Aktionsbündnis gegen StudiengebührenDer Widerstand gegen Studiengebühren wird intensiviert
Das Interview führte Jens Wernicke
Auf der ABS-Vollversammlung im Juli hat das ABS ein neues Grundsatzpapier beschlossen und reagiert damit auf die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf Studiengebühren. Um was geht es genau?
Mike Niederstraßer, ABS-Geschäftsführer: Mit der "Hattinger Erklärung", die das Ergebnis einer Zukunftstagung ist, haben die Mitglieder des ABS beschlossen, dass das ABS auch zukünftig für eine Gebührenfreiheit des Studiums sowie allgemein ein unentgeltliches Bildungssystem eintritt. Wir werden nicht an Gebührengesetzen mitarbeiten, um sie "ein wenig sozialer" zu machen. Wir lehnen Studiengebühren nach wie vor ab und haben vor, unsere Argumente hierfür noch deutlicher als bisher in die Öffentlichkeit zu tragen.
Nun werden ja derzeit in immer mehr Bundesländern Studiengebühren eingeführt und meinen manche, für Widerstand hiergegen wäre es längst zu spät. Wie stellt ihr Euch Eure zukünftige Arbeit vor? Und wie reagiert ihr auf diese Situation?
Nun, für uns stellt sich die Situation so dar, dass zwar tatsächlich immer mehr Studiengebührengesetze in die Parlamente eingebracht werden, auf der anderen Seite der Protest hiergegen aber auch immer deutlichere Konturen gewinnt. In Hessen beispielsweise haben wir zum ersten Mal die Situation, dass der Protest auch über die Semesterferien fortgeführt wurde und auch hiernach nicht erstarb, sondern im neuen Semester umso stärker aufflammte. In Berlin gab es vor der Wahl eine Demonstration mit etwa 7.000 SchülerInnen und Studierenden und kommt es immer wieder zu SchülerInnenstreiks.
Unsere Analyse ist daher, dass die Proteste eben nicht verflachen, sondern vielmehr in Masse und Häufigkeit zunehmen wird. Es ist eben alles andere als "zu spät", etwas zu tun, sondern ganz im Gegenteil: Es ist genau die richtige Zeit. Ein weiteres Zeichen hierfür ist auch, dass am 21. Oktober gemeinsam mit den Gewerkschaften, die sich inzwischen deutlich gegen Studiengebühren positioniert haben, ein bundesweiter Aktionstag unter dem Motto "Das geht besser, aber nicht von allein!" durchgeführt werden wird.
Und wie habt ihr nun vor, weitere Studiengebührengesetze zu verhindern bzw. bereits beschlossene wieder zu Fall zu bringen? Mit einem bundesweiten Aktionstag allein geling dies doch sicherlich nicht?
Zunächst einmal werden wir die parteiübergreifenden Lippenbekenntnisse für mehr Investitionen in Bildung aus der letzten Zeit aufgreifen und ihre Realisierung einfordern. Dabei werden wir uns nicht auf die üblichen Aktionsformen wie Demonstrationen und Mahnwachen beschränken, sondern auch auf andere Art Widerstand leisten. Im Moment arbeiten wir beispielsweise an einer neuen ABS-Massenzeitung, die zu Semesterbeginn bundesweit erhältlich ist und dann auch unter www.abs-bund.de zu bestellen sein wird. Diese wird eine Boykott-Beilage enthalten. Tatsache ist nämlich, dass, wenn niemand bezahlt, auch niemand exmatrikuliert werden wird. Eben das ist unsere momentane Strategie: Die Studierenden zahlen anstatt an ihre Hochschulen oder Landesregierungen auf ein Treuhandkonto ein. Erreichen wir einen Anteil von 20 bis 30 Prozent der Studierenden einer der teilnehmenden Hochschule haben wir ein wirklich großes Druckmittel gegen die herrschende Politik in der Hand. Wir gehen dann davon aus, dass die Studiengebühren in diesem Semester nicht erhoben werden können. Erreichen wir den Prozentsatz von etwa 20 bis 30 Prozent nicht, wird das auf dem Treuhandkonto eingegangene Geld am letztmöglichen Tag doch noch an die Hochschulen gezahlt, so dass der oder die einzelne kein Exmatrikulations-Risiko eingeht. In Hamburg hat dies vor ca. 35 Jahren bereits einmal funktioniert: Damals wurde das so genannte Hörergeld abgeschafft.
