Macht euch einen Plan!Bündnis fordert Solidarität mit Studierenden
Mal in Ruhe einen Plan machen – das haben in Bezug auf die Situation der Studierenden viele Politiker:innen leider versäumt
Das erste Corona-Semester war eines zum Vergessen. Das zweite auch, das dritte sowieso. Und das vierte? Na ja, geht so. Immerhin hat man die Uni endlich wieder – oder zum ersten Mal – von innen gesehen, Kommilitonen leibhaftig getroffen, wenigstens einen Hauch von Studentenleben gespürt. Mehr davon! Aber was passiert wohl im Corona-Semester fünf? Oder heißt das kommende einfach nur „Sommersemester“ – ganz ohne pandemischen Beiklang, weil die Corona-Krise durch und nach Omikron vielleicht ja überwunden ist?
Die Beteiligten des Bündnisses „Solidarsemester“ blicken nicht ganz so optimistisch nach vorn. Vor allem wollen sie nicht noch einmal erleben, dass die Regierenden die Studierenden komplett sich selbst überlassen und erneut ohne Plan für die Hochschulen in die nächsten Monate gehen. In einem aktuellen Aufruf richtet der Zusammenschluss aus fast 200 bundesweit, regional und lokal agierenden Studierendenvertretungsorganen und Beschäftigteninitiativen deshalb eine Reihe an Forderungen an die Verantwortlichen in Bund und Ländern.
Sofort unbürokratische Hilfen!
Ganz oben auf der Liste steht das Thema Geld: Weil die sogenannten Überbrückungshilfen (Ü-Hilfen) der abgewählten großen Koalition vor einem halben Jahr ausgelaufen seien, „braucht es jetzt unbürokratische Hilfen“ – mindestens in Höhe des Höchstsatzes nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG). So richtig der Ansatz an sich ist, mutet die Begründung ziemlich alarmistisch an. Dass sich mit der Omikron-Variante des SARS-Cov-2-Virus die Situation „stetig verschärft“, wie es heißt, deckt sich nicht mit der Realität. Weder laufen, wie anfangs beschworen, die Intensivstationen in den Kliniken voll, noch brechen Wirtschaft und öffentliche Verwaltung unter der Krankheitslast zusammen.
Gleichwohl muss für den Fall, dass sich die Krise doch wieder zuspitzt oder es in Zukunft zu einer ähnlichen Krise kommt, vorgebaut werden. Das im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung formulierte Ziel, das BAföG um einen „Notfallmechanismus“ zu ergänzen, wirkt da recht vielversprechend. Allerdings macht Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bisher keinerlei Anstalten, das auch umzusetzen. Gefragt nach „kurzfristigen Unterstützungsmaßnahmen“ beschied unlängst ihr Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP), nichts dergleichen zu beabsichtigen. Man werde aber „während der weiteren Entwicklung der Pandemie die Situation der Studierenden aufmerksam beobachten“.
BAföG-Reform – an die Arbeit!
Auch in Sachen BAföG-Novellierung sieht die Regierung offenbar keinen besonderen Handlungsdruck, obwohl Stark-Watzinger wiederholt geäußert hatte, das Thema zügig angehen zu wollen. Konkrete Pläne würden „derzeit erarbeitet und abgestimmt“, ließ Brandenburg wissen. Höchste Eisenbahn klingt anders.
Die Studierendenvertreter dringen auf mehr Tempo und verlangen „zeitnah eine grundlegende BAföG-Reform, die etwa sowohl Elternunabhängigkeit, Förderhöhe und -dauer als auch Schritte hin zum Vollzuschuss ins Visier nimmt“. Von dem angekündigten Regelwerk für Notfälle erwartet das Bündnis, dass es die „bestehenden starren Hürden beim regulären BAföG-Bezug aufhebt und finanzielle Hilfen als Vollzuschuss gewährt“. Auch dürften in Not geratene Studierende – anders als bei den Ü-Hilfen – aufgrund bürokratischer Fallstricke und rigider Antragskriterien nicht noch einmal „aus dem Raster fallen“.
Fristenfreiheit jetzt!
Außerdem müssten für jedes Semester unter Pandemiebedingungen „das Ende der Regelstudienzeit, Prüfungs- und Finanzierungsfristen“ bundesweit einheitlich verlängert werden, heißt es in dem Aufruf. Bislang gibt lediglich in einigen Bundesländern wie Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen (NRW) entsprechende Zusagen, die Regelstudienzeit für die Zeit ab Herbst 2021 erneut um ein Semester zu verlängern. Ebenfalls nur auf Landesebene und längst nicht überall existieren Bestimmungen, nicht bestandene Prüfungen als Freiversuche zu werten und Wiederholungsklausuren zu ermöglichen. Entsprechende Regularien seien für ganz Deutschland erforderlich, meinen die Aktiven von „Solidarsemester“.
Beim im Bündnis vertretenen „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), ist man zwar guter Dinge, das Sommersemester weitestgehend im Präsenzbetrieb auf dem Campus erleben zu können. Allerdings sei ein abermaliger Anstieg der Infektionszahlen zum nächsten Winter hin nicht auszuschließen, warnte Verbandsvorstandsmitglied Marie Müller in einer Medienmitteilung. Daher müssten die Hochschulen „vorausschauender planen“, ebenso wären durch die Politik „frühzeitig Maßnahmen“ zu treffen.
