Lernen und Lehren an der HybriduniVerschärft Corona die soziale Spaltung?
In Zeiten von COVID-19 ist Abstand nötig. Doch es gibt leider auch noch andere Folgen …
Studis Online: Ein Bereich, der in der medialen Begleitung zur Corona-Krise seit Monaten ziemlich unbeachtet bleibt, sind die Hochschulen. Zwischenzeitlich wurde zwar vermehrt über die besonderen finanziellen Notlagen der Studierenden berichtet. Die Frage, was es heißt, unter den Bedingungen der Pandemie zu studieren und zu lehren, wird dagegen kaum beleuchtet. Sehen Sie das auch so?
Vera Laub: Wir beobachten derzeit den Versuch der Leitungsgremien, „Business as usual“ zu fahren, obwohl die aktuelle Situation für alle eine Herausforderung ist. Probleme in Bezug auf Studien- und Arbeitsbedingungen werden dem organisatorischen Zufall überlassen, anstatt sie in der Öffentlichkeit anzusprechen. Das könnte daran liegen, dass die derzeitige Wissenschaftsorganisation mit ihrer Outputorientierung und Drittmittelabhängigkeit selbst höchst krisenanfällig ist. Probleme, die nun zum Vorschein kommen, sind aber systemimmanent, werden durch die derzeitige Lage zwar verschärft, aber die Ursachen liegen woanders.
Welchen Stoff bietet das Thema, den auch Zeitungsleser und Fernsehzuschauer interessieren könnte oder sollte?
Die Umstellung auf digitale Lehre war sehr kurzfristig notwendig geworden und gute Lehrformate müssen immer noch ermittelt werden. Die Anforderungen an verschiedene Seminare gehen dadurch enorm auseinander, was wiederum in der Studierendenschaft zunehmend auf Unverständnis stößt. Manche Lehr- und Lernformate lassen sich zudem nicht in den digitalen Raum übertragen, insbesondere solche, die eines kritischen Austauschs durch Diskussion oder praktische Arbeit bedürfen. Insbesondere für Studienanfänger*innen ist es momentan sehr schwer, soziale Kontakte zu knüpfen. Das kann schwerwiegende soziale und psychische Folgen haben. Denn genau diese sozialen Kontakte sind es, die durch ein anspruchsvolles Studium helfen.
Wie werden die Umstellungen unter Studierenden an der Frankfurter Goethe-Uni aufgenommen?
Das ist sehr ambivalent und oft abhängig vom sozio-kulturellen Status der Betroffenen. Leute in abgesicherten Verhältnissen, mit guter Wohnsituation und Ausstattung, nehmen die Änderungen oft auch positiv auf, während strukturell Benachteiligte wie Kinder von Arbeiter*innen und Migrant*innen von weitreichenden Problemen berichten. Um dieser Spaltung der Mikrogesellschaft Hochschule entgegenzutreten und sich für bessere Studien- sowie Arbeitsbedingungen einzusetzen, hat unter_bau im Frühjahr einen Forderungskatalog erstellt, den man auf unserer Webseite einsehen kann.
Welche sind derzeit die nach Ihrem Eindruck größten Baustellen an den Hochschulen im Corona-Betrieb?
Unsere Interviewpartner*in Vera Laub promoviert in Biowissenschaften und ist Presseprecher*in der Basisgewerkschaft unter_bau, die sich vor vier Jahren an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main gegründet hat. Die Organisation verfolgt den Anspruch, Gewerkschaft für die ganze Hochschule zu sein, also für alle Beschäftigtengruppen, im Service, in der Verwaltung, in Lehre und Forschung sowie für studentische Hilfskräfte. Sie versteht sich als politisch linke Organisationen, die einer syndikalistischen Traditionen nahe steht. Als Mitglied im „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ wendet sich unter_bau im Speziellen gegen prekäre Beschäftigungsformen im akademischen Mittelbau. Darüber hinaus, ist unter_bau im studentischen Bündnis „Solidarsemester“ bundesweit vernetzt.
Studierende und Lehrende sind nach wie vor nicht flächendeckend mit dem notwendigem technischen Equipment ausgestattet, das für digitale Lehre benötigt wird. Dadurch werden einige Studierende abgehängt und die gesellschaftliche und soziale Spaltung weiter befördert. Außerdem leidet darunter die Qualität der Lehre. Zudem müssen an der Universität Arbeitende, die schon unter „Normal“-Bedingungen in Frankfurt meist befristet angestellt sind, um die Verlängerung ihrer Verträge und damit die Zukunft ihrer wissenschaftlichen Arbeit bangen. Auch bei den administrativ-technischen Angestellten sind prekäre Arbeitsverhältnisse nach wie vor eher die Regel als die Ausnahme. Und das obwohl genau sie es sind, die die partielle Umstellung auf einen digitalen Campus bei gleichzeitigem Präsenzbetrieb erst ermöglichen.
