Forschen geht über StudierenOECD moniert deutsche Hochschulknauserei
Bei der Finanzierung der Hochschulen ist Deutschland sparsam – zu sparsam?
Studis Online: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat in ihrem in der Vorwoche veröffentlichten Bericht „Bildung auf einen Blick“ Deutschlands Hochschulen ein zwiespältiges Zeugnis ausgestellt. Auf der einen Seite lobt der Club der 35 weltweit führenden Industriestatten die deutlich gestiegenen Studierendenzahlen, hält andererseits aber die Finanzierung für nicht auskömmlich. Finden Sie sich in diesem Urteil wieder?
Dieter Dohmen: Im Prinzip ja. Dass die Studierendenzahlen deutlich gestiegen sind, ist allseits bekannt, derzeit sind rund 2,8 Millionen Studierende an den Hochschulen eingeschrieben, ein zunehmender Teil an privaten Einrichtungen. Dass die Ausgaben pro Kopf nicht mitgehalten haben, haben wir bereits vor zwei Jahren in einer Studie für die Konrad-Adenauer-Stiftung festgestellt.
Decken sich dabei Ihre Zahlen mit denen der OECD?
Im Wesentlichen ja, wobei man berücksichtigen muss, dass die OECD ihre Zahlen in umgerechneten Kaufkraftparitäten und nicht in Wechselkursen ausdrückt. Nach unseren Zahlen sind die Ausgaben je Studierenden zwischen 2000 und 2010 um 900 Euro von 9.600 auf 8.700 im Bundesdurchschnitt gesunken. Die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern unterscheidet sich erheblich, manche haben mehr Geld bereitgestellt, andere weniger.
Welche Folgen ergeben sich aus der Mangelausstattung?
Die entscheidende Folge für die Studierenden sind schlechtere Betreuungsrelationen. Bessere Relationen wären ein wesentlicher Beitrag zu guten Studienbedingungen und auch zu geringeren Abbrecher- bzw. höheren Absolventenzahlen.
Laut OECD-Bericht sind Deutschlands Ausgaben pro Studierendem in vergleichbarem Umfang gesunken wie in Spanien während der Finanzkrise. Allerdings wurden die Iberer von der Krise 2008 viel heftiger und sehr viel länger gebeutelt als die BRD. Warum knausert Deutschland nur so bei seinen Hochschulen?
Es ist zwar richtig, dass die Ausgaben pro Kopf in Deutschland gesunken sind, aber hierin steckt eine sehr vielschichtige Entwicklung: andere Fächerstruktur, mehr Studierende an Fachhochschulen und – eben – deutlich gestiegene Studierendenzahlen. Ich halte wenig davon, simple Ländervergleiche anzustellen und das Ausgabenniveau in Spanien mit dem deutschen zu vergleichen. Die Ausgaben in Spanien sind deutlich geringer als hierzulande.
Nun verzeichnet Deutschland ja durchaus Steigerungen bei den Hochschulausgaben und das in nicht unerheblichem Ausmaß. Allerdings fließen und flossen die Mittel vornehmlich in diverse Sonderprogramme: Den Hochschulpakt, einen Pakt für kleinere Unis und Fachhochschulen, für die Lehre. Vor allem aber wurde im Rahmen der Exzellenzinitiative viel Geld in die Forschung gesteckt, hier gehört Deutschland sogar zu den Führenden im Kreise der Industrienationen. Es hat den Anschein, als wäre Forschung schlicht wichtiger als die Lehre und gut ausgebildete Absolventen. Was denken Sie?
Ich glaube, ganz so einfach denkt die Politik nicht und sie hat ja durchaus deutlich mehr in die Studierenden gesteckt. Ohne einen deutlichen Anstieg der öffentlichen Mittel wären die Studierendenzahlen sicherlich nicht im dem Umfang gestiegen, wie dies der Fall ist. Aber richtig ist auch, in die Forschung sind deutlich mehr Mittel geflossen.
Hinter der Forschung steht eine starke Lobby, die Industrie. Hinter Studierenden nicht?
Sowohl Studierende als auch die Forschung haben zusätzliche Mittel erhalten, aber sicherlich war der Druck der Lobbyisten noch stärker.
Kritiker meinen, die Sonderprogramme, allen voran die Exzellenzinitiative, hätten zu einer vertikalen Differenzierung des Hochschulsystem beigetragen, nach dem Muster: viel Geld für die Spitze, wenig für die Breite. Sehen Sie das ähnlich?
Ja und nein. Es gab immer Qualitätsunterschiede zwischen Hochschulen, egal ob zwischen den Universitäten untereinander oder unter den Fachhochschulen bzw. den Hochschulen für angewandte Wissenschaft. Und ich habe nichts dagegen, wenn sich leistungsbedingte Unterschiede in Forschung oder Lehre zeigen. Der große Schwachpunkt der deutschen Programme ist aber, dass auf der Basis von Anträgen entschieden wird und nicht auf der von tatsächlichen Leistungen. Es ist für mich auch noch nicht ausgemacht, dass die zusätzlichen Mittel zu einer entsprechenden Leistungssteigerung geführt haben.
Wenn das nicht, wozu dann? Oder anders: Wenn nicht einmal die von den Machern versprochene Leistungssteigerung bei den sogenannten Spitzenunis herausspringt, hätte man sich das viele Geld dann nicht auch sparen bzw. gerecht auf alle Hochschulen verteilen können?
