QuereffekteEU-Dienstleistungsrichtlinie gefährdet soziale Sicherung der Studierenden
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist nicht unbedingt etwas, bei dem man auf Anhieb vermuten würde, dass Studierende davon auch betroffen sein könnten. Das ist allerdings ein Trugschluss.
So ist der Bildungsbereich als ganzes durchaus betroffen, denn Bildung ist im Sinne dieser Richtlinie auch eine Dienstleistung, wie bspw. ein Bericht aus dem Bundestags-Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zeigt. Demnach hätte selbst das BAföG durch die Richtlinie betroffen sein können, was inzwischen aber offenbar ausgeschlossen ist. Umstritten bleiben aber viele andere Punkte. Aus Sicht der EU Kommission solle jedenfalls auch der Bildungsbereich nicht von der "Dynamik der Marktkräfte" ausgeschlossen sein.
Die Implikationen, die sich daraus ergeben könnten, sind schwer zu übersehen. Letztlich könnte es um eine weitere Privatisierungsstufe im Bildungswesen gehen. Gewinne würden dabei für die privaten Bildungsanbieter anfallen, die "gesellschaftlichen Kosten" bleiben wie so oft an allen hängen. Entweder dadurch, dass für eine gute Studienfinanzierung mehr Geld aufgewendet wird - oder dadurch, dass mehr und mehr Menschen an der Teilhabe ausgeschlossen werden, weil sie sich Bildung nicht mehr leisten können.
Studentenwerke in Gefahr
Dass diese "Dynamik der Marktkräfte" auch vor Einrichtungen mit sozialem Auftrag nicht halt machen könnte, befürchtet nun das Deutsche Studentenwerk. Würden die Angebote der Studentenwerke pauschal als herkömmliche Dienstleistungen aufgefasst und mit der Dienstleistungsrichtlinie europaweit liberalisiert, könnten die Service- und Beratungsangebote für Studierende in ihrer heutigen Breite kaum mehr vorgehalten werden und damit ihre soziale Funktion verlieren, fürchtet DSW-Präsident Prof. Dr. Hans-Dieter Rinkens. Leidtragende wären die Studierenden. "Man kann nicht auf der einen Seite der sozialen Selektion im deutschen Bildungssystem den Kampf ansagen und auf der anderen Seite zulassen, dass sie sich verschärft."
"Gerade das von der Bundesregierung propagierte Ziel, dass 40% eines Altersjahrganges ein Hochschulstudium aufnehmen sollen, würde in weite Ferne rücken, wenn die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur des Studiums gänzlich Marktbedingungen unterworfen würde." so Rinkens. Dies stünde auch im Widerspruch zur Absicht der europäischen Staaten, bis 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Im so genannten "Bergen-Kommuniquee" von 2005 hatten die europäischen Bildungsminister explizit die soziale Dimension hervorgehoben. Die EU-Kommission hat diese Dimension möglicherweise bei der Dienstleistungsrichtlinie unterschlagen. Studentenwerke sind bei Mensen und Wohnheimen durchaus wirtschaftlich tätig, "aber in der Realisierung des staatlichen Bildungsauftrags und daher mit finanzieller Unterstützung des Staates.", wie Rinkens weiter ausführt. Werden Gewinne in diesen Bereichen erzielt, so werden diese in kostenlose Service- und Beratungsangebote reinvestiert bzw. zur Stützung von Einrichtungen an kleinen, nicht profitablen Hochschulstandorten verwendet.
Private Anbieter - die möglicherweise wegen der Dienstleistungsrichtlinie zuzulassen wären - würden dagegen nur die profitablen Aufgaben übernehmen wollen und die Gewinne abschöpfen. Beratungsangebote könnten so nicht mehr von den Studentenwerken bereitgehalten und quersubventioniert werden. Da die Länder in den letzten Jahren die Zuschüsse für die Studentenwerke mehr und mehr gekürzt haben, könnten diese ihre Aufgaben ohne solche Quersubventionierung (und die ständige Erhöhung des Sozialbeitrags) schon lange nicht mehr erbringen.
Das DSW fordert daher die Bundesregierung auf, sich in Brüssel dafür einzusetzen, die Service- und Beratungsangebote der Studentenwerke vom Geltungsbereich der Richtlinie auszunehmen.
- Quellen und weitere Hintergrundinfos
- EU-Dienstleistungsrichtlinie gefährdet soziale Sicherung der Studierenden (Pressemitteilung des DSW, 13.02.2006, PDF-Format)
- Unterschiedliche Bewertungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie (Bericht aus Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages, 14.12.2005)
- Informationen vom Bundesministerium für Wirtschaft zur Dienstleistungsrichtlinie (diese kann dort auch heruntergeladen werden)