer Landtags zugesandt. Wir beteiligen uns an Diskussionen und bringen unsere Ablehnung zum Gesetzentwurf zum Ausdruck.
Dennoch wird es trotz aller Proteste sehr schwer sein, entscheidende Veränderungen im jetzigen Gesetzentwurf zu erreichen, da die CDU im Parlament die Mehrheit hat. Ob es bei der Abstimmung zum Gesetz AbweichlerInnen in der CDU-Fraktion geben wird, die gegen das Gesetz stimmen, kann ich leider nicht einschätzen. Aber wir werden weiterhin alles uns Mögliche tun, diese Gesetzesnovellierung zu verhindern.
Marlis Bremisch ist Referentin für Hochschule, Forschung und Erwachsenenbildung bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Thüringen.
Weitere Informationen und Hintergründe
- Thüringer Hochschulgesetz - Novelle 2006 (Kultusministerium Thüringen)
- Stellungnahme der GEW zur Novelle (PDF-Datei)
- Positionspapier der Thüringer Studierendenschaften zum neuen Thüringer Hochschulgesetz (PDF-Datei)
- Konferenz Thüringer Studentenschaften (KTS)
- Referat Hochschule und Forschung bei der GEW Thüringen
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