Übergreifende Analysen zeigen, dass die Zahl der Publikationen je Professor bzw. je wissenschaftlichen Mitarbeiter in den letzten Jahren gesunken ist. Das heißt, die Einstellung zusätzlichen Personals, zum Beispiel im Rahmen von Förderprogrammen, führt nicht unmittelbar zu einem höheren Output. Es zeigt sich aber auch, dass der Anteil von qualitativ hochwertigen Publikationen, die in der Spitzengruppe wahrgenommen werden, gestiegen ist.
War das ganze Geld also nicht für die Katz?
Nein. Positiv gewendet, hat sich die Dynamik im Hochschulsystem deutlich erhöht und das halte ich grundsätzlich für gut. Aber es gibt auch eine Überschussreaktion ...
Was wollen Sie damit sagen?
Im Ergebnis hecheln Hochschulen und Wissenschaftler allen Förderprogrammen hinterher und schreiben Anträge über Anträge, um Drittmittel zu generieren. Anschließend müssen die gleichen Wissenschaftler die Anträge oder Publikationen anderer Wissenschaftler begutachten. Auf diese Weise legt sich der Wissenschaftsbetrieb teilweise selbst lahm und der Fokus liegt auf guten und sehr guten Anträgen, die aber nicht immer in hochwertige Forschung münden.
Wie stehen Sie zu dem Wettbewerbscharakter all dieser Sonderprogramme? Wer zum Zug kommen will, muss sich ja immer gegen eine Schar an Mitbewerbern behaupten.
Grundsätzlich habe ich nichts gegen Wettbewerb, es muss aber fair und gerecht zugehen und das ist nur teilweise der Fall.
Und teilweise nicht. Inwiefern ist das so und was folgt daraus?
Unser Interviewpartner Dieter Dohmen ist Gründer, Inhaber und Direktor des interdisziplinären Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) mit Sitz in Berlin. Der promovierte Volkswirt berät mit seinem Team Ministerien auf Bundes- und Landesebene, Unternehmen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen, Fachverbände, die Europäische Kommission und diverse internationale Organisationen.
Daraus folgt, dass manche Hochschulen qua Namen oder Netzwerkstrukturen bessere Chancen haben als andere. So war es doch interessant festzustellen, wie sich die Exzellenzhochschulen auf wenige Länder verteilt haben und in den ersten beiden Runden Ostdeutschland nicht eine einzige stellte. Auch wenn Bayern und Baden-Württemberg viel für ihr Hochschulsystem tun, dürfte es so einseitig dann doch nicht sein. Dies heißt umgekehrt aber auch nicht, dass jedes Land mindestens eine Exzellenzuni haben muss. Auch gibt es Wissenschaftlerkartelle, die sich gegenseitig die Projekte zuschustern und positiv begutachten und andere Forschung schlichtweg ignorieren.
Es ließe sich auf zwei Arten auf die OECD-Befunde reagieren: Die Politik könnte einerseits mehr Geld pro Studierendem aufbringen oder andererseits den Hochschulen weniger Studierende zumuten. Passend zum zweiten ist heute viel vom sogenannten Akademisierungswahn die Rede. Was denken Sie, in welche Richtung die Debatte geht?
Die Diskussion über einen angeblichen Akademisierungswahn ist falsch und sachlich nicht begründet. Hier hat sich – wieder einmal – die Oberflächenanalytik durchgesetzt. Deutschland braucht mehr Akademiker, gar keine Frage. Aber Deutschland braucht auch mehr Auszubildende – man sollte nicht vergessen, dass 250.000 junge Menschen jedes Jahr gerne einen Ausbildungsplatz hätten. Mehr Geld auch für das Hochschulsystem wäre sicherlich gut und nötig, dann aber eben mehr für die Grundausstattung, statt für Förderprogramme, die mit viel Aufwand verbunden sind.
Die Hochschulen sollen laut einer gemeinsamen Beschlussfassung der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mehr Flexibilität bei der Kapazitätsermittlung und -festlegung erhalten. Ist das nicht ein Anzeichen dafür, dass man den Zulauf an die Hochschulen wieder begrenzen will?
Die Kapazitätsverordnung ist ein Relikt aus alten Zeiten. Sie diente ausschließlich dazu, die Türen gerichtsfest verschließen zu können. Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, wenn eine Hochschule sagt, wir wollen bessere Qualität und die erreichen wir mit weniger Studierenden je Professor. Am Ende muss es aber im System genügend Studienplätze geben, um jungen Menschen eine qualifizierte Ausbildung zu bieten und auch um genügend Fachkräfte für die Zukunft zu qualifizieren.
Was müsste sich in diesem Sinne aus Ihrer Sicht ändern?
Grundsätzlich geht der Zug in die richtige Richtung. Ich sehe nicht, dass es im Moment – von Ausnahmen wie zum Beispiel Sachsen-Anhalt abgesehen – ernsthafte Bemühungen gibt, die Zahl der Studierenden zu begrenzen. Ich würde mir mehr Geld für die Grundausstattung und weniger Geld für Drittmittelprogramme wünschen. Drittmittelanträge führen zu einem hohen Arbeitsaufwand mit ungewissem Ausgang – Zeit, die für gute Lehre und gute Forschung fehlt.
Aber woher soll das Geld kommen?
Ich sehe nicht, dass die öffentlichen Haushalte noch großen Spielraum haben, trotz aller positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre. Der Hochschulbereich hat erheblich profitiert und andere Bildungsbereiche haben auch einen Bedarf an steigenden Ausgaben. Wir schlagen daher einen Education Investment Fund vor, der sich aus privaten Quellen speist und später aus den höheren Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen refinanziert. Zwar wird hier privat vorfinanziert, praktisch handelt es sich aber um eine rein öffentliche Finanzierung aus den zukünftigen öffentlichen Erträgen. (rw)