Studiengebühren-ProtesteHessisches Wissenschaftsministerium besetzt, Demo
Dass zwischen den protestetierenden Studierenden in Hessen und Wissenschaftsminister Udo Corts eine Verständigung nicht möglich ist, zeigte auch ein Interview im aktuellen SPIEGEL. Dort diskutierten der hessische Wissenschaftsminister und der stellvertretende AStA Vorsitzende aus Marburg, Juko Marc Lucas.
Corts will darin Kompromissbereitschaft andeuten - aber nur im Rahmen dessen, dass Studiengebühren grundsätzlich akzeptiert werden. Lucas weist dies zurück: "An Detailverbesserungen eines falschen Modells haben wir kein Interesse. Wir wollen mit Ihnen, Herr Corts, darüber reden, wie in Deutschland mehr in Bildung investiert werden kann, zum Beispiel durch Einnahmen aus einer neuen Vermögensteuer, aber eben nicht über Gebühren für alle, die ihr Recht auf Bildung wahrnehmen wollen."
Fast erwartungsgemäß ging Corts im weiteren Verlauf des Interviews darauf praktisch nicht ein. Das mag eine Grund für die heute aktiv geworden BesetzerInnen gewesen sein, den Minister nochmals damit zu konfrontieren, dass mehr Geld für die Hochschulen (aber auch Bildung ganz allgemein) durchaus auf anderen Wegen aktiviert werden könnte, als nur über Studiengebühren.
Ein Transparent, das bei der Besetzung zum Einsatz kam Fotograf: Philipp Billion |
Ob gerade Vermögenssteuern die richtige Variante wären, an Geld für Hochschulen und Bildung zu kommen - darüber kann man natürlich auch streiten, genauso wäre eine erhöhte Einkommenssteuer möglich (z.B. ab Einkünften von mehr als 100.000 Euro im Jahr). Grundsätzlich geht es um die Frage, ob die Kosten (und damit das "Risiko") bspw. eines Hochschulstudiums solidarisch mehr oder weniger von allen (je nach finanzieller Leistungsfähigkeit) getragen werden (also über irgendwelche Steuern) oder ob sie individualisiert werden.
Die schon im Vorspannn angesprochene Demonstration in Frankfurt am 6. Juli 2006 war als Sternmarsch organisiert. Auf der Abschlusskundgebung gab es neben Redebeiträgen von Studierenden und SchülerInnen auch Stefan Körzell, DGB Vorsitzender für Hessen-Thüringen zu hören. Nach Angaben der OrganisatorInnen waren an die 5.000 TeilnehmerInnen zu verzeichnen. Im Anschluss an die Demonstration kam es noch zu einer Besetzung einer Autobahn, der A 66.
Im Folgenden dokumentieren wir noch die Erklärung der BesetzerInnen im Wortlaut:
Neubesetzung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst
Studierende der hessischen Hochschulen haben heute, 5. Juli, 8 Uhr 30 das Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Wiesbaden besetzt, um eine Bildungspolitik mit dem Ziel des freien Zugangs aller gesellschaftlichen Schichten zu Bildung und einer besseren Finanzierung der Hochschulen zu machen.
Ein solcher Schritt war aus folgenden Gründen nötig geworden:
1. Herr Corts hat zwar seine angebliche "Gesprächsbereitschaft" in der Öffentlichkeit oft hervorgehoben, jedoch gleichzeitig betont, dass die Einführung von Studiengebühren beschlossene Sache sei. Die Studierenden Hessens und ihre VertreterInnen sehen deshalb keine Möglichkeit einer Verhandlungslösung. Die Studenten lehnen es ab, an Modifikationen eines ungerechten und falschen Gesetzes mitzuarbeiten. Zu Verhandlungen über ein vermögenssteuerbasiertes Hochschulfinanzierungssystem ist Herr Corts jedoch nicht bereit.
2. Es widerspricht den Grundsätzen eines demokratischen Staates, dass Herr Corts gegen den erbitterten Widerstand nicht nur der großen Mehrheit aller in Hessen lebenden Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, gegen die Gewerkschaften, Studenten-, Lehrer- und Schülerverbände, die Junge Union und Teile der CDU, sondern auch gegen jeglichen Sachverstand ein Gesetz mit Hilfe des Hessischen Landtages beschließen will. Dieser Sachverstand wurde bereits durch die praktisch geschlossene Ablehnung des Gesetzentwurfes durch die Hochschulpräsidenten, die Senate der Hochschulen und die unzähligen Resolutionen aus Professorenschaft und akademischem Mittelbau zum Ausdruck gebracht.
