Wahlen in Mecklenburg-VorpommernVom Regen in die Traufe?
Von Heiner Fechner
In Mecklenburg-Vorpommern wird am 17.9. ein neuer Landtag gewählt. Das seit acht Jahren von SPD und Linkspartei/PDS regierte Land lehnte die Einführung von Studiengebühren bislang strikt ab – es nimmt damit auch im bundesweiten Vergleich eine Sonderposition ein. Daran wird sich bei Fortsetzung der Koalition voraussichtlich nichts ändern. Dennoch steht die Koalition in der Öffentlichkeit wegen ihrer Sparpolitik und Reformvorhaben in der Kritik. Letztere will die von der CDU angeführte Opposition beenden und zusätzlich Studiengebühren ab dem ersten Semester einführen.
Was war: Finanzielle Einschnitte bei den Hochschulen ohne Bedarfsplanung
Studierende und soziale Bewegungen hatten im letzten Jahr bereits Gelegenheit, für die anstehenden Auseinandersetzungen zu proben. Im Zentrum der Kritik standen neben der Einschränkung der Hochschulautonomie vor allem Personaleinsparungen an den Hochschulen. Wichtigste bildungspolitische Kraft im Nordosten ist denn auch Sigrid Keler (SPD). Die Finanzministerin setzte sich in der ablaufenden Legislaturperiode mit der Forderung durch, in der Landesverwaltung bis 2017 insgesamt 10.000 Stellen zu streichen. An den Hochschulen fallen der Kürzung nach Rasenmähermethode allein 600 Stellen, etwa 20 % des Gesamtpersonals, zum Opfer– bei Aufrechterhaltung der Zahl der Studienplätze.
Eine ausführliche Aufgabenkritik, also Erörterung langfristiger Entwicklungsperspektiven und bedarfsorientierter Personalentwicklungskonzepte unterblieb. Stattdessen wurden Fächerdopplungen insbesondere bei den beiden Universitäten des Landes, Rostock und Greifswald, ohne Berücksichtigung des Bedarfes an AkademikerInnen gestrichen. Trotz großen Bedarfs an jungen LehrerInnen – das Durchschnittsalter der Lehrkräfte liegt bei etwa 55 Jahren – wird die LehrerInnenbildung in Greifswald erheblich reduziert. Die nach 1990 wieder gegründete juristische Fakultät in Rostock wird voraussichtlich geschlossen.
Den Hochschulen blieb dabei die Wahl, zwecks konkreter Umsetzung der Kürzungen entweder Zielvereinbarungen mit der Landesregierung zu schließen, oder (wie im Fall der Uni Rostock, der größten Hochschule des Landes) die Kürzungen mittels Zielvorgaben des Landes einseitig diktiert zu bekommen.
Was kommen könnte: Studiengebühren nach den Wahlen?
Den Einbußen bei der Qualität der Lehre und der Fächerwahlmöglichkeit folgt voraussichtlich die Debatte über die Einführung von Studiengebühren. Je nach Wahlausgang steht die Einführung von Langzeitstudiengebühren (Studienkonten, Vorschlag der SPD) oder Gebühren ab dem ersten Semester (CDU, FDP) in Aussicht. Während ersteres vor allem diejenigen trifft, die die Regelstudienzeit aufgrund Selbstfinanzierung oder ehrenamtlichen Engagements überschreiten, trifft letzteres alle Studierenden. Opfer sind so oder so diejenigen, deren Eltern die Gebühren nicht zahlen können oder wollen, sowie Organisationen, die auf das soziale und politische Engagement von Studierenden angewiesen sind.
Die im September anstehenden Landtagswahlen werden jedenfalls die Gebührendiskussion im Parlament verändern. Erwartet werden nämlich nicht nur Kräfteverschiebungen zwischen den drei Großen. Der Einzug der eindeutigen Gebührenverfechterin FDP ins Parlament scheint nach den Umfragen relativ sicher, und ein Sprung von NPD und Grünen über die Fünf-Prozent-Hürde ist nicht ausgeschlossen. Für die Einführung von Studiengebühren, welche jedenfalls von den Grünen abgelehnt werden, sind beide Parteien jedenfalls indirekt von Bedeutung: Denn die bisherige deutliche Mehrheit von rot-rot könnte insbesondere bei einem Einzug von fünf Parteien ins Parlament fallen. Mit einem Regierungswechsel wird die Gebührenfreiheit aller Wahrscheinlichkeit beendet sein. Denn für diese bürgt vor allem der jetzige Juniorpartner, die Linkspartei/PDS.
