HessenMailomat gegen Studiengebühren macht Wirbel
Die Proteste gegen die geplanten Studiengebühren in Hessen halten nach wie vor an. Attac Marburg hatte dazu vor einigen Tagen einen "Mailomat" ins Netz gestellt, mit dem jedeR per Webformular einfach und schnell Protestmails an die Landtagsabgeordneten der Studiengebühren befürwortenden Parteien CDU und FDP schicken konnte. Laut eigenen Angaben waren innerhalb von nur drei Tagen 60.000 Emails versendet worden.
Die Flut von Mails veranlasste den CDU-Landtagsabgeordneten Klaus Peter Möller zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Er lässt alle derartigen Mails an vermutete "Drahtzieher" bzw. UnterstützerInner dieser Aktion weiterleiten (wie z.B. die SchreiberInnen dieses und jenes Blogs)- was sogar heise.de eine Meldung wert war.
Nun mag man sich über die Sinnhaftigkeit von mehr oder weniger standardisierten Massenmails an PolitikerInnen streiten können (derartige Aktionen machen - je öfter sie eingesetzt werden - immer weniger Sinn, da die AdressatInnen lernen, solche Mails einfach zu ignorieren). Die Reaktion des CDUlers ist allerdings kaum angemessen.
Der AStA der Uni Marburg, der die Aktion von Attac ideel unterstützt, hatte sogar juristische Schritte gegen den Abgeordneten eingeleitet, wie man einem Artikel auf der AStA-Homepage entnehmen kann.
- "Es passt dem Abgeordneten offenbar überhaupt nicht, dass viele besorgte Bürgerinnen und Bürger ihn kontaktieren" meint AStA-Finanzreferentin Melanie Micudaj. "Statt sich mit dem Inhalt der E-Mails auseinanderzusetzen, leitet Herr Möller die E-Mails automatisiert an die Falschen, statt zu antworten - das zeigt, wie ernst Abgeordnete der Regierungsfraktion mit Kritik und Sorgen ihrer Bevölkerung umgehen," so Micudaj weiter. "Der Abgeordnete geht völlig willkürlich vor. Es ist nicht nachvollziehbar, warum er die Mails weiterleitet und warum grade an bestimmte Adressen" ergänzt der stellvertretende AStA-Vorsitzende Juko Marc Lucas. "Da der Abgeordnete automatisiert und unverlangt E-Mails zusendet, macht er sich zudem strafbar. Aus diesem Grund hat der AStA Marburg Herrn Möller abgemahnt und sieht der Abgabe einer Unterlassungserklärung entgegen," so Lucas weiter.
"Seine willkürliche Flutung von Postfächern unbescholtener Privatpersonen hat Züge von Selbstjustiz. Dazu kommt, dass der Abgeordnete bisher nicht mit uns kommunizieren wollte - weder antwortet er auf unsere E-Mails, noch ist er telefonisch zu erreichen. Das ist enttäuschend." meint Lucas. Lena Behrendes, AStA-Vorsizende, erklärt weiter: "Die an uns weitergeleiteten e-mails zeigen vor allem eines: Über den Mailomat werden nicht nur vorgefertigte Mails verschickt. Vielmehr nehmen sich viele Absenderinnen und Absender der E-Mails die Zeit, einen individuellen Text und Betreff zu schreiben." - "Herr Möller sollte lieber zu seiner Verantwortung stehen und die Kritik ernst nehmen, statt sie an die Personen weiterzuleiten, die nichts mit der Gesetzgebung zu tun haben," so Behrendes weiter.
Der Mailomat (war unter http://www.freie-bildung-ueberall.de/ zu erreichen) selbst ist zur Zeit allerdings offline und wird das nach Angaben eines Mitinitiators von Attac Marburg auch bleiben, da einerseits offenbar falsche Absenderadressen angegeben wurden und andererseits bspw. durch die Reaktion des CDU-Landtagsabgeordneten Dritte belästigt wurden, was beides nicht beabsichtigt war. Insofern erübrigen sich juristische Schritte wohl - allerdings hat Klaus Peter Möller trotzdem heute früh die Unterlassungserklärung unterzeichnet, wie der AStA der Uni Marburg in einer Ergänzung des obigen Artikels meldet.
Über all das sollte allerdings nicht vergessen werden, worum es eigentlich geht: Darum, dass in Hessen Studiengebühren eingeführt werden sollen und dass es viele Menschen gibt, die dies ablehnen. Attac Marburg bedauert, dass davon durch die Debatte um die Massenmails fast abgelenkt wurde. Daher dokumentieren wir hier noch den ursprünglichen Text, den der Mailomat verschickte, um klar zu machen, um was es den Initiatoren eigentlich ging:
- Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
fassungslos habe ich den Entwurf des Studienbeitragsgesetzes des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst zur Kenntnis genommen. Demnach sollen mit Beginn des Wintersemesters 2007/2008 in Hessen erstmals allgemeine Studiengebühren erhoben werden. Dieses Vorhaben widerspricht sowohl Artikel 13, Absatz 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als auch Artikel 59 der Verfassung des Landes Hessen.
Die OECD beklagt schon lange, dass hierzulande viel zu wenig Menschen ein Studium beginnen. Die PISA-Studie zeigt deutlich, dass in Deutschland die soziale Herkunft den Bildungsgrad wie in keinem anderen europäischen Land bestimmt. Studierende aus einkommensschwachen Familien sind an unseren Universitäten deutlich unterrepräsentiert. Trotz BAföG werden viele aus finanziellen Gründen von einem Studium abgeschreckt. Studiengebühren stellen eine weitere Barriere dar und werden die soziale Selektion verschärfen.
