Berlin wählt im SeptemberWerden dann Studiengebühren eingeführt?
Seit das Bundesverfassungsgericht im Januar 2005 das Verbot allgemeiner Studiengebühren gekippt hat, haben sich einige Bundesländer zügig daran gemacht, dieses folgenreiche bildungs- und finanzpolitische Instrument einzuführen. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen drücken besonders aufs Tempo und wollen möglichst bald Gebühren ab dem ersten Semester in Höhe von 500 EUR pro Semester an aufwärts erheben.
Bereits jetzt gibt es in den meisten Bundesländern Langzeitstudiengebühren, Einschreibe- und Verwaltungsgebühren und dergleichen mehr. Eine Übersicht über aktuell bestehende Gebühren und alle Pläne gibt es hier.
Bisher kaum Studiengebühren in Berlin
In Berlin gibt es bisher keine Langzeitstudiengebühren, auch ist noch kein aktueller Gesetzentwurf zur Einführung allgemeiner Studiengebühren vorgebracht worden. Es gibt Verwaltungsgebühren, die gerade erst durch das OVG Berlin als vermutlich unzulässig eingestuft worden sind.
Die relativ günstige Gebührensituation ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass die Landesregierung gegen die Erhebung von Studiengebühren wäre, ganz im Gegenteil finden sich auf den entscheidenden Positionen in der SPD-Linkspartei.PDS-Regierung explizite Gebührenbefürworter.
2004 scheiterten die Pläne zur Einführung von Langzeitstudiengebühren
Das Zauberwort heißt hier, wie in SPD-geführten Regierungen üblich, "Studienkonten". Blicken wir kurz zurück ins Jahr 2004: Sowohl SPD als auch PDS lehnten auf Bundesebene Studiengebühren ab. Die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus jedoch stellte sich gegen die Bundespartei und verlangte Langzeitstudiengebühren (Studienkonten) ab 2005. Der PDS-Wissenschaftssenator Flierl stimmte zu. Einig war man sich auch darin, dass es eigentlich um die Einführung allgemeiner Studiengebühren gehe, diese waren zu jener Zeit aber noch durch das Hochschulrahmengesetz verboten, so dass man "wenigstens" für Langzeitstudierende einführen wollte, was hoffentlich bald für alle möglich sein würde - auch wenn die Berliner Koalitionsvereinbarung allgemeine Studiengebühren ausdrücklich verbot.
Flierl stellte seinen Entwurf für die Einführung eines Studienkontenmodells vor und stieß damit auf Kritik von Studierenden, aber auch auf Kritik aus seiner eigenen Partei. Gegen Flierls Intention wurde der Entwurf auf dem PDS-Landesparteitag diskutiert, wo er schließlich mit zum damaligen Zeitpunkt überraschender Mehrheit abgelehnt wurde.
Flierl beugte sich dem Parteitagsbeschluss und zog seinen Gesetzentwurf zurück. Die SPD akzeptierte die Beschlusslage des Koalitionspartners und ertrug sogar eine Sitzung des Abgeordnetenhauses, in das die oppositionelle FDP nun den Antrag Flierls eingebracht hatte.
Neue Belebung der Debatte durch den Fall des Verbots allgemeiner Studiengebühren
Wichtiger Bezugspunkt, um erneut über Studiengebühren zu reden, war das Urteil des BVerfG im Januar 2005, da nun allgemeine Studiengebühren ab dem ersten Studiensemester nicht länger durch Bundesgesetz verboten sind. Wie unten noch genauer ausgeführt wird, ist auch die besondere finanzielle Lage der Bundeshauptstadt ein wichtiger Bezugspunkt in der Debatte.
Die Berliner SPD ist nach wie vor für die Einführung von Studiengebühren. Besonders die starken Männer der jetzigen und sicherlich auch jeder künftigen Koalition machen sich dafür stark: der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und der Finanzsenator Thilo Sarrazin.
Klaus Wowereit (SPD): Eliteuniversitäten und Studiengebühren gehen Hand in Hand
Der Regierende Bürgermeister ist ein bekennender Befürworter von Studiengebühren; er verbindet getreu dem Motto "Was nichts kostet, taugt auch nichts." die Frage von Elitehochschulen (die er ebenfalls gut findet) mit der Frage nach der Einführung von Studiengebühren: "Aber wenn wir Spitzen-Unis wirklich wollen, dann müssen wir auch eine heilige Kuh schlachten: Ich meine den Gedanken, dass Studiengebühren sozial ungerecht sind. Dieser Irrglaube hält sich leider hartnäckig.", sagte Wowereit bereits 2004 bei einer Rede vor der Hochschulrektorenkonferenz.
