Solidarität oder SparwahnStudierendenvertreter stellen vor die Wahl
Sommerschlussverkauf, Winterschlussverkauf und jetzt das: „Schlussverkauf Bildung.“ Der Name der Kampagne des studentischen Dachverbands fzs zur Bundestagswahl am 23. Februar taugt wahrlich nicht zum Mutmacher. So wenig wie der Zustand der Hochschulen in Deutschland. Wo man hinsieht: Ramsch. „Die Gebäude sind vielerorts marode, es regnet rein, Schimmel bildet sich, teilweise kommen die Decken runter“, klagt Emmi Kraft. „Es kann nicht sein, dass man seine Gesundheit aufs Spiel setzt, wenn man einen Hörsaal betritt.“
Kraft ist eine von aktuell zwei Vorstandschefinnen beim „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ und ziemlich sauer auf das, was hierzulande als Bildungspolitik über den Ladentisch geht. Hauptsache billig und garantiert nicht nachhaltig. „Einem großen Teil der Studierenden geht es schlecht. Sie leben unter der Armutsgrenze und zahlen dystopisch hohe Mieten“, sagt sie im Gespräch mit Studis Online. „Die Entscheidung für ein Studium darf kein Armutsgrund sein!“
Ein Drittel lebt in Armut
Aber für viele und immer mehr ist dies bittere Realität. Derzeit hat mehr als jeder dritte hiesige Hochschüler Existenznöte. Unter denen mit eigener Haushaltsführung betrifft dies fast 80 Prozent. Zugleich sei der Fachkräftemangel ein Riesenthema und die Lösung so naheliegend, meint Kraft, die in Köln Jura studiert. „Die Politik muss die Studierenden, die Fachkräfte von morgen, mehr unterstützen, damit sich alle, die möchten, für ein Studium entscheiden können, ohne deswegen ins Prekäre abzustürzen.“
Ihr Verband will die allgemeine Bildungs- und Hochschulmisere nicht länger hinnehmen und sich hör- und sichtbar einmischen in den laufenden Wahlkampf. Das Vorhaben wurde ziemlich zeitnah nach dem Bruch der Ampelkoalition angepackt und richtet sich explizit gegen den notorischen „Sparwahn“ der Regierenden in Bund, Ländern und Gemeinden. Motto: „Schlussverkauf Bildung? Nicht mit uns!“ Die leidige Austeritätspolitik müsse ein Ende haben, stattdessen „für Solidarität und Bildungsinvestitionen“.
Losgegangen ist es am vergangenen Montag, mit einer „Aktionswoche auf Social Media“ vom 20. bis 26. Januar. Ziel sei es, auf möglichst vielen Accounts – AStA, StuRa, StuPa, Hochschulgruppen – „auf die Probleme der Studierenden aufmerksam zu machen und zu zeigen, was sich ändern muss“. Daneben sollen die Kampagne selbst, Logos, Flyer, Termine und Aufrufe über sämtliche Kanäle verbreitet werden. Postings konnte und kann man zu allem absetzen, was auf der Seele brennt, als Kommentar, Sprachnachricht oder Video – „alles ist erlaubt und gern gesehen“.
„Das ist erst der Anfang“
Außerdem gab es „Thementage“. Am Dienstag ging es ums „Wohnen“ mit der Anregung, „die schaurigste, haarsträubendste Geschichte auf der Wohnungssuche“ zu schildern. Am Mittwoch standen „Studienfinanzierung, steigende Studienkosten und Mobilität“ auf dem Programm, der Freitag dreht sich um den „Sanierungstau – Hilfe, meine Uni ist kaputt“ und am Samstag sind „studentische Arbeitsbedingungen“ angesagt. Am Sonntag wird Rückschau gehalten, das Erreichte bilanziert und das Kommende geplant.
„Und wir wollen motivieren weiterzumachen, denn das war erst der Anfang“, bemerkt Kraft. „Wir müssen das Bewusstsein unter Studierenden stärken, dass sie nicht allein sind mit ihren Sorgen und es Studierendenvertretungen gibt, die sich für sie stark machen. Und wir wollen die Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundestag erreichen und lautstark auf die Bedarfe der Studierenden hinweisen.“
Seine Vorstellungen hat der fzs im Positionspapier „Für zukunftsfähige Hochschulbildung“ abgefasst. Einer der Schwerpunkte ist die Dauerbaustelle Bundesausbildungsförderung (BAföG). Zwar haben SPD, Grüne und FDP zweimal die Bedarfssätze und Wohnkostenpauschale erhöht, aber längst nicht im erforderlichen Umfang. Nicht eingelöst hat die scheidende Regierung zudem das Versprechen einer umfassenden BAföG-Rundumerneuerung.
