„Fake News“ vom ForschungslaborFacebook spendiert Ethik-Institut
Daumen hoch? Die TU München freut sich jedenfalls über das Geld von Facebook …
Studis Online: Der Social-Media-Konzern Facebook will für einen Zeitraum von fünf Jahren 6,5 Millionen Euro in ein neues Forschungsprojekt an der Technischen Universität München (TUM) stecken. Mit dem Geld werde das „Institute for Ethics in Artificial Intelligence“ aufgebaut, das ethische Grundsätze bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) ergründen soll, teilten die Verantwortlichen am 20. Januar mit. Warum können Sie dem so gar nichts Positives abgewinnen?
Christian Kreiß: Das neue Ethik-Institut beginnt mit einem Ethikbruch. Bei der Besetzung von Instituten an staatlichen Hochschulen sollten nach Art. 33 II Grundgesetz diejenigen Bewerber zum Zug kommen, die am besten geeignet sind. Wer das ist, ermittelt man normalerweise durch öffentliche Stellenausschreibungen, Bewerbungsverfahren und anschließende Auswahl durch ein unabhängiges Expertengremium, etwa eine Berufungskommission.
Im Fall des neu gegründeten TUM-Instituts hat man ein solches Auswahlverfahren offenbar umgangen und im wohlwollenden Einvernehmen mit dem Geldgeber Facebook lieber gleich einen Institutsleiter eingesetzt, von dem man weiß, dass er der Großindustrie sehr gewogen ist. Dadurch hatten leider andere ausgewiesene Ethikexperten, die beispielsweise der Denkrichtung der „integrativen Wirtschaftsethik“ angehören, keine Chance. Andererseits muss man zugeben, dass deren Vertreter ziemlich kritische Köpfe sind. Die wollte man dem spendablen US-Konzern möglicherweise lieber ersparen.
Was wir erleben, ist also durchaus kein gelungener Start, aber ganz in der Tradition von Facebook, Ethikregeln ständig zu brechen.
Aber muss das nicht Konsequenzen haben?
Es stellt sich in der Tat die Frage, ob die Stellenbesetzung, die offenbar im besten Einvernehmen mit dem Geldgeber erfolgte, rechtswidrig ist. Eigentlich dürfen Geldgeber keinerlei Einfluss auf die Stellenbesetzung an öffentlichen Hochschulen nehmen. Beispielsweise war ein Drittmittelvertrag der Universität Mainz mit der Boehringer Ingelheim Stiftung von 2009, in der der Geldgeber sich Einflussrechte auf die Stellenbesetzung verschaffte, grundgesetzwidrig.
Sie sagten, der designierte Institutsleiter sei der Großindustrie gewogen. Wer ist der Mann?
Dr. Christoph Lütge, Ethikprofessor an der TU München, ist bekannt für eine äußerst konzernfreundliche, neoliberale und fundamental marktgläubige Weltanschauung. So behauptet Lütge beispielsweise in seinem jüngsten Buch von 2018, dass durch die Kräfte des Marktes „die Bündelung von Macht systematisch verhindert wird“, eine Aussage, die dem Quasimonopolisten Facebook sehr entgegenkommen dürfte. Weiter heißt es auf Seite 33: „Man kann das Eigeninteresse – innerhalb der geeigneten Rahmenordnung – gewissermaßen als eine ‚moderne Form der Nächstenliebe‘ begreifen […] Es gilt also nicht mehr der traditionelle Gegensatz zwischen gutem, altruistischen Verhalten und schlechtem Egoismus.“
Nach dieser Logik würde Jesus heute also Eigenliebe predigen. Das alles bedeutet meines Erachtens die Perversion jeglicher Ethik und Moral. Und der Mann, der das Eigeninteresse auch von Konzernen propagiert, wird Leiter eines Ethik-Instituts, das von Facebook finanziert wird. Das dürfte kein Zufall sein. Man spült einem äußerst industriefreundlichen „Ethiker“ Konzerngelder zu, um das eigene Renommee zu fördern. Das sieht schwer nach einer abgekarteten und möglicherweise rechtswidrigen Sache aus.
Warum halten Sie Facebook in punkto Ethik und Moral nicht für lernfähig und -willig?
Unser Interviewpartner Christian Kreiß arbeitete als promovierter Volkswirt jahrelang im Bankwesen und ist seit 2002 Professor für Finanzierung und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Aalen. Von ihm erschien 2015 im Europa-Verlag das Buch „Gekaufte Forschung: Wissenschaft im Dienst der Konzerne“.
