HochschulpolitikBayern beschließt Studiengebühren
Von Jens Wernicke
Trotz anhaltender Proteste und dauerhafter Kritik hat der Bayerische Landtag heute mit seiner Regierungsmehrheit in Zweiter Lesung (Drucksachen 15/3325, 4396 bis 4399) einem neuen Bayerischen Hochschulgesetz zugestimmt.
Neben vielem anderen sieht dies zu allererst – und wider bspw. den chancenlosen Konkurrenzantrag der bayerischen SPD - das weitere Nicht-Vorhandensein Verfasster Studierendenschaften sowie die Einführung so genannter "Studienbeiträge" vor. Mitbestimmung und Demokratie auf Regierungsdeutsch halt: Statt dem Recht, demokratisch mit zu entscheiden einzig das "Recht", sich zu entscheiden, ob mensch an der Uni zahlt ("Kunde") oder geht.
Bayern ist damit - nach Nordrhein-Westfahlen, Baden-Württemberg und Niedersachsen - bereits das vierte Bundesland, welches mit der Einführung von Studiengebühren einen deutlichen Schritt in Richtung der Privatisierung von Lebenschancen und "Wettbewerbsföderalismus" (siehe auch den Artikel Die Föderalismusreform und ihre Folgen auch für die Hochschulen) unternimmt.
Katharina Binz, Vorstandsmitglied im freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs), erklärte dazu heute in Berlin: "Die Einführung von Studiengebühren führt zu einer weiteren Verschlechterung der sozialen Situation von Studierenden - und das in jenem Bundesland, in dem Chancengleichheit schon heute ein Fremdwort ist. Die CSU-Mehrheit im Landtag schert sich offensichtlich nicht darum, dass in Bayern nur Menschen aus den oberen sozialen Schichten überhaupt Zugang zu Bildung erhalten. Diese katastrophale Politik wird hier ohne Wimpernzucken fortgeführt."
Das Regelung in Sachen Studiengebühren
Grundsätzlich gebietet das Gesetz allen Hochschulen in Bayern, ab dem Sommersemester 2007 "Studienbeiträge" zu erheben. Diese betragen mindestens 300,- € und maximal 500,- €. Innerhalb dieses gesetzlich festgelegten Beitragrahmens legen die Hochschulen fortan die Beitragshöhe durch Satzungen selber fest. Dabei können die Hochschulen die Studienbeiträge für einzelne Studiengänge auch in unterschiedlicher Höhe festsetzen, sodass Studiengänge, die "nachgefragter" als andere sind, die Studierenden fortan wohl auch "teuerer" zu stehen kommen werden.
Die so genannte "sozialverträgliche Ausgestaltung" der "Studienbeiträge" (die es de facto, siehe Artikel "Kann es überhaupt "sozialverträgliche" Studiengebühren geben?", nie geben kann) soll hierbei durch zwei Komponenten sichergestellt werden: Zum einen sind Befreiungen von der Beitragspflicht möglich; zum anderen können die Studierenden ein Darlehen aufnehmen, welches erst nach dem Studium zurückbezahlt werden muss
Folgende Befreiungen von der Beitragspflicht sieht das Gesetz hierbei vor:
für Semester, in denen die Studierenden für die gesamte Dauer beurlaubt sind,
für Praktikumssemester,
für das Praktische Jahr im Medizinstudium,
für bis zu sechs Semester, wenn die Immatrikulation zum Zweck einer Promotion erfolgt.
Von der Beitragspflicht auf Antrag freigestellt werden können:
Studierende, die ein Kind pflegen und erziehen, das zu Beginn des jeweiligen Semesters das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat und Studierende, die ein behindertes Kind pflegen und erziehen,
Studierende, deren nach Bürgerlichem Recht Unterhaltsverpflichtete für drei oder mehr Kinder Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz oder vergleichbare Leistungen erhalten,
ausländische Studierende, die im Rahmen von zwischenstaatlichen oder völkerrechtlichen Abkommen oder von Hochschulvereinbarungen, die Abgabenfreiheit garantieren, immatrikuliert sind,
Studierende, für die die Erhebung eines Studienbeitrags auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, ein Studienbeitragsdarlehen aufzunehmen, eine unzumutbare Härte darstellt.
Studierende, die sich in sozialer bzw. wirtschaftlicher Notlage befinden respektive BAföG-EmpfängerInnen sind, sollen also nicht, wie dies zu hoffen gewesen wäre, von vornherein von der Beitragspflicht ausgenommen werden, sondern, wenn überhaupt, nur in Folge einer so genannten "Einzelfallprüfung", welche zudem, so ist das Gesetz wohl zu verstehen, stets unter der Annahme, die "Möglichkeit, ein Studienbeitragsdarlehen aufzunehmen" wäre sozial gerecht und hätte weder ausgrenzende noch abschreckende Funktion, wäre also nicht bereits eine "soziale Härte" an sich, erfolgt, von der Beitragspflicht befreit werden können.