Langzeitstudierende hält der Regierende Bürgermeister für Schädlinge an der Gemeinschaft: "Schlechte Lehre darf ebenso wenig folgenlos bleiben wie ein Bummelstudium. Es geht um mehr Gerechtigkeit und um mehr Effizienz im gesamten Hochschulwesen. (...) Das ist eine gigantische Verschwendung, die bisher die Allgemeinheit bezahlt. Aber sie hat keine Möglichkeit, Einfluss auf die Länge der Studienzeiten zu nehmen" (1).
(Dass der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck seit längerem offen für Studiengebühren eintritt, ist vor allem deswegen relevant, weil Berlin und Brandenburg ihre Hochschulpolitik aufeinander abstimmen wollen, natürlich auch, weil die Austauschquoten an StudienanfängerInnen zwischen beiden Ländern bisher sehr hoch sind.)
Finanzsentor Sarrazin (SPD): Finanzlage verpflichtet zur Gebührenerhebung
Vor allem Finanzsenator Sarrazin, der eine Möglichkeit sieht, die leeren Kassen Berlins mit den Geldern der StudentInnen zu füllen, spricht sich für Gebühren aus. Angesichts der hoffnungslosen Verschuldung des Landes und einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf finanzielle Nothilfe durch den Bund müsse das Land seiner Verpflichtung folgen, wirklich alles zu tun, um den Haushalt zu entlasten - die Nichteinführung von Studiengebühren könnte folglich den Eindruck erwecken, man bemühe sich nicht ausreichend um Einsparungen bzw. Erhöhung der Einnahmen.
Entsprechend heißt es in einer offiziellen Stellungnahme des Senats vom 16. August 2005 zum Bericht einer Enquete-Kommission "Eine Zukunft für Berlin" wörtlich: "Auch wenn die Einführung von Studiengebühren in der laufenden Legislaturperiode bislang kein erklärtes politisches Ziel des Senats ist, muss Berlin, das sich als Haushaltsnotlagenland in seinem Sanierungsprogramm sowohl zu konsequenter Ausgabenrückführung als auch zur Ausschöpfung aller möglichen Einnahmepotenziale verpflichtet hat, alle theoretischen Möglichkeiten der Einnahmesteigerung untersuchen. In diesem Zusammenhang wird der Vorschlag, Modellrechnungen zu erstellen, aufgegriffen."
Zur Not hat er auch noch das Argument parat, dass alle Landesregierungen (aktuell beispielsweise die hessische) gerne präsentieren: "Sobald einige Länder Studiengebühren einführen, kommen alle unter Zugzwang" (Sarrazin Anfang Februar 2005). Im Herbst 2005 konkretisierte er im Tagesspiegel (2): Bis zum Jahr 2008 werde Berlin Studiengebühren eingeführt haben. Die PDS werde sich nicht verweigern, da er sie bislang als eine realistische Partei wahrgenommen habe. Dass die Gebühreneinnahmen bei den Hochschulen verblieben, hielt Sarrazin in diesem Gespräch für unwahrscheinlich.
Generell werde die Berliner SPD aber gegenüber jedem Koalitionspartner auf die Einführung von Studiengebühren drängen. Sarrazin plädierte für Lösungen, die die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in den Bundesländern heranziehen, um etwaige Gebühren für StudentInnen zu berechnen: Wer aus einem Land mit Studiengebühren nach Berlin komme, solle zahlen, andere nicht oder weniger (vgl. das so genannte Zöllner-Modell).
Linkspartei.PDS: Ein klares Jein zu Gebühren
Auch in den Reihen des Koalitionspartners, der Linkspartei.PDS, finden sich starke Fürsprecher von Gebühren. Insbesondere der Senator für Kultur und Wissenschaft, Thomas Flierl, hat sich wiederholt für die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen. Auch nachdem seine eigene Partei ihn im letzten Moment stoppte, hält er an seinem Modell fest. Gebühren für das Erststudium will er lediglich für die jetzt auslaufende Legislaturperiode ausschließen, danach müsse neu verhandelt werden.
Erst kürzlich hat der Bundesparteitag der Linkspartei.PDS die Einführung von Studiengebühren abgelehnt - sogleich wurde aber von Vertretern der Berliner Linkspartei.PDS betont, dass dieser Beschluss keine bindende Wirkung für Koalitionsverhandlungen in Berlin habe.