Die negative Wirkung von Studiengebühren wird auch durch das vorgesehene Studiendarlehen nicht hinreichend gemildert. Wie eine 2004 durchgeführte Befragung ergab, führt bereits die Aussicht auf Schulden, die sich aus dem unverzinslichen (!) Darlehensanteil des BAföG ergeben, bei vielen zu einem Verzicht auf ein Studium. Die Erwartung, zusätzlich ein Studiendarlehen der Landestreuhandstelle Hessen mit einem Zinssatz von bis zu 7,5 Prozent in Anspruch nehmen zu müssen, wird bei vielen Betroffenen zur endgültigen Entscheidung gegen ein Studium führen. Darüber hinaus halte ich es für nicht hinnehmbar, Studierende ohne deutschen Pass, Langzeitstudierende, Studierende ab 35 Jahren und Studierende in nicht-konsekutiven Masterstudiengängen von dem Darlehensanspruch auszuschließen. Während Studierende aus EU-Ländern 500 Euro pro Semester zahlen sollen, sieht der Gesetzesentwurf vor, dass die Hochschule von Studierenden aus Nicht-EU-Ländern bis zu 1500 Euro pro Semester verlangen kann. Diese eindeutige Diskriminierung lehne ich ab.
Eine Verbesserung der Studienbedingungen durch Mittel aus Studienbeiträgen herbeizuführen ist nicht nur fragwürdig, sondern auch sozial ungerecht. Aus meiner Perspektive ist eine einkommens- und vermögenssteuerbasierte Hochschulfinanzierung die einzige sozial gerechte Lösung. Besserverdienende sollten durch einen angemessenen Steuersatz zur Finanzierung des Bildungssystems herangezogen werden.
Die Studiengebühren sollen nach den Vorstellungen des Ministeriums der Lehre zugute kommen, wodurch sich angeblich Studienzeiten verkürzen würden. Tatsache ist, dass einkommensstarke Familien die Studienbeiträge ihrer Kinder übernehmen können, während Studierende aus einkommensschwachen Familien gezwungen sind, neben ihrem Studium einer (oft schlecht bezahlten) Erwerbstätigkeit nachzugehen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dies ist der 17. Sozialerhebung (DSW/HIS) zu entnehmen, aus der ebenfalls hervorgeht, dass das Nachgehen einer Beschäftigung die Studiendauer verlängert.
Letzteres ergibt sich auch daraus, dass auch hessische Studienordnungen für ein in der Regelstudienzeit zu absolvierendes Studium Jahresarbeitszeiten vorsehen, die über (!) der vom Institut Arbeit und Technik (IAT) errechneten gewöhnlichen Jahresarbeitszeit für deutsche Vollzeit-Beschäftigte liegen. Somit müssten dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die finanziellen Hürden, die einem erfolgreichen Studium im Wege stehen, abzubauen. Die Kosten für ein Studium durch Studiengebühren zusätzlich zu erhöhen führt dagegen zwangsläufig zu einer drastischen Verschlimmerung der Studienbedingungen.
Überhaupt halte ich es für fraglich, ob durch die Einführung allgemeiner Gebühren tatsächlich die finanziellen Mittel der Hochschulen mittelfristig gestärkt werden. Immer wieder, die Beispiele reichen von Australien über Österreich bis Kalifornien, ging eine Einführung oder Erhöhung von Studiengebühren Hand in Hand mit einer Reduzierung der öffentlichen Mittel. Es ist möglich, dass bereits nach Ablauf des gegenwärtigen Hochschulpaktes (Ende 2010) die öffentlichen Zuschüsse auch in Hessen zurückgefahren werden. Die Hochschulen könnten somit schon zum Wintersemester 2010/2011 gezwungen sein, für die Aufnahme eines konsekutiven Masterstudienganges bis zu 1.500 Euro pro Semester zu verlangen.
Der anerkannte Elite-Forscher und Kenner der internationalen Hochschulszene Prof. Dr. Michael Hartmann rechnet mittelfristig mit Studiengebühren von 6.000 Euro und mehr. Oder können Sie mir garantieren, dass wir von einer solchen Entwicklung verschont bleiben?
Wenn der Hessische Ministerpräsident die Einführung von allgemeinen Studiengebühren mit der Frage rechtfertigt, wie er einer Krankenschwester erklären solle, dass diese mit ihren Steuergeldern die Ausbildung des Arztes bezahlt habe, dann deutet dies tatsächlich auf ein geplantes Zurückfahren der steuerfinanzierten Bildungsausgaben hin. Diese liegen in Deutschland mit 5,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes bereits jetzt unter dem OECD-Durchschnitt. Von einem Land, dessen gesellschaftlicher Reichtum von Jahr zu Jahr zunimmt, erwarte ich, dass es die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn ohne Schul- und Studiengebühren sicherstellt.
In dieser E-Mail sind bei weitem nicht alle Gründe dargestellt, die gegen den Entwurf des Studienbeitragsgesetzes sprechen. Es sind aber genug Gründe um Sie dazu aufzufordern, sich entschieden gegen dieses Gesetz zu wenden. Setzen Sie sich dafür ein, dass nicht nur in Hessen sondern auch in den anderen Bundesländern die Einführung von Studiengebühren verhindert wird.
Mit freundlichen Grüßen