SPD für "Studienkonten" – und offen für allgemeine Gebühren
Die SPD formuliert in ihrem Regierungsprogramm das "Ziel, für den ersten berufsqualifizierenden Hochschulabschluss (einschließlich Master) weiterhin die Gebührenfreiheit zu erhalten". Im gleichen Atemzug wird die Einführung von (Langzeit- und Zweit-) Studiengebühren in Form von Studienkonten gefordert – ein offener Widerspruch. Die wachsweiche Formulierung der Pläne macht zudem deutlich, was hinter den Kulissen längst diskutiert wird: das "Ziel" der Gebührenfreiheit hat sich im Zweifel dem Zweck der Verbesserung der staatlichen Einnahmesituation unterzuordnen. Im übrigen können auf dieser Grundlage beide potentiellen Partnerinnen, Linkspartei und Union, bedient werden – die Entscheidung fällt bei den Koalitionsverhandlungen.
CDU für Studiengebühren
Auch die CDU als zweitstärkste im Landtag vertretene Partei hält sich im Wahlkampf öffentlich zurück und will "die bundesweiten Entwicklungen zunächst abwarten". Allerdings ist dies nicht mehr als eine Rücksichtnahme auf die sozialpolitisch sensible nordische Bevölkerung. Auf Landtagssitzungen haben CDU-VertreterInnen wiederholt die Einführung von Studiengebühren gefordert. Dass die CDU bei Regierungsübernahme die Einführung von Studiengebühren ab dem ersten Semester vorantreiben wird, gilt also als sicher. Allerdings wird sie dafür auf die SPD als Regierungspartnerin angewiesen sein, die in Umfragen derzeit gleichauf bei knapp über 30 % liegt. Mit der FDP, die in Umfragen die 5 %-Hürde deutlich überspringt, ist angesichts der bei 20 % der Stimmen liegenden Linkspartei/PDS eine Regierungsübernahme nicht zu erreichen.
FDP: Gebühreneinführung den Hochschulen überlassen
Die FDP ist derzeit die einzige Partei im Land, die hinsichtlich ihrer Gebührenpläne Klartext redet. Sie will den Hochschulen die Einführung von Studiengebühren freistellen und gleichzeitig Kredite zur Zahlung der Gebühren zur Verfügung stellen, die bei Berufstätigkeit fällig werden.
Soziale Ungleichheiten infolge einer solchen Regelung thematisiert die FDP nicht. Wer wegen eines wohlhabenden Elternhauses die Gebühren sofort zahlen kann, geht unbelastet ins Berufsleben und ist freier bei der Arbeitsplatzwahl, da ohne Schulden; wer keine wohlhabenden Eltern hat, muss anschließend auch noch Zinsen zahlen und sitzt bei Berufseinstieg auf einem Schuldenberg.
Aus Sicht der Partei hat der Vorschlag natürlich den Charme, dass der Schwarze Peter bei sozialen Auseinandersetzungen im Namen des freien Wettbewerbs zwischen den Hochschulen auf diese abgewälzt wird: die Entscheidung über Ob und Wie von Studiengebühren hätten demnach Rektorat und Hochschulgremien zu treffen - ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen in den letzten Monaten.
Linkspartei fordert vollständige Gebührenfreiheit
Ein klares und eindeutiges Nein zu Studiengebühren formuliert lediglich die Linkspartei/PDS. Dies nicht ohne Grund, denn neben dem Versuch, sich als soziales Gewissen des Landes zu präsentieren, fehlt ihr seit dem Rücktritt des langjährigen hochschulpolitischen Sprechers im übrigen jedes hochschulpolitische Profil. Gerd Bartels war im September 2004, noch vor Veröffentlichung der Streichungspläne bei den Hochschulen, aus der Fraktion ausgetreten. Er protestierte gegen die von der PDS mitgetragene Erhöhung der Eingangszahlen in den Grundschulen und der Pflichtstundenzahlen der nur auf 2/3-Stellen angestellten GrundschullehrerInnen.
Mittlerweile beschränkt sich die Linkspartei im Bildungsbereich auf Symbolforderungen. KritikerInnen werfen der Partei vor, um jeden Preis und bei erneuter Aufgabe wesentlicher Positionen die erneute Regierungsbeteiligung anzustreben. Sollte die nächste Landesregierung erneut aus SPD und Linkspartei/PDS gebildet werden, ist allerdings wenigstens zu erwarten, dass die Linkspartei auf einer Ablehnung von Studiengebühren bestehen wird.
