Alternative Hochschulgewerkschaft unter_bauSchluss mit prekären Jobs, vernachlässigter Lehre und Effizienzterror!
An den Hochschulen könnte einiges besser laufen. Manchmal braucht es auch Proteste …
Studis Online: An der Goethe-Universität in Frankfurt (Main) stieg am 18. Mai der Aktionstag „Lebendiger Campus“ mit allerhand Veranstaltungen, einer Demonstration und abschließender Kundgebung. Auf die Beine gestellt hat all das die Basisgewerkschaft unter_bau, deren Sprecherin Sie sind, sowie die Uni-Fachschaft Medizin. Gab es einen konkreten Anlass für die Proteste?
Conny Pretz: Einmal wollten wir auf die allgemeinen Missstände in punkto Studien- und Arbeitsbedingungen an der Goethe-Uni hinweisen. Da kommt vieles zusammen, sowohl inhaltliche, strukturelle als auch räumliche Defizite. Wir wollen die Qualität von Seminaren durch angemessene Betreuungsverhältnisse mit Dauerstellen garantieren. Auch im Bereich Administration und Technik müssen die befristeten Arbeitsverhältnisse durch feste Stellen ersetzt werden. Außerdem dringen wir auf mehr Mitbestimmung bei Lehre und Forschung durch Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte. Besonders wichtig ist es uns, dass die transdisziplinäre Tradition der Kritischen Theorie an der Goethe-Uni wieder verstärkt aufgenommen wird. Und dann muss es endlich auch eine auskömmliche räumliche Ausstattung geben. Zum Beispiel setzen wir uns dafür ein, dass die Studierenden auf dem Campus Riedberg einen selbstverwalteten Raum erhalten.
Eine zentrale Rolle spielten bei dem Aktionstag die Medizinstudierenden, die auch maßgeblich an der Organisation beteiligt waren. Mit welchen Problemen sind diese konfrontiert?
Gemeinsam mit der Fachschaft Medizin wenden wir uns vor allem gegen die untragbaren Zustände im Praktischen Jahr (PJ). Obwohl die Studierenden ärztlichen Tätigkeiten in Vollzeit nachgehen, werden sie mit kümmerlichen 300 Euro pro Monat abgespeist. Davon kann kein Mensch leben. Wir dagegen fordern eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 735 Euro und ein Ende der Praxis, die Bezahlung mit BAföG-Bezügen zu verrechnen. Wir plädieren zudem für einen wöchentlichen Studientag zur Nachbereitung, um das in der Klinik Erlebte und Erlernte angemessen verarbeiten zu können.
Unsere Interviewpartnerin Conny Pretz studiert Pädagogik und Sportwissenschaften und ist Sprecherin der Basisgewerkschaft unter_bau, die sich im vergangenen November an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main gegründet hat. Die Organisation verfolgt den Anspruch, Gewerkschaft für die ganze Hochschule zu sein, also für alle Beschäftigtengruppen, ob im Service, in der Verwaltung, in Lehre und Forschung, und ebenso für studentische Hilfskräfte. Sie versteht sich als politisch linke Organisationen, die anarcho-syndikalistischen Traditionen näher steht als der Sozialdemokratie. Als Mitglied im „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ wendet sich unter_bau im Speziellen gegen prekäre Beschäftigungsformen im akademischen Mittelbau.
Sind besagte 300 Euro die übliche Bezahlung im Praktischen Jahr?
Das liegt im Ermessen der jeweiligen Hochschule bzw. Uniklinik. In Marburg und Heidelberg wird der BAföG-Höchstsatz von 735 Euro gezahlt, aber in den meisten Fällen liegt die Vergütung zwischen 300 und 400 Euro. Wir fragen: Müsste die Gesellschaft nicht ein Interesse daran haben, dass Mediziner ohne finanzielle Nöte ausgebildet werden, um so zu bestmöglichen Ärzten zu werden, die ihre Patienten später bestmöglich versorgen? Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, schlecht oder unbezahlte Arbeit sind an der Goethe-Uni leider längst der Normalfall. Bei uns gibt es beispielsweise keinen Mindestlohn für Pflichtpraktika. Viele Promovierende müssen ihre Dissertation nach Auslaufen des Stipendiums oder des Arbeitsvertrages als „Arbeitslose“ fertig schreiben.
Über ähnlich schlechte Zustände wird auch an vielen anderen Hochschulen in Deutschland geklagt. Oder würden Sie sagen, die Frankfurter Uni geht mit besonders schlechtem Beispiel voran?