Es ist bekannt, dass Facebook strukturell gegen moralische Prinzipien verstößt, mit einer gigantischen Überwachungsarchitektur Milliardengewinne einstreicht, massenhaft Daten verkauft, wegen Missbrauchsfällen immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Durch seine Verwicklung in die Cambridge-Analytica-Affäre hat der Konzern möglicherweise sogar eine Mitschuld daran, dass Donald Trump US-Präsident werden konnte. Als ich hörte, dass dieses Unternehmen jetzt ein Hochschulinstitut für Ethik fördert, dachte ich zuerst, das muss ein Witz sein. Dann wurde mir klar, die meinen das ernst. Kurz: Ein Konzern, der dadurch auffällt, dass er ganz besonders wenig auf ethische Grundsätze gibt, schwingt sich neuerdings zum Ethikwächter auf. Das glaube, wer will.
Könnte man die Sache nicht auch so wenden: Facebook absolviert an der Münchner TU eine Art „Benimmkurs“ in Sachen Ethik, wovon am Ende auch die Nutzer etwas haben, zum Beispiel größere Datensicherheit, weniger „Fake News“ oder Hassbotschaften. Wie gefällt Ihnen das?
Das wäre eine sehr naive Sicht der Dinge. Facebook erwirtschaftet maximale Profite durch maximale Verwertung von Nutzerdaten. Ethische Maßstäbe schaden da nur, weil sie dem Ziel zuwiderlaufen. Und wollte man tatsächlich darauf Rücksicht nehmen, würde der Börsenwert sofort in den Keller rauschen, weil die Anleger in Scharen davonrennen. Ich war selbst jahrelang im Investmentbanking tätig und weiß, wie das läuft. Wenn die Zahlen nicht stimmen, wenn Umsatz und Rendite einknicken, dann gibt’s richtig Ärger und ruck, zuck wird das Management ausgetauscht.
Sitzen die Verantwortlichen der TU vielleicht einer Illusion auf, nämlich der, Facebook wollte sich wahrhaftig ändern?
Das wäre wieder reichlich naiv. Bei Facebook weiß man vermutlich ziemlich genau, wen man sich da ins Boot holt. TU-Präsident Wolfgang Herrmann ist ja bekannt dafür, dass er bei Industriekooperationen wenig kritisch ist. Mit mehr Drittmitteln lässt sich schön renommieren, die Uni bekommt ein neues Institut, einen größeren Forschungsetat, viele neue Mitarbeiter. Das sind ja nachvollziehbare Motive. Der Druck auf die Hochschulen, die knappen staatlichen Etats mithilfe von Industriekooperationen aufzubessern, ist heute ja enorm. Die Frage ist nur, ob man im konkreten Fall nicht übers Ziel hinausschießt, weil der Preis einfach zu hoch ist und der Vorgang so anmutet, als würde sich hier eine Uni für Geld prostituieren.
Sie sagten, Präsident Herrmann sei bei Industriekooperation wenig kritisch. Woran dachten Sie dabei?
Vor einem Jahr wurde bekannt, dass sich die TUM 20 BWL-Stiftungslehrstühle durch die Dieter-Schwarz-Stiftung in einem Kostenumfang von wohl weit über 100 Millionen Euro spendieren lässt. Das ist der bislang größte Drittmittelvertrag in der BRD-Geschichte. Dass sich der Handelsriese Lidl in solch einer Größenordnung an einer Hochschule engagieren kann, hat damals schon für allerhand Kritik gesorgt. Wer glaubt denn ernsthaft, unter solchen Bedingungen könnte noch industriekritisch geforscht werden?
Wird also auch mit den Facebook-Millionen nicht frei und unabhängig geforscht werden können?
Meiner Ansicht nach muss der designierte Institutsleiter in keiner Weise gegängelt werden, er kann sicherlich völlig frei forschen, denn man weiß ja, dass er äußerst industriefreundlich ist. Für Herrn Lütge ist selbst Mutter Teresa ein Homo oeconomicus – das ist kein Witz, sondern steht auf Seite 81 seines jüngsten Buches.
Für Lütge ist die Kooperation eine, wie er sagte, „Win-win-Situation“, von der beide Seiten profitieren würden. Welcher Nutzen könnte daraus konkret für Facebook erwachsen?
