Wettbewerb, Privatisierungen, EigenverantwortungBildungsreise nach Jamaika
Noch steht nichts fest, aber verhandelt wird schon mal. Was die „Jamaika-Parteien“ in Sachen Bildung so in ihren Wahlprogrammen stehen hatten, haben wir uns schon mal genauer angeschaut.
Bei der FDP wird „Bildung“ ganz groß geschrieben. Nicht nur gut oder besser soll Deutschlands Bildungssystem werden. Nein, das reicht den Liberalen nicht. Sie wollen mehr, viel mehr, sie wollen: WELTBESTE BILDUNG FÜR JEDEN. So, und genau so steht es in ihrem Programm zur zurückliegenden Bundestagswahl – in fetten, kursiven, roten Großbuchstaben. Aber da geht noch was drüber. Für die kommende Legislaturperiode versprechen die Freidemokraten nichts weniger als das „Mondfahrtprojekt weltbeste Bildung“.
Wem dabei das Wort Himmelfahrtskommando in den Sinn kommt, muss sich nicht sorgen. Denn im weiteren Verlauf der Lektüre landet man doch wieder bloß auf der Erde. Wobei die Aussichten vielversprechend klingen, als da wären „Bildungsausgaben auf Top-5-Niveau der OECD“, „Unterrichtsgarantie für Schüler“, „1.000 Euro Technik-Investition pro Schülerin und Schüler“, „weltbeste Lehrer für weltbeste Bildung“ (was auch sonst), „elternunabhängige Ausbildungsförderung“ und sogar „Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule“. Wer das alles nicht prima findet, ist selber schuld. Wer all das glaubt, auch. Und wer der Sache nicht traut, bewahre sich seine Bodenhaftung auch für die Zukunft.
Schick für Mövenpick
Wahlversprechen sind das eine, Realpolitik steht auf einem anderen Blatt, zumeist in Gesetzestexten, von denen vorm Urnengang nie die Rede war. Zur Erinnerung: Kaum hatten sich CDU/CSU und FDP Ende 2009 als neue Bundesregierung aufgestellt, bescherte sie der Hotelbranche ruckzuck eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf sieben Prozent. In den Wahlprogrammen stand davon nichts geschrieben und mit Kontoauszügen gehen Parteien für gewöhnlich nicht hausieren. Beim Blick auf die der FDP hätten man es ahnen können. Ihr Schatzmeister war im Jahresverlauf von der Mövenpick-Gruppe mit Spenden von über einer Million Euro beglückt worden.
Auch und gerade beim Thema Bildung sollte Misstrauen erste Bürgerpflicht sein. Wohl auf keinem anderen Feld klaffen derart große Abgründe zwischen dem, was in Sonntagsreden und auf Wahlkampfbühnen verkündet wird und dem, was nachher politisch (nicht) umgesetzt wird. So betrachtet, bildete die jüngste Schlacht eine dankenswerte Ausnahme von der sonst üblichen Regel. Weil die Flüchtlingsdebatte und das AfD-Theater über alles gingen, rutschte „Bildung“ fast komplett unten durch. Dass das Kita-Personal auf dem Zahnfleisch geht, an den Schulen flächendeckend und massenhaft Lehrkräfte fehlen, dass Azubis vielfach ausgebeutet werden, die Unis komplett überlaufen sind, der akademische Mittelbau prekär beschäftigt und bezahlt wird und das BAföG hinter und vorne nicht reicht – von all dem war praktisch nichts zu hören. Und wer nichts verspricht, muss nach der Wahl auch keine Versprechen brechen.