3. Des Weiteren möchten die Studierenden die sich offenbarenden Informationsprobleme des Ministers beheben. Wenn er bei einem Gespräch mit hessischen Jusos die Teilnehmer der Studierendenproteste als "überschaubare Menge von 200-300 Mann" darstellt, dann offenbaren sich strukturelle Mängel in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit dieses Landes durch die Regierung. - Die Studierendenzahl in Hessen beträgt knapp 160.000 und auf jeder Vollversammlung an hessischen Hochschulen haben sich die dortigen Studierenden gegen Studiengebühren ausgesprochen. - Alle Senate der hessischen Hochschulen haben sich mit einer Ausnahme gegen das von Herrn Corts vorgelegte Gesetzesprojekt ausgesprochen. - Es hat sich eine breite soziale Bewegung aus Gewerkschaften, Elternverbänden, SchülerInnen, Studierenden und einer unüberschaubaren Anzahl engagierter Bürgerinnen und Bürger gebildet, die gemeinsam hinter der Forderung nach einem sozialen und gerechten Bildungssystem stehen.
4. Artikel 59, 1 der Hessichen Verfassung besagt, dass in allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen der Unterricht unentgeltlich sei. Es ist ein offensichtlicher Verfassungsbruch, wenn die Landesregierung nun Studiengebühren durchsetzt.
Artikel 146, 1 der Hessischen Verfassung bezeichnet es als Pflicht eines jeden, für den Bestand der Verfassung mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften einzutreten. Nachdem alle Versuchen, Herrn Corts und die Landesregierung von der Verfassungswidrigkeit ihres Verhaltens zu überzeugen fehlgeschlagen sind, haben sich die Studierenden des Landes Hessen für diesen Schritt zum Schutze der hessischen Verfassung entschieden.
Um Alternativen zu der sozial ungerechten, ausländerfeindlichen und für Forschung und Lehre kontraproduktiven Politik der Landesregierung aufzuzeigen, möchten wir die Medienvertreter am heutigen Tage für 10. Uhr ins das Foyer des Ministeriums bitten. Dort soll ein Gesetzentwurf des nun von Studierenden geführten Ministeriums vorgestellt werden, der eine vermögenssteuerbasierte, solidarische Finanzierung der Hochschulen sicherstellen kann.
Kernpunkt des Gesetzentwurfes ist die Wiedereinführung der Vermögenssteuer zur Bildungsfinanzierung:
"Das neue Wissenschaftsministerium fordert die Landesregierung auf, keine Studiengebühren zu erheben und eine verbesserte Finanzierung des Bildungswesens aus Steuermitteln zu gewährleisten. Zu diesem Zweck die Initiative zur Wiederbelebung der Vermögensteuer zu ergreifen. Das neue Wissenschaftsministerium erhebt an sich außerdem den Anspruch eine Politik zu betreiben, die beim Entscheidungsfindungsprozess die verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen und andere Expertenmeinungen mit einbezieht. Deswegen fordern wir in diesem Gesetz die Einberufung von entsprechenden Kommissionen für den Bereich Bildung und für die Lösung der öffentlichen Einnahmeprobleme." Weitere Details dazu finden sich im Anhang [unter www.abs-bund.de / www.uebergebuehr.de]
Zum Schluß noch einige praktische Hinweise zur Besetzung einiger Räume des Ministeriums. Während der Besetzung wird es keine Gewalt der Besetzer gegen Menschen oder Dinge geben. Das Ministerium soll nicht beschädigt werden. Die Aktionen der Studenten werden sich auf das Erdgeschoss beschränken, mit Ausnahme des Anbringens von Transparenten an der Außenfassade. Die Mitarbeiter des Ministeriums werden gebeten, ihren Arbeitsplatz für den heutigen Tag zu verlassen, es ist ihnen jedoch freigestellt, sich an offenen Diskussionsveranstaltungen im Rahmen der Besetzung zu beteiligen. Jedem Mitarbeiter steht es zu allen Zeiten offen, das Gebäude zu verlassen. Sollte es zu einer Räumung durch die Polizei kommen, so werden die BesetzerInnen ausschließlich passiven Widerstand z.B. durch Sitzblockaden leisten. Im Laufe des Tages werden die Studenten das Gebäude friedlich räumen.
Das Plenum der BesetzerInnen
Gesetzentwurf (PDF, via uebergebuehr.de)