HessenUnmut über Gebührenpläne wächst
Am 5. Mai präsentierte Wissenschaftsminister Corts ein vom Landeskabinett abgesegnetes Modell für Studiengebühren (Studis Online berichtete). Die Kernpunkte sind ähnlich dem, was man schon aus anderen Bundesländern kennt: Gebühren von 500 Euro je Semester, Darlehensmöglichkeit für die meisten Studierenden. Aber im Detail legt Hessen wieder eins drauf: So können die Gebühren bei Masterstudiengängen und für Ausländer bis zu 1500 Euro betragen.
Am Rande übrigens: 2003 hatte Wissenschaftsminister Corts in einem FAZ-Interview noch gesagt: "Studiengebühren für alle sind vorerst nicht erforderlich". Und genau dieser Corts will nun Gebühren einführen.
Hinweis: Termine (Vollversammlungen, Senatssitzungen, Protestveranstaltungen u.ä.) sind ganz am Ende dieses Artikels zu finden. Nun folgen erst die wichtigsten Ereignisse der letzten Tage und dann einige konkretere Kritik am Gesetz, die von verschiedenen Seiten geäußert wurde.
Marburg: Besetzung der Uni-Verwaltung, Stadtparlament unterstützt Studierende
Im Marburg hatte sich das Uni-Präsidium schon öfter positiv zu Studiengebühren geäußert und gerade in den letzten Tagen schon darüber spekuliert, wie es das Geld einsetzen könne. Einige Studierende nahmen das zum Anlass, die Marburger Uni-Verwaltung zu besetzen. "Er [der Präsident] sollte das vertreten, was sich die Mehrheit an der Universität wünscht", erklärte AStA-Vorsitzende Lena Behrendes.
Am 13.05. gab es eine große Demonstration mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen. Ein Augenzeugenbericht kann auf den Webseiten des AStA der Uni Gießen nachgelesen werden.
Das Marburger Stadtparlament unterstützte am 19.05. einen Antrag, der sich deutlich gegen Studiengebühren ausspricht und die Stadt Marburg auffordert, ggf. ein Volksbegehren gegen das Gesetzesvorhaben der Landesregierung zu unterstützen. Im Laufe der Debatte verteidigte Bürgermeister Dr. Franz Kahle auch schärfere Protestformen wie die wiederholte Besetzung der B3 im Verhältnis zu den verfassungsbedrohenden Gesetzesvorhaben aus Wiesbaden als richtig und völlig angemessen.
Senatsbeschlüsse gegen Studiengebühren inzwischen an vielen Hochschulen, FH-Rektoren geschlossen ebenfalls gegen Gebühren
Noch vor Vorlage des Studiengebühren-Modells sprachen sich der Senat der TU Darmstadt und am 26.04. auch der Senat der Uni Giessen (vgl. Meldung im Gießener Anzeiger) gegen Studiengebühren aus. Nachdem man nun die genaueren Pläne kennt, dürften sich die Gegner bestätigt fühlen: Die Pläne gehen über das hinaus, was man aus anderen Bundesländern kennt - z.B. bei der Gebührenhöhe für Master-Studiengänge oder erhöhten Gebühren für ausländische Studierende.
Am 17.05. haben sich - vielleicht auch bestärkt durch die parallel stattgefundenen Proteste der Studierenden - sowohl der Senat der FH Frankfurt als auch der Senat der Uni Kassel einstimmig gegen Studiengebühren ausgesprochen. In der Resolution des Senates der FH Frankfurt heißt es: "Er [der Senat] fordert die Hessische Landesregierung dazu auf, den Entwurf des Hessischen Studienbeitragsgesetzes (HStubeiG) in Gänze zurückzuziehen."
Die Präsidenten der Fachhochschulen haben sich einmütig am 22.05. gegen Studiengebühren ausgesprochen. "Die Konferenz Hessischer Fachhochschulpräsidien (KHF) lehnt den von der CDU vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung von Studiengebühren ab und fordert die Landesregierung auf, diesen Entwurf zurückzunehmen." (Quelle).
Senat der Uni Frankfurt für Studiengebühren
Der Senat der Uni Frankfurt konnte sich am 17.05. nicht zu einem Beschluss gegen Studiengebühren durchringen - oder genauer: Die ProfessorInnen (die alleine die absolute Mehrheit des Gremiums stellen) wollten dies nicht. Statt dessen wurde lediglich die Einrichtung einer Kommission beschlossen.
Am 24.05. befürwortete der Senat dann - unter den Augen von über 1000 Studierenden - doch Studiengebühren.
