Exzellenz und ExklusionDeutschlands neue alte Eliteunis
Im Rahmen der „Exzellenzstrategie“ (früher: Exzellenzinitiative) wurden letzte Woche die Sieger-Unis gekürt. Nicht für jeden Grund zur Freude …
Verkehrte Welt. Kaum standen am vergangenen Freitag Sieger und Besiegte der sogenannten Exellenzstrategie fest, gaben Studentenvertreter der Universität Köln den Gute-Laune-Bär. Man sei erleichtert, „aus diesem unwürdigen Spiel nach vermeintlichen Fördergeldern“ ausgeschieden zu sein, verbreitete der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) und weiter: „Die nun frei werdenden Personalkapazitäten müssen in die Lehre fließen, anstatt weiter unzählige Förderanträge zu schreiben.“ Wenn das mal keine „guten Verlierer“ sind. Gerade war der Domstadt der Status als Eliteuni flöten gegangen, dazu allerhand Prestige und viele Extramillionen. Und was machen die Geschlagenen? Sie freuen sich!
Es geht auch andersherum. Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ist der Überflieger des großen Uniwettstreits. Schon im September 2018 hatte sie Zuschläge für nicht weniger als sechs „Exzellenzcluster“ abgeräumt. Das sind projektbezogene Forschungsfelder, die Bund und Länder pro Jahr mit insgesamt 385 Millionen Euro bezuschussen. Für jedes einzelne Cluster können die Bonner bis zu zehn Millionen Euro jährlich einheimsen. Als dickes Sahnehäubchen obendrauf gab es jetzt noch die Auszeichnung ihres „Zukunftskonzepts“, womit sie erstmals in den Kreis der „Exzellenzuniversitäten“ aufsteigen. Das verspricht nicht nur allerhand mehr Ruhm, sondern per annum weitere zwölf Millionen Euro, mindestens bis 2026. Alles in allem wird die Uni Bonn in den nächsten sieben Jahren rund eine halbe Milliarde Euro aus der „Exzellenzstrategie“ schöpfen.
„Ablenkungsmanöver“
Und wie reagiert darauf der AStA? Er gratuliert den beteiligten Forschern für den „tollen Erfolg“, hat aber sonst nichts als Kritik für die Sache übrig. Der Wettbewerb sei ein „Ablenkungsmanöver“, das darüber hinwegtäusche, dass das Bildungssystem unterfinanziert sei, monierte die Vorsitzende Lena Engel. „Dieses Fördersystem ist unsolidarisch und wird auf lange Sicht die Ungleichheit zwischen den Hochschulen weiter zementieren.“ Außerdem spiele die Lehre bei der Kandidatenkür überhaupt keine Rolle, beklagte Engel. Dabei sollte diese „gleichberechtigt zur Forschung gedacht werden, denn: „Ohne Lehre, ohne Studierende wäre eine Universität nichts.“
Recht hat sie, aber keine Lobby. Die Macher und Profiteure des Systems haben mehr zu melden. Vor rund 15 Jahren hatten sie das Ziel ausgegeben, Deutschlands Unis in die Weltspitze zu führen, in die Liga der ganz Großen, auf Augenhöhe mit den internationalen Topadressen: Harvard, Yale, Stanford, Princeton, Zürich. Diesen können hiesige Standorte in puncto Einnahmen, Ausstattung und Forschungspotenzial zwar auch weiterhin nicht das Wasser reichen und werden dies auch niemals schaffen. Gleichwohl lässt man von den Plänen nicht ab. Im Gegenteil: Um den Abstand zu verringern, hat die Politik noch eine Schippe draufgelegt. Was 2005 unter dem Namen „Exzellenzinitiative“ als Programm mit offenem, aber möglichem Ende begann, ist mit der inzwischen vierten Auflage zu einem Projekt für die Ewigkeit geworden.
Gewinner für immer
Ausgangspunkt war vor drei Jahren eine Entscheidung von Bund und Ländern, das Instrument unter dem neuen Label „Exzellenzstrategie“ auf Permanenz zu stellen. Für eine dauerhafte Unterstützung der Förderlinie „Eliteuniversitäten“ („Zukunftskonzept“) hatte sich damals vor allem die Bundesregierung ins Zeug gelegt und dafür auf den neu geschaffenen Grundgesetzartikel 91b zugegriffen. Der gestattet es dem Bund, Hochschulen „in Fällen überregionaler Bedeutung“ auf lange Sicht zu fördern. Mit der Verfassungsänderung hatten viele eigentlich die Hoffnung verbunden, damit könnten endlich in großem Stil Bundesmittel in die Grundausstattung der chronisch unterfinanzierten Hochschullandschaft fließen, um damit vor allem bei den Lehr- und Studienbedingungen anzusetzen.
