„Raum der Stille“ statt StudienplätzeFinanzprüfer zerreißen Hochschulpakt
Der Bundesrechnungshof hat beim Hochschulpakt genau hingeschaut und wenig erfreuliches herausgefunden.
Schön, wenn Geld für die Bildung da ist. Wo doch alle Politiker sagen, wie wichtig die für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ist. Unschön, wenn das schöne Geld nicht ausgegeben wird, in irgendwelchen Haushaltslöchern versickert oder zweckentfremdet für andere Dinge draufgeht. Schlimm, wenn das der Normalfall ist. Mit dem sogenannten Hochschulpakt (HSP) verhält es sich genau so: Bund und Länder stellen Mittel in Milliardenhöhe für Universitäten, Kunst- und Fachhochschulen zur Verfügung, aber längst nicht alles davon landet dort, wo es dringend hingehört – für eine hochwertige Lehre, bessere Betreuung von Studierenden und mehr Personal. Und: So läuft das seit etlichen Jahren, praktisch ab der ersten Stunde des Bund-Länder-Programms.
Der Bundesrechnungshof (BRH) hat die Misere in einem aktuellen Bericht an die Haushaltspolitiker im Bundestages schonungslos offengelegt. Demnach haben einzelne Bundesländer und Hochschulen bis Ende 2018 Fördermittel in Höhe von 3,7 Milliarden Euro ungenutzt auf ihren Konten versauern lassen. Und das ist noch eine vorsichtige Rechnung. Da die verfügbaren Informationen nicht alle Mittel aus dem Pakt abbilden würden, dürften die Ausgabereste tatsächlich noch höher sein, heißt es in dem Schreiben, aus dem am Mittwoch zuerst der Berliner Tagesspiegel und das Handelsblatt zitierten. Eigentlich ist der Report noch unter Verschluss. Erst sobald der Haushaltsausschuss darüber beraten hat, wird er zur Veröffentlichung freigegeben.
„Ganze Jahrgänge ausgeschlossen“
Studis Online hat das Material schon jetzt vorliegen. Der BRH halte „die lückenhafte Berichterstattung der Länder und die über Jahre gebildeten Ausgabereste im HSP für nicht hinnehmbar“, bemängeln darin die Finanzprüfer. „An einzelnen Hochschulen blieben dadurch ganze Jahrgänge von Studierenden“ von den Mitteln ausgeschlossen. Der Hochschulpakt war vor 13 Jahren ins Leben gerufen worden, um den Herausforderungen durch die seit Anfang der 2000er-Jahre stetig gestiegenen Studienanfängerzahlen zu begegnen. Seit 2007 sind auf seiner Basis nahezu eine Million zusätzliche Studienplätze geschaffen worden. In diesem Jahr läuft die dritte Förderphase aus, weshalb sich Bund und Länder im Vorjahr auf eine Verstetigung des Projekts unter dem neuen Namen „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ und eine Anschlussfinanzierung im Umfang von rund 40 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2030 verständigt hatten.
Läuft es weiter wie bisher, wird auch in Zukunft viel Geld verpuffen. Teilweise verfügten Einrichtungen sogar noch über Mittel aus der ersten Phase des Paktes, die bereits im Jahr 2013 endete, moniert der BRH. Dabei habe die Auswertung von Jahresabschlüssen gezeigt, dass nicht verwendete Gelder „in unterschiedliche Bilanzposten und in das Vermögen der Hochschulen eingegangen waren“. Einige hätten auf diesem Wege „eine außergewöhnlich hohe Liquidität“ aufgebaut. Bis 2023 sollen im Rahmen der drei ersten HSP-Förderlinien knapp über 38,5 Milliarden Euro mobilisiert werden, davon 20,2 Milliarden Euro durch den Bund und 18,3 Milliarden Euro durch die 16 Bundesländer. Das Regelwerk sieht Kofinanzierung vor: Was die Bundesregierung beisteuert, müssen die Länder in gleicher Höhe ergänzen und in den Aufbau neuer Studienkapazitäten stecken.