„Bedenken second.“
Zwar hätte insbesondere die SPD und Kanzlerkandidat Martin Schulz gerne mehr darüber geredet, mit ihr auch die Linkspartei und die Grünen. Aber sie drangen damit medial einfach nicht durch. Im TV-Kandidatenduell zwischen Schulz und Angela Merkel (CDU) kam der Punkt Bildung schlicht nicht vor. Letztlich dürfte sogar ausgerechnet die FDP von diesem blinden Fleck profitiert haben, weil sie ihn geschickt zu besetzen verstand und das Thema als einzige Partei konsequent hochhielt. Umfragen zeigen immer wieder, wie sehr Bildungsfragen den Menschen unter den Nägeln brennen. Zuletzt hatte sich womöglich bei vielen der Eindruck erhärtet, die FDP wäre die einzige Kraft, die sich überhaupt um die Angelegenheit kümmert.
Ob daraus etwas wird, ist – wie eben immer nach einer Wahl – längst nicht ausgemacht. Und sollte daraus etwas werden, sofern die FDP demnächst tatsächlich als Partner einer möglichen Jamaika-Koalition gemeinsam mit Union und Grünen die Geschicke der Republik mitbestimmt, dann bedeutete das längst nichts Gutes. Zumindest nicht für den sogenannten Normalbürger, der sich ein hochwertiges und vollausfinanziertes Bildungssystem in staatlicher Regie wünscht. Die Liberalen fahren bildungspolitisch durchweg auf neoliberalem Kurs. Vor allem geht es ihnen darum, die öffentliche Bildungsfinanzierung zurückzudrängen, mehr Privatisierung und mehr Wettbewerb durchzusetzen. Entsprechende Instrumente werden im Wahlprogramm reichlich propagiert, beispielsweise „Bildungssparen“, „Bildungsgutscheine“, „nachgelagerte Studiengebühren“, die Stärkung freier Schulen, mehr „Eigenständigkeit der Schulen“, Bezahlung von Lehrkräften nach „Leistung“, und nicht zuletzt eine Auf-Teufel-komm-raus-Digitalisierungsinitiative für Schulen und Hochschulen getreu dem Wahlkampfmotto von Parteichef Christian Lindner: „Digital first. Bedenken second.“
Alles ist möglich
Angesichts solcher Absichten sollte man besser darauf hoffen, dass aus den Ankündigungen von vor der Wahl nach der Wahl auch diesmal nichts wird. Denn gerade im Verbund mit der Union – die Privatisierungen, Wettbewerb und „Eigenverantwortung“ bekanntlich zugeneigt ist – könnten sich manche der Planspiele ziemlich leicht und ziemlich bald realisieren lassen. Und dabei müsste man nicht einmal die Wähler täuschen. Das CDU/CSU-Wahlprogramm ist – ganz nach Merkel-Masche – derart unkonkret, schwammig und inhaltlich dürftig, dass auf seiner Grundlage alles möglich wäre: vom 1.000-Euro-BAföG bis zu Privatunis für alle. Die Begriffe „Hochschulen“, „Fachhochschulen“ und „Universitäten“ finden sich darin zusammen viermal. An einer Stelle heißt es: „In der Nachfolge des auslaufenden Hochschulpakts wollen wir mit den Ländern gute Lehre und digital innovative Universitäten und Fachhochschulen stärken.“ Noch Fragen?
Sehr viel erhellender ist in dieser Hinsicht auch das Programm der Grünen nicht. Hierin wird der Bildungsbereich recht ungriffig unter der Devise „Investitionen in Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen“ abgehandelt. Das muss nicht viel heißen. Mehr Geld hat in den vergangenen Jahren auch die Große Koalition mobilisiert, etwa für Kita-Ausbau oder Hochschulpakt, allerdings eben bei weitem nicht in dem Maße, wie angesichts der grassierenden Mangelausstattung der Bildungslandschaft erforderlich wäre.
Bündnis macht mobil
Natürlich haben die Grünen in vier Jahren Opposition eine Reihe fortschrittlicher Positionen vertreten: mehr Lehrer, mehr Erzieherinnen, mehr Grundmittel für die Hochschulen, mehr BAföG. Andererseits hat die Partei auch schon wiederholt ihre Verbiegungsfähigkeit im Regierungsfall bewiesen. In Baden-Württemberg hat sie gerade gegen ihre Programmatik Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer eingeführt und schickt sich an, die Handlungsfähigkeit der vor wenigen Jahren erst gestärkten Verfassten Studierendenschaften wieder zu beschränken. Dazu kommt der Punkt, dass die Grünen wahlarithmetisch das schwächste Glied im Jamaika-Gespann sein werden. Allein dafür, mitregieren zu dürfen, werden sie bereitwillig manche Kröte schlucken.