Daraus wurde nichts. Statt in der Fläche für mehr Substanz und Gleichheit zu sorgen, werden die ohnehin privilegierten Standorte noch mehr als bisher gepäppelt. Das bewirken insbesondere zwei Neuerungen. Um überhaupt in die Endauswahl um den Titel „Exzellenzuni“ zu kommen, müssen die Bewerber mindestens zwei, Hochschulverbände wenigstens drei prämierte „Exzellenzcluster“ vorweisen. Damit reduziert sich das Feld der Anwärter von vornherein auf die größeren, forschungs- und finanzstarken Standorte. Daneben wird der Abstieg aus der Eliteklasse in Zukunft erheblich schwerer werden. Zu jedem Förderturnus mussten sich bisher sämtliche Mitstreiter mit einem neuen Antrag qualifizieren. Das erhöhte zumindest auf dem Papier die Chancen der bis dahin Zukurzgekommenen. Nun sollen die Gekürten das Geleistete nur noch im Rahmen einer Evaluation nach sieben Jahren nachweisen und bei erfolgreichem Abschneiden ihren Status behaupten können.
Scheinwettbewerb
Der Eliteforscher Michael Hartmann sieht hier die „folgenschwerste Zäsur“ beim Förderprozedere. „Man muss sich schon ziemlich dumm anstellen, um Titel, Ruhm und Anschlussförderung einzubüßen“, bemerkte er gegenüber Studis Online. Vielleicht würden künftig „ein oder mal zwei Kandidaten ihre Stellung wieder verlieren, um wenigstens den Schein von Konkurrenz zu wahren“. „Selbst in der Champions League beim Fußball müssen sich die reichsten Klubs bislang noch im jährlichen Wettbewerb qualifizieren“, ergänzte der emeritierte Soziologe. Dagegen werde bei der „Exzellenzstrategie“ echter Wettbewerb „institutionell weitgehend unterbunden“.
Genau das ist politisch gewollt und in der Logik der Verantwortlichen durchaus konsequent: Um international zu den Stärksten aufzuschließen, braucht es wenige „Leuchttürme“ mit viel Energie und langem Atem und keine, denen auf halbem Weg die Lichter ausgehen. Das ist immerhin in einer Hinsicht begrüßenswert: Demnächst müssen sich in den Forschungshochburgen nicht mehr Heerscharen von Wissenschaftlern in irgendwelchen Antrags- und Bewerbungsmarathons aufreiben und viel Kraft, Zeit und Geld binden, die dann an anderer Stelle fehlen. Lieber wäre es Kritikern freilich, wenn die ganze Elitemacherei komplett eingestellt würde und Bund und Länder das viele Geld gerecht und fair auf alle Hochschulen verteilten.
Spitze statt Breite
Seit 2005 flossen mit der „Exzellenzinitiative“ fast 45 Milliarden Euro in die „Förderung von Spitzenforschung“, während die Grundmittel der Hochschulen im Verhältnis zu den Studierendenzahlen im gleichen Zeitraum flächendeckend zurückgingen. So soll und wird es weitergehen. Für die kommenden zehn Jahre hat die Politik zusätzlich 5,3 Milliarden Euro für das Programm ausgelobt – vorerst und mindestens. Dabei geht der Gewinn der Siegerunis weit über diese Summe hinaus. Mischt eine Uni erst einmal bei der „Elite“ mit, verheißt das mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und der Wissenschaftsszene, wird sie bei den einschlägigen Rankings höher gehandelt, erhält sie mehr staatliche und Drittmittel aus der freien Wirtschaft.
Die Vorgänge werden in der Soziologie Matthäus-Effekt genannt. Wer schon viel hat, dem wird noch mehr gegeben, an Ressourcen, an Renommee. Allerdings müssen aktuelle Erfolge nicht notwendig auf aktuell herausragenden Leistungen gründen, sondern in erster Linie auf früheren Errungenschaften. Das heißt: Wer es einmal ganz nach oben und ins Scheinwerferlicht geschafft hat, ist dort auch nicht mehr wegzukriegen bzw. nicht mehr wegzudenken. Aber selbst für den Fall, dass „Exzellenz“ nicht bloß auf falschen Meriten und Täuschung fußt, sind die Auswirkungen für das Gesamtsystem doch verheerend, weil die Masse an kleinen, mittleren und solchen Hochschulen, die vornehmlich auf Ausbildung setzen, immer weiter abgehängt wird.