Substanzverluste
Das Prinzip existiert offenbar nur auf dem Papier, wie eindrücklich das Beispiel Nordrhein-Westfalen (NRW) erkennen lässt. Dort blieben bis zum Jahresende 2018 mehr als 1,9 Milliarden Euro liegen und hübschen dafür die Hochschuletats auf. „Dies entsprach den Pauschalen für 80.681 zusätzliche Studienanfängerinnen und Studienanfänger“, rechnet der BRH in seinem Bericht vor. Tatsächlich sind nach den HSP-Modalitäten pro Studienplatz für vier Jahre insgesamt 26.000 Euro veranschlagt. Wie Studis Online wiederholt berichtet hatte, liegt der Kostenansatz deutlich unter dem, was für einen „Normalstudienplatz“, bezahlt aus den Grundmitteln der Hochschulen, üblich ist. Das heißt: Selbst für den Fall einer „regelkonformen“ HSP-Finanzierung haben die Hochschulen über Jahre einen massiven Substanzverlust erlitten. Angesichts der vielfältigen Verstöße gegen die Vorgaben fällt der Schaden wohl noch um einiges größer aus.
Laut Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, ist das BRH-Urteil „vernichtend“. Wenn so viel Geld ungenutzt versauert, „zeugt dies von einer Intransparenz, die ihresgleichen sucht“, äußerte sie sich am Dienstag per Pressemitteilung. „Hochschulen dürfen nicht klammheimlich zu Unternehmen werden, die auf Kosten von Studierenden und Personal millionenschwere Rücklagen bilden.“
Saarland-Uni spart sich reich
Im Fall NRW horten die Landeshochschulen inzwischen mehr Geld, als ihnen an HSP-Mitteln bis 2023 noch zustehen. An einer Universität im Ruhrgebiet entsprachen die Ausgabereste laut Rechnungshof Ende 2017 sogar dem 4,5-fachen ihrer HSP-Ausgaben im selben Jahr, an einer rheinischen Fachhochschule (FH) sogar dem 5,5-fachen. „Von den zwischen 2007 und 2018 insgesamt eingenommenen HSP Mitteln gab eine westfälische FH nur 62 Prozent aus.“ Beachtlich ist auch die „Performance“ der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Während dort noch bis 2009 alle Zuschüsse aus dem Pakt verausgabt wurden, türmten sich die „Überschüsse“ zwischen 2012 und 2018 auf 91 Millionen Euro auf.
Der HSP war insbesondere darauf gerichtet, zusätzliches Personal an den Hochschulen einzustellen, um so die Studienbedingungen zu verbessern. Daraus wurde nichts. Zwar zählen die Unis heute deutlich mehr Beschäftigte als früher, aber längst nicht so viele wie für eine qualitativ hochwertige Lehre nötig wären. „Trotz der Bundesförderung verschlechterte sich die Betreuung der Studierenden“, hatte der Bundesrechnungshof bereits in einem Bericht vom Mai 2019 bemängelt.
Daran knüpfen die Finanzwächter in ihrer neuen Analyse an und konstatieren, „dass das Personal nicht in gleichem Maße wie die Studienanfängerinnen und Studienanfänger anwuchs“. Vielmehr sei die Relation von Studierenden zu wissenschaftlichem Hochschulpersonal im Jahr 2017 gegenüber dem Vorjahr nahezu unverändert geblieben und „lag nach wie vor unter dem Wert des Jahres 2005“.
Konzertflügel und Musikergagen
Der BRH beruft sich dabei auf den im November 2019 veröffentlichten Umsetzungsbericht des HSP durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern. Über Sachsen-Anhalt steht darin geschrieben, dass die dortigen Hochschulen gegenüber dem Jahr 2005 gar kein zusätzliches Personal unter Vertrag genommen haben. Selbst da, wo die HSP-Mittel Verwendung finden, heißt das nicht, dass sie auch „im Sinne der Erfinder“ eingesetzt werden. Eine Hochschule in NRW hat daraus einen Konzertflügel restaurieren lassen und die Gagen von Musikern beglichen. Eine andere finanzierte die Tribüne ihres Studierendentheaters.
Auch solche Maßnahmen sind richtig und wichtig, sollten aber aus anderen Finanzquellen bestritten werden. Allerdings steht schon länger der Verdacht im Raum, die Bundesmittel aus dem Hochschulpakt könnten vielfach dazu verwendet worden sein, die rückläufigen Landeszuweisungen zu kompensieren. Der BRH-Bericht belegt dies am Beispiel einer weiteren NRW-Hochschule: Diese habe berichtet, die Gelder einzusetzen, „um dauerhafte Kürzungen bei ihrer Grundfinanzierung aufzufangen“. Aus dem Landeszuschuss hätte sie demnach „nur noch 80 Prozent ihrer Personalausgaben finanzieren“ können.