Dennoch sind die innerparteilichen Widerstände gegen die Erhebung allgemeiner Studiengebühren in der Partei zurzeit noch groß. Sie könnten gestärkt werden dadurch, dass die Regierungspolitik der Linkspartei.PDS ihr eine linke Gegenkandidatur durch die Berliner WASG eingetragen hat, so dass zumindest im Wahlkampf kein Bekenntnis zu Studiengebühren aus der Linkspartei.PDS zu erwarten ist.
WASG: Unter anderem gegen Studiengebühren
Die Berliner WASG steht in momentanen Umfragen etwa bei fünf Prozent der WählerInnenstimmen in Berlin, hat also durchaus Chancen, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Ihre Kandidatur ist explizit darauf gegründet, dass der rot-rote Senat eine "neoliberale" und "unsoziale" Politik betreibe, insofern stellt sich das Wahlprogramm gegen viele aktuelle politische Entwicklungen in Berlin. Der Punkt Studiengebühren spielt dabei keine große Rolle, etwas routiniert heißt es lediglich im Kapitel "Hochschulpolitik" des Programmes dazu: "Wir lehnen jegliche Form von privater Finanzierung grundständiger Lehre und Forschung ab. Insbesondere stellen wir uns gegen Studiengebühren, auch in der als Studienkonten und Immatrikulationsgebühren getarnten Form. (...) Auch für den Master muss die Studiengebührenfreiheit gewährleistet werden."
Bündnis 90/Grüne klar gegen Studiengebühren - oder doch nicht?
Zumindest auf Grundlage des Wahlprogrammes sprechen sich die Grünen am deutlichsten gegen Studiengebühren aus. Zu den zentralen Forderungen des Programmes gehört als erste Forderung, Berlin zur "Stadt der Bildung, des Wissens und der Kreativität" zu machen. Hierzu gehöre auch: "Berlins Jugend hat ein Recht auf Ausbildung und Arbeit. Wir wollen ohne Studiengebühren Berlins Hochschulen für 100.000 Studierende ausstatten." (S. 3). Die Gebührenfreiheit müsse auch für Master-Studiengänge gelten. Zusätzlich findet sich ein eigener Abschnitt zum Thema Studiengebühren im Programm (S. 14), in dem es unter anderem heißt: "Studiengebühren sind eine der größten Zugangshürden zum Studium. Sie sind sozial ungerecht und haben eine abschreckende Wirkung auf diejenigen, die nicht aus bildungsnahen oder ökonomisch abgesicherten Verhältnissen kommen." Die Partei setze sich dafür ein, "dass Bildungsentscheidungen entsprechend persönlicher Kompetenzen und Interessen getroffen werden können. Deshalb sind wir gegen die Einführung von Studiengebühren in Berlin – auch als nachgelagerte Gebühren oder Studienkontenmodelle." (ebd.)
In verschiedenen Äußerungen haben die Berliner Grünen allerdings die "Gebührenfreiheit für das Erststudium bis zum Diplom oder Master" gefordert, Promotions- und Ergänzungsstudiengänge also nicht mit eingeschlossen in die Gruppe gebührenfrei zu haltender Bildungsangebote.
Grund zur Skepsis könnten auch die positiven Aussagen zu Studiengebühren aus anderen grünen Landesverbänden oder aus der parteinahen Böll-Stiftung sein, die sich aber selbstverständlich nicht ohne weiteres übertragen lassen.
In einem Interview am 8. September mit der Netzeitung äußerte die grüne Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig, dass sich die Gebührenfreiheit vielleicht nicht aufrecht erhalten lasse.
Es wird wohl auch auf den Druck der grünen Basis ankommen, wie sich die Grünen - sollte es zu Koalitionsverhandlungen kommen - tatsächlich verhalten werden.
CDU und FDP für Gebühren und ohne Regierungschance
Die Berliner CDU hat bisher nur wenig von ihrer früheren Skandalträchtigkeit verloren. Das Possenspiel um eine monatelang vergebliche Suche nach einem Spitzenkandidaten beschäftigt die Berliner Medien bis heute. Ebenfalls bis heute hat die Partei keinen Trennstrich zu den Hauptfiguren des Berliner Bankenskandals gezogen, in den (und in die damit verbundenen zusätzlichen Milliardenschulden) CDU und SPD das Land gemeinsam gesteuert haben. Die Berliner CDU ist eindeutig für allgemeine Studiengebühren, begrüßte das Verfassungsgerichtsurteil und unterstützte die SPD-Fraktion bei deren Gebührenplänen.