Streitpunkt ist im Land aber vor allem die Schulpolitik
Im Mittelpunkt der bildungspolitischen Debatte der Landtagswahlen steht allerdings nicht die Hochschulpolitik, sondern umfassende Änderungen im Schulsystem. Sowohl SPD als auch Linkspartei/PDS fordern ein "längeres gemeinsames Lernen" von Schülerinnen und Schülern nach skandinavischem Vorbild – und damit eine Rückkehr zur Einheitsschule. Dieser Vorschlag trifft in der Bevölkerung, nicht zuletzt aus historischen Gründen, überwiegend auf Unterstützung: bevor nach 1990 zunächst das dreigliedrige Schulsystem Bayerns mit Trennung ab Klasse vier im Nordosten installiert wurde, existierte in der DDR die Einheitsschule bis einschließlich Klasse acht bzw. zehn. Und dieses diente PISA-Test-Sieger Finnland in den 60er Jahren immerhin als Vorbild für seine Bildungsreformen.
Aufgrund sinkender Geburtenraten und geringer Bevölkerungsdichte existieren ab Herbst 2006 mit Regionalschulen und Gymnasien nur noch zwei Schultypen. Gleichzeitig wird das "längere gemeinsame Lernen" bis einschließlich zur sechsten Klasse etabliert. SPD und Linkspartei streben in den kommenden Jahren eine Erweiterung bis Klasse acht an. Damit zählt man bundesweit zur "Avantgarde" der Angleichung an den internationalen Standard der Einheitsschule, die sowohl einen stärkeren sozialen Ausgleich verspricht als auch mittels individualisierter Förderung bessere Leistungen aller SchülerInnen.
Der Haken an diesem Programm ist allein: der Aufbau eines neuen Schultyps erfordert zunächst erhebliche Investitionen, wenn er erfolgreich sein soll. Neue LehrerInnen müssen eingestellt werden, alte LehrerInnen müssen hinsichtlich individualisierter Förderung intensiv weitergebildet werden. Ein neues, an einer Universität und damit der Forschung angesiedeltes LehrerInnenweiterbildungszentrum mit in der Anfangszeit enormen Kapazitäten muss etabliert werden. Und es bedarf zusätzlicher Mittel für Beratung und Beteiligung von Eltern und SchülerInnen, für eine Erweiterung der Selbständigkeit von Schulen unter verbesserter staatlicher Qualitätskontrolle.
Ohne zusätzliche Mittel mehr Schaden als Nutzen
Für diese notwendigen Maßnahmen wird derzeit allerdings kaum Geld zur Verfügung gestellt, die Weiterbildung bleibt hinter dem Erforderlichen nach ExpertInnenansicht weit zurück. Statt einer Qualitätssteigerung und sozialen Angleichung nach oben ist daher eine gegenteilige Entwicklung zu befürchten. Damit droht zugleich die Gefahr, dass eine eigentlich bundesweit aus Sicht von BildungsforscherInnen notwendige Reform der Schulstruktur scheitert und konservativen GegnerInnen dieser Reformen ein anschauliches Beispiel liefert, warum das gegliederte Schulsystem beizubehalten ist.
Ohne deutliche Qualitätssteigerungen im Schulsystem ist ein weiteres Ziel der Regierungsparteien, die Quote der AkademikerInnen von derzeit 16 % eines SchülerInnenjahrgangs auf 30 % zu verdoppeln (und damit internationale Standards zu erreichen), ebenfalls faktisch zum Scheitern verurteilt. Ironischerweise will die SPD dieses Ziel ebenfalls mit gleich bleibenden oder sogar sinkenden Mitteln für die Hochschulen erreichen: wegen der demographischen Entwicklung sei die gleiche Anzahl an Studienplätzen künftig ausreichend, um einen deutlich größeren Anteil eines Schuljahrgangs aufzunehmen. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass ein erheblich größerer Anteil von Jugendlichen gerade aus bildungsfernen Schichten eine Studienbefähigung erhalten müsste, um das Ziel zu erreichen – und das ohne zusätzliche Landesanstrengungen.
Fazit
Hinter der Fassade des Musterlandes in puncto Studiengebühren und Schulreformen verbirgt sich vor allem Symbolpolitik, um faktischen Abbau von Lehr- und Lernqualität zu verdecken. Sollte die CDU die Regierung übernehmen, ist zu erwarten, dass auch die Symbole verschwinden: Studiengebührenfreiheit und längeres gemeinsames Lernen in der Schule. Und damit die Chancen für sozial benachteiligte Schichten weiter sinken. Ein tragfähiges bildungspolitisches Gesamtkonzept ist allerdings unabhängig vom Wahlausgang nicht in Sicht.