Schwarz-gelbe PläneHochschulpolitischer Rollback in NRW
… (oder nur noch wenig) zu sagen haben sollen an Hochschulen in NRW fast alle – außer den Rektoren.
Regierungen kommen und gehen. Und mit ihnen kommen frische Gesetze, während alte ausgedient haben. Das geht nicht immer Knall auf Fall. Bei der Novellierung von Hochschulgesetzen ist es meistens so, dass die neue Rechtslage auf der alten aufbaut, diese in Teilen ergänzt, weiterentwickelt, präzisiert, optimiert. Aber manchmal läuft es anders. Wie demnächst wohl in Nordrhein-Westfalen (NRW). Die Koalition aus CDU und FDP will das geltende Hochschulgesetz nicht irgendwie aufmöbeln oder nachjustieren. Nein, sie rückt gleich mit der Abrissbirne an. Das Ding wird plattgemacht, kein Stein soll mehr auf dem anderen stehen. Alles wird anders, alles wird „besser“.
Fragt sich nur für wen. Für die Studierenden jedenfalls nicht, ebenso wenig wie für die Beschäftigten in Wissenschaft und Verwaltung. Was die Regierung vorhat, ist ein dickes Wohlfühlpaket für die Hochschulrektoren, und was man ihnen an Einfluss und Macht mehr geben will, wird anderen an Freiheit und Selbstbestimmung genommen. Zum Beispiel die Möglichkeit eines eigenverantwortlich gestalteten Studiums. Künftig soll an den NRW-Hochschulen wieder Präsenzpflicht herrschen. Wer nicht zum Seminar erscheint, wird Probleme kriegen, wer zu viel versäumt, wird bestraft: keine Prüfung, kein Schein, kein Fortkommen.
Mit Zwang zum Lernerfolg?
So will es die parteilose Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. Nach den von ihr in der Vorwoche präsentierten „Eckpunkten zu einem Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes“ werde das geltende Verbot von Anwesenheitspflichten „abgeschafft“. Dieses hatte die Vorgängerregierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eingeführt, um mehr Freiräume insbesondere für diejenigen zu ermöglichen, die einem Nebenjob nachgehen, Kinder großziehen oder Verwandte pflegen müssen. SPD und Grüne hatten sich noch mehr dabei gedacht: „Es gilt die Vermutung, dass eine qualitativ hochwertige Lehre eine Anwesenheit der Studierenden von selbst bewirken wird“, schrieben sie in ihr Gesetz. Dagegen verhinderten Zwangsmaßnahmen „systematisch, dass die Hochschulen derartige Rückmeldungen erhalten und diese Rückmeldungen ggf. zum Anlass nehmen, die Qualität ihrer Lehre zu stärken“.
Die neue Regierung will nicht dahin, sämtliche Veranstaltungen verbindlich zu machen. So sollten etwa Vorlesungen von der Regelung ausgenommen werden. Allerdings obliege es der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, „vor Ort Anwesenheit dort vorzusehen, wo sie mit Blick auf den angestrebten Lernerfolg sachgerecht ist“. Von der Berücksichtigung individueller Belange – Nebenjob, Familie – ist in den Eckpunkten dagegen nichts zu lesen. Das Vorhaben gehe an der Lebensrealität der Studenten vorbei, von denen viele arbeiten müssten, um überhaupt studieren zu können, äußerte denn auch Katrin Lögering vom Landes-Asten-Treffen NRW in der Neuen Westfälischen. Die Ministerin entscheide „über den Kopf der Studierenden hinweg“ und weiter: „Wir fühlen uns im Stich gelassen.“
Autonomie für Rektoren
Es ist nicht so, dass Pfeiffer-Poensgen von „Autonomie“ nichts halten würde. Im Gegenteil: Das Wörtchen ist eine ihrer Lieblingsvokabeln. In ihren Eckpunkten taucht es gleich mehrmals auf, aber ausnahmslos auf die Hochschulen gemünzt. Der ausdrückliche Anspruch der Ministerin ist es sogar, dass die „Autonomie und die eigenverantwortliche Gestaltungskraft“ der NRW-Unis „durch ein weiterentwickeltes Hochschulfreiheitsgesetz wiederhergestellt werden“. Das geltende Hochschulgesetz trage „dem nicht hinreichend Rechnung.“ Was so viel heißt wie: Unter Rot-Grün waren die Hochschulen förmlich in Ketten gelegt, völlig unflexibel, nur das zu tun im Stande, was die Politik von oben verordnet hat.
Aber nicht mehr lange. Gleich ihrem „Entfesselungsgesetz“, mit dem die Regierung der NRW-Wirtschaft zu neuer Blüte verhelfen will, soll auch den Hochschulen ein Höchstmaß an „Freiheit“ beschert werden. Man werde die „gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein qualitativ hochwertiges und zugleich erfolgreiches Studium, für die Exzellenz des Hochschulstandorts NRW sowie für freie wissenschaftliche Kreativität an unseren Hochschulen setzen“, liest man im Vorspann zu den Eckpunkten.
