Ideen für vorvorgesternWissenschaftsrat lobt Hochschulpakt
Wann macht es Sinn, ein Förderprogramm anhand der Fragestellung zu überprüfen, ob seine Zielvorgaben erreicht wurden? Am besten wohl, bevor man ein Nachfolgeprogramm auflegt. Denn erst, sobald mögliche Mängel und Fehlentwicklungen diagnostiziert sind, lassen sich entsprechende Fehler in der Zukunft vermeiden. Sollte man meinen ...
Im Fall des „Hochschulpakts“ verhält es sich anders: Das Ding existiert dem Namen nach seit weit über drei Jahren nicht mehr und längst greift in Gestalt des „Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken“ eine Anschlussvereinbarung. Aber was unternimmt der Wissenschaftsrat (WR), der hierzulande wichtigste Politikberater in Hochschulfragen? Er unterzieht das Konzept von vorvorgestern erst jetzt einer Evaluation und stellt anschließend fest: War ganz okay – aber mit ein paar Abstrichen.
Welche wären das? Zum Beispiel entnimmt man dem am Montag vorgelegten Abschlussbericht Sätze wie diesen: „Die Konzentration auf zusätzliche Kapazitäten erforderte Kompromisse, die sich nachteilig auf die Studienqualität auswirken konnten.“ Oder: „Nicht auszuschließen ist auch, dass in manchen Fällen Kriterien der Studierfähigkeit zugunsten höherer Immatrikulationszahlen hintangestellt wurden.“
Immer mehr Befristungen
In der begleitenden Pressemitteilung wird obendrein eine „starke Zunahme befristeter Beschäftigungsverhältnisse für Lehrpersonal“ konstatiert sowie einmal mehr „eine zu geringe Aufmerksamkeit für die Qualitätsentwicklung des Studiums während des Ausbaus“. Um allerdings eine Überregulierung und Detailsteuerung von oben nach unten zu vermeiden, hätte man solche „negativen Nebenwirkungen in Kauf genommen“, liest man wiederum in der Studie.
Nebenwirkungen? Bei Medikamenten soll es ja durchaus „heftige“ davon geben. Wogegen man beim WR so tut, als handele es sich bei besagten Begleiterscheinungen um Petitessen. Das könnte man auch Augenwischerei nennen. Denn tatsächlich drängt sich der Schluss auf, dass beim „Hochschulpakt“ viel zu sehr auf Masse gesetzt wurde und viel zu wenig auf Klasse.
Dabei stand dieser Vorwurf von Anfang an im Raum. Das Bund-Länder-Programm war 2007 aufgelegt und später zweimal verlängert worden, um dem durch doppelte Abiturjahrgänge, eine politisch forcierte Bildungsexpansion sowie die später ausgesetzte Wehrpflicht verursachten Run auf die Hörsäle zu begegnen.
Milliardenschwer und doch zu leicht
Während man 2007 noch unter zwei Millionen Studierende zählte, werden die Hochschulen aktuell von knapp 2,9 Millionen jungen Menschen bevölkert. Der WR geht allein von 1,6 Millionen zusätzlichen Studienanfängern innerhalb von 13 Jahren bis 2020 aus, denen ohne die entsprechenden Fördermittel ein Studium versagt geblieben wäre. Beziehungsweise wäre der Lehrbetrieb unter der Überlast zusammengebrochen, hätte die Politik nicht das viele Geld locker gemacht.
Bis zum endgültigen Auslaufen der dritten Auflage hatten Bund und Länder zusammen über 38 Milliarden Euro in den Pakt gesteckt. Das war viel, aber eben nicht genug, um den Erforderlichkeiten zu genügen. Faktisch wirkte der Pakt über all die Jahre wie ein schleichendes Kürzungsprogramm, milliardenschwer zwar, aber doch deutlich zu leicht, um der Masse an Studierenden ein qualitativ hochwertiges Studium zu garantieren.