Zum einen ist da die kostenlose Werbung. Wegen der ganzen Skandale hat der Ruf von Facebook doch arg gelitten. Wie man liest, nehmen deshalb auch immer mehr Nutzer Reißaus. Wenn es jetzt plötzlich heißt, der Konzern unterstütze ein Ethik-Institut, dazu noch einer seriösen Uni, dann bleibt bei vielen eben der Eindruck hängen, dass Facebook irgendwie auch seriös sein muss und ethische Prinzipien verfolgt. Es gab zwar nicht in allen Medien Zuspruch, aber in der Wirtschaftspresse war das Echo weitgehend positiv. Die 6,5 Millionen Euro, die sich Facebook das Projekt kosten lassen will, sind angesichts der damit verbundenen Imagepolitur ein echtes Schnäppchen.
Zweitens kann man sich wegen der Person Lütge ziemlich sicher sein, dass es in den kommenden fünf Jahren keine allzu Facebook-kritischen Publikationen seitens des Instituts geben wird, sondern eher dazu, dass die staatlichen Rahmenbedingungen nicht stimmen und die Politik diese verbessern muss. Man lenkt also ab vom Fehlverhalten der Konzerne und schiebt alles auf den Staat.
Worum es bei der Kooperation geht, könnte ein Blick in die Verträge offenbaren. Allerdings bleiben diese wie üblich unter Verschluss …
Ich habe die TUM um die Herausgabe der Lidl-Verträge gebeten – ohne Erfolg. Es wird stets mit der Wahrung von Betriebsgeheimnissen argumentiert. Dabei wäre es kein Problem, die fraglichen Passagen, die Konkurrenten interne Geheimnisse verraten, zu schwärzen. Viel wichtiger ist es doch zu wissen, ob ein Unternehmen Einfluss auf die Forschungsinhalte nimmt. Wenn dem nicht so ist, wie immer beteuert wird: Warum wird dann aus allem so ein Geheimnis gemacht? Warum veröffentlicht die TUM keinen einzigen Vertrag?
Sie sprachen den Fall der Boehringer Ingelheim Stiftung an, die das Institut für Molekulare Biologie an der Universität Mainz gesponsert hat. Mit Ihrem Zutun mussten 2016 per Gerichtsbeschluss die Verträge offengelegt werden. Wie weit reichte die Liaison zwischen Uni und Pharmastiftung?
Das war eine üble Geschichte, die nur aufgeflogen ist, weil eine von mir betreute Studentin den Journalisten Thomas Leif und mich anregte, auf Herausgabe der Verträge zu klagen. Der Vertrag war, wie gesagt, sogar grundgesetzwidrig. Der Geldgeber hat massiv in die Wissenschaftsfreiheit eingegriffen und Einfluss auf Personalentscheidungen, Finanz- und Organisationsfragen genommen. Die Uni war unter anderem verpflichtet, ihre Briefbögen und alle Veröffentlichungen mit dem Zusatz „gefördert durch die Boehringer Ingelheim Stiftung“ zu versehen. Die Verträge wurden im Sommer 2018 überarbeitet. Ich glaube nicht, dass das ohne Klagen geschehen wäre, wozu auch? Das zeigt, dass Transparenz viel bewirken kann.
Von Ihnen ist folgender Satz überliefert: „Gelenkte Forschung ist der Anfang vom Ende einer freiheitlichen Gesellschaft“. Weshalb?
Ein wichtiger Schachzug von Autokraten und Diktaturen besteht immer darin, frühestmöglich die Presse und die Wissenschaft gleichzuschalten. Sobald die Freiheit im Geist und im Denken behindert, geknebelt oder, wie heutezutage, durch „Fake News“ attackiert wird, markiert das den Anfang vom Ende einer freien Gesellschaft und liefert die Grundlage, auf der dann weitere Angriffe und Übergriffe gegen Leib und Leben erst möglich werden.
Die Hochschulen opfern ihre wissenschaftliche Freiheit aber doch völlig freiwillig, oder nicht?
Forschung und Wissenschaft an deutschen Hochschulen sind noch zum großen Teil frei. Das ist die gute Nachricht. Aber ein Schneeball kann eine Lawine auslösen. Die Tabakindustrie hat systematisch Studien gefälscht und mithilfe unabhängiger Universitätsprofessoren scheinbar unabhängige Studien veröffentlicht, die Pharma- und Chemieindustrie hat, etwa im Fall Glyphosat, systematisch die Forschung manipuliert und dazu auch Universitätsprofessoren vor den Karren gespannt. Daran zeigt sich, wie über die Hochschulen das Denken der Menschen im Dienste der Gewinne korrumpiert werden soll und wie das ganz massive Auswirkungen auf unser Leben hat: auf das, was wir essen, was wir anziehen, welche Medikamente wir einnehmen, welche Autos wir fahren. Wenn Dr. Marlboro sagt, Rauchen ist gesund, glaubt das keiner. Wenn aber ein Professor einer angesehenen Uni „herausfindet“, dass Feinstaub nicht schädlich ist, dann muss das doch stimmen.