Exzellenzstrategie – weg damit
„Fakt ist, dass auch und gerade BAföG-Empfänger trotz zweier Novellen deutlich unterm Existenzminimum geblieben sind“, bemerkt Kraft. „Es muss dringend eine große Strukturreform her, mit bedarfsdeckenden, dynamisierten Sätzen, dazu Wohnzuschüsse, die an die örtlichen Märkte angepasst sind, und eine Rückkehr zum Vollzuschuss.“ Der Zwang, sich zu verschulden, hindere junge Menschen daran, sich um BAföG zu bemühen, mithin, überhaupt ein Studium aufzunehmen. „Das ist das Gegenteil von Chancengleichheit.“
Weitere Punkte des fzs-Konzepts sind: eine bessere Förderung der Studentenwerke, die Fortführung der Mietpreisbremse nebst „Mietenstopps bzw. Mietensenkungen in besonders überteuerten Märkten“ bis hin zur Vergesellschaftung „ehemals öffentlicher Immobilien“. Nötig seien ferner „günstige Mobilität“ mittels eines „eigenständigen bundesweiten Semestertickets“, das aus der Abhängigkeit vom Deutschlandticket gelöst werden müsse, und massive Investitionen in die Hochschullehre und den Hochschulbau.
Die Mittel dafür könnten unter anderem gewonnen werden, indem die Exzellenzstrategie „ersatzlos gestrichen“ werde. Das elitäre Renommierprojekt habe auch nach 20 Jahren keine qualitativ herausragenden Hochschulen produziert und sei „ein überteuertes Marketingprogramm ohne realen Wert“. Ferner müsse der Bund seine Drittmittelprogramme zu einem „nennenswerten Anteil“ in die Grundfinanzierung der Hochschulen überführen.
Allein gelassen, politikverdrossen
So richtig und wichtig das alles ist, spielen die Bereiche Bildung und Hochschulen im Wahlkampf bisher praktisch keine Rolle. Das ärgert die fzs-Chefin. „Viele Studierende fühlen sich einfach vergessen von der Politik und allein gelassen.“ Das sei ist ein „Armutszeugnis für Regierungen und Parlamente“, findet Kraft, „und das führt zur Politikverdrossenheit einer nennenswerten Gruppe von immerhin fast drei Millionen jungen Menschen“.
Vor allem stört Kraft die populistische Masche aller etablierten Parteien, nicht nur der AfD, die sich mit Forderungen nach mehr Härte im Umgang mit Migranten und Flüchtlingen und dem Ruf nach Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit gegenseitig überbieten würden. „Das alles sind alarmierende Zeichen der Diskursmacht der extremen Rechten“, so Kraft und weiter: „Stumpfsinniger Rassismus ist mittlerweile fast zum Konsens geworden.“
Das spiegele sich auch an den Hochschulen wider: In Bayern wolle man die Militarisierung „zwangsweise“ an die Unis bringen und mehrere Bundesländern strebten nach immer höheren Gebühren für Studierende aus Nicht-EU-Staaten. „Diese landespolitischen Diskussionen werden durch ihre unerträgliche Prominenz im Bundestagswahlkampf noch verstärkt.“ Und wo bleibt eine fortschrittliche Gesellschaftspolitik, wenn demnächst Dutzende Milliarden Euro mehr zugunsten von Militarismus und der Abschottung nach außen „verballert“ werden? „Auf der Strecke“, fürchtet Kraft.
Sozialer Frieden durch Umverteilung
Dabei hat der fzs als traditionell linker Verband prima Rezepte, wie sich der zunehmenden Spaltung in Arm und Reich sowie der Verrohung und Brutalisierung der politischen Auseinandersetzung beikommen ließe. Mit mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Das Mittel der Wahl: Umverteilung von oben nach unten, in Gestalt einer Vermögenssteuer, einer stärkeren Besteuerung von Erben, höherer Kapitalsteuern und einer Finanztransaktionssteuer.
Für eine Kehrtwende nach genau diesem Muster hat heute eine Allianz aus 22 namhaften Organisationen – Gewerkschaften, Wirtschafts-, Umwelt-, Sozial- und Entwicklungshilfeverbände – in einem öffentlichen Aufruf plädiert. Zusammen vertrete man „mindestens zehn Millionen Mitglieder sowie die 75 Prozent der Bevölkerung, die laut Umfragen eine Besteuerung großer Vermögen wünschen“, heißt es darin.
Zu den Unterstützern zählt auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Das Bildungssystem in Deutschland ist seit vielen Jahren völlig unzureichend finanziert“, monierte die Verbandsvorsitzende Maike Finnern. Deshalb gehöre sichergestellt, „dass in den Bereichen Bildung und Soziales nicht weiter gekürzt, sondern mehr investiert wird“. Steuern seien dabei ein wichtiger Hebel für mehr soziale Gerechtigkeit, so Finnern. „Deutschland muss eine Kehrtwende wagen – für den sozialen Frieden.“
Raus aus dem Netz, rauf auf die Straße
Wie passend: Ebenfalls am Donnerstag haben die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und das Deutsche Studierendenwerk (DSW) bei einer gemeinsamen Veranstaltung in Berlin Maßnahmen „Für ein zukunftssicheres deutsches Hochschulsystem“ verkündet. „Unverzichtbar ist eine kraftvolle Sicherung und Stärkung von Lehre und Studium sowie der für größere Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit nötigen sozialen Studienrahmenbedingungen einschließlich des BAföG.“
Das alles zeigt: Der gedankliche Schulterschluss zwischen einer Vielzahl von Bürgern in diesem Land ist längst hergestellt. Was noch fehlt, ist Solidarität in physischer Präsenz durch Versammeln und Protestieren auf den Straßen und Plätzen der Republik. Nicht zuletzt für Studierende und den fzs muss das bedeuten: Raus aus dem Netz, rein ins wahre Leben. (rw)