Im Großen und Ganzen ist die Uni ein Abbild der Verhältnisse, wie sie überall vorherrschen. Aber es gibt auch Besonderheiten. Als Stiftungsuni genießt die Goethe-Uni Tarifautonomie, nachdem sie aus dem Flächentarifvertrag des Landes Hessen ausgeschert ist. Freilich geschah das nicht in der Absicht, die Standards zu erhöhen. Andererseits sehen wir darin eine Chance, die Lohn- und Arbeitsbedingungen, gerade von Angestellten und studentischen Mitarbeitern, langfristig zu verbessern. Momentan ist es allerdings so, dass die Uni sich unserer Forderung nach einem Tarifvertrag für Hilfskräfte mit dem Argument widersetzt, hier nicht aus der „Gemeinschaft der Hochschulen“ ausbrechen zu wollen.
Zuviel »Tarifautonomie« muss es offenbar dann auch nicht sein …
Genau, die ist nur solange gefragt, wie sich damit Kürzungen durchsetzen lassen. Auch andere Statusgruppen arbeiten unter zum Teil sehr prekären Bedingungen: im Mittelbau, im administrativ-technischen Bereich oder bei den externen Dienstleistern. Die Uni hat den Reinigungs- und Sicherheitsservice sowie den Betrieb von Mensen und Cafés komplett outgesourct. Wieso wird die Autonomie immer nur dafür missbraucht, den Druck auf die Beschäftigten zu erhöhen, die Abhängigkeit von Drittmitteln zu steigern, die „unternehmerische Hochschule“ zu pushen? Wir wollen dahin, dass die Autonomie für sinnvolle Verbesserungen für die Beschäftigten und damit auch die Studierenden genutzt wird.
Was hat der Aktionstag gebracht? Sind Sie mit Ihren Anliegen bis ins Rektorat vorgedrungen?
Immerhin hat der Dekan des Fachbereichs Medizin in der Presse geäußert, dass nichts gegen eine Erhöhung des PJ-Honorars auf 399 Euro spreche. Das wäre zwar noch weit weg von unserer Forderung, aber dennoch eine satte Steigerung um mehr als 30 Prozent. Ansonsten sind wird nicht so naiv zu glauben, dass wir mit einem Aktionstag den ganzen Unibetrieb umwälzen. Der Ansatz, unter_bau zu gründen, war ja gerade die Einsicht, dass Protest im Sand verläuft, solange es keine Struktur gibt, die ernsthafte politische Alternativen aufzeigt.
Sie haben sich im zurückliegenden November als „alternative Hochschulgewerkschaft“ gegründet. Was haben Sie seither erreicht?
Die Zahl unserer Mitglieder nimmt stetig zu und die meisten davon bringen sich aktiv ein. Wir machen unseren Mitgliedern und allen Interessierten Weiterbildungsangebote, etwa zum Thema Arbeitsrecht, Arbeitskampf oder Organizing. Das ist der erste Schritt, um sich gegen schlechte Lohn- und Arbeitsbedingungen zu wehren. Bei den Tarifverhandlungen der Gewerkschaften GEW und ver.di im Februar waren wir vor Ort beim Streik-Café dabei und sind mit Beschäftigten ins Gespräch gekommen. Besonders freuen uns die vielen Anfragen von Interessierten von anderen Hochschulen. Inzwischen stehen wir in regem Kontakt mit Gleichgesinnten, sowohl bundesweit als auch international, und werden zu vielen Veranstaltungen im In- und Ausland eingeladen.
Hört man das Wort Gewerkschaft, denkt man automatisch an Berufsvertretung. Sie dagegen sprechen ausdrücklich auch Studierende an. Warum ist das so?
Im Anschluss an ihr Studium werden die meisten Absolventen Zeit ihres Lebens lohnabhängig sein. Viele müssen sich schon während des Studiums ihren Lebensunterhalt verdienen, allein an der Goethe-Uni tun dies mehr als 2.000 Hilfskräfte. Wer sich schon früh mit miesen Arbeitsbedingungen, Kettenbefristungen und schlechter Bezahlung abfindet oder damit, sich gegen andere Beschäftigtengruppen ausspielen zu lassen, den stumpft das fürs spätere Arbeitsleben ab. Man hört zum Beispiel: Warum sollte ich als studentische Hilfskraft den Aufstand proben, wenn ich den Job sowieso nur ein, zwei Jahre mache? Wenn alle so denken und handeln, werden die Bedingungen ganz sicher immer schlechter. Deshalb macht es sehr wohl Sinn, wenn sich Studierende gewerkschaftlich organisieren.