Wie weit ist der Ausverkauf der Forschung in Ihren Augen schon fortgeschritten?
Jeder zweite Forschungseuro an deutschen Universitäten stammt inzwischen aus Drittmitteln. Davon kommt ein großer Teil von der Staatsbürokratie, die wiederum stark durch die Industrielobby beeinflusst ist, sowie ein deutlich gewachsener Strom von Geldern, die direkt von der Industrie beigesteuert werden. Legt man die Finanzen als Messlatte an, ist nur noch etwa die Hälfte der Forschung an den Hochschulen in Deutschland wirklich frei. Aber das Drittmittelunwesen nimmt dramatisch zu und der Freiraum wird täglich kleiner. Das ist leider ein politisch gewollter Prozess.
Politisch gewollt ist auch, dass Unis als „unternehmerische Hochschule“ agieren und die Wirtschaft mit passenden Arbeitskräften versorgen …
Ich halte es lieber mit dem Humboldtschen Bildungsideal. Was soll denn Schul- und Hochschulbildung leisten? Wollen wir Industrieäffchen heranzüchten, die nach Schema F funktionieren, zu allem Ja und Amen sagen und dem allmächtigen Konsum frönen? Oder wollen wir die individuellen Anlagen von Kindern und Jugendlichen fördern und zur Entfaltung bringen und sie zum freien Denken und Handeln befähigen? Ausgangspunkt sollte der Mensch als soziales Wesen sein, seine Würde, seine Bedürfnisse, seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Heute bestimmt dagegen weitgehend die Wirtschaft darüber, was Mensch zu sein, zu tun und zu lassen hat. Der Schwanz wedelt längst mit dem Hund, nicht mehr umgekehrt.
Woher rührt eigentlich Ihr Aufklärungseifer bei dem Thema? Einen Investmentbanker, der sie jahrelang waren, steckt man für gewöhnlich in eine andere Schublade, in die der „Bösen“.
Ich habe mich in der Tat gewandelt und eingesehen, dass die dramatisch steigende Ungleichverteilung des Reichtums ein schlimmes Ende zu nehmen droht. Irgendwann habe ich für mich entschieden, diese Entwicklung nicht länger durch meine Arbeit vorantreiben, sondern in die entgegengesetzte Richtung wirken zu wollen.
In Ihrem Buch „Gekaufte Forschung“ haben Sie eine Vielzahl an Beispielen dafür aufgeführt, wie die Industrie den öffentlichen Wissenschaftsbetrieb kapert. Haben Sie so etwas wie einen „Favoriten“?
An der Spitze der Branchen, mit dem weitreichendsten Einfluss, steht meiner Einschätzung nach die Automobilindustrie. Diese sponsert Dutzende von Instituten und Professuren und sagt an, was und wofür zu forschen ist. Gegen die Autolobby zu forschen oder zu veröffentlichen, ist für diese Institute praktisch unmöglich. Im Februar 2018 haben fünf Universitätsprofessoren ein nach meinem Geschmack reines Gefälligkeitsgutachten im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums vorgelegt. Dieses besagt, dass Hardwarenachrüstungen bei Diesel-Fahrzeugen viel zu teuer wären. Nach Einschätzung unabhängiger Fachleute wurde dabei mit weit überhöhten Zahlen operiert. Dazu kommt: Die Professoren leiten große Forschungsprojekte und haben große Aufträge von den Autokonzernen – und haben diese Interessenkonflikte in dem Gutachten nicht erwähnt. Das widerspricht allen Standards der Wissenschaftsethik.
Was müsste passieren, um den Hochschulen wieder zu echter Unabhängigkeit zu verhelfen?
Öffentliches Geld für die Hochschulen ist genügend vorhanden. Es wird derzeit aber in absurden Bürokratieprozessen über Drittmittel verbraten. Würde man die Mittel direkt den Hochschulen überlassen, sähe es gleich ganz anders und besser aus. (rw)