Anfangs war ein im Rahmen des Programms neu geschaffener Studienplatz mit lediglich 22.000 Euro über einen Zeitraum von vier Jahren unterfüttert. Mit Beginn der zweiten Programmphase 2011 wurde auf 26.000 Euro nachgebessert. Demgegenüber beliefen sich im Jahr 2015 die durchschnittlichen Kosten eines Studienplatzes bis zu einem Bachelor-Abschluss laut Statistischem Bundesamt auf 30.700 Euro, für einen Master-Abschluss auf weitere 20.800 Euro und zusammen auf 51.500 Euro.
Minderausstattung verschärft
Verglichen mit dem Stand vor 2007 gingen die Pro-Kopf-Ausgaben im Mittel also noch zurück und die schon viel länger zu beklagende Minderausstattung der Hochschulen verschärfte sich weiter. Ausbaden mussten das die Studierenden, zum Beispiel durch noch einmal schlechtere Betreuungsrelationen, insbesondere Professuren wurden nicht in der nötigen Zahl eingestellt, oder steigende Abbrecherquoten, vor allem an den Universitäten.
Dass der Wissenschaftsrat solche Effekte als quasi hinnehmbar abtut und sehr einseitig die quantitativen Aspekte würdigt, erscheint bedenklich. Zumal auch schon der Bundesrechnungshof geharnischte Kritik an dem Projekt geübt hatte. Dieses sei gekennzeichnet durch „Fehlentwicklungen, Verstöße im Haushaltsvollzug und ein intransparentes Berichtswesen“, monierten die Finanzprüfer in ihrem vor fünf Jahren vorgelegten Bericht. Es sei fraglich, „ob ein qualitativ hochwertiges Studium gewährleistet werden kann“.
Das gilt um so mehr, als die Behörde auf ein System der Zweckentfremdung von Fördermitteln gestoßen war und bezweifelte, dass die Bundesländer die vertraglich geforderten Gegenleistungen überhaupt erbracht haben. Konkret sollen Zuschüsse des Bundes in einer ganzen Reihe von Fällen an den Interessen der Studierenden vorbei in andere Bereiche geflossen oder zur Vermögensbildung der Hochschulen genutzt worden sein. So hätten sich Hinweise ergeben, wonach diese „zusätzliche Studienberechtigte aufgenommen haben, ohne ihre Kapazitäten auszuweiten“. Ganze Jahrgänge von Studierenden hätten nicht von den zusätzlichen Mitteln profitieren können.
Zweckentfremdung halb so wild
Immerhin hat das auch der WR zur Kenntnis genommen. „Durch die Bildung von Rücklagen kamen Programmmittel nicht in vollem Umfang den Studierendenkohorten zugute, für die sie ursprünglich vorgesehen waren“, heißt im Evaluationsbericht und weiter: „Im Rückblick betrachtet hat es vermutlich vermeidbare und unvermeidbare Rücklagen gegeben, doch fehlen für eine konkrete Kritik oft die Daten.“
Zum Mitschreiben: Offensichtlich wurde über viele Jahre Fördergeld in erheblichem Ausmaß umgeschichtet und umgewidmet, weg vom ausgegebenen Ziel, damit neue Studienplätze zu auszufinanzieren. Zum Beispiel soll die Universität des Saarlands in Saarbrücken 2017 allein 89 Millionen Euro gehortet haben, was vier Jahresraten des Bundes für das Saarland entsprach.
Aber der Wissenschaftsrat findet so etwas halb so wild und belobigt sogar ausdrücklich die „weitgehend flexible Mittelverwendung in den Ländern und an den Hochschulen“. Alles in allem sei der Pakt ein „Erfolgsmodell für eine gelungene Bund-Länder-Zusammenarbeit“, bilanziert das Beratergremium. Dieser habe „zur Stabilisierung eines durch zahlreiche Reformen beanspruchten Hochschulsystems“ beigetragen, „betonte kooperatives Handeln statt Wettbewerb und stärkte die Veränderungsfähigkeit des Hochschulsystems insgesamt“.