Bleiben wir zunächst bei den Studierenden. Sehen Sie die Gefahr oder vielleicht bereits Anhaltspunkte dafür, dass so mancher an den neuen Herausforderungen scheitern könnte?
Für Berlin wurde berichtet, dass im ersten Halbjahr 2020 die Abbruchrate um rund 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. Wegen finanzieller Notlagen von Studierenden, die zum Beispiel ihre Nebenjobs durch Schließung der Gastronomie verloren haben, und Frustration im digitalen Studium ist zu erwarten, dass die Abbruchrate auch in anderen Städten steigt. In Frankfurt ist die Lage durch hohe Mieten besonders prekär. Und auch für Studierende, die nicht abbrechen, besteht die Gefahr, dass sich das Studium durch die Covid-Maßnahmen verlängert. Das gilt insbesondere für verschulte Studiengänge, in denen wenig Flexibilität in der Gestaltung des Studienablaufs besteht.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat sich in der Vorwoche unter Verweis auf eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) erfreut gezeigt, „dass Studierende im Sommersemester 2020 nicht häufiger über einen Studienabbruch nachdachten als in den letzten Jahren“. Das klingt nach „alles in Butter“ ...
In dieser Studie steht tatsächlich, dass nicht mehr Studis darüber „nachgedacht“ haben abzubrechen, nicht, dass nicht mehr Studis abgebrochen haben. Weiter steht da, es gebe bisher „keine empirischen Anzeichen dafür, dass aufgrund der Pandemie mit einer deutlichen Erhöhung der Studienabbruchquoten zu rechnen ist“. Das klingt ziemlich unbestimmt und wirklich belastbare Zahlen fehlen noch. Wir haben in der Krise immer wieder mitbekommen, dass Leitungsebenen sehr kreativ werden, um Statistiken so darzustellen, als wäre alles tutti.
Es gehört wohl nicht mehr zum guten Ton, selbstkritisch und problemorientiert an herausfordernde Situationen heranzugehen. Außerdem besteht ein großer Unterschied zwischen einem nicht abgebrochenen Studium und einem Studium, das man als sinnvoll und persönlich erfüllend empfindet. In der aktuell besonders angespannten gesellschaftlichen Lage steht vor der Entscheidung zum Studienabbruch eine noch einmal höhere psychische Hürde als schon zu „normalen Zeiten“. Wenn um die Ecke die Perspektivlosigkeit lauert, ist man eventuell bereit mehr, Kompromisse einzugehen. Ob diese auf Dauer tragbar sind, ist allerdings fraglich.
Sie sprachen die Defizite bei der technischen Ausstattung an. Wie finden Sie es in diesem Zusammenhang, dass Ministerin Karliczek gar nicht daran denkt, einen Digitalpakt für die Hochschulen nach dem Muster des 5,5 Milliarden-Programms für die Schulen aufzulegen. Dafür wären die Bundesländer zuständig, meint sie.
Anja Karliczek sollte stattdessen über eine grundständige Bildungsreform nachdenken, die diese Frage der Verantwortlichkeit klärt. Zumindest im Fall der Stiftungsuniversität Frankfurt fühlt sich auch das Land Hessen nicht für die technische Ausstattung von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen verantwortlich und schiebt die Verantwortung den Geldgebern von Forschungsprojekten zu. Die wiederum zählen das zur Grundausstattung einer Universität.
Folge ist, dass viele wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen ihre Rechner aus privater Tasche zahlen, und zwar nicht erst seit der Pandemie. Für Studierende, die sich kein eigenes Endgerät leisten können, ist derzeit zwar die über den Corona-Fonds finanzierte Aktion „Semesterlaptop“ in der Probephase. Ob die angeschafften Geräte aber für die vielen Studierenden ausreichen, bleibt abzuwarten.
Am 6. November hat die Goethe-Uni eine virtuelle „TechConference“ unter anderem mit Beteiligung der Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU), ausgerichtet. Ihre Gewerkschaft hat die Veranstaltung in einer Pressemitteilung als „absurd“ bezeichnet und an den Bedürfnissen der Studierenden und Beschäftigten vorbeigehend. Warum sehen Sie das so?
Auf der Konferenz wurden vor allem wirtschaftsnahe Projekte vorgestellt, die künstliche Intelligenzen (KI) anwenden, und zwar von den durchführenden Firmen höchstpersönlich. Damit wurde Sponsoren wie SAP, Lufthansa und Microsoft eine Plattform zur Bewerbung ihrer Unternehmen und Produkte gegeben. Durch die Verortung der Tagung an der digitalen Hochschule wird Wissenschaftlichkeit suggeriert, wo eigentlich unternehmerische Interessen vorherrschen. Das ist schon mal absonderlich und lässt auf ein fragwürdiges Wissenschaftsverständnis schließen.
Dazu gibt es natürlich viele verschiedene Algorithmen und statistische Methoden, die KIs zugrunde liegen, und daher unterschiedlich funktionieren. Gemeinsam ist den meisten aber, dass sie sehr rechenaufwändig sind, ergo eine sehr gute technische Ausstattung voraussetzen.