Staat soll sich raushalten
Tatsächlich ist besagtes „Hochschulfreiheitsgesetz“, das man jetzt „weiterentwickeln“ will, eine Erfindung der früheren schwarz-gelben Regierung unter Jürgen Rüttgers (CDU). Es war 2007 in Kraft getreten und wurde mit seinem durchweg neoliberalen Anstrich Vorbild für viele andere Bundesländer. Zum Beispiel wurden auf seiner Grundlage erstmals sogenannte Hochschulräte installiert. Das Gremium ist eine einem Konzernaufsichtsrat vergleichbare Runde von externen, überwiegend durch die Wirtschaft bestellten Fachleuten, die die Hochschulen vornehmlich nach den Vorgaben der Industrie und damit nach dem Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ ausrichten sollen. SPD und Grüne hatten sich indes erdreistet, die Kompetenzen der Hochschulräte ein Stück weit zu beschneiden und der Politik größere, wenngleich begrenzte Durchgriffsrechte in der „Detailsteuerung“ einzuräumen.
Damit soll jetzt wieder Schluss sein. „Abgeschafft“ werde das „Instrument eines verbindlichen Landeshochschulentwicklungsplans“ ebenso wie die die „Befugnis des Ministeriums, Vorgaben für die Hochschulentwicklungsplanung zu erlassen“. Das Instrument der Rahmenvorgaben werde „ersatzlos gestrichen und damit die Autonomie der Hochschulen in ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung sowie in Personalfragen wieder unterstrichen“. Zu diesen Freiheiten gehöre auch, „dass das neue ministerielle Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich eines Teils des staatlichen Zuschusses ebenfalls ersatzlos abgeschafft wird“. Und dann heißt es noch: „Hinsichtlich der Einflussmöglichkeit des Ministeriums auf das Hochschulmanagement hat das Ministerium die ihm zukommenden Befugnisse weitgehend auf den Hochschulrat oder dessen Vorsitzenden rückholbar per Erlass delegiert.“
Zivilklausel auf Abschussliste
Das Ganze mutet wie ein hochschulpolitischer Rollback an. Motto: Die Unis wissen am besten, was gut für sie ist. Lass sie mal machen. Und wenn Militärforschung dazu gehört – na und! Auf der Liste der zu entsorgenden Hinterlassenschaften der Vorgängerregering steht so auch die sogenannte Zivilklausel. Das Konzept hält die Hochschulen dazu an, nicht zu militärischen Zwecken zu forschen und, wie es im NRW-Hochschulgesetz heißt, „ihren Beitrag zu einer nachhaltigen und friedlichen Welt“ zu erbringen. Seit 2014 müssen sie einen entsprechenden Passus in ihrer Grundordnung verankern. Für Schwarz-Gelb ist das ein Akt der Bevormundung und „Ausdruck des Misstrauens“ gegenüber den Hochschulen. Diese wären „Teil der Friedensordnung des Grundgesetzes“ und benötigten „keine staatliche Hilfestellung, sich friedlichen Zielen zu verpflichten“, woraus einmal mehr folgt: „Diese Verpflichtung wird daher gestrichen.“
Entsetzt äußerte sich dazu Kathrin Vogler von der Bundestagsfraktion der Linkspartei: „Die schwarz-gelbe Landesregierung zieht die Hochschulen in NRW in das schmutzige Geschäft mit dem Tod“. „Angesichts der chronischen Unterfinanzierung des Hochschulwesens in NRW ist zu befürchten, dass viele Hochschulen die lukrativen Forschungsaufträge nicht ausschlagen werden können.“ Die ethischen Grundsätze von Wissenschaft und Forschung gerieten so „ins Hintertreffen“, findet die Linke-Politikerin. Entsprechende Fragen müssten „gesamtgesellschaftlich beantwortet werden und nicht in den Hochschulsenaten der einzelnen Standorte“.