Auch weil sie ein Interesse an guten Lehrbedingungen haben müssten?
Genau. Wenn Dozenten sich von einer Befristung zur nächsten hangeln, wenn die Hochschulen wegen mangelnder Grundfinanzierung und exzessiver Drittmittelfixierung Daueranstellungen immer weiter zurückfahren, dann leiden darunter immer auch die Studierenden. Wie soll man erstklassige Lehre machen, wenn man Angst haben muss, seinen Job nach einem halben Jahr wieder los zu sein, wenn man unter ständigem Selbstvermarktungsdruck steht, wenn man seine Familie nicht ernähren kann? Dazu kommt noch die Output-Fokussierung von Professoren und wissenschaftlichem Personal: Um sich zu profilieren, muss in einschlägigen Journals publiziert werden, müssen Drittmittel eingeworben werden. Qualitativ hochwertige und kritische Lehre kommt unter solchen Bedingungen unter die Räder. Die Unterwerfung der Hochschulen unter das Prinzip der ökonomischen Effizient bei gleichzeitig rückläufiger Grundausstattung zeigt sich ja an vielen Stellen: An überfüllten Hörsälen und Seminaren, verschulter Lehre, an Lehrinhalten, die nur mehr den Erfordernissen des Arbeitsmarkts zu genügen haben.
Was wäre die Alternative?
Wir fordern beispielsweise ganz konkret, dass an der Goethe-Uni ein Zentrum für Kritische Theorie geschaffen wird, das sich mit herrschafts- und gesellschaftskritischen Inhalten in allen Lehrplänen auseinandersetzt. Die Kritische Theorie oder die Frankfurter Schule sind für das Uni-Präsidium nur noch etwas, das man als Denkmal auf den Campus stellen kann. Das zu ändern, kann aber nur gesamtuniversitär klappen. Und gute Lehre ist nur mit besseren und freieren Arbeitsbedingungen der Lehrerenden zu haben.
Wie verbreitet ist das Bewusstsein, dass Lernende und Lehrerende in einem Boot sitzen, in der Studentenschaft?
Leider ist es damit nicht so weit her. Die wenigsten fragen sich, ob der Privatdozent vielleicht gerade kostenlos unterrichtet, um seine Lehrlizenz nicht zu verlieren, und seinen Lebensunterhalt von Hartz IV bestreitet. Ob die Vertretungsprofessorin nicht nur dieses eine, sondern parallel gleich vier Seminare mit je 50 bis 100 Teilnehmern betreuen muss. Ob die Dozentin einen außerordentlichen Lehrauftrag hat, mit schlechter Bezahlung und Vertragslaufzeit bis zum Ende der Vorlesungszeit. Oder ob die Stipendiatin, die das Seminar leitet, dies unentgeltlich macht, da man ja Lehrerfahrung braucht, um eine Chance auf Anschlussbeschäftigung zu haben. Gerade deswegen ist die statusgruppenübergreifende Organisierung so wichtig. So lässt sich überhaupt erst ein Bewusstsein für die Situation des Gegenüber entwickeln, genauso wie für Verbesserungen, die nicht auf Kosten von anderen gehen.
Und wie denken die Lehrenden darüber?
Hier tut sich eine Menge. Die Missstände werden zunehmend erkannt und benannt. Da ist zum Beispiel das Netzwerk „Gute Arbeit in der Wissenschaft“, dem sich bereits 15 Initiativen angeschlossen haben. Das Bündnis gibt den Angehörigen des Mittelbaus bundesweit eine Stimme, will gemeinsame Positionen erarbeiten und in die politische Arena bringen. Außerdem unterstützt das Netzwerk den Aufbau lokaler Initiativen. Aus unserer Sicht ist es entscheidend, dass sich an den Hochschulen kampffähige Basisorganisationen aufbauen. Denn nur mit einer effektiven, organisierten Gegenmacht werden sich Verbesserungen durchsetzen lassen.
Vor gut einem Jahr hat der Bundestag das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) novelliert. Damit sollte ja eigentlich dem grassierenden Befristungsmissbrauch an den Hochschulen Einhalt geboten werden. Hat die Reform nichts gebracht?
Auf alle Fälle weniger, als versprochen. Befristungen sind nach dem Gesetz im Falle einer „Qualifizierung“ erlaubt. Allerdings sind die Vorgaben so schwammig und unverbindlich, dass den Hochschulen riesige Ermessenspielräume bleiben. Selbst das Sammeln von Arbeitserfahrung wird so zum „Qualifizierungsziel“ erklärt. Die Goethe-Uni will – auch mit dem neuen Gesetz – weiterhin Personal kürzen. Jetzt sagt sie den Betroffenen im Zweifelsfall: Eine befristete Anstellung geht nicht mehr, sonst könntest Du dich ja einklagen. Deshalb bist Du gleich ganz raus.