Ähnliches gilt für die FDP, die traditionell in Berlin wenig liberal und stark konservativ geprägt ist. Allerdings möchte sie die Hochschulen komplett aus der staatlichen Regulierung befreien. Zur angestrebten Hochschulautonomie gehöre auch "die Freiheit, Studienentgelte erheben zu dürfen". Im Klartext: Über die Einführung von Studiengebühren, v.a. aber auch über die Höhe und Ausgestaltung soll jede Hochschule im Alleingang entscheiden dürfen.
Sowohl für CDU als auch für FDP gilt jedoch, dass sie vermutlich nicht an einer kommenden Regierung beteiligt sein werden. Einerseits sind die Umfrageergebnisse weiter sehr schlecht, andererseits bieten sich der Berliner SPD, die weiterhin die Umfragen deutlich anführt, bereits zwei attraktive und wenig Probleme versprechende Koalitionspartner in Linkspartei.PDS und Grünen.
Außerhalb der Parteien: Kaum organisierte Gegenwehr
Außerhalb der Parteien bleiben Aussagen, insbesondere ablehnende Aussagen zu Studiengebühren selten. Zwar wird in studentischen Kreisen die Einführung von Gebühren befürchtet, man erinnert sich auch noch daran, dass es 2004 nur knapp gelang, der PDS die Gebühren wieder auszureden.
Bisher scheint von studentischer Seite wenig zu kommen, die wenigen "Hauptamtlichen" aus den Studierendenvertretungen mühen sich zwar, scheinen aber zumindest bisher nicht bei der Masse durchzudringen. Ob das gerade gegründete Berliner Bündnis für Freie Bildung - gegen Studiengebühren eine Wirkung entfalten kann, lässt sich schwer beurteilen.
Davon abgesehen haben sich einige Gewerkschaften oder die LandesschülerInnenvertretung gegen die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen.
Die Wahl bringt Studiengebühren - vielleicht
"Die Koalitionspartner sind in der Frage von Studiengebühren unterschiedlicher Auffassung." - Diese Aussage, die sich CDU/CSU und SPD in ihre Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene geschrieben haben, trifft auf die Berliner Landesregierung eigentlich nicht zu. Sowohl SPD als auch Linkspartei.PDS haben Beschlüsse ihrer Bundesparteien, die allgemeinen Studiengebühren eine Absage erteilen - beide Parteien haben aber starke Gebührenbefürworter in wichtigen Ämtern auf Landesebene. Speziell Finanzsenator Sarrazin wird vermutlich der neuen Landesregierung, ob diese nun durch Grüne oder Linkspartei gestützt wird, angehören.
Dass die Berliner WASG an einem neuen Senat beteiligt werden wird (sofern sie tatsächlich die 5%-Hürde nehmen sollte), darf getrost bezweifelt werden. So bleibt es, auch angesichts der Umfrageergebnisse, bei den zwei realistischen Koalitionsoptionen, im Falle, dass die Ergebnisse diese Koalitionen nicht hergeben, vermutlich eher noch eine Ampel (SPD, Grüne, FDP) als eine Große Koalition oder eine rot-rot-grüne Regierung.
Sowohl unter SPD/Grüne als auch unter SPD/Linkspartei käme dem voraussichtlich kleineren Koalitionspartner die Rolle zu, den Studiengebührenplänen aus der SPD etwas entgegenzusetzen. Während die Linkspartei.PDS bereits gezeigt hat, dass zumindest ihrem Spitzenpersonal der Wille dazu nur bedingt zu unterstellen ist, macht bei den Grünen v.a. misstrauisch, dass sie sich auf Bundes- und Länderebenen stets beinahe jedes Zugeständnis von der SPD hat abtrotzen lassen. Programmatisch sind sowohl Linkspartei als auch Grüne gegen Gebühren - ob sie dieses Versprechen einhalten wollen und dann auch noch in Koalitionsverhandlungen durchsetzen können, muss zumindest bezweifelt werden.
Für diejenigen, die Studiengebühren verhindern wollen, käme es um so mehr darauf an, gesellschaftlich breite Bündnisse gegen die Gebühreneinführung zu organisieren, die zudem den Parteien klarmachen könnten, dass die jeweilige Haltung zu Gebühren durchaus bei der Wahlentscheidung berücksichtigt werden wird - bei dieser und bei künftigen Wahlen.
Fußnoten
(1) Quelle: Artikel "Berliner Morgenpost: Wowereit über Studiengebühren" aus Rahaus aktuell.
(2) Quelle: Artikel "Bis 2008 Studiengebühren in Berlin" aus rbbonline.