Kölner AStA „fassungslos“
Auch beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Universität ist man alarmiert. „Wir sind fassungslos über die geplante Verschlimmerung des Hochschulgesetzes“, erklärte die erste Vorsitzende Imke Ahlen. Gerade die „großen Fortschritte“ des von Rot-Grün beschlossenen Hochschulzukunftsgesetzes, „die durch die Studierenden erkämpft wurden, sollen wieder abgeschafft werden“. Ahlen widersprach dabei auch der Darstellung durch Pfeiffer-Poensgen, den Kontakt mit Studierendenvertretern gesucht zu haben. „Wir mussten zahlreiche Mails schreiben, um überhaupt eine Antwort und ein Telefonat zu erreichen. In diesem Telefonat kamen wir kaum zu Wort, stattdessen jammerte die Ministerin über ihr aktuelles Arbeitspensum und offenbarte eklatante Wissenslücken über die aktuelle Hochschulgesetzgebung, die wir dann auffüllen mussten.“
Fremd ist der Ressortchefin offenbar auch die Bedeutung der Gruppenhochschule, die in den 1960er Jahre erkämpft wurde. CDU und FDP wollen die Gruppenparität im akademischen Senat nämlich kippen. Bisher muss dieser zwingend zu gleichen Teilen durch Vertreter von Professoren, Mitarbeitern und Studenten zusammengesetzt sein. Künftig soll dies „nicht mehr das gesetzliche Regelmodell sein, sondern als Option erhalten bleiben“. Sieht eine Hochschule davon ab, solle zudem die Verpflichtung gestrichen werden, „die Interessen der Mitglieder der nichtprofessoralen Gruppen bei den Aufgaben und Kompetenzen des Senats angemessen sicherstellen zu müssen“. Das bedeutet: Einfache Hochschulbeschäftigte, Angehörige des akademischen Mittelbaus und nicht zuletzt Studierende haben dann nichts mehr zu melden.
Aus für Studienbeiräte
Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Ministerin „gerade in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus die Demokratie und Mitbestimmung an den Hochschulen einschränken will“, monierte Dario Georg vom Kölner AStA. Auf Pfeiffer-Poensgens Abschussliste stehen auch die bisher obligatorisch vorgesehenen Studienbeiräte. In diesen verhandeln Lehrende und Lernende über organisatorische Angelegenheiten wie etwa Prüfungsordnungen und können im Konfliktfall Einspruchsrechte geltend machen. Auch hier lautet die Ansage der Ministerin: Besser weg damit. Weil damit der „bürokratische Aufwand“ erhöht werde, sollten die Hochschulen selbst entscheiden dürfen, ob sie ein solches Gremium brauchen. Es ist absehbar, dass die Rektoren darauf gerne verzichten werden. Dann könnten die Professoren „wieder mit eigener Mehrheit sämtliche Vorhaben gegen den Willen der Studierenden durchdrücken“, beklagte Georg.
Ferner sollen die Hochschulen nach dem Willen der Koalition größere Freiheiten bei der Auswahl von Studierenden erhalten. Erwogen wird etwa die Pflicht von Vorprüfungen (Self-Assessments). Bei Nichtteilnahme soll die Immatrikulation verweigert werden dürfen. Weiter sehen die Eckpunkte „neue gesetzliche Instrumente zur Reduzierung der Studienabbrecherquote“ vor. Dem sollen etwa „verbindliche Studienverlaufsvereinbarungen“ mit Studierenden dienen sowie eine „Experimentierklausel“ für die Erprobung „neuer Wege zu einem größeren Studienerfolg“.
Maulkorb für Hilfskräfte
Und noch eine Errungenschaft will Schwarz-Gelb abräumen: Seit drei Jahren besteht eine gesetzliche Grundlage dafür, dass studentische Hilfskräfte ihre Interessen an den Hochschulen gegenüber der Hochschulleitung vertreten können. Zum Beispiel setzt sich an der Uni Köln seit kurzem der sechsköpfige sogenannte SHK-Rat für die Belange der Betroffenen ein. Kaum in Amt, soll das Gremium gleich wieder abgewickelt werden. Die Begründung der Regierung hält AStA-Mitglied Lena Snelting für einen „schlechten Witz“. Laut Eckpunktepapier soll der SHK-Rat ein Fremdkörper in der Interessenwahrnehmung der Personalvertretung sein. „Das ist aus unserer Sicht völlig unverständlich, da studentische Hilfskräfte nicht durch die Personalräte der Universität vertreten werden bzw. vertreten werden können.“
Das Fazit des Kölner AStA: „Die schwarz-gelbe Landesregierung möchte anscheinend wieder ein studierendenfeindliches Hochschulgesetz, bei dem alle Macht vom Rektorat ausgeht.“ Dankbar zeigt man sich dagegen bei der Landesrektorenkonferenz (LRK), die per Pressemitteilung verkündete: „Für die Universitäten in NRW ist die geplante Novelle des Hochschulgesetzes ein wichtiges Signal zurück zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung.“ Und die Vertretung der Landesfachhochschulen ließ verlauten: „Die Grundtonalität des Eckpunktepapiers begrüßen wir aus Hochschulsicht ausdrücklich.“
Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Die Gesetzesnovelle soll bis zum Sommer 2019 durch den Landtag gehen und zum Wintersemester 2019/20 in Kraft treten. Bis dahin sollte auch klar sein, ob Schwarz-Gelb es Grün-Schwarz in Baden-Württemberg gleichtun und Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einführen will. Pfeiffer-Poensgen hält sich diese Option weiterhin offen. So oder so gilt: Für Proteste ist noch allerhand Zeit. (rw)