Solidarität mit ausländischen Studierenden!
Laut ihrem Vorstandskollegen Matthias Konrad hat es auch im laufenden Semester sehr lange gedauert, bis erste Regelungen zur Verlängerung der individuellen Regelstudienzeit vereinbart waren. An manchen Universitäten gebe es selbst in der schon laufenden Prüfungsphase „an vielen Stellen Unsicherheiten“. Einheitliche und flächendeckende Freiversuchsregelungen seien ebenfalls kaum implementiert. „Nicht alles lässt sich jetzt noch ändern“, einiges aber schon, erklärte Konrad. Auch über rückwirkende Anpassungen sollte gesprochen werden.
Ein besonderes Augenmerk richtet die Initiative auf die in der Pandemie stark gebeutelten ausländischen Studierenden. 2020 war deren Zahl um 22 Prozent gegenüber 2019 eingebrochen, während für 2021 noch keine Daten vorliegen. Für diese Gruppe müssten der Finanzierungsnachweis, der für ein Studium in Deutschland nötig ist, „ausgesetzt und selbstständige Tätigkeit generell erlaubt werden“. Zudem müsse die Verlängerung der Regelstudienzeit „auf die ausländerrechtlich beschränkte Aufenthaltsdauer übertragen werden“. Ebenfalls sollten Fristen zur Arbeitssuche nach dem Studium „unbefristet“ gelten und Impfungen mit in Deutschland nicht zugelassenen Vakzinen für eine „Übergangsfrist von vier Monaten ab Einreise“ anerkannt werden.
Digitale Teilhabe für alle!
Auch in Sachen Digitalisierung sehen die Initiatoren Nachholbedarf. Das Versprechen „digitale Teilhabe für alle“ sei nach zwei Jahren Pandemie nicht überall und für jeden eingelöst. Allen Studierenden müsse eine „Open-Source-Software sowie ein gesicherter Zugang zu Lernarbeitsplätzen zur Verfügung gestellt werden“. Wer sich keine eigene Hardware leisten könne, dem müsse die nötige Technik überlassen werden. Auch brauche es Alternativen „zu oft instabilen Internetverbindungen insbesondere bei Prüfungen“.
In diesem Zusammenhang setzt sich „Solidarsemester“ auch für eine bessere finanzielle Ausstattung der Hochschulen ein. Der Mehraufwand zur Umsetzung von hybrider Lehre erfordere „mehr Personal, gute Arbeitsbedingungen und Entfristung“. Dies müsse auch für studentische Beschäftigte gelten. Zusätzliche Mittel sollten überdies in den Ausbau von Beratungsangeboten fließen, insbesondere im Hinblick gestiegene psychische Belastungen.
Probleme endlich ernst nehmen!
Gemäß einer großangelegten Umfrage des fzs leiden viele Studierende nach vier Corona-Semestern unter zum Teil erheblichenpsychischen und körperlichen Problemen, höherer Arbeitsbelastung und finanziellen Engpässen. 73 Prozent beklagten Konzentrationsprobleme, 62 Prozent Niedergeschlagenheit, 58 Prozent Rückenschmerzen und 49 Prozent machen Kopfschmerzen zu schaffen.
„Die verzweifelte Lage vieler Studierender wird seit Beginn der Pandemie nicht ernst genommen“, monierte Tobias Zorn, Koordinator des Landes-ASten-Treffens NRW, in einer Stellungnahme. „Ihr Semester war kaum planbar und ist zwischen Präsenz und Online hin- und hergewechselt. Hinzu kommen anhaltende finanzielle Schwierigkeiten durch weggebrochene Jobs und Verschuldung.“ Es gebe keine Grundsicherung für Studierende, „das muss jetzt schnell geändert werden“, ergänzte Mitstreiterin Amanda Steinmaus und weiter: „Exmatrikulationen aus Geldnot müssen verhindert werden.“
Höchste Zeit für Corona-Hochschulgipfel!
Zu Wort meldeten sich auch die Juso-Hochschulgruppen. Die Situation von Studierenden habe sich in zwei Jahren „kaum verändert“ und umfasse Planungsunsicherheit, finanzielle Notlagen und soziale Isolation, äußerte sich Bundesvorstandsmitglied Johanna Liebe. „Dazu kommt eine unmögliche Trennung zwischen Arbeit und Privatleben“. Lernen im Homeoffice auf zwölf Quadratmetern sei ein „unzumutbarer Zustand“, aber seit fast zwei Jahren Realität. Deshalb sei ein „Corona-Hochschulgipfel, der sich den aktuellen Problemen von Studierenden widmet und solidarische Konzepte für das kommende Semester vorlegt, bitter notwendig“.
Dieselbe Forderung hatte vor knapp drei Wochen das Deutsche Studentenwerk (DSW) gestellt. „Bund und Länder müssen mit allen Hochschulakteuren – den Hochschulen selbst, den Studierenden, den Studierendenwerken – in einem offenen Dialog die Situation der 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland diskutieren und die Probleme angehen“, sagte dazu DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl. Viele hätten das Gefühl, von der Politik übersehen und vergessen zu werden. Darauf müsse die Politik endlich eine Antwort geben. (rw)