StudiengebührenNur ständischer Protest?
Eines der zentralen Argumente für die Einführung von Studiengebühren, das von deren BefürworterInnen bei fast jeder Gelegenheit vorgebracht wird, lautet: Studiengebühren sorgen für soziale Gerechtigkeit, weil sie diejenigen an den Kosten für ihre Hochschulbildung beteiligen, die später davon profitieren, während bisher ein großer Teil dieser Kosten von allen SteuerzahlerInnen aufgebracht wird. Die unteren zwei Drittel der Bevölkerung, deren Kinder es eher selten auf die Hochschule schaffen, sorgten mit ihren Steuern dafür, dass die aus dem oberen Drittel stammende Mehrzahl der Studierenden kostenfrei studieren könne. Publikumswirksam wird dann immer auf die Krankenschwester verwiesen, die dem Arztsohn das Studium mitfinanziere. Die Proteste gegen die Einführung von Studiengebühren seien deshalb ein Ausdruck "ständischer Interessenvertretung", der Verteidigung von Privilegien auf Kosten der Allgemeinheit.
Dieses Argument ist nicht so einfach vom Tisch zu wischen. Zum einen ist es zutreffend, dass die Teile der Bevölkerung, deren Kinder nicht studieren, zur Finanzierung der Hochschulen beitragen, auch wenn man sich über die Größenordnung im Detail streiten kann. Zum anderen schwingen bei einer nicht unerheblichen Zahl selbst derjenigen Studierenden, die sich aktiv an den Protesten beteiligen oder die als Studierendenvertreter in ASten oder anderen Organisationen tätig sind, tatsächlich ständisch angehauchte Untertöne mit. So wird in öffentlichen Diskussionen fast regelmäßig darauf verwiesen, dass die heutigen Studierenden in ihrem späteren Berufsleben aufgrund der Steuerprogression besonders hohe Steuern zahlen würden, für ihr Studium damit letztlich doch selbst aufkommen müssten. Ebenfalls beliebt ist der Hinweis auf die besondere Bedeutung von Hochschulabsolventen in der "Wissensgesellschaft", von deren Arbeit schließlich die Zukunft aller BürgerInnen und Bürger abhinge. Solche Denkmuster haben schon etwas Ständisches an sich und sollten daher auch, wo immer es geht, kritisch hinterfragt werden.
Studiengebühren = gesellschaftliche Frage
Für die politische Bewertung der Proteste sind sie dennoch nicht ausschlaggebend, und das aus zwei Gründen. Erstens argumentieren die Gegner von Studiengebühren überwiegend nicht ständisch. So fordert die Landes-ASten-Konferenz in Hessen, die an den Hochschulen und im übrigen Bildungssystem fehlenden Gelder durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer aufzubringen. Das ist nur eines von vielen Beispielen für eine Argumentation, die richtigerweise die gesamtgesellschaftlichen Verteilungskonflikte ins Zentrum stellt. Wenn diejenigen Politikerinnen und Politiker, die vor allem durch ihre Steuergesetzgebung in den letzten 10 bis 15 Jahren dafür gesorgt haben, dass es eine massive Umverteilung von unten nach oben gegeben hat, jetzt Studiengebühren mit dem Argument der sozialen Gerechtigkeit verteidigen, dann muss ihre Heuchelei eigentlich sofort ins Auge fallen. Dem mit Vorschlägen zu einer sozial gerechteren Steuerpolitik zu begegnen, ist richtig.
Zweitens stellen die Proteste auch unabhängig davon, ob und inwieweit ständisch angehauchte Denkmuster die Einstellung der Protestierenden prägen, Widerstand gegen eine Politik dar, die nicht nur eine stärkere Privatisierung der Bildungskosten zum Ziel hat, sondern auch eine weitreichende soziale Umstrukturierung der Hochschullandschaft. Die Einführung von Studiengebühren bildet nur einen Baustein einer Gesamtstrategie, die letztlich darauf hinausläuft, die Universitäten aufzuspalten in eine kleine Gruppe von ca. 25 Forschungsuniversitäten (mit den im Rahmen des Exzellenzwettbewerbs gekürten Elitenuniversitäten an der Spitze), an denen dann überwiegend die Kinder des Bürgertums studieren, und eine große Gruppe von ungefähr 80 Universitäten, deren Aufgabe dann die möglichst schnelle Ausbildung der Studierendenmassen aus der breiten Bevölkerung sein wird.