Dieser Boykott stellt also eine neue Aktionsform für Euch dar. Gibt es sonst noch Ideen, was von einzelnen oder vielen ganz konkret unternommen werden kann?
Ja, das ist ein Teil neuer, kreativer Widerstandsformen. Zu diesem Thema wird es einen extra Artikel in der kommenden Massenzeitung mit dem Titel "Von Autobahnen und anderen Wegen" geben. Darüber hinaus ist es uns natürlich nach wie vor wichtig, möglichst bundesweit in allen Hochschulen sowie in der Öffentlichkeit weitere Diskussionen zum Thema Bildungsprivatisierung zu führen. Den Auftakt hierzu wird eine gemeinsame Pressekampagne der ABS-BündnisparternerInnen zu Semesterbeginn darstellen. Die IG Metall, die GEW, dutzende Studierendenschaften, LandesschülerInnenvertretungen, studentische Hochschulgruppen sowie die Bundestagsfraktion der Linkspartei sollen die Presse über die im kommenden Semester anstehenden Veränderungen und sozialen Einschnitte für Studierende hinweisen. Hier geht es längst nicht mehr nur um Studiengebühren. Ebenso werden die Kürzung beim Kindergeld, die anstehende GEZ-Gebühr für internetfähige Rechner, die verkürzte Bezugsdauer des Erziehungs- bzw. Elterngeldes und anderes Thema sein. Fakt ist, und dessen sind sich alle BündnispartnerInnen bewusst: Wenn nicht umgehend etwas hiergegen unternommen wird, wird Bildung in sehr kurzer Zeit für viele unbezahlbar sein.
Und wie sieht es mit juristischen Mitteln aus? Hatte das Bundesverfassungsgericht im Januar 2005 der Erhebung von Studiengebühren nicht nur unter sozialem Vorbehalt zugestimmt?
Nein, das hat es nicht. Ganz im Gegenteil hat es der Erhebung von Studiengebühren gar nicht "zugestimmt". Es hat lediglich erklärt, dass der Bund in diesem Bereich keine Regelungskompetenzen hat. Und dass es davon ausgeht, dass sich die Länder bei der Einführung von Studiengebühren an sozialstaatliche Normen, internationale Verträge und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes hielten. Inzwischen haben mehrere Gutachten Zweifel daran angemeldet, dass die im Moment eingeführten Darlehensmodelle einzelner Länder diesen Normen entsprechen. Zudem gehen wir davon aus, dass eine zukünftige Normenkontrollverfahren ergeben werden, dass die Erhebung von Studiengebühren gegen das BAföG verstoßen, da so Bund mit seinen Mitteln statt Studierende zu unterstützen, einen Teil dieser Unterstützung nun fortan an die Länder "abgeben" soll. Das ist weder Sinn noch Zweck des BAföG. Auch im juristischen Sinne gehen wir also davon aus, dass ein Großteil der bisher verabschiedeten Gesetze einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten wird und daher zurückgenommen müssen werden wird.
Kann mensch Euch irgendwie unterstützen? Was kann der oder die einzelne Studierende unternehmen, um etwas gegen Studiengebühren zu tun?
Am meisten wird natürlich durch "Überzeugungsarbeit" erreicht. Besucht einfach eins unserer Argumentationsseminare zum Thema. Organisiert Euch vor Ort. Ordert unsere Broschüren oder die in Bälde erscheinende Massenzeitung. Verteilt das Material vor Ort. Setzt Euch mit dem Thema auseinander und argumentiert, wo irgend es geht: "Für Solidarität, mehr Demokratie und freie Bildung."
Vielen Dank für das Gespräch.
Weiteres zum Thema
- Webseite des Aktionsbündnis gegen Studiengebühren
- Übersicht: Studiengebühren in Deutschland (ständig aktualisiert)
- "Die Auseinandersetzung um Studiengebühren ist primär eine politische, keine juristische" (Interview mit Klemens Himpele, damals gerade scheidender ABS-Geschäftsführer, 15.11.2004)
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