Vielfältige Proteste am 24.05.
Demonstriert wurde u.a. Frankfurt (im Anschluss an die Senatssitzung an der Uni, aber auch unterstützt durch FH-Studis) - dort waren u.a. Plakate mit dem Spruch "Land der Dichter und Denker. Roland Koch ist ein Henker" zu sehen.
In Darmstadt demonstrierten Studierende von Uni und FH lautstark durch die Stadt, "Bildung für alle sonst gibt's Krawalle" wurde skandiert - die Drohung aber nicht wahr gemacht.
In Gießen ging es härter zur Sache: Um die 500 Studierende waren nach einer Vollversammlung protestierende durch die Stadt gezogen und hatten schließlich versucht, die Autobahn zu blockieren. Nachdem dies durch ein starkes Polizeiaufgebot verhindert wurde, blockierten sie Bahngleise. Dabei wurde ein Student von einem Zug erfasst und verletzt - zum Glück offenbar nicht schwer.
Verfassungswidrigkeit der Studiengebühren?
Die hessische Landesregierung hat zwar ein Gutachten darüber eingeholt, ob und wann Studiengebühren trotz der Regelung in der hessischen Landesverfassung möglich sind (siehe Hessische Landesregierung sieht keine Hindernisse mehr für allgemeine Studiengebühren).
Der Gutachter Prof. Dr. Christian Graf Pestalozza von der FU Berlin sieht demnach - sofern die Gebühren auch erst nach dem Studium und dann nur bei ausreichend Einkommen zurückgezahlt werden müssen - kein Hinderungsgrund, von praktisch allen Studierenden Gebühren zu erheben.
Letztlich sind Verfassungsnormen aber durchaus interpretationsbedürftig - und die Interpretation fällt je nach Jurist anders aus. Privatdozent Arndt Schmehl, der - nach Lehrtätigkeiten auch in Hessen - z.Z. an der Uni Hamburg lehrt, sieht es z.B. anders. "Wenigstens Bafög-Empfänger werden zu einem verfassungsrechtlich gebührenfrei bleibenden Kreis zu zählen sein." schrieb er am 18.10.2005 in einem Artikel für die FAZ - und war an sich der Meinung, dass der Studiengebührenfreie Kreis noch weiter zu fassen sei, als nur auf BAföG-EmpfängerInnen.
SPD und Grüne haben jedenfalls - ebenso wie studentische Organisationen - angekündigt, auch mittels einer Klage gegen ein mögliches Studiengebührengesetz vorzugehen. Entscheidend wird dann sein, wie das oberste Landesgericht (denn vermutlich wird erst dort die endgültige Entscheidung fallen - alles vorher ist nur Geplänkel) die Verfassung interpretiert.
Im Kern geht es dabei um zwei Sätze der hessischen Landesverfassung: "In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich." und "Es [gemeint ist: ein Gesetz] kann anordnen, dass ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet." Der Gutachter der Landesregierung hat den zweiten Satz einfach so interpretiert, dass man auch die wirtschaftliche Lage in der Zukunft betrachten kann. Aber das muss man nicht unbedingt so sehen - auch wenn zu befüchten steht, dass die juristische "Mehrheitsmeinung" wie die des Gutachters sein könnte.
Ausländische Studierende werden diskriminiert
Es handele sich um eine "teure Regelung für außereuropäische Studierende", urteilt Juso-Hochschulgruppen-Sprecher Felix Klebe von der Technischen Universität Darmstadt (TUD). Leider halte es die CDU für notwendig, "auch in dieser Frage ihr fremdenfeindliches Profil zu schärfen", zitiert ihn die Frankfurter Rundschau.
Auch der studentische Dachverband fzs hatte sich deutlich gegen die Studiengebühren im allgemeinen ausgesprochen, im besonderen jedoch die Regelungen für Nicht-EU-AusländerInnen kritisiert: "Die Pläne von Koch und Corts sind nicht nur sozial ungerecht und schließen viele Menschen von Bildung aus, sondern diskriminieren insbesondere ausländische Studierende. Ausländische Studierende sollen in Hessen 1500 Euro pro Semester zahlen. Das ist ein einziger Skandal!"
Höhere Gebühren für Master treffen auf besonderen Widerstand
Aus Sicht des fzs wird durch die Gebühren-Regelung beim Master-Studiengang der eigentliche Plan der hessischen Union deutlich. Der studentische Dachverband befürchtet, dass mit erhöhten Studiengebühren für Master-Studiengänge Studierende aus einkommensschwachen Familien von einem hochwertigen Abschluss ferngehalten werden. Ein solcher Schritt wird den ohnehin bestehenden Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen weiter verstärken und eine Zwei-Klassen-Bildung zementieren.