Parkhaus statt Professor
Nun könnte man immerhin hoffen, dass die Rücklagen in naher Zukunft ihrem Zweck zugeführt werden. Das jedoch hält der Rechnungshof für „unwahrscheinlich“. Vielmehr sieht er „die Gefahr, dass die Länder nun einen Ausgabendruck aufbauen, indem sie die Hochschulen anhalten, die HSP-Mittel bis zum Jahr 2023 restlos auszugeben“ – aber eben abseits der Bestimmungen. Der Report listet dazu eine Reihe fragwürdiger Planungen auf, darunter den Neubau eines Parkhauses, Ladestationen für E-Fahrzeuge oder „die Einrichtung von Räumen der Stille“. Insbesondere seien viele Neubauten angemeldet, die indes gar nicht durch den Hochschulpakt finanziert werden sollten.
„Die Mittelströme im HSP haben eine Intransparenz erreicht, die auch die Länder kaum noch überblicken“, beanstanden die Finanzkontrolleure. Es fehlten ein gemeinsames Programmverständnis und Sanktionsmöglichkeiten, falls Bundesländer oder Hochschulen die Gelder missbrauchten. Einzelne Länder hätten signalisiert, dass weder die Zweckentfremdung noch das Bunkern von Geldern Grund für eine Rückzahlung wären. Als Konsequenz empfiehlt der BRH eine „qualifizierte Mittelsperre“. Diese sichere „eine bedarfsgerechte Mittelzuweisung an die Länder und trifft nicht die Hochschulen“. Weitere Bundesmittel sollten den Ländern nur „dann zugewiesen werden, wenn sie notwendig sind und die Ausgabenplanungen den Zwecken des HSP entsprechen“.
Kritiker fordern mehr Dauerstellen
Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), findet diese Aussicht „alarmierend“, auch mit Blick auf das HSP-Nachfolgeprogramm. Die Gelder müssten „für zusätzliche Studienanfängerplätze eingesetzt werden, die des Zukunftsvertrags außerdem für mehr Dauerstellen für Daueraufgaben in der Lehre sorgen“, befand er am Donnerstag im Gespräch mit Studis Online. So hätten es Bund und Länder in den jeweiligen Verwaltungsvereinbarungen verabredet und „das ist gut so“.
Auch Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen-Partei setzt auf einen Neunfang mit dem „Zukunftsvertrag“. Er erwarte „ein Mehr an verlässlichen Karrierewegen und besserer Personalausstattung“, sagte er gegenüber Studis Online. „Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie benötigen Vertrauen, angemessene Finanzmittel und eine bessere Ausstattung. Das BMBF ist gefordert, seiner gesamtstaatlichen Steuerungsfunktion für die Wissenschaftsfinanzierung gerecht zu werden.“ GEW-Vize Keller appellierte an Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, „auf den zweckentsprechenden Einsatz der Mittel zu pochen“.
Weiter wie bisher
Bisher hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seine Aufsichts- und Kontrollfunktion sträflich vernachlässigt. So habe es die Regierung versäumt, „Haftungstatbestände und Rückzahlungsverpflichtungen zu regeln“. Das betreffe auch die Bestimmungen des „Zukunftsvertrags“. Das fragliche Verwaltungsverfahrensgesetz sei „zu unspezifisch, um Ansprüche durchzusetzen“. Da das Programm „unbefristet gilt, wiegt dieses Versäumnis besonders schwer“. Beim BMBF lehnt man die angeregte Mittelsperre als „nicht zielführend“ ab. Ressortchefin Anja Karliczek (CDU) erwägt lediglich, nicht verausgabte Gelder zurückzufordern. Hierfür seien aber zunächst die Rechtsgrundlagen zu klären.
Zur Erinnerung. Vor etwas mehr als einen Jahr hatte der Bundesrechnungshof den HSP schon einmal zerrissen, an den selben Stellen und mit den gleichen Argumenten. Zur Konsequenz hatte dies: nichts. Sie erwarte, dass die Bundesregierung beim Folgepakt „umgehend nachsteuert, denn sonst ist auch dieser zum Scheitern verurteilt“, bemerkte Linke-Politikerin Gohlke. Die Förderrichtlinien und deren Einhaltung müssten zukünftig demokratisch kontrolliert werden. „Solche Entscheidungen gehören ins Parlament und nicht in Karliczeks Hinterzimmer.“
(rw)