Als absurd haben wir diese Veranstaltung bezeichnet, weil genau diese technische Ausstattung 15 Prozent der Studierenden und 23 Prozent der Lehrenden allein schon für die grundständige Lehre fehlt. Die verlangt dem Endgerät deutlich weniger Rechenleistung ab als gängiges machine-learning. Zudem würde ich voraussetzen, dass ein wissenschaftliches Publikum, wie es Universitätsangehörige darstellen, das Bedürfnis haben zu verstehen, wie eine Methode funktioniert, die sie anwenden sollen. Auf die Grundlagen der verschiedenen Algorithmen wurde auf der Konferenz aber gar nicht eingegangen. Damit reproduziert diese Veranstaltung nicht nur den Hype, der momentan ein quasi mystisches Konstrukt um das Thema KI aufbaut, sondern aufgrund der Abwesenheit einer gesellschaftspolitischen Reflexion auch die Inhaltsleere der Methode.
Wie geht das Lehrpersonal mit der Corona-Situation um und inwieweit wird es durch die Hochschulen dabei unterstützt, Seminare und Vorlesungen in den virtuellen Raum zu verlegen?
Die meisten Lehrenden bemühen sich sehr, die unter den Bedingungen bestmögliche Lehre zu gewährleisten. Gleichzeitig müssen sie natürlich ihre eigenen Kapazitäten im Auge behalten, denn der durch die digitale Lehre notwendige Mehraufwand wird weder monetär noch anderweitig honoriert. Eine hauseigene Umfrage an der Goethe-Uni lässt durchscheinen, dass es keine Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrende gab, obwohl diese sich das explizit gewünscht haben. Und wie schon gesagt, gibt es auch Lehrveranstaltungen, zum Beispiel Laborpraktika, die nicht in den digitalen Raum verschoben werden können. Bei der konkreten Umsetzung, wie diese doch irgendwie stattfinden können, sind die Labore aber weitestgehend auf sich allein gestellt.
Glaubt man dem aktuellen UniReport Ihrer Hochschule, dann bewältigen alle Beteiligten die Krise ziemlich prächtig. Zum Beispiel heißt es darin: „Experiment virtuelles Semester läuft besser als gedacht.“ Ist das ein Stück weit Augenwischerei?
Es kommt natürlich darauf an, was man am Anfang „dachte“, wie schlecht es laufen könnte. Aber ja, prinzipiell haben wir es hier zumindest mit einer verzerrten Wahrnehmung auf Seiten des Präsidiums zu tun. Man könnte jetzt mutmaßen, dass ihnen gegenteilige Berichte einfach nicht übermittelt wurden. Da aber zumindest unter_bau seine Forderungen inklusive eindeutiger Hinweise auf Missstände im Sommersemester ans Präsidium übermittelt hat, muss man schon annehmen, dass negative Erfahrungen eher nicht erwünscht sind.
Ziemlich klar ist schon jetzt, dass das gerade begonnene Wintersemester bis zum Ende im Frühjahr im Onlinemodus oder bestenfalls in der Hybridvariante aus virtueller und Präsenzuni weiterlaufen wird. Wie glauben Sie, könnte die „neue Normalität“ an Deutschlands Unis nach einem hoffentlich baldigen Ende der Pandemie aussehen?
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist es dabei wichtig zu bedenken, dass auch die „alte Normalität“ von prekären Arbeitsbedingungen an der Hochschule geprägt war und die strukturellen Probleme in der Hochschul- und Forschungsfinanzierung durch die Pandemie nur aufgedeckt wurden. Wenn diese Prekarisierung erkannt wird, sich Hochschulangehörige als politisches Subjekt begreifen und den Mut haben, sich dagegen zu wehren, birgt die Krise auch emanzipatorisches Potenzial. Konkret braucht es eine Transformation der Hochschule nach den Bedürfnissen der Betroffenen. Und ja: Für Veranstaltungen, die sich digital sinnvoll und gewinnbringend durchführen lassen, kann das auch bedeuten, dieses Format weiter zu nutzen. Aber eben nur für diese.
Was müsste das Rektorat alles mehr leisten, um speziell den Unibeschäftigten in der Krise mehr beizustehen?
Es müsste sich für eine Entfristung von Daueraufgaben einsetzen, anstatt diese Praxis zu befördern, wie es zuletzt in der Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gezeigt wurde. Außerdem müsste es eine grundlegende Kehrtwende in seiner Politik hinlegen und von der derzeit praktizierten Wissenschaftsverwaltung wegkommen. Das gibt seine rigide Struktur eventuell nicht her, aber wir hätten da eine Idee: Eine Transformation der Hochschule, in der Entscheidungen basisdemokratisch von denjenigen getroffen werden, die ihre Auswirkungen zu spüren bekommen. (rw)
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