Neun alte Sieger
Darauf wies etwa die Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Nicole Gohlke, in einem Pressestatement hin. „Mit jeder neuen Runde dieses Wettkampfs verbessern sich die Chancen der Gewinner aus der vorigen Runde, während der Rest das Nachsehen hat.“ Unter der einseitigen Fokussierung auf Forschung und Drittmitteleinwerbung litten insbesondere die Fachhochschulen, die einen immens wichtigen Beitrag zur Wissensvermittlung und zum Wissenstransfer leisteten. So werde die große Stärke des deutschen Hochschulwesens – die hohe Qualität in der Breite – immer weiter ausgehöhlt, beanstandete die Politikerin und bilanzierte: „Exzellenz bringt Exklusion.“
Wie sehr die Mechanismen greifen, zeigt sich abermals an der neuen Bestenliste. Unter den elf Prämierten – zehn Unis und ein Hochschulverbund – finden sich gleich neun, die bereits vor sieben Jahren triumphiert hatten. Mit dabei sind wie immer die Abonnementsieger: die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen sowie die Technische (TUM) und die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Dazu kommen die Unis Konstanz, Heidelberg, Tübingen und im Paket die drei Hauptstadtunis aus Freier (FU), Humboldt- (HU) und Technischer Uni (TU), wovon bisher nur die letztere kein Elitesiegel trug. Auch die TU Dresden betätigte ihren Titel. Neu dabei sind die Unis aus Hamburg und Bonn sowie das Karlsruher Institut of Technology (KIT). Das hatte jedoch schon einmal in der ersten Auflage, damals noch als Universität Karlsruhe, zu den Gewinnern gehört. Nur zwei Standorte verloren ihren Platz an der Sonne, die Unis aus Köln und Bremen.
30 aus 240
Aufschlussreich ist auch ein Blick auf die bereits im Vorjahr auserwählten „Exzellenzcluster“. Ein Großteil der 57 Zuschläge entfiel auf die „Exzellenzunis“, nur rund 20 auf andere Kandidaten, mithin zwei auf einen. Damit beschränkt sich der Kreis der mit der „Exzellenzstrategie“ Privilegierten auf unter 30 öffentliche Unis, während es bundesweit rund 240 Hochschulen in staatlicher Trägerschaft gibt. Das heißt: Über 200 Standorte gucken in die Röhre. Für die Juso-Hochschulgruppen stand deshalb auch schon vor dem Showdown fest: „Am Ende verliert das gesamte Bildungssystem.“ Ein flächendeckendes, regional gleichwertiges und vielseitiges Bildungsangebot werde durch den Wettbewerb untergraben.
Zur Spaltung zwischen den Hochschulen kommt noch die innerhalb der vermeintlichen Spitzenstandorte. Im Fall der jetzt entthronten Kölner Uni waren seinerzeit erhebliche Umschichtungen an Mitteln und Personal vorgenommen worden, um sich das Elitelabel zu verdienen und später zu behaupten. Vor allem ging das auf Kosten der Lehre in anderen nicht wirtschaftsnahen Studiengängen der Geistes- und Kulturwissenschaften. So beklagt man beim AStA einen Mangel an wissenschaftlichen Mitarbeitern mit langfristigen Verträgen sowie an „Räumen mit einer angemessenen Einrichtung“. Aber nichts wird unternommen, vielmehr würden die nötigen Maßnahmen durch aktuelle „Sparmaßnahmen und die politisch befristetete Mittelvergabe“ durchkreuzt.
Akademisches Prekariat
Und besser wird`s wohl auch nach der „Pleite“ nicht. Mit dem Ende der Förderung verschwinden die damit geschaffenen Forschungsabteilungen und -projekte ja nicht von der Bildfläche. Vielmehr muss das Aufgebaute auf eigene Rechnung weiterbetrieben und nach Möglichkeit ausgebaut werden, auch um wieder neue Drittmittel einzuwerben und beim nächsten Unischaulaufen zu obsiegen – alles auf Kosten des allgemeinen Lehr- und Studienbetriebs. Und ausbaden müssen das neben den Studierenden vor allem auch die Lehrenden.
Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fürchtet man gar, dass mit der „Exzellenzstrategie“ die Perspektiven für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „noch unsicherer“ werden könnten. Wenn Universitäten mehr Geld erhielten, führe das in der Regel dazu, dass sie dieses für befristete Beschäftigungsverhältnisse verwendeten, gab GEW-Vize Andreas Keller zu bedenken. Und sobald die Förderung ausliefe, würden Tausende auf die Straße gesetzt. Bezeichnend: Während die „Exzellenzstrategie“ auf Dauer angelegt ist, gilt das nicht für die daran hängenden Beschäftigungsverhältnisse.
Schluss mit Spaltung
Immerhin macht sich unter Studierenden zunehmend Unmut breit. Schon am Vortag der großen Siegershow meldeten sich Studierendenvertreter von zehn der insgesamt 22 Titelanwärter in einer Protestnote zu Wort. Einige wenige Standorte erhielten massive finanzielle Unterstützung, während viele leer ausgingen, wird darin moniert. Hierdurch entstehe ein „Zwei-Klassen-System“, das „keiner Universität, keinem Studierenden und keinem Lehrenden auf lange Sicht nützt“. Und abschließend: „Es ist Zeit, diesem sinnlosen Wettbewerb für die Zukunft ein Ende zu setzen.“ Zur „Elite“ zu gehören, ist offenbar nicht jedermanns Sache. (rw)