In einer Presseerklärung des Mathematisch-Naturwissenschaftlicher Fakultätentag Deutschlands erklärte Prof. Dr. Gernot Stroth:
- Durch die neuen Studiengebühren in Hessen, die deutlich über das hinausgehen, was andere Bundesländer planen, wird der Standort Deutschland gefährdet. Gerade in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern gibt es einen Mangel an gut ausgebildeten Absolventen mit Diplom- oder Masterniveau. Dies wird sich durch die in Hessen beabsichtigten Studiengebühren verschärfen.
Auch in der FDP gibt es Studiengebühren-GegnerInnen
Wie man bspw. einem Bericht bei osthessen-news.de entnehmen kann, äußerte sich die frühere FDP-Landesparteivorsitzende und Ministerin Ruth Wagner auf dem FDP-Landesparteitag gegen Studiengebühren - auch wenn sie selbst wussete, dass sie eine Minderheitsmeinung vertritt. "Ich werde mein Leben lang dafür eintreten, dass es keine Studiengebühren gibt", sagte sie und begründte ihre Ablehnung auch durch die "gefährliche Schieflage", die dadurch bei der sozialen Herkunft der Studierenden entstehen könne. Es gebe zahlreiche Menschen, denen es neben der Sicherung der Familienexistenz nicht möglich sei, einen oder sogar mehrere Studenten zu unterstützen.
TU Darmstadt: Rektor sehr skeptisch Studiengebühren gegenüber
Der Rektor der TU Darmstadt äußert sich in den letzten Tagen mehrfach skeptisch Studiengebühren gegenüber. So äußert er am Freitag u.a. "Ich möchte nicht, dass die Studierenden sich wie Kunden fühlen, sie sollen Mitglieder der Universität sein und ihr Studium erfolgreich und zügig abschließen. Eine gemeinsame verbindliche Verantwortung von Lernenden und Lehrenden kann man durch andere Maßnahmen zuverlässiger erreichen.Im Übrigen gibt es in Europa viele Länder, die ohne oder mit sehr, sehr moderaten Gebühren auskommen."
Darüber hinaus befürchtet er, dass die "Studiengebühren für die Universitäten ein Minusgeschäft (sind)". Die Höhe des Landes-Etat richtet sich nach der Anzahl der Studierenden und die - so sei zu befürchten - könne sinken. Die Gebühren-Einnahmen würden dieses Defizit nicht auffangen.
Termine (siehe auch hessen.uebergebuehr.de)
Seit Mo., 15.05., 8 Uhr: Streik an der FH Fulda
Ab Mo. 29.05.: Protestwoche gegen Studiengebühren an der Uni Kassel
Vergangene Termine (teilweise mit Links zu Berichten bzw. zur Vorberichterstattung)
10.05., 12:30 Uhr: Vollversammlung an der Hochschule Darmstadt (FH)
10.05., 12:00 Uhr: Vollversammlung/Proteste an der Uni Frankfurt - ca. 6000 TeilnehmerInnen
10.05.: Vollversammlung an der Uni Gießen
11.05.: Vollversammlung an der FH Fulda
11.05.: Vollversammlung an der Uni Marburg
12.05.: Demo gegen Studiengebühren, Schulgeld und Sozialabbau in Marburg
Di., 16.05., 10 Uhr: Vollversammlung FH Wiesbaden
Di., 16.05.: Demonstration in Fulda
Mi., 17.05., 12 Uhr: 2. uniweite Vollversammlung an der Uni Frankfurt
Mi., 17.05.: Vollversammlung FH Gießen/Friedberg
Mi., 17.05.: Aktionstag und Vollversammlung an der Uni Kassel
Mi., 24.05., 14 Uhr: Sitzung des Senats zum Thema Studienbeiträge (Aula Uni Frankfurt)
Mi., 24.05., 15 Uhr: Demonstration gegen Studiengebühren, Treffpunkt Kantplatz Darmstadt
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- Weiteres zum Thema
- Aktueller Stand Studiengebühren in Hessen (ständig aktualisiert)
- Hessische Landesregierung will Studiengebühren ab Ende 2007 (05.05.2006)
- Hessische Landesregierung sieht keine Hindernisse mehr für allgemeine Studiengebühren (10.04.2006)
- Zusammenstellung zu den Protesten in Hessen bei de.indymedia.org
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