Zusätzlich können die Hochschulen für bis zu 10 Prozent der Studierenden festlegen, dass sie für besondere Leistungen von der Beitragspflicht ganz oder teilweise befreit werden. Als besondere Leistungen kommen beispielsweise herausragende Studienleistungen oder besonderes Engagement in Betracht. Dass auch dies, "gute Leistungen" also, durchgehend abhängig von der sozialen und finanziellen Freiheit des einzelnen ist, lässt das Gesetz hierbei wohlweißlich außer Acht.
Konsequenzen
Als Konsequenz (auch) dieses Gesetzes ist schlussendlich zu erwarten, dass die soziale Schieflage des deutschen Bildungssystems noch weiter ausgebaut und zementiert wird, denn: Solche "Beiträge" schrecken junge Menschen aus "ärmeren" Elternhäusern von der Aufnahme eines Studiums rigoros ab.
Nicht nur verstößt dies, so die Meinung der Redaktion, gegen den grundgesetzlichen Auftrag der Staatsgewalt, "gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" herzustellen; auch stellt die Einführung von Studiengebühren in immer mehr Bundesländern einen eindeutigen Bruch des "Internationalen Pakts über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte" von 1966 dar, in welchem sich die Vertragsparteien in Artikel 13 c verpflichteten, dass "der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muß".
Ganz gleich also, ob an der Behauptung von Ministerpräsident Stoiber, die Studienbeiträge kämen voll und ganz "den Studierenden" zugute, nun etwas dran ist oder nicht (dem ist nicht der Fall!): Der Beschluss der Bayerischen Landesregierung ist – wie alle ähnlichen dieser Art – eine Kampfansage an das Sozialstaatsprinzip.
Ausblick und Optionen
Einzig zu hoffen bleibt in dieser Situation wohl zweierlei: Zum einen, und da auf eine (Rück-) "Besinnung" der Landesregierungen auf Soziales unter neoliberalen Dogmen wohl kaum zu rechnen ist, dass die Proteste der Studierenden sich deutschlandweit entfachen und mehr und mehr – unter Einbeziehung von BündnispartnerInnen - auf die Straße getragen werden. (Ein wenig Unterstützung hierzu leistet wohlmöglich das im Internet kostenlos zu bestellende "Handbuch zur studentischen Protestorganisation".)
Sowie zum zweiten: Dass ggf. fortan Gerichte sich im Fall der Klageerhebung durch Betroffene auf das Grundgesetz, bereits zitiertes Internationales Recht sowie und vor allem die Prämissen des Karlsruher Urteils zu Studiengebühren besinnen und die geplanten Gebühren-Gesetze möglicht umfassend zu fall bringen werden; schließlich hatten sich die Karlsruher Richter in ihrem Urteil bisher um die Beantwortung der Frage, wie bei der Erhebung der Studiengebühren dem Sozialstaatsgebot hinreichend Rechnung getragen werden kann, gedrückt; gerade deswegen wird sie also in Bälde noch zu beantworten sein. Bisher hat es die Länder nur sehr pauschal dazu verpflichtet, dem sozialstaatlichen Gebot der Wahrung gleicher Bildungschancen Rechnung zu tragen.
Das Verwaltungsgericht Minden (Urteil vom 11.11.2004 -9 K 1939/04-) hatte etwa im Hinblick auf die Studiengebühr in Nordrhein-Westfalen festgestellt, es sei nicht zulässig, sich allein am BAföG-Höchstsatz zu orientieren, denn der Bundesgesetzgeber gehe beim BAföG selbst davon aus, dass die gewährte Ausbildungsförderung nicht in vollem Umfang bedarfsdeckend sei. Dies ergebe sich aus Hinzuverdienstmöglichkeiten der Studierenden, ohne dass dieses Einkommen auf das BAföG angerechnet werde. Damit trage das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass die Mietzuschüsse beim BAföG regelmäßig nicht kostendeckend seien. Somit könnten Studierende, die über ein Einkommen in Höhe des Bafög-Höchstsatzes verfügen, nicht ohne weiteres zu (Langzeit-)Studiengebühren herangezogen werden.
Und auch ein aktuelles Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Langzeitstudiengebühren in Baden-Württemberg sieht zwar die Langzeitstudiengebühren als gerechtfertigt an, deutet jedoch darauf hin, dass alle bisher geplanten bzw. schon beschlossenen Gebührengesetze über allgemeine Studiengebühren verfassungswidrig gestaltet sind, soweit BAföG-EmpfängerInnen betroffen sind.
Weiterführende Links
- Gesetzentwurf der bayerischen Staatsregierung eines Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG)
- fzs und ABS kritisieren Studiengebührenbeschluss / Demokratische Hochschulen eingefordert (Pressemitteilung, 18.05.2006)
- Infoblatt zu Studiengebühren in Bayern
- Homepage Aktionsbündnis gegen Studiengebühren Bayern
- Erst zahlen, dann studieren - Studiengebühren in Deutschland (Studis-Online)
- Was StudiengebührenbefürworterInnen behaupten und was man dem entgegen setzen kann (Studis-Online)
- Studiengebührenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts – ein politisches Urteil
- Hintergrundinfos zur aktuellen hochschulpolitischen Situation
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