Durchbruch oder Dammbruch?20 Stiftungsprofessuren auf einen Schlag
Begeben sich Hochschulen in die Falle, wenn Professuren über Drittmittel von Unternehmen und Stiftungen finanziert werden?
Studis Online: Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass der Lidl-Gründer Dieter Schwarz der Technischen Universität München (TUM) auf einen Schlag 20 Stiftungsprofessuren schenken wird. Im Bereich der Betriebswirtschaflehre sollen demnach sieben Lehrstühle am Standort München sowie weitere 13 an einem noch zu gründenden TUM-Ableger in Schwarz` Heimatstadt Heilbronn in Baden-Württemberg angesiedelt werden. Damit hätte die TUM School of Management künftig 54 statt der aktuell 34 Professuren. Wie sehen Sie diese Pläne?
Arne Semsrott: Dass Unternehmen und Hochschulen gerade im Bereich der Stiftungsprofessuren kooperieren, ist keine Neuigkeit. Der Umfang und der avisierte zeitliche Rahmen der Kooperation sind allerdings wirklich neuartig für deutsche Verhältnisse.
Also schon eine Art von Dammbruch?
Die TU München würde es wohl eher als Durchbruch bezeichnen. Die große Frage ist, auf welche Modalitäten sich die Uni und die Unternehmensstiftung geeinigt haben. Wenn Lidl auf diesem Weg über die Ausrichtung der TU München, also die Forschungs- und Lehrinhalte, mitentscheiden kann, dann ist das sicher auch ein Dammbruch.
Über den finanziellen Rahmen der Kooperation drang bisher nichts nach außen. Haben Sie eine Vorstellung, um welche Summen es gehen könnte?
Das Volumen dürfte sich im dreistelligen Millionenbereich bewegen. Genau ist das allerdings nicht zu beziffern, solange die TU München die Vereinbarung nicht öffentlich macht. Ungewöhnlich ist der angekündigte Zeitrahmen der Zusammenarbeit: Die Lehrstühle sollen bis zur Emeritierung der eingesetzten Professoren ausfinanziert werden.
In welcher Größenordnung bewegen sich Kooperationen zwischen Hochschulen und der Industrie üblicherweise?
Je nach Kooperation reden wir meist von einigen Hunderttausend Euro oder ein paar Millionen Euro. Das ist neben dem Themengebiet auch abhängig von der Laufzeit der Stiftungsprofessuren, die häufig auf fünf Jahre begrenzt sind und danach dann in den Hochschulhaushalt übernommen werden. Volkswagen hat etwa für eine fünfjährige Stiftungsprofessur für Materialwissenschaft in Münster 2,2 Millionen Euro ausgegeben, für eine Stiftungsprofessur zum Modernen China 300.000 Euro.
Wie Ihrer Datenbank auf Hochschulwatch.de zu entnehmen ist, hat sich Lidl bzw. die Dieter-Schwarz-Stiftung mit bis dato fünf Stiftungsprofessuren im Gesamtwert von unter vier Millionen Euro als eher zurückhaltender „Hochschulförderer“ gezeigt. Können Sie sich einen Reim darauf machen, warum man jetzt plötzlich so in die Vollen geht?
Die Stiftung plant schon länger, einen großen Bildungscampus in der Nähe von Neckarsulm, dem Sitz der Schwarz-Gruppe, aufzubauen. Sie hat dafür bereits knapp 70 Millionen Euro in die Hand genommen, um die Duale Hochschule Baden-Württemberg zu finanzieren. Die Verhandlungen mit der TU München haben sich auch etwas in die Länge gezogen. Dem Vernehmen nach hat die TU dabei auch einen Mitbewerber aus Mannheim ausgestochen.
VolkswagenStiftung != Volkswagen
Korrekterweise muss man darauf hinweisen, dass die Verbindung zwischen VolkswagenStiftung und Volkswagen eigentlich nur der Namesbestandteil Volkswagen ist. Sie ist keine Unternehmensstiftung. Das Gründungskapital der VolkswagenStiftung wurde von Bund und Land Niedersachsen im Rahmen des Privatisierungsprozesses der heutigen Volkswagen AG bereitgestellt. Vgl. auch die Stellungnahme hier.
(Diesen Hinweis haben wir nachträglich eingefügt.)
Nehmen wir das Beispiel Volkswagen (VW) und die Volkswagen-Stiftung. Beide bringen es laut Hochschulwatch auf insgesamt 25 Stiftungsprofessuren, allerdings verteilt über ganz Deutschland. Es hat den Anschein, also wollte Lidl mit einem Mal zu den ganz Großen aufschließen.
Lidl profitiert sicherlich von den Forschungsgebieten, aber auch im Bereich der Lehre. Von der Ausstattung des Campus erhofft sich Lidl sicherlich auch, so besser und leichter Nachwuchspersonal zu rekrutieren. Das ist bei Stiftungsprofessuren gängig: Sie helfen dabei, Themen dauerhaft im Lehrplan zu verankern. Und das bringt natürlich auch dem Unternehmen langfristig viel.
Also schafft die Stiftung quasi eine hauseigene Lidl-Berufsschule? Oder ist der Gedanke zu plump?
Unser Interviewpartner Arne Semsrott leitet für die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland (TI) das Projekt Hochschulwatch, das seit vier Jahren Daten und Informationen zu den Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft an allen deutschen Hochschulen erfasst und auf www.hochschulwatch.de dokumentiert.
Projektpartner sind neben TI der „freie zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) und die tageszeitung (taz).