Das mag ja sein. Aber müssten nicht eigentlich die Studierenden bei all dem im Mittelpunkt stehen, also ihr Interesse an einem erfolgreichen Studium? Der WR-Bericht hinterlässt den Eindruck, dass dies allenfalls nachrangig war und ist. Wichtiger sind ihm augenscheinlich „Nebenziele“ oder „reformerische Anliegen“ wie das überproportionale Wachstum der Hochschulen für angewandte Wissenschaften, ein Aufwuchs an technisch-naturwissenschaftlichen Fächern (MINT) oder eine höhere Quote an Wissenschaftlerinnen.
Soziale Öffnung Fehlanzeige
Das alles ist begrüßenswert, aber eben nicht der Kern der Unternehmung. Dazu kommt ein weiterer schwerer Makel: „Trotz der Hochschulexpansion änderte sich die Sozialstruktur der Studierenden nicht wesentlich“, stellt der WR fest. Eine soziale Öffnung der Hochschulen hin zu einer höheren Diversität sei nach dem Stand der Forschung „nicht erfolgt“. Das „Wachstum des Hochschulsystems nicht für mehr soziale Chancengerechtigkeit genutzt und so das Potenzial nicht ausgeschöpft zu haben“, könne man als „eine verpasste Chance“ erachten.
Die Stagnation ist indes kein Unfall, sondern hausgemacht. Im Rahmen der Verwaltungsvereinbarungen zum Pakt hätten die Verantwortlichen davon abgesehen, „eine soziale Dimension der zusätzlichen Studienanfängerplätze zu integrieren“, heißt es im Bericht. Warum bloß?
Beim Deutschen Studierendenwerk (DSW) ist man ob des Befundes nicht überrascht. „Es ist müßig, darüber nun im Konjunktiv zu klagen, aber es ist und bleibt ein strukturelles Defizit der Hochschulpakte, dass deren soziale Dimension ausgeblendet (...) wurde“, erklärte der Verbandsvorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl am Dienstag per Medienmitteilung.
Fünf Jahre Verzug
So hätte man parallel eine regelmäßige Erhöhung bei der Bundesausbildungsförderung (BAföG) einführen und die Studierendenwerke in die institutionelle Förderung einbeziehen müssen. Zudem seien die Kapazitäten an staatlichen Wohnheimplätzen nicht mitgewachsen. Deren Zahl wäre seit 2007 um sieben Prozent gestiegen, die der Studierenden um 50 Prozent. „Aber es war von Anfang an klar: Wer die Studienplätze in Deutschland massiv ausbaut, muss auch die soziale Infrastruktur stärken“, bekräftige der DSW-Chef.
Es kam ganz anders und es bleibt auch künftig vieles, vielleicht alles beim Alten beziehungsweise im Argen. 2019 einigten sich Bund und Länder auf den Nachfolgepakt „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“. Mit ihm wird die Finanzierung verstetigt und sein finanzielles Volumen liegt über die Gesamtsicht von zehn Jahren nur geringfügig über dem Niveau des alten Regelwerks. Die Vereinbarung erfolgte aber lange vor der Inflationskrise – könnte also schon bald nicht mehr halb so viel wert sein.
Und die gutgemeinten Ratschläge des Wissenschaftsrats hat man auch nicht beherzigt. Eine Empfehlung lautet, derartige Großprogramme mit ausreichend, am besten jahrelangem Vorlauf zu planen, so dass sich bei Bedarf auch nachsteuern lasse. Und einen Lerneffekt im Zuge von Diskussionen, etwa mit dem Rechnungshof, müsse es auch geben. Das wäre eine schöne Idee gewesen – vor fünf Jahren. (rw)