Eine Umfrage unter Rektoren hat jüngst gezeigt, dass sie die Beschäftigungssituation mehrheitlich gutheißen, weil sie die Flexibilität schätzen. Von oben wird es deshalb auch keine durchgreifenden Verbesserungen geben. Es kann aber nicht angehen, dass die Uni nur am Laufen gehalten wird, indem der Mittelbau unbezahlt Mehrarbeit leistet und Daueraufgaben erledigt, während die Leute wie Tagelöhner behandelt werden.
Wie sähe die Uni aus, die Ihnen vorschwebt? Und wie wollen Sie dahin kommen?
Eine „rätedemokratische Selbstverwaltung“ ist sicherlich unser langfristigstes Ziel. Das heißt: Kein Ständesystem mehr, sondern Basisgremien, die Inhalte und Ausrichtung von Forschung und Lehre ebenso frei bestimmen wie die Organisation des Hochschulalltags. Mittelfristig wollen wir am Tarifgeschehen teilnehmen und, wenn nötig, eigene Tarifverträge abschließen. Daneben verfolgen wir noch eine Reihe anderer Anliegen wie etwa die oft sinnlosen Prüfungspflichten und Scheinleistungen zu verringern oder mehr Flexibilität bei der Studiengestaltung. Das alles wollen wir durch ein solidarisches, statusübergreifendes Miteinander erreichen – hin zu einer gemeinsamen umfassenden Analyse und Reflexion der gesamten Situation an der Hochschule und in der Gesellschaft.
Ist das nicht ein Ansatz, der gerade jüngere Menschen abschrecken könnte, von wegen, „die 68er Jahre sind vorbei“?
Der Zugang zu uns ist gerade nicht abschreckend, sondern maximal niedrigschwellig. Alle, die wollen, weil sie auf diese oder jene Weise unter den Verhältnissen leiden, sind willkommen und können sich einbringen. Dann entscheiden die Mitglieder gemeinsam, welche Probleme konkret angegangen werden. So wird gewerkschaftliche und politische Arbeit unmittelbar an der persönlichen Lebenssituation erfahrbar. Dann haben schon „kleine Fortschritte“ das Zeug zum „großen Erfolg“. Das bewahrt auch davor, abzuheben. Weil wir als Gewerkschaft eine inklusive, aber feste Struktur haben, verfallen wir in keine maximalistischen, inhaltsleeren Forderungen à la „Schweinesystem stürzen“. Da ist bei den 68ern ja immer wieder der Blick für die tatsächlichen Verhältnisse und Lebensrealitäten verlorengegangen.
Zu ihren möglichen Aktionsformen gehören ausdrücklich auch Arbeitskampfmaßnahmen. Wird so etwas auch bei Unibeschäftigten diskutiert, die nicht organisiert sind oder anderen Gewerkschaften angehören?
Viele unserer Mitstreiter sind selbst noch bei ver.di oder der GEW Mitglied. Genau darin sehen wir großes Potenzial, weil das die Schlagkraft und die Chancen erhöht, mit Arbeitskampfmaßnahmen etwas zu erreichen. Wie wirksam es ist, wenn Gewerkschaften zusammenarbeiten, zeigt auch der Blick ins Ausland, beispielsweise Frankreich. Wir sehen uns nicht in Konkurrenz zu anderen Gewerkschaften, sondern als ein bereicherndes Angebot, das politische und ökonomische Forderungen zusammenbringt. Umgekehrt profitieren wir von der Expertise der DGB-Gewerkschaften, etwa dann, wenn Tarifverhandlungen anstehen.
Obwohl die Hochschulen komplett überlaufen sind, die Studienbedingungen immer schlechter werden, die Bologna-Studienreform mit Bachelor und Master ihre Versprechen nicht gehalten hat, erlebt man seit Jahren keine echten Studierendenproteste mehr. Was muss passieren?
Wir glauben nicht, dass es Menschen erst „schlecht genug“ gehen muss, bevor sie gegen die Zustände in Aktion treten. Studierendenproteste gibt es ja durchaus noch, allerdings treten sie so vereinzelt auf, dass ihre Wirkung zumeist sehr begrenzt bleibt. Für echte Veränderung braucht es eine permanente, kämpferische, alternative Kraft an der Hochschule. Genau dafür steht unter_bau.
(rw)