Semsrott arbeitet außerdem für den Verein „Open Knowledge Foundation Deutschland“, der sich „für offenes Wissen, offene Daten, Transparenz und Beteiligung“ einsetzt.
Darüber lässt sich nur spekulieren, solange die TU München und Lidl die gemeinsame Vereinbarung nicht transparent machen. Das ist ja ein großer Kritikpunkt an diesen Kooperationen, dass die Beteiligten sich nicht in die Karten schauen lassen. Zum Beispiel war vor sechs Jahren herausgekommen, dass die Deutsche Bank auf Grundlage eines Sponsor- und Kooperationsvertrags mit der TU- und der Humboldt-Uni Berlin über die Besetzung von Professuren und die Veröffentlich von Forschungsergebnissen mitbestimmen konnte. Von freier Forschung und Lehre kann da natürlich nicht mehr die Rede sein.
Es könnte aber auch anders laufen: Lidl gibt lediglich das Geld, darf aber nicht in Forschung und Lehre reinreden. Würde das so in der Verträgen stehen, könnte man das ja auch öffentlich machen.
Eines ist Dieter Schwarz mit seinem Coup schon mal gelungen: In den Medien wird der Fall breit diskutiert, allerdings überwiegend kritisch. Immer wieder taucht die Frage auf, ob es bei all dem nur um Goodwill geht oder doch um ein Manöver des Discounter-Giganten, Einfluss auf Forschung und Lehre zu nehmen. Für Sie dürfte der Fall klar liegen, oder?
Sicherlich verfolgt Lidl vor allem Unternehmensinteressen und auch die Stiftung dürfte davon nicht frei sein. Die große Frage ist allerdings, ob Lidl seine Interessen gegenüber der TU München durchsetzen kann. Und deswegen müssen die TU-Verantwortlichen an dieser Stelle klar machen, dass sie keinen Einfluss dulden. Und damit das überprüfbar ist, müssen eben auch die Vereinbarungen zwischen Hochschule und Stiftung offen auf den Tisch gelegt werden.
Können Sie vielleicht anhand vergleichbarer Fälle aufzeigen, wie sich ein Engagement kurz-, mittel- oder langfristig für den „Förderer“ bezahlt machen kann?
Durch Stiftungsprofessuren können Unternehmen ihre Themen in Forschung und Lehre langfristig verankern. Sie können also über Forschungsergebnisse Synergien nutzen oder auch Nachwuchs rekrutieren. Oft werden Stiftungsprofessuren nämlich nach fünf oder sieben Jahren in den Hochschulhaushalt übernommen und das spezifische, in der Regel wirtschaftsnahe Forschungsfeld, besteht damit fort. Andere Lehrstühle und Studienbereiche, oft solche, die mit Wirtschaft nichts zu tun haben, werden dadurch verdrängt. Die tageszeitung sprach zuletzt im Zusammenhang mit dem neuesten Falls deshalb auch von „Hochschul-Trojanern“.
Ihre Datenbank liefert keine handfesten Belege über Art und Tragweite einer möglichen Einflussnahme auf den Wissenschaftsbetrieb. Dort erfährt man, dass kooperiert wird, was dabei herauskommt, erfährt man nicht.
Das ist unter gegenwärtigen Bedingungen auch gar nicht möglich. Leider sind nämlich die allermeisten Hochschulen in Hinblick auf die Bedingungen ihrer Kooperationen intransparent. Was genau vereinbart ist, wird meist nicht veröffentlicht. Deswegen können wir auch nur zeigen, welche Kooperationen es gibt. Um Licht ins Dunkel zu bringen, müssen entweder die Gremien an den Hochschulen selbst oder Journalisten weitere Recherchearbeit leisten. Wir liefern die Basis dazu. Wer zum Beispiel als Studierender herausfinden will, mit welchen Unternehmen, Stiftungen und Sponsoren die eigene Hochschule kooperiert, der kann zumindest einige Informationen dazu mit unserem Angebot schnell und leicht ausfindig machen.
Ihr Angebot besteht erst seit vier Jahren. Haben Sie in der kurzen Zeit schon etwas erreicht?
Zumindest werden mögliche Einflussmöglichkeiten von Dritten stärker diskutiert. Und an vielen Hochschulen gibt es Initiativen für mehr Transparenz. Wie sich das Feld jedoch weiter entwickelt, ist noch nicht abzusehen.
Welche sind die bevorzugten Erscheinungsformen bei den Kooperationen?
Das reicht von Stiftungsprofessuren über Sponsoring bis hin zu Forschungskooperationen.
Im vergangenen November hatte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft unter Verweis auf Zahlen des Statistischen Bundesamts einen „historischen Rückgang der Unternehmensdrittmittel an deutschen Hochschulen“ beklagt. Die fraglichen Aufwendungen wären im Zeitraum 2014/15 von 1,8 Milliarden auf 1,4 Milliarden Euro Demnach gesunken. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnissen?
In den Jahrzehnten davor sind die Zuwendungen stetig gestiegen. Deswegen gehe ich davon aus, dass es sich hier um eine Momentaufnahme handelt. Ein Trend lässt sich dadurch sicher nicht feststellen.
Worum machen Sie sich stattdessen Sorgen?
Der Wettbewerb der Hochschulen um Gelder von Dritten ist politisch gewollt. Damit können auch Einfallstore für bestimmte Interessen größer werden. Ich hoffe, dass die Hochschulen zu mehr Selbstbewusstsein kommen, um Einflüssen von außen einen Riegel vorzuschieben. (rw)