Man kann sich bei der Ausgangslage gewiss sein: Das sich anbahnende Jamaika-Bündnis verspricht bildungspolitisch nichts wirklich Erbauliches. Ein quantitativ und qualitativ ehrgeiziger Ausbau von Kitas, Schulen und Hochschulen wird nicht ganz oben auf der Prioritätenliste der Koalitionäre in spe stehen. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass Bildungsverbände und Gewerkschaften ihre Forderungen an die wohl kommende Bundesregierung diesmal mit besonderem Nachdruck herantragen. Gleich 30 Organisationen haben sich am Donnerstag mit Blick auf die begonnenen Sondierungsgespräche in einem Appell an die Öffentlichkeit gewandt und eine deutliche Ausweitung der Bildungsinvestitionen angemahnt.
„Gesamtgesellschaftliches Alarmsignal“
Beteiligte an dem Bündnis sind unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Gewerkschaften GEW und NGG, das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC, der Paritätische Gesamtverband, der Sozialverband Deutschland, der Sozialverband VdK Deutschland, der Deutsche Kinderschutzbund, der studentische Dachverband fzs sowie Schülervertreter. Sie alle verlangen für die anstehende Legislaturperiode eine „Offensive beim Ausbau des Bildungswesens – von der Kita über alle Schulen und Hochschulen bis zur Weiterbildung – im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Gute Bildung sei ein „Eckpfeiler der Demokratie“ und „Voraussetzung für eine plurale, freiheitliche Gesellschaft, die gerade jetzt gestärkt werden muss“.
Als dringlichste Aufgaben benannten die Initiatoren die Ausweitung von Ganztagsangeboten, ein Sanierungs- und Neubauprogramm für Schulen und Hochschulen, ein Kita-Qualitätsgesetz sowie die Entwicklung eines inklusiven Bildungswesens. Auch sei die Weiterbildung, insbesondere in der Grundbildung und der digitalen Medienkompetenz deutlich auszubauen. Ferner müssten Unterstützungsleistungen für geflüchtete und asylsuchende Kinder, Jugendliche und Erwachsene erweitert und verbessert werden. Den wachsenden Personalmangel, der sich aktuell vor allem in Schulen und Kitas zeigt, sehen die Bündnispartner als „gesamtgesellschaftliches Alarmsignal“. Angesichts der prekären Arbeits- und Lohnbedingungen an den Hochschulen müssten in der Wissenschaft „Dauerstellen für Daueraufgaben“ geschaffen werden.
Deutschland knausert
„Geld ist genug da“, wird in dem Papier bekräftigt, auch dafür, dass die nächste Regierung „international ihrer Verantwortung gerecht wird, indem sie den deutschen Beitrag zur Förderung von guter Bildung weltweit steigert und mehr für die globale Bildung tut“. Die öffentlichen Bildungsausgaben belaufen sich hierzulande auf 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Unter allen Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt die Quote bei 5,2 Prozent. Würde die BRD im Verhältnis zur Wirtschaftskraft im Mittel so viel wie andere Industrienationen für den Bereich ausgeben, „stünden jährlich gut 26 Milliarden Euro mehr zur Verfügung“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
Zurück zum FDP-Programm: „So wie John F. Kennedy sein Land mit einer gewaltigen Kraftanstrengung auf den Mond führte, wollen wir Deutschland an die Spitze der Bildungsnationen dieser Welt zurückführen.“ Hochmut kommt bekanntermaßen vor dem Fall. Und auf Mutter Erde herrscht immer noch Schwerkraft. (rw)
Wahlprogramme der Jamaika-Parteien
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