Für diese Spaltung sorgen mehrere Mechanismen. Zunächst werden die staatlichen Finanzmittel viel ungleichmäßiger als heute auf die Universitäten verteilt werden. Nach dem Matthäus-Prinzip werden die Starken gestärkt, die Schwachen geschwächt. Dafür sorgen nicht nur die 1,6 Mrd. Euro des Exzellenzwettbewerbs, sondern auch die stärkere Bindung der öffentlichen Mittelvergabe an "Leistungskriterien" wie vor allem die Drittmitteleinwerbung. Die Einführung von universitätsinternen Auswahlverfahren in zahlreichen Fächern, der zweite wichtige Mechanismus, wird dazu führen, dass die siegreichen Universitäten die von ihnen gewünschten Studierenden selbst auswählen können, während die Verlierer der Entwicklung mit dem "Rest" vorlieb nehmen müssen. Praktisch bedeutet das nach den Erfahrungen, die man mit Elitehochschulen in anderen Ländern gemacht hat, vor allem eines: an den Elite- und Forschungsuniversitäten werden aufgrund ihrer (dank wesentlich günstigerer Lernbedingungen) besseren Leistungen und wegen der persönlichkeitsbezogenen Auswahlkriterien in erster Linie die Kinder des Bürgertums und der sonstigen "bildungsnahen" Schichten studieren.
Gebührenhöhe = Hochschulspaltung
Die Einführung von Studiengebühren bildet den dritten Baustein. Ihre Bedeutung liegt nicht so sehr in einer generellen Erschwerung des Hochschulzugangs. Den wird es zwar auch geben – je höher die Studiengebühren, umso stärker –, wichtiger aber ist ein anderer, zumeist übersehener Punkt: die Differenzierung der Gebührenhöhe. Wohin dieser Prozess dauerhaft gehen wird, der in Nordrhein-Westfalen und Bayern damit begonnen hat, dass die Hochschulen selbst über die Höhe der Gebühren (zwischen null und 500 Euro bzw. zwischen 300 und 500 Euro) entscheiden dürfen, lässt der jüngste Gesetzentwurf aus Hessen erahnen. Wenn den Hochschulen darin das Recht eingeräumt wird, für nichtkonsekutive Masterstudiengänge (ab 2010/11 auch für die konsekutiven), für Promotionsstudiengänge und für alle Nicht-EU-AusländerInnen bis zu 1.500 Euro pro Semester zu nehmen, dann werden eine solche Anhebung und (noch stärker) die weiteren zu erwartenden Anhebungen – alle führenden Wirtschaftsforschungsinstitute fordern schon jetzt mindestens 2.500 Euro pro Semester – am einfachsten jenen Universitäten gelingen, die als Gewinner aus der jetzigen Konkurrenz hervorgehen. Sie werden ihre Studierenden dann nicht nur mittels Auswahlverfahren, sondern auch ganz direkt durch die Höhe der Gebühren sozial selektieren. Am Ende dieser Entwicklung wird Deutschland, überspitzt formuliert, Bürger- und Massenuniversitäten mit höchst unterschiedlichem Niveau haben. Diese Entwicklung zumindest zu bremsen, dazu bietet der Widerstand gegen die Studiengebühren vermutlich die letzte Chance.
Zum Autoren
Professor Dr. Michael Hartmann ist Hochschullehrer für Soziologie an der TU Darmstadt. Er forscht über Eliten in Organisationen, ihrem Management und in Gesellschaften.
Zu Forum Wissenschaft und den BdWi
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Forum Wissenschaft (Ausgabe 3/2006), die vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) herausgegeben wird. Wir danken für die Genehmigung von Verlag und Autor, den Artikel an dieser Stelle publizieren zu dürfen.
Der BdWi ist ein bildungs- und wissenschaftspolitischer Verband im weitesten Sinne des Wortes, in dem ProfessorInnen, aber auch Studierende, GewerkschafterInnen oder BildungspolitikerInnen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zusammenarbeiten. Der Verband wurde im Jahre 1968 gegründet. Das Datum ist insofern "programmatisch" als diese Gründung durch eine - damals - verschwindende Minderheit von Professoren und wenigen Assistenten erfolgte, die sich in der noch existenten "Ordinarienuniversität" positiv auf die Impulse der damaligen Studentenbewegung bezogen. Dies meinte insbesondere Bestrebungen einer überfälligen Hochschulreform, die vor allem als Demokratisierung der Strukturen gedacht wurde - "Demokratie" nicht als formaler Selbstzweck, sondern als, wie man meinte, einzig adäquate Bewegungsform einer aufklärerischen und sozialer Emanzipation verpflichteten Wissenschaft.